Urteil des OLG Hamm vom 25.10.1988

OLG Hamm (unterhalt, bindung, verbindung, haushalt, entziehungskur, einkünfte, falle, ehepartner, zpo, essen)

Oberlandesgericht Hamm, 2 UF 5/88
Datum:
25.10.1988
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
2. Senat für Familiensachen
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
2 UF 5/88
Vorinstanz:
Amtsgericht Essen, 110 F 94/87
Tenor:
Auf die Berufung des Beklagten wird das am 3. Dezember 1987
verkündete Urteil des Amtsgerichts Essen abgeändert.
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin für die Zeit vom 1. Juni 1987
bis 31. Januar 1988 einen nachehelichen Unterhalt von 150,- DM
monatlich zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weitergehende Berufung des Beklagten wird zurückgewiesen.
Von den Kosten den Rechtsstreits werden 1/10 dem Beklagten und 9/10
der Klägerin auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Entscheidungsgründe
1
Die Berufung des Beklagten ist zulässig. Das Rechtsmittel hat auch in der Sache
überwiegend Erfolg. Das angefochtene Urteil, durch das der Beklagte zur Zahlung eines
nachehelichen Unterhaltes von 910,- DM monatlich ab Juni 1987 verurteilt worden ist,
kann keinen Bestand haben. Vielmehr braucht der Beklagte lediglich für die Zeit von
Juni 1987 bis einschließlich Januar 1988 nachehelichen Unterhalt zu zahlen, und dies
auch nur in Höhe von 150,- DM monatlich. Entsprechend mußte das angefochtene Urteil
abgeändert werden.
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Für den Zeitraum von Juni 1987 bis Ende Januar 1988 steht der Klägerin ein Anspruch
auf Zahlung von Unterhalt gemäß § 1572 BGB zu. Die Klägerin war unstreitig seit
längerer Zeit alkoholkrank. Während des genannten Zeitraumes unterzog sie sich einer
langfristigen, intensiven Entziehungskur im Landeskrankenhaus XXX. Die Kosten dafür
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sind von der XXX und der XXX übernommen worden. Damit ist während des genannten
Zeitraumes der Bedarf der Klägerin weitestgehend gedeckt. Sie benötigte lediglich noch
ein Taschengeld und Geld für die Anschaffung von Kleidung. Insoweit erscheint es dem
Senat angemessen, noch einen nicht gedeckten Bedarf von monatlich 150,- DM
anzusetzen. Einen solchen Betrag kann der Beklagte zahlen, ohne daß seine
Leistungsfähigkeit auch nur annähernd tangiert wäre.
Da sich die Klägerin einer langen und intensiven Entziehungskur unterzogen hat - es
kann dahingestellt bleiben, ob dies freiwillig oder unfreiwillig geschah - und diese Kur
darüber hinaus auch wohl Erfolg zeigte, kommt ein Unterhaltsausschluß gemäß § 1579
Ziff. 3 BGB nicht in Betracht. Die Klägerin hat nunmehr gerade das getan, was von ihr
unterhaltsrechtlich verlangt wird.
4
Im Februar 1988 hat die Klägerin wieder als Friseuse gearbeitet und dadurch nach ihren
Angaben 873,- DM verdient, die allerdings ihren Bedarf nach den ehelichen
Lebensverhältnissen nicht vollständig decken. Gleichwohl kann ihr ein
Aufstockungsunterhalt gemäß § 1573 II BGB nicht zuerkannt werden. Die Klägerin hat
nämlich nicht hinreichend dargelegt, daß ihre Einkünfte im Februar 1988 einer
vollschichtigen Tätigkeit entsprangen, deren Aufnahme ihr unterhaltsrechtlich oblag. Nur
in diesem Falle könnte sie die Differenz zwischen ihren Einkünften und dem vollen
Unterhalt verlangen. Stammen die Einkünfte aus einer Teilzeitbeschäftigung, hätte sie
darlegen müssen, daß sie trotz intensiver Bemühungen keine vollschichtige
Erwerbstätigkeit hat finden können, die ihren Bedarf im vollen Umfange abdeckte. Ein
entsprechender Vortrag fehlt.
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Ab März 1988 ist ein Unterhaltsanspruch der Klägerin aus objektiven Gründen (§ 1579
Ziff. 7 BGB) wegen grober Unbilligkeit ausgeschlossen. Nach der vom Senat geteilten
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes kann das wesentliche Erfordernis des § 1579
BGB, daß die aus der Unterhaltspflicht erwachsene Belastung für den Verpflichteten die
Grenze des Zumutbaren überschreitet, nicht nur aus einem schwerwiegenden
einseitigen Fehlverhalten des Berechtigten, sondern auch aus objektiven
Gegebenheiten und Entwicklungen der Lebensverhältnisse der Ehegatten folgen (vgl.
BGH, FamRZ 1986, 43 mit weiteren Nachweisen). Lebt der Unterhaltsberechtigte mit
einem neuen Partner in einer festen sozialen Bindung zusammen, so kann das
Erscheinungsbild dieser Verbindung in der Öffentlichkeit dazu führen, daß die Fortdauer
der Unterhaltsbelastungen und des damit verbundenen Eingriffs in die
Lebensgestaltung des Unterhaltspflichtigen unzumutbar wird. Eine feste soziale
Bindung im vorgenannten Sinne setzt nicht einmal notwendig eine gemeinsame
Wohnung und einen gemeinsamen Haushalt im Sinne einer Wirtschaftsgemeinschaft
voraus. Auch bei einer anders gestalteten, dauerhaften Verbindung kann gleichwohl je
nach dem Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit ein Grund zur Anwendung der
Härteklausel des § 1579 BGB bestehen.
6
Die Voraussetzung eines Unterhaltsausschlusses sind im vorliegenden Falle gegeben.
Seit März 1988 lebt die Klägerin unstreitig mit dem Zeugen XXX in eheählicher
Gemeinschaft. Sie bewohnt zusammen mit ihm eine Zwei-Zimmer-Wohnung in XXX.
Am Briefkasten vor dem Hause sind beide Namen verzeichnet. Die Klägerin führt den
Haushalt. Im August 1988 ist aus der Verbindung mit dem Zeugen XXX ein Kind
hervorgegangen. Die Klägerin lebt demnach wie in einer neuen Familie mit der
Ausnahme, daß lediglich die formale Eheschließung fehlt. Die neue Gemeinschaft
besteht jetzt auch schon 8 Monate, so daß nicht nur von einem kurzen, nicht auf Dauer
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angelegten Zusammenleben gesprochen werden kann, sondern von einer festen
sozialen Bindung.
Unter diesen Umständen ist es grob unbillig, daß der Beklagte durch
Unterhaltszahlungen an die Klägerin den Lebensstandard der neuen
Lebensgemeinschaft der Klägerin anheben und selbst eine Minderung seines
Lebensstandards hinnehmen soll. Wer - wie die Klägerin - sich in allen persönlichen
und sozialen Beziehungen von seinem früheren Ehepartner löst und in einer neuen
Partnerschaft sein Leben gestaltet und sein wirtschaftliches Auskommen findet, kann
billigerweise von dem früheren Ehepartner eine wirtschaftliche Unterstützung nicht mehr
erwarten.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige
Vollstreckbarkeit auf § 708 Ziff. 10 ZPO.
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