Urteil des OLG Hamm vom 02.02.2006

OLG Hamm: wesentliche veränderung, anfang, strafbefehl, form, leistungsbezug, ordnungswidrigkeit, anzeige, unverzüglich, strafverfahren, mitteilungspflicht

Oberlandesgericht Hamm, 3 Ss 478/05
Datum:
02.02.2006
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
3. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
3 Ss 478/05
Vorinstanz:
Amtsgericht Bielefeld, 36 Cs 53 Js 399/05 - 255/05
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird aufgehoben.
Der Angeklagte wird freigesprochen.
Die Staatskasse trägt die gesamten Kosten des Strafverfahrens sowie
die dem Angeklagten in diesem Strafverfahren entstandenen
notwendigen Auslagen.
G r ü n d e :
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I.
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Dem vorliegenden Verfahren liegt der Strafbefehl des Amtsgerichts Bielefeld vom
03.03.2005 zugrunde. Mit diesem Strafbefehl ist dem Angeklagten zur Last gelegt
worden, sich am 01.08.2004 in C des Betruges schuldig gemacht zu haben, indem er es
pflichtwidrig vorsätzlich unterließ, dem Arbeitsamt seine Arbeitsaufnahme bei der Firma
L in T anzuzeigen und er infolgedessen zu Unrecht während der Zeit vom 01.08.2004
bis zum 20.09.2004 Arbeitslosenunterstützung in Höhe von 1.753,17 € bezogen haben
soll. Gegen den Strafbefehl hat der Angeklagte rechtzeitig Einspruch eingelegt. Das
Amtsgericht Bielefeld hat den Angeklagten wegen grob fahrlässiger Nichtmitteilung von
wesentlichen Umständen, die für den Leistungsbezug maßgeblich sind
(Arbeitsaufnahme) zu einer Geldbuße von 500,- € verurteilt.
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Aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe lässt sich als festgestellten
Sachverhalt entnehmen, dass der Angeklagte im Jahre 2004 zunächst arbeitslos war
und aus diesem Grunde Sozialleistungen über die Agentur für Arbeit in H bezogen
hatte, er aber sodann im August 2004 eine Arbeit aufgenommen hat. Dennoch erfolgten
weitere Zahlungen durch die Agentur für Arbeit Anfang September und Anfang Oktober.
Nach den weiteren Ausführungen im angefochtenen Urteil hat die Ehefrau des
Angeklagten, der offensichtlich der deutschen Sprache nicht mächtig ist, "aufgrund der
Arbeitsaufnahme und der dann erfolgten weiteren Zahlungseingänge trotz
Arbeitsaufnahme Anfang September und Anfang Oktober" bei der Agentur für Arbeit in H
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angerufen und "dies" (gemeint ist offensichtlich die erfolgte Arbeitsaufnahme sowie die
weiteren Zahlungseingänge) dort mitgeteilt. Das Amtsgericht hat weiterhin festgestellt,
dass telefonische Mitteilungen über Arbeitsaufnahmen gegenüber dem Kundenbüro der
Agentur für Arbeit in H nicht im Computer erfasst würden. Allerdings erfolge in diesen
Fällen grundsätzlich der Hinweis, dass die Arbeitsaufnahme durch eine schriftliche
Veränderungsmitteilung vorzunehmen sei. Eine solche schriftliche Mitteilung ist durch
den Angeklagten nicht erfolgt.
Das Amtsgericht ist auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen zu dem Ergebnis
gelangt, dass dem Angeklagten der ihm mit dem Strafbefehl vom 03.03.2005 zur Last
gelegte Betrug nicht mit hinreichender Sicherheit nachgewiesen werden könne.
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Das Amtsgericht hat den Angeklagten allerdings der Begehung einer
Ordnungswidrigkeit gemäß § 404 Abs. 2 Nr. 26, Abs. 3 SGB III i.V.m. § 60 Abs. 1 Nr. 2
SGB I für schuldig befunden und zur Begründung Folgendes ausgeführt:
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"Der Angeklagte ist jedoch bereits bei Beantragung des Leistungsbezuges über
seine Pflichten bei Veränderungen der persönlichen Verhältnisse hingewiesen
worden. Unabhängig von den Telefonaten ist der Angeklagte zu einer schriftlichen
Veränderungsmitteilung verpflichtet gewesen. Dies hat er mangels sicheren
Nachweises eines Vorsatzes zumindest grob fahrlässig nicht beachtet. Umständen,
die für den Leistungsbezug maßgeblich sind (Arbeitsaufnahme), vorzuwerfen."
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Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der eine Verletzung
materiellen und formellen Rechts gerügt wird.
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II.
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Die Revision hat mit der erhobenen Sachrüge Erfolg. Sie führt zu einer Aufhebung des
angefochtenen Urteils und zum Freispruch des Angeklagten.
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Das Amtsgericht hat zu Recht die Begehung eines Betruges i.S.d. § 263 StGB durch
den Angeklagten mit Rücksicht auf die von ihm festgestellten Telefonate der Ehefrau bei
der Agentur für Arbeit in H verneint. Denn bei Zugrundelegung dieses Sachverhaltes
lässt sich eine bewusste Täuschung des Angeklagten über eine für den Leistungsbezug
wesentliche Veränderung seiner Verhältnisse (Arbeitsaufnahme) nicht feststellen. Auch
die Abhebung der Anfang September sowie Anfang Oktober 2004 zu Unrecht
überwiesenen Unterstützungsleistungen beinhaltete keine konkludente Vortäuschung,
dass die Voraussetzungen für die Unterstützung noch vorliegen bzw. vorgelegen haben.
Vielmehr nutzt der Abhebende bei dieser Fallgestaltung lediglich den bei den
Mitarbeitern des Arbeitsamtes bereits bestehenden Irrtum aus. Ein solches Verhalten
wird nicht von § 263 StGB erfasst (OLG Köln,
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NJW 1984, 1979 m.w.N.; HansOLG, Beschluss vom 11.11.03 – II – 104/03 -).
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Die getroffenen Feststellungen rechtfertigen allerdings auch nicht die Verurteilung des
Angeklagten wegen einer Ordnungswidrigkeit gemäß § 404 Abs. 2 Nr. 26, Abs. 3 SGB
III i.V.m. § 60 Abs. 1 Nr. 2 SGB I.
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Nach § 404 Abs. 2 Nr. 26 SGB III handelt ordnungswidrig, wer vorsätzlich oder
fahrlässig entgegen § 60 Abs. 1 Nr. 2 SGB I eine Änderung in den Verhältnissen, die für
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einen Anspruch auf eine laufende Leistung erheblich ist, nicht, nicht richtig, nicht
vollständig oder nicht rechtzeitig mitteilt. Eine bestimmte Form hat der
Leistungsberechtigte bei der Mitteilung nach § 60 Abs. 1 Nr. 2 StGB I nicht zu beachten
(vgl. Seewald in Kasseler Kommentar zum SGB, § 60 SGB I Rdnr. 25). Die
Änderungsmitteilung kann daher grundsätzlich in jeder Form, d.h. schriftlich, mündlich,
fernmündlich usw. erfolgen (vgl. OLG Karlsruhe, NJW 2004, 1264). Soweit in § 60
Abs. 2 SGB I bestimmt ist, dass, soweit für die in § 60 Abs. 1 Nr. 1 und 2 SGB I
genannten Angaben Vordrucke vorgesehen sind, diese benutzt werden sollen, handelt
es sich hierbei lediglich um eine Sollvorschrift, die der Vereinfachung des
Verwaltungsverfahrens dient (vgl. Seewald, a.a.O., Rdnr. 35). In § 404 Abs. 2 Nr. 26
SGB III wird die unterbliebene Benutzung eines solches Vordruckes nicht erwähnt noch
wird auf § 60 Abs. 2 SGB I Bezug genommen.
Der Angeklagte konnte daher seiner Verpflichtung zur Mitteilung der Arbeitsaufnahme -
wie hier geschehen - auch fernmündlich nachkommen. Er war entgegen der Ansicht des
Amtsgerichtes gesetzlich nicht verpflichtet, diese in schriftlicher Form nachzureichen. Da
nach den Feststellungen des Amtsgerichts die erste telefonische Mitteilung der Ehefrau
des Angeklagten gegenüber der Agentur für Arbeit in H "aufgrund der Arbeitsaufnahme"
erfolgt ist, ist davon auszugehen, dass diese in einem unmittelbaren zeitlichen
Zusammenhang und damit unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes Zögern (§ 121 BGB),
erfolgt ist. Ob die Mitarbeiter der Agentur für Arbeit in H eine zusätzliche schriftliche
Anzeige der Arbeitsaufnahme verlangen konnten, kann dahingestellt bleiben, da ein
Verstoß hiergegen jedenfalls nach § 404 Abs. 2 Nr. 26 SGB III nicht bußgeldbewehrt ist.
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Es bedarf im vorliegenden Verfahren auch keiner Auseinandersetzung mit der Frage, ob
und gegebenenfalls wie häufig der Leistungsempfänger die Mitteilung über eine
Änderung seiner Verhältnisse gegenüber dem Leistungsträger wiederholen muss, wenn
erkennbar fehlerhaft weiterhin Zahlungen erfolgen (vgl. dazu OLG Karlsruhe, NJW 2004,
1264 m.w.N.). Denn eine Verpflichtung zu einer wiederholten Änderungsanzeige kann
nur in denjenigen Fällen bestehen, in denen die erste Anzeige nicht zu der
bearbeitenden Stelle des Leistungsträgers gelangte und der Leistungsbezieher
demzufolge seine Mitteilungspflicht noch nicht erfüllt hat. Liegt dagegen die
Änderungsanzeige dem zu unterrichtenden Leistungsträger vor, wie es hier der Fall war,
hat der Leistungsbezieher seiner ihm nach § 60 Abs. 1 Nr. 2 SGB I obliegenden
Verpflichtung genügt. Zieht der Leistungsträger aus dieser Änderungsanzeige hingegen
nicht die gebotenen rechtlichen Konsequenzen, so begründet dies keine
Wiederholungspflicht zur Änderungsanzeige. Der Leistungsempfänger ist nicht
verpflichtet, den Leistungsträger allgemein auf fehlerhaftes oder unterlassenes
Verwaltungshandeln hinzuweisen (vgl. OLG Karlsruhe, NJW 2004, 1264; Ambs in
Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, § 404 SGB III Rdnr. 186; Seewald in
Kasseler Kommentar zum SGB, § 60 SGB I, Rdnr. 27).
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Da auszuschließen ist, dass in einer erneuten Hauptverhandlung noch weitere
Feststellungen getroffen werden könnten, die zu einer Verurteilung des Angeklagten
wegen Betruges oder wegen einer Ordnungswidrigkeit gemäß § 404 Abs. 2 Nr. 26
SGB III führen könnten und die Begehung einer anderen Straftat bzw. die Erfüllung
eines anderen Ordnungswidrigkeitentatbestandes vorliegend nicht in Betracht kommt,
war der Angeklagte unter Aufhebung des angefochtenen Urteils freizusprechen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 467 Abs. 1 StPO.
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