Urteil des OLG Hamm vom 12.11.2007
OLG Hamm: körperverletzung, beschränkung, mangel, pflichtverteidiger, rüge, rauschtat, vergehen, sachverständiger, anhörung, befangenheit
Oberlandesgericht Hamm, 2 Ss 360/07
Datum:
12.11.2007
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
2. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
2 Ss 360/07
Vorinstanz:
Landgericht Bochum, 14 Ns 9 Js 757/04
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird mit den zugrunde liegenden
Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über
die Kosten der Revision, an eine andere kleine Strafkammer des
Landgerichts Bochum zurückverwiesen.
Gründe:
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I.
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Das Amtsgericht Bochum verurteilte den Angeklagten durch Urteil vom
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15. Dezember 2005 wegen vorsätzlichen Vollrausches zu einer Freiheitsstrafe in Höhe
von vier Monaten (Körperverletzung zum Nachteil des Zeugen T. Nach den
Feststellungen des Amtsgerichts stand der Angeklagte zur Tatzeit unter dem Einfluss
von Betäubungsmitteln und Alkoholika: die Blutprobe wies einen Wert von 0,31 mg/l
Cannabinoide und eine Blutalkoholkonzentration von etwa 2,5 0/oo auf. Aufgrund der
vorliegenden Mischintoxikation schloss der Tatrichter eine Schuldunfähigkeit des
Angeklagten zur Tatzeit nicht aus.
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Soweit die Staatsanwaltschaft Bochum dem Angeklagten in ihrer Anklageschrift vom 22.
Februar 2005 darüber hinaus eine gefährliche Körperverletzung zu Lasten des
Nebenklägers M. N gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2, Nr. 4 StGB zur Last gelegt hatte, sprach
das Amtsgericht ihn von diesem Tatvorwurf aus tatsächlichen Gründen frei. Wegen des
vorliegenden Vollrausches schied ein Teilfreispruch aus.
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Gegen das Urteil haben die Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger Berufung
eingelegt, die sie in der Berufungshauptverhandlung am 18. Januar 2007 auf die
Überprüfung des Freispruchs im Hinblick auf den Vorwurf der gefährlichen
Körperverletzung zum Nachteil des Zeugen und Nebenklägers N beschränkt haben.
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Das Landgericht Bochum verhängte daraufhin gegen den Angeklagten mit Urteil vom
09. Februar 2007 wegen vorsätzlichen Vollrausches und wegen gefährlicher
Körperverletzung eine Gesamtfreiheitsstrafe in Höhe von einem Jahr und sechs
Monaten. Entgegen den Feststellungen des erstinstanzlichen Urteils kam das
Landgericht unter Berufung auf die Ausführungen des Sachverständigen in der
Hauptverhandlung zu dem Ergebnis, die Einsichtsfähigkeit des Angeklagten in das
Strafbare seines Handelns sei zum Tatzeitpunkt nicht relevant gestört gewesen. Seine
Steuerungsfähigkeit hingegen sei aufgrund des mittelschweren Intoxikations-zustandes
zum Tatzeitpunkt im Sinne des § 21 StGB erheblich vermindert. Das Vorliegen der
Voraussetzungen des § 20 StGB schloss das Landgericht sicher aus.
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Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte durch seinen Verteidiger fristgerecht am
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16. Februar 2007 Revision eingelegt, mit der er allgemein die Verletzung materiellen
Rechts gerügt sowie die Aufhebung des landgerichtlichen Urteils beantragt hat.
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Mit Schriftsatz vom 23. Mai 2007, eingegangen beim Landgericht Bochum am selben
Tag, hat er die Revision sodann näher begründet.
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Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das angefochtene Urteil mit den zugrunde
liegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und
Entscheidung an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Bochum
zurückzuverweisen.
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II.
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Die zulässige Revision des Angeklagten hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des
angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an eine andere kleine
Strafkammer des Landgerichts Bochum, ohne dass dabei auf die Sachrüge näher
eingegangen zu werden braucht.
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Das angefochtene Urteil leidet nämlich bereits insofern an einem durchgreifenden
Mangel, als das Landgericht den Umfang seiner Prüfungs- und Feststellungspflicht
verkannt hat. Die Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger haben ihre zunächst
unbeschränkt eingelegte Berufung in der Berufungshauptverhandlung am 18. Januar
2007 darauf beschränkt, dass der Angeklagte vom Vorwurf der gefährlichen
Körperverletzung zum Nachteil des Nebenklägers N freigesprochen worden war. Damit
sollte die Verurteilung des Angeklagten wegen vorsätzlichen Vollrausches von der
Anfechtung ausgenommen sein. Die Strafkammer hat die Zulässigkeit der
Beschränkung bejaht. Träfe diese Annahme zu, so wären Schuldspruch und
Strafausspruch insoweit in Rechtskraft erwachsen und damit jeder Nachprüfung auch
durch das Revisionsgericht entzogen. Das ist indessen nicht der Fall.
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Die Beschränkung der Berufung auf bestimmte Beschwerdepunkte ist nur insoweit
zulässig, als diese, losgelöst von dem nicht angefochtenen Teil des Urteils, sowohl in
rechtlicher als auch in tatsächlicher Hinsicht selbstständig beurteilt werden kann, ohne
dass dabei auf die nicht angegriffenen Teile des Urteils in tatsächlicher und rechtlicher
Hinsicht übergegriffen werden muss (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 50. Aufl., § 318 Rdnr. 11
m. w. Nachweisen). Ob diese Voraussetzungen gegeben sind, beurteilt sich nach den
jeweiligen Umständen des Einzelfalles. Es ist jedoch allgemein anerkannt, dass bei
einer Tat, die mit einer anderen in Tateinheit steht, die Beschränkung der Berufung auf
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einen oder mehrere rechtliche Gesichtspunkte unzulässig ist, weil die Schuldfrage in
einem solchen Fall nur einheitlich beurteilt werden kann (vgl. hierzu auch OLG Hamm,
VRS 39, 190, 191). Die Möglichkeit einer solchen Fallgestaltung war hier gegeben.
Die Körperverletzungen zum Nachteil des Zeugen T2 und die durch die Strafkammer
festgestellte wenige Minuten später in unmittelbarer Nähe erfolgte Körperverletzung zum
Nachteil des Zeugen N können sich als einheitliche Tat eines Vollrausches nach § 323
a StGB darstellen. Bei dieser Ausgangslage konnte das Rechtsmittel nicht beschränkt
werden. Ohne Belang ist insoweit, dass das Landgericht im Ergebnis zur Annahme
zweier materiell-rechtlich selbstständiger Taten gekommen ist. Dies führt nicht etwa zu
einer (nachträglichen) Zulässigkeit der Berufungsbeschränkung. Eine
Berufungsbeschränkung ist dann unwirksam, wenn sie zu Widersprüchen zwischen den
nicht angefochtenen Teilen des Urteils und der Entscheidung des Rechtsmittelgerichts
führen kann (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O.,
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§ 318 Rdnr. 7 m. w. Nachweisen). Die Revision weist zu Recht darauf hin, dass die
Verurteilung des Angeklagten wegen einer gefährlichen Körperverletzung zum Nachteil
des Zeugen N, begangen im Zustand verminderter Schuldfähigkeit, jedoch im
Widerspruch zu der Feststellung einer nur einige Minuten zuvor in unmittelbarer Nähe
begangenen Rauschtat bei nicht auszuschließender Schuldunfähigkeit gemäß § 20
StGB zum Nachteil des Zeugen T2 steht.
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Das Landgericht hätte nach alledem die tatsächliche und rechtliche Prüfung auch auf
das Vergehen des Vollrausches erstrecken müssen. Das ist hier nicht geschehen, so
dass ein Teil des Verfahrensgegenstandes von dem angefochtenen Urteil nicht
miterfasst worden ist.
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Diesen Verfahrensfehler hat der Senat auch ohne ausdrückliche Rüge zu beachten.
Denn die Frage, ob eine Berufungsbeschränkung zu Recht oder Unrecht
Rechtskraftwirkung hervorgerufen hat, ist von Amts wegen zu prüfen.
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Der dargelegte Mangel nötigt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur
Zurückverweisung der Sache.
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III.
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Auch wenn auf die weiteren Rügen nicht näher eingegangen zu werden braucht,
bemerkt der Senat ergänzend an, dass ein Sachverständiger aus denselben Gründen,
die zur Ablehnung eines Richters berechtigen, abgelehnt werden kann
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(§ 74 StPO). Ablehnungsgrund ist danach die Befangenheit, nicht jedoch ein möglicher
Mangel an Sachkunde. Letzteres kann allenfalls zur Anhörung eines weiteren
Sachverständigen führen.
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IV.
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Soweit der Angeklagte beantragt hat, ihm Rechtsanwalt T3 für das Revisions-verfahren
als Pflichtverteidiger beizuordnen, war hierüber nicht zu befinden. Durch Beschluss des
Landgerichts Bochum vom 14. Juni 2006 ist Rechtsanwalt T3 als Pflichtverteidiger
bestellt worden. Die Bestellung erstreckt sich, wenn sie nicht beschränkt wird, was
vorliegend nicht der Fall ist, auch auf die Einlegung und Begründung der Revision und
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auf das Revisionsverfahren.