Urteil des OLG Hamm vom 22.12.2003
OLG Hamm: vollzug der strafe, resozialisierung, besucher, arbeitsmarkt, rentner, ermessensausübung, haftentlassung, eingliederung, aufsichtsbehörde, datum
Oberlandesgericht Hamm, 1 VAs 50/03
Datum:
22.12.2003
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
1. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
1 VAs 50/03
Tenor:
Der Antrag des Betroffenen wird als unbegründet verworfen.
Die Kosten des Verfahrens werden bei einem Gegenstandswert von
2.500,- € dem Betroffenen auferlegt.
G r ü n d e :
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Der Betroffene verbüßt derzeit in der Justizvollzugsanstalt C eine Gesamtfreiheitsstrafe
von fünf Jahren wegen Betruges für die Staatsanwaltschaft Darmstadt, anschließend
sind noch 446 Tage aus einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren neun Monaten zu
verbüßen, so dass das Gesamtstrafenende auf den 19. Juli 2007 notiert ist. 2/3 der
Strafen werden am 28. August 2004 verbüßt sein.
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Der Betroffene erstrebt seine Verlegung in eine Justizvollzugsanstalt des Landes
Nordrhein-Westfalen, da er nach seiner Haftentlassung einen gemeinsamen Wohnsitz
mit seiner Lebensgefährtin, Frau C3, in S begründen will. Darüber hinaus ist die Tochter
des Antragstellers aus einer früheren Beziehung in der Nachbargemeinde N wohnhaft.
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Das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen hatte bereits unter dem
16. September 2002 eine Übernahme des Verurteilten abgelehnt. Auf den gegen diese
Entscheidung gerichteten Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß
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§§ 23 ff. EGGVG hat der Senat mit Beschluss vom 11. Februar 2003 den Bescheid des
Justizministeriums Nordrhein-Westfalen vom 16. September 2002 aufgehoben und das
Justizministerium angewiesen, den Betroffenen unter Beachtung der Rechtsauffassung
des Senats neu zu bescheiden. Der Senat hat in dieser Entscheidung darauf
hingewiesen, dass die Überlegung, eine Förderung des Gefangenen im Hinblick auf
seine Eingliederung sei schon deswegen nicht erforderlich, weil er mit seiner
Einlassung erst in einigen Jahren rechnen könne, fehlerhaft sei.
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Mit Schreiben vom 19. August 2003 hat der Betroffene beantragt, das Justizministerium
des Landes Nordrhein-Westfalen zu verpflichten, seinen Antrag auf Verlegung
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nach Nordrhein-Westfalen unter Beachtung der Auffassung des Senats neu zu
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bescheiden. Trotz des Senatsbeschlusses vom 11. Februar 2003 habe das
Justizministerium ihn bis zum Tage der Antragstellung nicht neu beschieden.
Mit Bescheid vom 13. August 2003, dem Betroffenen zugestellt am 27. August 2003, hat
das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen erneut den Antrag auf
Verlegung in eine Vollzugsanstalt des Landes Nordrhein-Westfalen abgelehnt. Zur
Begründung ist ausgeführt:
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"Eine Verlegung zur Aufrechterhaltung persönlicher und familiärer Beziehungen
käme nur dann in Betracht, wenn sie als Behandlungsmaßnahme und zur
Resozialisierung aufgrund besonderer Umstände unerlässlich erschiene. Es
müssten ausnahmsweise im Einzelfall besondere, vom Durchschnittsfall
abweichende Erschwerungen des Kontakts zu Ihren Angehörigen vorliegen.
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In der mir vorliegenden Stellungnahme des Leiters der Justizvollzugsanstalt C vom
26. Mai 2003 wird Ihre Verlegung zwar für sinnvoll erachtet; besondere Umstände,
die eine solche Maßnahme zur Resozialisierung unerlässlich erscheinen ließen,
sind jedoch nicht ersichtlich.
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Sie unterhalten gegenwärtig regelmäßigen Besuchsverkehr zu Ihrer
Lebensgefährtin, Frau C3. In der Justizvollzugsanstalt C nehmen Sie, neben den
Regelbesuchen, auch die Möglichkeit zu Langzeit- und Familienbesuchen in
Anspruch. Darüber hinaus besteht für Sie die Möglichkeit, zu den im hiesigen
Geschäftsbereich wohnhaften Angehörigen einen erleichterten Kontakt durch
gelegentliche Besuchsüberstellungen in eine günstig gelegene
Justizvollzugsanstalt meines Geschäftsbereichs zu pflegen."
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Der Betroffene hat daraufhin seinen ursprünglichen Vornahmeantrag als
Verpflichtungsantrag weiterverfolgt. Er ist nach wie vor der Auffassung, die
Entschließung des Justizministeriums Nordrhein-Westfalen widerspreche dem
Resozialisierungsprinzip sowie dem Eingliederungsgrundsatz.
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Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist nach den §§ 23 ff. EGGVG zwar zulässig,
kann in der Sache jedoch keinen Erfolg haben.
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Wie der Senat bereits in ständiger Rechtsprechung entschieden hat, ist einem
betroffenen Gefangenen der Rechtsweg nach den §§ 23 ff. EGGVG eröffnet, wenn die
zuständige oberste Aufsichtsbehörde oder die Vollzugsanstalten eines Bundeslandes
die von einem anderen Bundesland beantragte Aufnahme eines Strafgefangenen
verweigern (vgl. Senatsbschluss vom 30. August 2001 - 1 VAs 40/2001 -). Da der
Bescheid des Justizministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen dem Betroffenen
auch erst nach Stellung des Vornahmeantrages zugestellt worden ist, der
Vornahmeantrag also ursprünglich zulässig war, kann der Antragsteller sein Begehren
im Wege des Verpflichtungsantrags weiterverfolgen.
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Der Antrag ist indes unbegründet.
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Die Verlegung eines Gefangenen von einem Bundesland in ein anderes erfolgt unter
vergleichbaren Kriterien, wie sie auch aus § 8 StrVollzG ersichtlich sind. Daraus folgt,
dass auch hier dem Wiedereingliederungsprinzip und dem Resozialisierungsgrund-
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satz erhebliches Gewicht beizumessen ist. Dem betroffenen Gefangenen, der keinen
Rechtsanspruch auf Verlegung hat, steht dabei nur ein Recht auf fehlerfreien Ermes-
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sengebrauch zu, d.h. die beteiligten Behörden müssen alle in Betracht kommenden
sachlichen Gesichtspunkte des Einzelfalls berücksichtigen, den insoweit bedeut-
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samen Sachverhalt von Amts wegen erforschen und die dabei angestellten Erwä-
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gungen in der getroffenen Entschließung darlegen. Dem Senat ist es dabei jedoch
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- auch im Verfahren nach §§ 23 ff. EGGVG - verwehrt, eigenes Ermessen auszu-
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üben; vielmehr beschränkt sich die Überprüfung auf die Rechtmäßigkeit der
Ermessensausübung durch die beteiligten Behörden.
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Die Weigerung des Justizministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen, den
Betroffenen zum weiteren Vollzug der Strafe in eine landeseigene Vollzugsanstalt
aufzunehmen, ist unter diesen Umständen nicht zu beanstanden. Wie der Senat bereits
in seinem Beschluss vom 11. Februar 2003 ausgeführt hat, kommt eine Verlegung zur
Aufrechterhaltung persönlicher und familiärer Beziehungen nur dann in Betracht,
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wenn sie als Behandlungsmaßnahme und zur Resozialisierung aufgrund besonderer
Umstände unerlässlich erscheint. Es müssen ausnahmsweise im Einzelfall besondere,
vom Durchschnittsfall abweichende Erschwerungen des Kontaktes zu den
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Angehörigen vorliegen, um einen Verlegungsantrag ausreichend zu begründen
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(OLG Rostock NStZ 1997, 381; OLG Koblenz, ZfStrVo SH 1978, 87; OLG Hamm
ZfStrVo 1988, 310). Wie sich aus dem Bericht des Leiters der Justizvollzugsanstalt C
ergibt, findet auch in der Justizvollzugsanstalt C ein regelmäßiger Besuchsverkehr zu
der Lebensgefährtin statt. Der Betroffene nimmt neben den Regelbesuchen auch die
Möglichkeit zu Langzeit- und Familienbesuchen in Anspruch. Demgemäß würde eine
Verlegung in den Vollzug des Landes Nordrhein-Westfalen letztlich nur der
Besuchserleichterung dienen. Unter diesen Umständen sind aber die Voraussetzungen
des § 8 Abs. 1 Nr. 1 StrVollzG nicht erfüllt (OLG Hamm, Beschluss vom 11. August 1987
- 1 Vollz (Ws) 219/87 -; Beschluss vom
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4. März 1999 - 1 Vollz (Ws) 238/98 -). Danach rechtfertigen Erschwernisse bei der
Abwicklung des Besuchsverkehrs, insbesondere eine weite Anreise der Ange-
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hörigen, die Verlegung eines Gefangenen in Abweichung vom Vollstreckungsplan nicht.
Diese müssen die Besucher zur Durchführung eines geordneten Vollzuges im Sinne
einer Differenzierung des Vollzuges nach § 141 StrVollzG hinnehmen. Be-
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sondere, vom Durchschnittsfall abweichende Erschwerungen des Kontaktes zu
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den Angehörigen, insbesondere der Lebensgefährtin, sind nicht geltend gemacht
worden.
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Andere Umstände, die eine Verlegung in eine Justizvollzugsanstalt des Landes
Nordrhein-Westfalen zur Resozialisierung unerlässlich erscheinen lassen, sind nicht
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ersichtlich. Es besteht weder die Notwendigkeit, Wiedereingliederungsmaßnahmen in
den Arbeitsmarkt zu betreiben - der Strafgefangene ist Rentner - noch für seine
Unterkunft zu sorgen, da der Betroffene wiederholt bekundet hat, nach der Entlassung
Wohnsitz bei seiner Lebensgefährtin nehmen zu wollen.
Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 30 EGGVG, 30, 130 KostO.
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