Urteil des OLG Hamm vom 07.12.2009
OLG Hamm (kläger, erblindung, kenntnis, behandlung, aufklärung, behandlungsfehler, grobe fahrlässigkeit, essen, verdacht, folge)
Oberlandesgericht Hamm, I-3 U 75/09
Datum:
07.12.2009
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
3. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
I-3 U 75/09
Vorinstanz:
Landgericht Essen, 1 O 130/08
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das am 25.03.2009 verkündete Urteil
der 1. Zivilkammer des Landgerichts Essen wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Dem Kläger wird gestattet, die Vollstreckung der Beklagten durch
Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des zu vollstreckenden Betrages ab-
zuwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor in gleicher Höhe Sicherheit
leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
G r ü n d e :
1
I.
2
Der am 25.11.1946 geborene Kläger nimmt die Beklagte wegen der Erblindung seines
rechten Auges auf Schmerzensgeldzahlung, Ersatz materieller Schäden und
Feststellung der weitergehenden Ersatzpflichtigkeit in Anspruch. Er macht nach
mehreren stationären Aufenthalten im Uniklinikum der Beklagten - in deren Rahmen im
Jahre 2000 insgesamt 4 operative Eingriffe an seinem rechten Auge durchgeführt
wurden - eine Haftung wegen vermeintlicher Aufklärungs- und Behandlungsfehler
geltend.
3
Zur Begründung seines Klagebegehrens hat der Kläger in erster Instanz im
Wesentlichen vorgetragen:
4
Alle 4 Operationen seien nicht indiziert gewesen, entsprächen nicht der Methode der
Wahl und seien nicht nach fachärztlichem Standard ordnungsgemäß durchgeführt
5
worden; nachdem zuvor nur ein kurzfristiges Phänomen vergleichbar einem
`Spinnensehen´ des rechten Auges bestanden habe, sei als Folge der
Operationsbehandlung der Beklagten letztlich rechtsseitig Blindheit eingetreten. Soweit
- wie von der Beklagten behauptet - schon zu Behandlungsbeginn eine
Netzhautablösung
vorgelegen haben sollte, habe die Netzhaut anstelle der erfolgten Gaseinbringung
6
erfolgversprechender "mittels Außeneindellung" angelegt werden können, wobei er auf
diese alternative Vorgehensweise nicht hingewiesen worden sei. Die Aufklärung sei
überhaupt unzureichend gewesen: Man habe ihm vor seinen OP-Einwilligungen nur
gesagt, dass er am rechten Auge operiert werden müsse; weder die Gründe für die
Eingriffe, noch die geplante Vorgehensweise, noch die Eingriffsrisiken (insb. die
mögliche Erblindung) seien ihm vor den stattgehabten Operationen ärztlich erläutert
worden. Die 1. OP im Uniklinikum der Beklagten habe keine Besserung gebracht,
weshalb es zu den drei Folge-OP´s gekommen sei; zwischenzeitlich sei er rechts ganz
erblindet.
7
Mit dieser Begründung hat der Kläger in I. Instanz die Zahlung eines angemessenen
Schmerzensgeldkapitals in einer Größenordnung von 100.000 €, einer
Schmerzensgeldrente von monatlich 250 € beginnend mit dem August 2008 sowie die
Zahlung rückständiger und laufender Haushaltsführungsschäden, Ersatz von
behaupteten Verdienstausfällen für den Zeitraum Februar 2000 - November 2011,
vermeintliche Altersrentenausfälle, vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten und die
Feststellung weitergehender Ersatzansprüche dem Grunde nach begehrt.
8
Die Beklagte ist dem Klagebegehren dem Grunde und der Höhe nach entgegen
getreten. Sie hat die Unsubstantiiertheit des Klagevortrags gerügt und - unter
Darstellung der Einzelheiten des Behandlungsgeschehens vom 06.03.2000 -
12.01.2001 - darauf hingewiesen, dass der Kläger sich nach einer unfallbedingten
Linsenluxation rechts vom September 1999 erstmals im März 2000 mit einem Zustand
der Netzhautablösung bei funktionell blindem rechten Auge vorgestellt habe. Man habe
ihm deshalb in zwei dokumentierten Aufklärungsgesprächen dargestellt, dass die
einzige Möglichkeit zur Verbesserung der Sehfähigkeit die dann am 01.09.2000
stattgehabte OP des rechten Auges sei, welche das Risiko erneuter
Netzhautablösungen und Erblindung berge. Dem habe der Kläger durch Unterschriften
unter die Aufklärungsdokumentation vom 28.06. und 31.08.2000 zugestimmt. Die am
01.09.2000 mit Zustimmung des Klägers durchgeführte Vitrektomie, Lensektomie,
Kryokoagulation und Gasfüllung des Glaskörpers habe jedoch schicksalhaft erneute
Netzhautablösungen rechts zur Folge gehabt, die man am 19.11., 21.12. und 27.
12.2000 - jeweils nach ausführlicher und dokumentierter Aufklärung des Klägers -
fachgerecht operativ revidiert habe. Bei der letztmaligen Kontrollvorstellung des Klägers
am 14.11.2002 - die nach einer Unterbrechung von 1 Jahr und 10 Monaten erfolgt sei -
habe an dessen rechtem Auge keine Lichtwahrnehmung mehr bestanden.
9
Die Beklagte hat sich in I. Instanz ferner gegenüber allen Klageforderungen auf die
Einrede der Verjährung berufen und Einwendungen zur Höhe erhoben.
10
Dem Verjährungseinwand ist der Kläger unter Hinweis auf die höchstrichterliche
Rechtsprechung zu den Verjährungsvoraussetzungen im Arzthaftungsrecht entgegen
getreten. Er hat die Auffassung vertreten, mangels jeglichen zu dem
11
Behandlungsgeschehen erstellten Sachverständigengutachtens habe er nach wie vor
keinerlei Kenntnis von einem Behandlungsfehler, so dass die Verjährungsfrist noch gar
nicht zu laufen begonnen habe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes sowie
der erstinstanzlich gestellten Anträge wird auf die diesbezüglichen Feststellungen der
angefochtenen Entscheidung des Landgerichts Essen Bezug genommen.
12
Das Landgericht Essen hat die Klage durch am 25.03.2009 verkündetes Urteil wegen
Verjährung der Haftungsansprüche abgewiesen, nachdem es in einem Hinweis
Bedenken gegen die Schlüssigkeit der Klage geäußert und auf das voraussichtliche
Durchgreifen der Verjährungseinrede hingewiesen hatte. Zur Begründung seiner
Entscheidung hat das Landgericht im Wesentlichen ausgeführt:
13
Der Kläger habe die für den Verjährungsbeginn maßgebliche Kenntnis der
anspruchsbegründenden Tatsachen bereits seit dem Jahr 2002 und damit mehr als drei
Jahre vor Klageeinreichung im September 2008 gehabt. Er habe die jeweils gewählte
operative Vorgehensweise der Netzhautanlegung gekannt, deren jeweiliges Scheitern
und das Ausbleiben jeder Verbesserung bis zur letzten Vorstellung bei der Beklagten im
November 2002. Weil er von dort unbestritten mit der Aussage zu seiner
niedergelassenen Augenärztin zurückgeschickt worden sei, es lasse sich an dem
Befund des rechten Auges operativ nichts mehr verbessern, habe der Kläger zu diesem
Zeitpunkt letztlich den endgültigen Misserfolg der ärztlichen Maßnahmen im Hause der
Beklagten gekannt. Diese Kenntnis sei - was die Behandlungsfehlerhaftung angehe -
ausreichend zum In-Gang-Setzen der Verjährungsfrist gewesen. Der Kläger habe
insbesondere versäumt, darzulegen, wann er den Verdacht einer
Behandlungsfehlerursache für seine Erblindung gefasst habe und aufgrund welcher
weiteren Umstände er sich nunmehr - 6 Jahr nach Erkennen seiner unabänderlichen
Erblindung rechts - zur Klageerhebung gegen die Beklagte in der Lage gesehen habe.
14
Von der unterbliebenen Aufklärung habe der Kläger jeweils sofort bei seiner
Einwilligung in die Eingriffe gewusst. Weil man ihm Unterschriften zur Dokumentation
seiner OP-Zustimmung abverlangt habe, habe ihm die Kenntnis erwachsen müssen,
dass die Ärzte zur Aufklärung über Risiken und Komplikationen verpflichtet seien. Mit
der letzten Kontrolluntersuchung im November 2002 sei ihm schließlich spätestens
deutlich geworden, dass die Eingriffe sein Sehvermögen nicht verbessert hätten. Damit
seien ihm auch die Voraussetzungen des Aufklärungshaftungstatbestandes zu diesem
Zeitpunkt bekannt gewesen.
15
Weil der Kläger die zumutbare Klageerhebung innerhalb der 3-Jahres-Frist unterlassen
habe, greife der Verjährungseinwand insgesamt durch.
16
Gegen diese Entscheidung wendet sich der Kläger mit seiner form- und fristgerecht
eingelegten Berufung, zu deren Begründung er im Wesentlichen vorträgt:
17
Das Landgericht habe die Anforderungen des Bundesgerichtshofes an den
Verjährungsbeginn bei Haftungsansprüchen aus ärztlichen Behandlungsfehlern i.S.v. §
852 BGB a.F. verkannt. Danach genüge eben nicht die Kenntnis von der
Schadensfolge; erforderlich sei vielmehr die Kenntnis von Tatsachen, aus denen ein
Abweichen vom medizinischen Standard folge. Eine solche Kenntnis habe der Kläger
als medizinischer Laie bis heute nicht, weil ihm der medizinische Standard unbekannt
18
sei.
Das Landgericht Essen habe durch Hinweisbeschluss eine nähere Substantiierung
seines Vorbringens zu den (fehlenden) Verjährungsvoraussetzungen aufgeben müssen,
wenn es einen bei ihm vorhandenen Verdacht eines Behandlungsfehlers schon im Jahr
2002 unterstellen wolle. Letztlich habe nicht einmal das Anfang 2006 zugegangene
augenärztliche Gutachten Prof. Dr. X / Dr. L in dem vom Kläger angestrengten
sozialgerichtlichen Verfahren einen solchen Verdacht auslösen können, weil es die
Behandlungsfehlerfrage gar nicht zum Gegenstand habe. Die aus den Arztaussagen
des Jahres 2002 zu entnehmende schlechte Prognose für sein rechtsseitiges
Sehvermögen habe allenfalls den Misserfolg der vom Beklagten zu verantwortenden
Behandlung gezeigt, nicht aber Hinweise auf Standardabweichungen des dortigen
Vorgehens geliefert.
19
Auch die Voraussetzungen für den Verjährungsbeginn der Haftung für Aufklärungsfehler
habe das LG Essen zu Unrecht unterstellt. Der Kläger habe nach eigenem Vortrag
deshalb in das Vorgehen der Behandler im Uniklinikum der Beklagten eingewilligt, weil
die Ärzte ihm gesagt hätten, er müsse sich der OP unterziehen, und weil er Angst um
sein Augenlicht gehabt habe; als medizinischer Laie habe der Kläger jedoch nicht
erkennen können, was ihm die Behandler der Beklagten zur gebotenen Eingriffs- und
Risikoaufklärung richtigerweise hätten sagen müssen und ob ein
Aufklärungsversäumnis vorliege.
20
Nachdem der Senat durch Beschluss vom 10.08.2009 (GA 135 ff.) rechtliche Hinweise
zu den Substantiierungspflichten einer Klagepartei im Arzthaftungsprozess und zur
Darlegungslast bzgl. subjektiver Verjährungsvoraussetzungen erteilt und den Kläger zu
weiterem Sachvortrag aufgefordert hat, hat dieser sein Berufungsvorbringen wie folgt
korrigiert und vertieft:
21
Nach wie vor habe er – der Kläger - kenne Kenntnis davon, ob es bei seiner
Behandlung im Hause der Beklagten tatsächlich zu Behandlungsfehlern gekommen sei.
Er habe lediglich den Verdacht eines Behandlungsfehlers, weil in den letzten Jahren
allgemein die Medien viel über Arzthaftungsangelegenheiten berichtet hätten und er
nach der Behandlung bei der Beklagten rechtsseitig endgültig erblindet sei; allerdings
habe in seinem Fall keiner der ihn nachfolgend behandelnden oder für das
Sozialgericht begutachtenden Augenärzte geäußert, dass bzgl. seiner Erblindung ein
Behandlungsfehler vorliege. Als medizinischer Laie erwarte er, dass ein
Sachverständiger im angestrengten Haftungsprozess den Facharztstandard und
etwaige Verstöße dagegen – bezogen auf seinen Fall - ermittele. Seitens der Behandler
der Beklagten sei ihm vor der operativen Behandlung dort überhaupt nicht erläutert
worden, "was mit seinen Augen nicht stimme", er selbst habe nur "gelegentlich
schwarze Punkte vor den Augen gesehen" - was nach Aussage der Vorbehandlerin Dr.
L2 mittels eines "leichten Eingriffs" im Uniklinikum der Beklagten habe operiert werden
sollen; keinerlei Aufklärung sei ihm gegenüber auch zur Methode der OP, zu deren
Zielsetzung und Risiken erfolgt. Die Erblindung habe er am 01.09.2000 einige Stunden
nach der 1. OP im Hause der Beklagten erstmals bemerkt; die Sehfähigkeit des
22
rechten Auges sei - entgegen der damaligen Prognose der Ärzte - weder nach Ablauf
von 6 Wochen noch nach den Folgeoperationen wiedergekehrt. Zur Ursache der
Erblindung habe er zu keiner Zeit irgendwelche Auskünfte erhalten. Keinesfalls sei ein -
in den Behandlungsunterlagen und sozialgerichtlichen Begutachtungen sowie
23
erstinstanzlich mehrfach von beiden Parteien - als unstreitig- erwähnter - Überfall oder
Unfall im Jahr 1999 Ursache des eingetretenen Augenschadens; ein solches Ereignis
habe es gar nicht gegeben.
Der Kläger beantragt,
24
unter Abänderung der landgerichtlichen Entscheidung die Beklagte nach
den Schlussanträgen erster Instanz zu verurteilen
25
und
26
die Sache zur erneuten Verhandlung an das Landgericht Essen zurück
zu verweisen.
27
Die Beklagte beantragt,
28
die Berufung zurückzuweisen.
29
Sie verteidigt das landgerichtliche Urteil unter Aufrechterhaltung der
Verjährungseinrede, wobei sie ihre Bedenken gegen die Schlüssigkeit der Klage
vertieft:
30
Der Kläger habe sich weder mit dem detaillierten Beklagtenvortrag zum
Behandlungsgeschehen noch den angeführten Behandlungsdokumentationen
auseinandergesetzt. Es fehle an jedem konkreten Vortrag zu Anknüpfungspunkten für
eine Haftung.
31
Wegen der weiteren Einzelheiten des Berufungsvorbringens der Parteien wird auf den
vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen sowie den
Berichterstattervermerk zum Senatstermin vom 07.12.2009 ergänzend Bezug
genommen. Der Senat hat den Kläger in diesem Termin persönlich zur Sache angehört;
wegen des Anhörungsergebnisses wird ebenfalls auf den genannten
Berichterstattervermerk (GA 204 ff.) verwiesen.
32
II.
33
1. Die zulässige Berufung des Klägers ist in der Sache unbegründet. Seine
haftungsrechtliche Inanspruchnahme der Beklagten wegen der Erblindung seines
rechten Auges aufgrund vermuteter Behandlungs- bzw. Aufklärungsfehler im Zuge der
augenfachärztlichen Versorgung durch die Beklagte bleibt auch in der Berufungsinstanz
ohne Erfolg. Die von der Beklagten erhobene Verjährungseinrede - die das
angefochtene Urteil für insgesamt durchgreifend erachtet hat - begründet jedoch
gegenüber etwaigen Ersatzansprüchen des Klägers nur insoweit ein
Leistungsverweigerungsrecht (§ 214 I BGB), als sich sein Haftungsverlangen auf
vermeintliche Defizite der ärztlichen Aufklärung vor seinen Operationseinwilligungen zu
den Eingriffen vom 01.09.2000, 19.11.2000, 21.12.2000 und 27.12.2000 stützt. Sein auf
mögliche Behandlungsfehler gegründetes Klagebegehren ist schon unschlüssig und
bereits deshalb zurückzuweisen.
34
2. Der Kläger hat - auch auf den entsprechenden Hinweis des Senates vom 10.08.2009
mit konkreten Auflagen zum Parteivortrag hinsichtlich etwaiger Haftungsanhaltspunkte
35
seinerseits - nichts vorgetragen, woran sich bzgl. der streitgegenständlichen
Behandlung seines rechten Auges im Jahr 2000 im Hause der Beklagten ein
Behandlungsfehlervorwurf knüpfen ließe. Sein nach wie vor pauschales Vorbringen, die
stattgehabten 4 augenärztlichen Eingriffe seien "nicht indiziert", "nicht die Methode der
Wahl" und jedenfalls "nicht ordnungsgemäß/fachgerecht durchgeführt" gewesen, erfolgt
vielmehr prozessual "ins Blaue hinein":
Der Kläger selbst kennt (wie er wiederholt und nachvollziehbar betont hat) die
relevanten augenärztlichen Behandlungsstandards nicht, weshalb ihm eigene
Erkenntnisse über konkrete vorwerfbare Standardunterschreitungen bei seiner
Behandlung im Jahr 2000 fehlen; auch sind ihm bislang von keiner (insbesondere
keiner medizinisch fachlichen) Seite her irgendwelche Anhaltspunkte dafür aufgezeigt
geworden, dass - bzgl. Indikation, Methodenwahl oder sonstwie - im Hause der
Beklagten bei seiner Behandlung durch Mitarbeiter der Beklagten den fachlichen
Anforderungen nicht entsprochen wurde. Weder die diversen (augen)ärztlichen
Nachbehandler des Klägers noch die im Rahmen seiner sozialgerichtlichen Klage auf
Erwerbsminderungsrente befassten Gutachter haben Derartiges angedeutet. Der Kläger
gründet vielmehr seinen Verdacht eines Behandlungsfehlers als Grundlage einer
Inanspruchnahme der Beklagten allein darauf, dass "in den letzten Jahren verstärkt über
Arzthaftungsangelegenheiten in den Medien berichtet wird" (GA 151). Auch ein
gezieltes, vertieftes Nachfragen des Senates bei der persönlichen Anhörung des
Klägers hat keinerlei konkreten Gesichtspunkt ergeben, der nach medizinischer
Laienwertung des Klägers für ein nicht sorgfältiges (behandlungsfehlerhaftes) Vorgehen
bei der streitgegenständlichen augenärztlichen Behandlung spräche (zu den
Beanstandungen der Selbstbestimmungsaufklärung vgl. nachfolgend unter 3.). Vielmehr
veranlasste ihn - so seine aufrichtig erscheinende Darstellung im Senatstermin - zur
Geltendmachung einer Behandlungsfehlerhaftung in seinem Falle, dass er nach dem
augenärztlichen Eingriff am 01.09.2000 am rechten Auge eine Erblindung bemerkte, die
auch in den Folgeoperationen vom November und Dezember 2001 nicht revidiert
wurde, und dass er bzw. seine Ehefrau in der späteren Zeit über Zeitungsberichte und
Fernsehinformationen generell auf anderweitige Arzthaftungssachverhalte aufmerksam
wurden. Dass die nach den streitgegenständlichen Operationen am rechten Auge
behaupteter Maßen aufgetretenen gesundheitlichen Folgen (d.h. die Erblindung nach
der 1. OP und nicht dauerhaft erfolgreiche Revision nach der 2. - 4. OP) als solche
keineswegs allein einen Verstoß gegen medizinische Standards auch nur laienhaft
vermuten lassen, ist dem Kläger ausweislich des zum Hinweisbeschluss des Senates
mitgeteilten schriftsätzlichen Vortrages seines Bevollmächtigten (GA 151) durchaus
bewusst, zumal er gerade bzgl. dieser eingetretenen Folgen eine defizitäre
Risikoaufklärung geltend macht (was mit ihrer behandlungsfehlerhaften Herbeiführung
unvereinbar ist).
36
Nach alledem vermag der Senat - unter Berücksichtigung der geringen Anforderungen
an die Substantiierungslast der nicht medizinisch bewanderten Klagepartei im
Arzthaftungsprozess - ein schlüssiges Klagevorbringen für eine
Behandlungsfehlerhaftung nicht zu erkennen.
37
Richtig ist zwar, dass der Patient im Arzthaftungsverfahren mangels entsprechender
Sachkunde und ausreichender Detailkenntnisse des Behandlungsgeschehens häufig
vor der Schwierigkeit steht, keinen medizinisch substantiierten Sachvortrag liefern zu
können und dass er (deshalb) in gewissem Umfange auf eine medizinische
Sachverhaltsaufarbeitung durch Einholung eines Sachverständigengutachtens (im
38
weiteren Prozessverlauf) angewiesen sein wird. Die ständige höchstrichterliche
Rechtsprechung gebietet auf diesem Hintergrund zu Recht, an die
Substantiierungspflichten der Klagepartei im Arzthaftungsprozess maßvoll und
verständige Anforderungen zu stellen (BGH, VersR 2004, 1177; weitere Rspr.-
Nachweise bei : Steffen/Pauge, Arzthaftungsrecht, 10. Aufl., Rdnr. 580).
Der Senat vermag allerdings wegen des zugleich zu beachtenden zivilprozessualen
Verhandlungsgrundsatzes nicht zu erkennen, dass der Patient gänzlich davon
entbunden wäre, die tatsächlichen Verdachtsgründe darzulegen, aus denen sich nach
seinem laienhaften Verständnis ein behandlungsfehlerhaftes ärztliches Vorgehen
ergeben soll. Vielmehr hat etwa das OLG Düsseldorf (VersR 2005, 1737 f.) dahin
entschieden, dass die erleichterte Substantiierungspflicht des Patienten im
Arzthaftungsprozess es zwar erlaube, sich auf den Vortrag zu beschränken, der eine
Vermutung eines fehlerhaften Arztverhaltens aufgrund der Folgen für den Patienten
gestatte; erforderlich sei jedoch ein Mindestmaß an nachvollziehbarem Vorbringen, das
in sich schlüssig sei. So seien medizinische Einzelheiten nicht erforderlich. Der
Tatsachenvortrag müsse jedoch zumindest in groben Zügen erkennen lassen, welches
ärztliche Verhalten fehlerhaft gewesen sei und welcher Schaden hieraus entstanden
sei. Es genüge nicht, aus dem Misslingen einer Heilbehandlung einen Verstoß gegen
die Regeln ärztlicher Heilkunst abzuleiten, sondern der Patient - der einen
Behandlungsfehler (verständlicherweise) lediglich vermute - müsse wenigstens seine
Verdachtsgründe darlegen, damit sich der Prozessgegner und ggfls. ein Gutachter
sachlich damit befassen könnten (so auch: Steffen/Pauge, aaO; Frahm/Nixdorf,
Arzthaftungsrecht, 3. Aufl., Rdnr. 240 m.w.N.). Dem schließt sich der erkennende Senat
an – worauf der Kläger bereits durch entsprechenden Beschluss vom 10.08.2009 (GA
132 ff.) hingewiesen worden ist.
39
In Anwendung dieser Rechtsprechungsgrundsätze ist es vorliegend mit den im
Arzthaftungsprozess modifizierten zivilprozessualen Grundsätzen nicht vereinbar, dass
der Kläger - der keinerlei Verdachtsgrund für Behandlungsfehler in der
streitgegenständlichen augenärztlichen Versorgung vorgetragen hat (und auch auf
entsprechende Auflagen und Nachfragen des Senates nicht vorzutragen vermochte) -
die Einleitung eines Haftungsprozesses dazu nutzt, um das gesamte
Behandlungsgeschehen im Hause der Beklagten "einmal sachverständig beleuchten
und auswerten zu lassen", weil er auf dem Hintergrund gesteigerter Medienberichte die
Möglichkeit in Betracht zieht, seine bedauerliche Erblindung des rechen Auges könne
womöglich durch ärztliche Behandlungsfehler im Zusammenhang mit den von
September - Dezember 2000 stattgehabten Augenoperationen verursacht worden sein.
40
Dem Kläger ist insbesondere auch nicht - wie von seinem Bevollmächtigten im
Senatstermin ausgeführt - durch Aufhebung und Zurückverweisung nach § 538 ZPO
Gelegenheit zu geben, die Schlüssigkeit durch das Landgericht neu (und ggfls.
abweichend vom Senat für ihn günstiger) beurteilen zu lassen bzw. "die Klage durch
vom Landgericht angeordnete Sachverständigenbegutachtung schlüssig zu stellen". Die
beantragte Zurückverweisung nach § 538 II 1 Zif. 1 ZPO aufgrund eines
erstinstanzlichen Verfahrensverstoßes käme nur dann in Betracht, wenn - nach der
Beurteilung des Berufungsgerichtes - aufgrund des zur Aufhebung berechtigenden
Mangels "eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist". Eben
dies ist vorliegend deshalb nicht der Fall, weil sich das Klagebegehren - teils wegen
Unschlüssigkeit, teils wegen Verjährung (vgl. dazu unter 3.) im Sinne einer Abweisung
ohne weitere Beweiserhebung als entscheidungsreif erweist.
41
3. Soweit sich das streitgegenständliche Haftungsverlangen auf vermeintliche Defizite
der ärztlichen Aufklärung vor seinen Operationseinwilligungen zu den Eingriffen vom
01.09.2000, 19.11.2000, 21.12.2000 und 27.12.2000 stützt, sind etwaige
Haftungsansprüche des Klägers wegen der Folgen dieser Eingriffe verjährt, worauf sich
die Beklagte in beiden Instanzen mit Erfolg berufen hat.
42
Ersatzansprüche aus ärztlichen Aufklärungsversäumnissen können zu anderer Zeit
verjähren als solche aus Behandlungsfehlern (Steffen/Pauge, aaO, Rdnr. 487). Die nach
Darstellung des Klägers mit den vermeintlich schadensauslösenden augenärztlichen
Eingriffen des Jahres 2000 entstandenen Schadensersatzansprüche wegen seiner
alsbaldig eingetretenen und nicht revidierten rechtsseitigen Erblindung waren bei
Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes zum 01.01.2002 noch nicht
verjährt und unterfielen sodann nach Maßgabe des Art. 229 § 6 I und IV EGBGB der
Verjährungsfrist aus § 195 BGB n.F., deren Lauf auch in sog. Überleitungsfällen unter
Berücksichtigung der subjektiven Voraussetzungen des § 199 I Zif. 2 BGB n.F. zu
berechnen ist (vgl. zuletzt etwa: BGH, U.v. 10.11.2009 - VI ZR 247/08). § 199 I BGB
knüpft den Beginn der 3-jährigen Regelverjährungsfrist aus § 195 BGB an den Schluss
des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den
anspruchsbegründenden Umständen sowie der Person des Schuldners Kenntnis
erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangt haben müsste.
43
Das angefochtene Urteil geht zu Recht davon aus, dass der Kläger hier die
erforderlichen Kenntnisse bzgl. der anspruchsbegründenden Umstände einer
Aufklärungsfehlerhaftung der Beklagten einschließlich deren Schuldnerstellung
spätestens im Jahr 2002 erwarb, als er bei seiner dortigen Wiedervorstellung im
November 2002 erfuhr, dass seine (behaupteter Maßen unmittelbar nach der
Erstoperation im September 2000 aufgetretene) Erblindung des rechten Auges nicht
mehr zu bessern sei - wobei auch sein Wissen um die (seiner Darstellung nach)
mangelnde ärztliche Eingriffs- und Risikoaufklärung vorhanden gewesen sei.
44
Für Schadensersatzansprüche aus ärztlichen Aufklärungsmängeln beginnt die
Verjährung in der Regel nicht schon, sobald der nicht aufgeklärte Patient einen
Schaden aufgrund der medizinischen Behandlung feststellt; hinzutreten muss vielmehr
die Kenntnis von Tatsachen, aus denen sich die Verletzung der Aufklärungspflicht des
Arztes ergibt - etwa, dass der Schaden nicht auf einem Behandlungsfehler beruht,
sondern spezifische Folge der Behandlung ist, über die der Arzt den Patienten hätte
aufklären müssen (BGH, NJW 2007, 217 = VersR 2007, 66 für den Fall verwirklichter
spezifischer aufklärungspflichtiger Eingriffsrisiken; Geiß/Greiner, Arzthaftungsrecht, 6.
Aufl., D 14). Ist allerdings überhaupt keine Aufklärung erfolgt, so ist dies dem Patienten
von Anfang an bekannt; steht dazu für ihn überdies fest, dass der Eingriff im Rahmen der
ihm anhaftenden Risiken zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen geführt hat, beginnt
der Lauf der Verjährungsfrist für Ansprüche aus Mängeln der Eingriffs- und
Risikoaufklärung (vgl. Geiß/Greiner, aaO m.w.N. zur Rspr.; OLG Düsseldorf, NJW-RR
1999, 823; noch weitergehend unter Hinweis auf Erkundigungspflichten des Patienten
bei gänzlich unterbliebener Aufklärung: OLG München, OLGR 2006, 343 mit
Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde durch BGH vom 20.12.2005 - VI ZR
285/04).
45
Vorliegend hat der Kläger jedwedes Aufklärungsgespräch vor allen im Uniklinikum der
Beklagten stattgehabten augenärztlichen Eingriffen in Abrede gestellt. Ihm sei - so sein
46
Vortrag - seitens der Behandler nichts erklärt worden zu deren jeweiliger Indikation, zu
Vorgehen, Risiken und Folgen. Gleichwohl unterzeichnete er zur Dokumentation seiner
OP-Einwilligung vor jedem der Eingriffe die ihm vorgelegten Erklärungsformulare, mit
denen er Aufklärungsgespräche bestätigte, wobei er selbst - so insbesondere die
Berufungsbegründung - von der Rechtsverbindlichkeit seiner jeweiligen Unterschriften
unter die OP-Einwilligungserklärungen ausging. Er hatte ferner wahrgenommen, dass
sein rechtes Auge seit der OP vom 01.09.2000 nicht mehr sehen konnte und dass sich
dieser Zustand trotz Abwartens der ihm anlässlich des Ersteingriffs genannten
Ausheilungsfrist und ungeachtet der Folgeeingriffe nicht verbesserte. Spätestens nach
Mitteilung der fehlenden Wiederherstellungsmöglichkeiten anlässlich seiner letzten
Kontrollvorstellung am 14.11.2002 wusste der Kläger auch, dass er rechtsseitig auf
Dauer erblindet war. Weil der Kläger schließlich nach eigenem - bei seiner persönlichen
Anhörung durch den Senat bestätigten - Vortrag eine Erblindung seines rechten Auges
gerade durch die am 01.09.2000 im Hause der Beklagten beabsichtigte Operation
befürchtete und seine Befürchtung bestätigt sah, als er wenige Stunden nach diesem
Eingriff mit dem operierten Auge nichts mehr sehen konnte und dieser Zustand verblieb,
war ihm offenkundig auch bewusst, dass sich eine Komplikation der zwar mit seiner
Zustimmung, aber (behaupteter Maßen) ohne jede ärztliche Aufklärung durchgeführten
Operation verwirklicht hatte. Denn über etwaige Behandlungsfehler als (denkbare
weitere) Ursache seiner Erblindung hatte und hat der Kläger - wie bereits unter Zif. 2.
dargelegt - nach eigener Darstellung keine Erkenntnisse.
Nach alledem kannte der Kläger die tatsächlichen Voraussetzungen seines vermeintlich
entstandenen Schadensersatzanspruches, soweit er sich auf die im vorliegenden
Rechtsstreit geltend gemachten Aufklärungsdefizite stützt, spätestens im November
2002. Zumindest aber hat er sich zu dieser Zeit angesichts der vorstehenden Umstände
- deren Vorliegen mit Blick auf die Verjährungsvoraussetzungen nach seinem Vortrag
unterstellt werden kann - einer sich aufdrängenden Kenntnis vorwerfbarer ärztlicher
Aufklärungsversäumnisse vor den stattgehabten 4 Operationen seines rechten Auges
als der angeschuldigten Ursache seiner rechtsseitigen Erblindung grob fahrlässig
verschlossen (§ 199 I Zif. 2, 2. Alt. BGB). Die mit Ablauf des Jahres 2002 beginnende
Verjährungsfrist für Haftungsansprüche aus etwaigen Aufklärungsfehlern der Beklagten
war mithin geraume Zeit abgelaufen, als der Kläger im September 2008 seine am
30.10.2008 der Beklagten zugestellte Klageschrift einreichte.
47
4. Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 I, 708 Zif. 10, 711 ZPO.
48
Die Revision war - ungeachtet des entsprechenden Antrages des Klägervertreters im
Senatstermin - nicht zuzulassen. Die Sache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Weder
die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung
gebieten eine Entscheidung des Revisionsgerichtes.
49