Urteil des OLG Hamm vom 04.03.2004

OLG Hamm: schweigerecht, beweisverwertungsverbot, hinweispflicht, rüge, eng, strafrichter, vorrang, trunkenheit, verkehr, verwaltungsbehörde

Oberlandesgericht Hamm, 1 Ss 26/04
Datum:
04.03.2004
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
1. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
1 Ss 26/04
Vorinstanz:
Amtsgericht Hamm, 12 Ds 242 Js 1479/03 (707/03)
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über
die Kosten der Revision - an eine andere Abteilung (Strafrichter) des
Amtsgerichts Hamm zurückverwiesen.
G r ü n d e :
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I.
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Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr zu
einer Geldstrafe zu 40 Tagessätzen zu je 35,00 EUR verurteilt, ihm die Fahrerlaubnis
entzogen, seinen Führerschein eingezogen und die Verwaltungsbehörde angewiesen,
ihm vor Ablauf von noch acht Monaten keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen. Wegen der
Einzelheiten hierzu wird auf die Gründe des amtsgerichtlichen Urteils Bezug
genommen.
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Hiergegen richtet sich die in zulässiger Weise eingelegte (Sprung-)Revision des
Angeklagten, mit der er mit näheren Ausführungen die Verletzung formellen und
sachlichen Rechts rügt.
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II.
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Das Rechtsmittel führt schon auf die ordnungsgemäß erhobene (Verfahrens-)Rüge der
Verletzung der §§ 136, 136 a, 163, 163 a StPO zur Aufhebung des angefoch-
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tenen Urteils mit den getroffenen Feststellungen und zur Zurückverweisung der Sache
an die Vorinstanz, so dass es eines Eingehens auf die Sachrüge nicht bedarf. Die
Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Antragsschrift vom 22. Januar 2004 hierzu
ausgeführt:
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"Die Revision beanstandet mit Erfolg, der Angeklagte sei vor seiner geständigen
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Einlassung gegenüber den ihn überprüfenden Polizeibeamten nicht
ordnungsgemäß belehrt worden. Die erfolgten Belehrungen litten darunter, dass
nicht zweifelsfrei festgestellt worden sei, dass ihm das Recht zur vorherigen
Konsultation eines Verteidigers aktuell ins Bewusstsein gerufen worden sei.
Daraus folge ein Beweisverwertungsverbot.
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Diese Rüge hat - zumindest vorläufig - Erfolg.
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Die Pflicht zur Belehrung über das Recht auf Verteidigerkonsultation hat kein
geringeres Gewicht als die Pflicht zur Belehrung über das Schweigerecht. Beide
Rechte des Beschuldigten hängen eng zusammen und sichern im System der
Rechte zum Schutz des Beschuldigten seine verfahrensmäßige Stellung in ihren
Grundlagen; sie verdeutlichen ihm als Hinweise seine prozessualen Möglichkeiten
(§§ 136 Abs. 1 Satz 2, 163 a Abs. 4 StPO). Gerade die Verteidigerkonsultation
dient dazu, den Beschuldigten zu beraten, ob er von seinem Schweigerecht
Gebrauch macht oder nicht. Was für die Belehrung über das Schweigerecht gilt, ist
deshalb auch für diejenige zur Verteidigerkonsultation erheblich (BGH NJW 2002,
975, 976). Zur Belehrung über das Schweigerecht ist aber anerkannt, dass der
Polizeibeamte die Pflicht hat, einen Hinweis nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO zu
geben, unabhängig davon, ob der Beschuldigte seine Rechte kennt oder nicht. Im
Gesetz sind keine Ausnahmen von der Hinweispflicht vorgesehen. Hat der
Tatrichter aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte ernsthafte Zweifel daran, dass der
Angeklagte bei seiner polizeilichen Vernehmung das Schweigerecht gekannt hat,
so ist entsprechend der vom Gesetzgeber mit der Einführung der Hinweispflicht
getroffenen Grundentscheidung davon auszugehen, dass es dem Beschuldigten
an dieser Kenntnis gefehlt hat. Dann besteht ein Beweisverwertungsverbot (BGHSt
38, 214, 224 f). Diese Grundsätze müssen, wie dargestellt, auch auf die Belehrung
über das Recht zur Verteidigerkonsultation angewandt werden (BGH NJW 2002,
975, 976).
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Ein Beweisverwertungsverbot ist unter Beachtung obiger Grundsätze
ausnahmsweise nur dann nicht anzunehmen, wenn der Tatrichter,
erforderlichenfalls im Wege des Freibeweises, zu der Auffassung gelangt, dass der
Beschuldigte sein Recht auf Verteidigerkonsultation bei Beginn der Vernehmung
gekannt hat. In diesen Fällen ist dem Interesse an der Aufklärung des Sach-
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verhalts und der Durchführung des Verfahrens der Vorrang zu geben, da der
Beschuldigte seine Rechte kannte. Mit dieser Frage hat sich das erkennende
Gericht jedoch, soweit ersichtlich, nicht auseinandergesetzt. Deshalb ist das Urteil
mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben und zur erneuten
Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts
zurückzuverweisen. Eine eigene Sachentscheidung nach § 354 Abs. 1 StPO
kommt nicht in Betracht.
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Da der vorstehend geschilderte Rechtsverstoß bereits zur Aufhebung des Urteils
führt, kommt es auf die weitere materiell-rechtliche Prüfung, insbesondere zum
Vorsatz, nicht mehr an."
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Dem tritt der Senat bei. Dementsprechend war wie aus dem Beschlusstenor ersichtlich
zu entscheiden.
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