Urteil des OLG Hamm vom 09.05.2006
OLG Hamm: örtliche zuständigkeit, freiheitsentziehung, fortdauer, polizei, bezirk, betroffene person, gewahrsam, sammelstelle, unterbringung, rechtsschutz
Oberlandesgericht Hamm, 15 Sbd 5/06
Datum:
09.05.2006
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
15. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
15 Sbd 5/06
Tenor:
Das Amtsgericht Bochum wird als örtlich zuständiges Amts-gericht für
richterliche Entscheidungen über die Fortdau-er der Freiheitsentziehung
gem. § 36 Abs. 1 PolG NW be-stimmt, mit denen das Amtsgericht im
Zusammenhang mit Spielen der Fußball-WM befasst wird, nachdem
betroffene Personen im Stadtgebiet Gelsenkirchen in Gewahrsam
genom-men worden und in die für diese Situation von dem Poli-
zeipräsidium Bochum eingerichtete Sammelstelle im Stadt-gebiet
Bochum verbracht worden sind.
G r ü n d e :
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I.
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Die Polizei bereitet sich auf Maßnahmen der Gefahrenabwehr im Zusammenhang mit
Spielen der Fußball-WM vor. Aufgrund eines Erlasses des Innenministeriums des
Landes Nordrhein-Westfalen vom 28.03.2006 (41 – 61.11.26 <6188>) werden mobile
Gefangenensammelstellen eingerichtet. Für den Zuständigkeitsbereich des
Polizeipräsidiums Gelsenkirchen wird eine "GeSa 50 plus" errichtet, die vorrangig zur
Aufnahme festgenommener Straftäter bestimmt ist. Zur Erweiterung der Kapazität wird
im Stadtgebiet Bochum eine "GeSa 200" eingerichtet, die zur Bearbeitung von
Ingewahrsamnahmen größerer Störergruppen insbesondere auch aus dem Bezirk des
Polizeipräsidiums Gelsenkirchen dienen soll.
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Dem Senat ist von Amts wegen bekannt geworden, die Richter des Amtsgerichts
Bochum seien einhellig der Auffassung, für richterliche Entscheidungen über eine
Fortdauer der Freiheitsentziehung gem. § 36 Abs. 1 PolG NW sei dasjenige Amtsgericht
zuständig, in dessen Bezirk die betroffene Person erstmals in Gewahrsam genommen
worden sei. Der Senat hat daraufhin von Amts wegen ein Bestimmungsverfahren nach §
5 FGG eingeleitet, an dem er das Polizeipräsidium Bochum sowie die Amtsgerichte
Bochum, Gelsenkirchen und Gelsenkirchen-Buer beteiligt hat. Die Stellungnahmen der
beiden letztgenannten Amtsgerichte ergeben die Auffassung der dortigen Richter, nach
der Verbringung einer Person in eine Sammelstelle sei die örtliche Zuständigkeit
desjenigen Amtsgerichts begründet, in dessen Bezirk diese Sammelstelle liege.
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II.
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Der Senat ist gem. § 5 Abs. 1 S. 1 FGG als gemeinschaftliches oberes Gericht der
beteiligten Amtsgerichte zur Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts berufen. Die
Sachentscheidungsvoraussetzungen der gesetzlichen Vorschrift liegen vor. Der Senat
konnte, nachdem er von der Ungewissheit der Beurteilung der Zuständigkeitsfrage
Kenntnis erlangt hat, auch ohne Vorlage durch eines der beteiligten Amtsgerichte das
Bestimmungsverfahren von Amts wegen einleiten (Keidel/Sternal, FG, 15. Aufl., § 5,
Rdnr. 46). Das weitere Verfahren hat ergeben, dass die Frage der örtlichen
Zuständigkeit zwischen den Richtern der beteiligten Gerichte unterschiedlich beurteilt
wird:
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Während die Richter des Amtsgerichts Bochum die örtliche Zuständigkeit des
Amtsgerichts für richterliche Entscheidungen über die Fortdauer der Freiheitsentziehung
gem. § 36 Abs. 1 PolG NW abschließend durch den Ort der erstmaligen
Ingewahrsamnahme der betroffenen Person begründet sehen, halten die Richter der
Amtsgerichte Gelsenkirchen und Gelsenkirchen-Buer dasjenige Amtsgericht für örtlich
zuständig, in dessen Bezirk der polizeiliche Gewahrsam des Betroffenen tatsächlich zu
dem Zeitpunkt vollzogen wird, in dem das Amtsgericht mit der Sache befasst wird.
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Grundsätzlich setzt allerdings eine Sachentscheidung des Bestimmungsgerichts weiter
voraus, dass die Gerichte, deren örtliche Zuständigkeit zweifelhaft ist, mit einer
konkreten Angelegenheit bereits befasst sind (Senat Rpfleger 1969, 19; Keidel/Sternal,
a.a.O., § 5, Rdnr. 20). Beschrieben wird damit indessen nur die konkrete Erforderlichkeit
der Zuständigkeitsbestimmung, um entsprechend der Funktion des Verfahrens nach § 5
FGG den Verfahrensbeteiligten den Weg zu einer Sachentscheidung zu eröffnen. Im
vorliegenden Fall muss aufgrund der mitgeteilten Auffassung der Richter des
Amtsgerichts Bochum damit gerechnet werden, dass diese im Falle ihrer Befassung
eine sachliche Entscheidung über eine Fortdauer der Freiheitsentziehung betroffener
Personen, die nach einer Ingewahrsamnahme im Stadtgebiet Gelsenkirchen in der
Einrichtung in Bochum festgehalten werden, wegen mangelnder örtlicher Zuständigkeit
ablehnen werden. Da es sich bei polizeilichen Ingewahrsamnahmen um kurzfristige
Freiheitsentziehungsmaßnahmen handelt, liegt es auf der Hand, dass in einer solchen
Situation eine auf die jeweiligen konkreten Verfahren bezogene
Zuständigkeitsbestimmung des Oberlandesgerichts nicht vor Beendigung der
Maßnahme selbst ergehen könnte. Die Ablehnung einer richterlichen
Sachentscheidung allein aus Gründen fehlender örtlicher Zuständigkeit würde also im
Ergebnis dazu führen, dass der Rechtsschutz durch die richterliche Entscheidung, die §
36 Abs. 1 PolG NW für den Betroffenen auf der Grundlage des Art. 104 Abs. 2 S. 2 GG
auch bei einer kurzfristigen Freiheitsentziehungsmaßnahme gerade gewährleisten will,
vereitelt würde. Die dargestellte dienende Funktion des Verfahrens nach § 5 FGG
erfordert hier zwingend die Bestimmung des örtlichen zuständigen Amtsgerichts bereits
im Vorfeld polizeilicher Maßnahmen.
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In der Sache war das Amtsgericht Bochum in dem im Tenor genannten Umfang als
örtlich zuständiges Gericht zu bestimmen. Der Senat weicht damit von der gegenteiligen
Auffassung des Landgerichts Köln (Beschluss vom 27.04.2006 – 1 T 174/06 -) ab.
Maßgebend sind dafür die folgenden Erwägungen:
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Nach § 36 Abs. 2 S. 1 PolG NW ist für die richterliche Entscheidung über die Fortdauer
der Freiheitsentziehung gem. § 36 Abs. 1 PolG NW dasjenige Amtsgericht örtlich
zuständig, in dessen Bezirk der Betroffene festgehalten wird. Entsprechend der
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allgemeinen Vorschrift des § 43 Abs. 1 Halbsatz 2 FGG, die infolge der Verweisung in
§§ 36 Abs. 2 S. 2 PolG NW, 3 S. 2 FEVG hier anwendbar ist, ist in diesem
Zusammenhang auf den Zeitpunkt abzustellen, in dem das Gericht mit der Sache
befasst wird (vgl. OLG Köln JMBl NW 1959, 30; Senat JMBL. 1965, 128 jeweils in einer
Unterbringungssache). Der Wortlaut des § 36 Abs. 2 S. 1 PolG NW stellt durch seine
Fassung im Präsenz ("festgehalten wird") ausschließlich auf diejenigen tatsächlichen
Verhältnisse ab, die in dem Zeitpunkt bestehen, in dem das Amtsgericht mit einer
richterlichen Entscheidung über die Fortdauer der Freiheitsentziehung befasst wird.
Angeknüpft wird demgegenüber ausdrücklich nicht an denjenigen Ort, in dem die
Ingewahrsamnahme als polizeiliche Maßnahme der Gefahrenabwehr erstmalig erfolgt
ist, obwohl diese in der Praxis nahezu in allen Fällen der richterlichen Befassung mit
einer Entscheidung über die Freiheitsentziehung vorausgehen wird.
Entgegen dem von den Richtern des Amtsgerichts Bochum eingenommenen
Standpunkt kann die Vorschrift des § 36 Abs. 2 S. 1 PolG NW keineswegs so
verstanden werden, dass trotz der gegenwartsbezogenen Formulierung eine örtliche
Zuständigkeit, die am Ort der erstmaligen Ingewahrsamnahme hätte begründet werden
können, für die gesamte Dauer der polizeilichen Maßnahme maßgebend bleibt. Dies
folgt bereits aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift: Vor seiner Neufassung im
Jahre 1980 lautete die Vorschrift des § 26 Abs. 2 S. 1 PolG NW:
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"Wird der Betroffene nicht nur vorübergehend in Gewahrsam genommen, so ist
unverzüglich die Entscheidung des Amtsrichters herbeizuführen, in dessen Bezirk
der Betroffene ergriffen worden ist."
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Das PolG NW ist durch das Gesetz zur Neuordnung des Polizei-, Ordnungs-,
Verwaltungsvollstreckungs- und Melderechts vom 25.03.1980 (GV NW S. 234) neu
gefasst worden. Dieser Neufassung liegt der von der Innenministerkonferenz der Länder
veröffentlichte Musterentwurf eines einheitlichen Polizeigesetzes Fassung 1977
zugrunde. Mit diesem Musterentwurf wörtlich und in der Paragraphenfolge
übereinstimmend sah § 14 PolG NW in der genannten Neufassung in Abs. 1 die
Verpflichtung der Polizei zur unverzüglichen Einholung einer richterlichen Entscheidung
bei Ingewahrsamnahmen von Personen und in Abs. 2 S. 1 die örtliche Zuständigkeit
desjenigen Amtsgerichts vor, "in dessen Bezirk die Person festgehalten wird." Die
Polizeigesetze des Bundes und der anderen Bundesländer enthalten teilweise
wortgleiche Formulierungen (etwa § 40 Abs. 2 S. 1 Bundespolizeigesetz, § 33 Abs. 2 S.
1 HSOG, § 19 Abs. 3 S. 1 Nds. SOG), teilweise inhaltlich gleichbedeutende
Formulierungen (§ 28 Abs. 4 S. 1 PolG BW: "… in dessen Bezirk eine Person in
Gewahrsam genommen ist"). Darüber hinausgehend völlig eindeutig ist die Regelung in
Art. 17 Abs. 3 BayPolizeiaufgabenG, der auf den Ort abstellt, in dem die
Freiheitsentziehung vollzogen wird, eine Regelung, der auch in diesem Punkt
durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken nicht entgegenstehen (BayVerfGH
NVwZ 1991, 664).
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Der von der bisherigen Formulierung in § 26 Abs. 2 S. 1 PolG NW a.F. abweichende
Wortlaut der Neufassung wird in der Begründung des Musterentwurfs dahin erläutert,
das Verfahren für die richterliche Entscheidung über die Fortdauer der
Freiheitsentziehung solle durch Verweisung auf das bundesrechtliche FEVG geregelt
werden, durch das die umstrittene Frage der Zulässigkeit von Rechtsmitteln gegen eine
polizeirechtliche Freiheitsentziehung geklärt werde. Wenngleich die Regelung der
örtlichen Zuständigkeit in dieser Begründung nicht ausdrücklich angeschnitten wird, so
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wird darin gleichwohl die gewollte Anlehnung an das FEVG besonders deutlich. Mit
dieser Anlehnung an das FEVG wäre jedoch eine Festschreibung der örtlichen
Zuständigkeit des Amtsgerichts am Ort des Ergreifens in der Formulierung der früheren
Vorschrift nicht zu vereinbaren gewesen. Denn § 4 Abs. 1 FEVG sieht gerade eine
bewegliche örtliche Zuständigkeitsregelung in Freiheitsentziehungssachen vor: Neben
die allgemeine Regelung, die an den gewöhnlichen Aufenthalts des Betroffenen bzw.
den Ort anknüpft, an dem das Fürsorgebedürfnis hervortritt (Satz 1 der Vorschrift), tritt die
spezielle Regelung des Abs. 1 S. 2 der Vorschrift, die die örtliche Zuständigkeit
desjenigen Amtsgerichts begründet, in dessen Bezirk die Einrichtung liegt, in deren
Verwahrung sich der Betroffene befindet. Die spezielle Regelung des Abs. 1 Satz 2 der
Vorschrift gilt insbesondere auch dann, wenn die Behörde, die zur einstweiligen
Ingewahrsamnahme des Betroffenen berechtigt ist, selbst den Aufenthaltswechsel des
Betroffenen herbeigeführt, also etwa seine Einlieferung in die geschlossene Abteilung
eines Krankenhauses veranlasst hat. Die Regelung des § 4 Abs. 1 S. 2 FEVG wird aus
den in der Begründung zu § 3 des Regierungsentwurfs genannten Gründen der
Zweckmäßigkeit als vorrangig gegenüber den Gerichtsständen aus S. 1 der Vorschrift
qualifiziert (Saage/Göppinger, Freiheitsentziehung und Unterbringung, 2. Aufl., § 4,
Rdnr. 8). Nur für den Fall einer Anstaltsunterbringung auf der Grundlage einer
strafprozessualen Haftmaßnahme wird von einer parallelen Anwendbarkeit beider
Gerichtsstände ausgegangen (BayObLG NJW 1977, 2084; OLG Düsseldorf FGPrax
1998, 200). Dieselbe Regelung der örtlichen Zuständigkeit gilt für den Vollzug einer
geschlossenen Unterbringung nach dem PsychKG NW. Die bundesrechtliche
Verfahrensvorschrift des § 70 Abs. 5 S. 2 FGG sieht auch hier (entsprechend der
landesrechtlichen Vorgängerregelung in § 13 Abs. 3 PsychKG NW a.F.) vor, dass die
örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts an den Ort der Einrichtung anknüpft, in dem auf
Veranlassung der Behörde (§ 14 PsychKG) die geschlossene Unterbringung zum
Zeitpunkt der gerichtlichen Befassung bereits vollzogen wird, mag auch das Bedürfnis
für die Unterbringung als allgemeiner Anknüpfungspunkt für die örtliche Zuständigkeit
(S. 1 der Vorschrift) zunächst an einem anderen Ort aufgetreten sein. Diese Regelungen
sind insgesamt darauf gerichtet, den Rechtsschutz des Betroffenen im Fall einer
richterlichen Eilentscheidung über eine Freiheitsentziehungsmaßnahme zu stärken, die
am schnellsten und unter Berücksichtigung der regelmäßig durchzuführenden
persönlichen Anhörung des Betroffenen am ehesten sachgerecht an dem Ort zu treffen
ist, an dem sich der Betroffene zum Zeitpunkt der gerichtlichen Befassung unter den
Bedingungen fortbestehender Freiheitsentziehung aufhält (vgl. Keidel/Kayser, a.a.O., §
70, Rdnr. 14). Für den Fall der polizeilichen Ingewahrsamnahme kommt die Anknüpfung
der örtlichen Zuständigkeit an den gewöhnlichen Aufenthalt des Betroffenen bzw. ein
bestehendes Fürsorgebedürfnis entsprechend § 4 Abs. 1 S. 1 FEVG ersichtlich nicht in
Betracht. Es spricht deshalb alles dafür, dass § 36 Abs. 2 S. 1 PolG NW die örtliche
Zuständigkeit in Anlehnung an § 4 Abs. 1 S. 2 FEVG ausschließlich an dem Ort
begründen will, an dem zum Zeitpunkt der Befassung des Gerichts der Gewahrsam des
Betroffenen vollzogen wird (ebenso Lisken/Denninger/Rachor, Handbuch des
Polizeirechts, 3. Aufl., Rdnr. 539). Für die Annahme der Richter des Amtsgerichts
Bochum, die Formulierung in § 36 Abs. 2 S. 1 PolG NW sei in einer bewussten Distanz
zur Regelung in § 4 FEVG gewählt worden, besteht danach keine tragfähige Grundlage.
Eine abweichende Auslegung der Vorschrift lässt sich nach Auffassung des Senats
auch nicht aus ihrem Zusammenhang mit der Regelung des sachlichen
Verfahrensgegenstandes in Abs. 1 der Vorschrift stützen. Danach hat die Polizei, wenn
sie eine Person aufgrund der dort genannten Vorschriften festhält, unverzüglich eine
richterliche Entscheidung über die Zulässsigkeit und die Fortdauer der
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Freiheitsentziehung herbeizuführen. Die Vorschrift will einen effektiven Rechtsschutz für
den Betroffenen gewährleisten, der bereits mit dem Festhalten und damit dem Beginn
der Freiheitsentziehung einsetzt. Bezogen auf den Beginn der Freiheitsentziehung ist
die weitere Verfahrensweise der Polizei nur rechtmäßig, wenn sie innerhalb der durch
den Begriff der Unverzüglichkeit gezogenen zeitlichen Grenzen entweder den
Betroffenen entlässt oder die richterliche Entscheidung herbeiführt (Tegtmeyer/Vahle,
PolG NW, 9. Aufl., § 36, Rdnr. 2 f.). Die daraus von den Richtern des Amtsgerichts
Bochum gezogene Schlussfolgerung, die Polizei sei bei der Ingewahrsamnahme von
Personen im Stadtgebiet Gelsenkirchen zwingend gehalten, bereits dort die richterliche
Entscheidung herbeizuführen, weil der Transport der Personen nach Bochum eine im
Sinne des Unverzüglichkeitsgebots unzulässige Verzögerung begründe, ist bereits in
dieser allgemeinen Form bedenklich, muss aber jedenfalls für die Beurteilung der
örtlichen Zuständigkeit ohne Bedeutung bleiben. Eine solche Schlussfolgerung für die
Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit wird auch im Rahmen der soeben
herangezogenen Kommentierung nicht gezogen. Denn die Bestimmung des für eine
Entscheidung örtlich zuständigen Amtsgerichts darf nicht mit der Frage vermengt
werden, in welcher Weise die Entscheidung sachlich zu treffen ist. Die Frage der
Rechtmäßigkeit polizeilichen Handelns kann immer nur auf der Grundlage der
Umstände des Einzelfalls, insbesondere der konkreten Gefahrensituation beantwortet
werden. Für die Beurteilung der örtlichen Zuständigkeit kann demgegenüber nur auf die
tatsächlichen Verhältnisse abgestellt werden, die zu dem Zeitpunkt bestehen, in dem
das Gericht mit der Sache befasst wird. Für die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit
muss in diesem Zusammenhang vorrangig berücksichtigt werden, dass die gesetzliche
Vorschrift des § 36 PolG NW insgesamt den effektiven Rechtsschutz für den Betroffenen
gewährleisten will. Wird der Betroffene auch nach einer Verbringung an einen anderen
Ort als denjenigen seiner Ingewahrsamnahme von der Polizei dort weiterhin
festgehalten, kann diesem Ziel nur entsprochen werden durch eine möglichst
umgehende Anhörung und Entscheidung über die Fortdauer der Freiheitsentziehung
durch den Richter des Amtsgerichts, in dessen Bezirk sich der Betroffene nunmehr
befindet. Demgegenüber würde es einer effektiven Rechtsschutzgewährung gerade
entgegenwirken, wenn der Richter des Amtsgerichts des Ingewahrsamnahmeortes nach
seiner Befassung mit der Sache dem Betroffenen zunächst hinterher reisen müsste, um
nach seiner persönlichen Anhörung über eine Fortdauer der Freiheitsentziehung
entscheiden zu können.
Im Übrigen bestehen nicht die geringsten Anzeichen dafür, dass die Einrichtung der
Sammelstelle im Stadtgebiet Bochum einer manipulativen Verschiebung der
gerichtlichen Zuständigkeit dient. Die Polizei muss sachgerechte organisatorische
Vorbereitungen zur Gefahrenabwehr bei Großereignissen wie Spielen der Fußball-WM
treffen. Dazu gehört auch die Einrichtung von Sammelstellen, in denen der Gewahrsam
festgehaltener Personen angemessen vollzogen werden kann.
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Die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit hat keine präjudizielle Wirkung für die
sachliche Beurteilung der Rechtmäßigkeit polizeilichen Handelns. Die Einrichtung der
Sammelstelle im Stadtgebiet Bochum entbindet die Polizei deshalb nicht von der sich
aus § 36 Abs. 1 PolG NW ergebenden Verpflichtung zu prüfen, ob im Rahmen des
Gebots der Unverzüglichkeit eine richterliche Entscheidung über die Fortdauer der
Freiheitsentziehung bereits zu einem Zeitpunkt herbeigeführt werden kann und muss, in
dem sich die betroffenen Personen noch im Stadtgebiet Gelsenkirchen aufhalten. Die
organisatorischen Vorbereitungen der Polizei im Hinblick auf die Großereignisse bei
Spielen der Fußball-WM müssen jedoch auch Situationen in Rechnung stellen, in
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denen im Hinblick auf den Zustand der betroffenen Personen, etwa ihren
Alkoholisierungsgrad oder ihre Gewaltbereitschaft, eine sehr kurzfristige Herbeiführung
einer richterlichen Entscheidung ausgeschlossen ist. Im Hinblick auf die gebotene
Trennung zwischen der Beantwortung der Zuständigkeitsfrage und den Kriterien der
Sachentscheidung sind die Richter des Amtsgerichts Bochum durch nichts gehindert,
bei Entscheidungen über die Fortdauer von Freiheitsentziehungen die Rechtmäßigkeit
der Verbringung der betroffenen Personen in die Sammelstelle nach Bochum zu
überprüfen und ggf. die Beendigung des Gewahrsams anzuordnen.