Urteil des OLG Hamm vom 19.08.2008

OLG Hamm: beschränkung, grundsatz der unmittelbarkeit, begründung des urteils, höchstgeschwindigkeit, fahrverbot, stadt, verwaltungsbehörde, zustellung, auflage, strafverfahren

Oberlandesgericht Hamm, 5 Ss OWi 493/08
Datum:
19.08.2008
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
5. Senat für Bußgeldsachen
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
5 Ss OWi 493/08
Vorinstanz:
Amtsgericht Dorsten, 19 OWi 32 Js 867/07 (161/07)
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird mit den zugrundeliegenden Feststellungen
aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über
die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Dorsten
zurückverwiesen.
Gründe:
1
I.
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Durch Bußgeldbescheid des Landrates des Kreises S vom 26. März 2007 wurde gegen
den Betroffenen wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit
außerhalb geschlossener Ortschaften um 105 km/h eine Geldbuße von 562,50 Euro und
außerdem ein Fahrverbot für die Dauer von
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3 Monaten angeordnet. Ergänzend war im Bußgeldbescheid bemerkt: "grob
verkehrswidrig- einziges Fahrzeug auf der BAB - , linker Fahrtstreifen!!!" Gegen diesen
Bußgeldbescheid legte der Betroffene mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 10. April
2007 Einspruch ein, den er auf die Überprüfung des Rechtsfolgenausspruchs
beschränkte.
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Durch Urteil des Amtsgerichts Dorsten vom 17. April 2008 wurde gegen den Betroffenen
wegen vorsätzlicher Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit eine
Geldbuße von 1000 Euro festgesetzt, von der Verhängung eines (Regel)Fahrverbotes
jedoch abgesehen.
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Im Urteil hat das Amtsgericht zur Begründung u.a. Folgendes ausgeführt:
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".......Er ist bislang wie folgt straßenverkehrsrechtlich in Erscheinung getreten:
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1.)
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Mit Bußgeldbescheid vom 20.10.2004 setzte die Stadt H wegen einer
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Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener
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Ortschaften um 25 km/h eine Geldbuße von 50,00 Euro fest; die Entscheidung ist seit
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dem 09.11.2004 rechtskräftig.
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2.)
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Mit Bußgeldbescheid vom 06.12.2005 setzte die Stadt E2 wegen einer
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Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener
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Ortschaften um 29 km/h eine Geldbuße von 60,00 Euro fest; die Entscheidung ist seit
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dem 28.12.2005 rechtskräftig.
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3.)
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Mit Bußgeldbescheid vom 06.10.2006 setzte die Stadt F wegen einer
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Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener
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Ortschaften um 21 km/h eine Geldbuße von 65,00 Euro fest; die Entscheidung ist seit
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dem 28.10.2006 rechtskräftig.
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Am 26.02.2007 gegen 21:03 Uhr befuhr der Betroffene mit seinem Pkw, Fabrikat
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#########, amtliches Kennzeichen: ##-## ##, die BAB ## in E in
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Fahrtrichtung I. Bei Kilometer 10.764 überschritt er die aufgrund von
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Straßenschäden angeordnete zulässige Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h um
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105 km/h, die festgestellte Geschwindigkeit betrug nach Abzug der Toleranz 185 km/h.
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Diese Feststellungen des Bußgeldbescheides des Kreises S vom
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26.03.2007 griff der Betroffene mit seinem Einspruch, der sich allein gegen die
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Rechtsfolgen des Bußgeldbescheides richtete, nicht an.
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Dem Betroffenen (gemeint ist: Der Betroffene) gab zu, dass ihm zur Tatzeit bewusst war,
dass er die zulässige Höchstgeschwindigkeit überschritt.
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Der Betroffene hat damit vorsätzlichen ( gemeint ist: vorsätzlich) eine
Ordnungswidrigkeit nach den §§ 41 Abs. 2 Nr. 7,49 Abs. 3 Nr. 4 StVO, § 24, 25 Abs. 1
Satz 1 StVG begangen.
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Der Bußgeldkatalog sieht hierfür einer Regelbuße in Höhe von 375,00 Euro und ein
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Fahrverbot von drei Monaten vor.
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Wegen der Voreintragung des Betroffenen und weil der Betroffene zum Zeitpunkt der
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Messung den linken Fahrstreifen der Autobahn befuhr, obwohl sich kein weiterer
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Verkehrsteilnehmer im Streckenabschnitt befand, erhöhte die Bußgeldstelle die
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Regelbuße hinsichtlich des zu zahlenden Bußgeldes auf 562,50 Euro………."
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Gegen das Urteil hat die örtliche Staatsanwaltschaft Rechtsbeschwerde – beschränkt
auf den Rechtsfolgenausspruch - eingelegt und das Rechtsmittel in zulässiger Weise
mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts begründet. Die
Generalstaatsanwaltschaft ist der Rechtsbeschwerde beigetreten. Sie beantragt, das
angefochtene Urteil im Rechtsfolgenausspruch aufzuheben und die Sache zur neuen
Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Dorsten zurückzuverweisen.
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II.
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Die zulässige Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt auf die Sachrüge zur Aufhebung
des amtsgerichtlichen Urteils und zur Zurückverweisung an das Amtsgericht Dorsten.
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a. Die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Essen vom 5. Mai 2008,
eingegangen am selben Tag beim Amtsgericht Dorsten, ist fristgerecht gemäß §
341 StPO i. V.m. § 79 Abs. 3 S.1 OWiG eingelegt worden. Entgegen der
Auffassung des Betroffenen in seiner Stellungnahme vom 5. August 2008 beginnt
die Frist für die an der Hauptverhandlung nicht teilnehmende Staatsanwaltschaft
mit der Zustellung des Urteils (Göhler, OWiG, 14. Aufl., § 79, Rn.30). Die
Zustellung des Urteils erfolgte ausweislich der Akte am 28. April 2008. Ebenso
bestehen keine Bedenken gegen die Einhaltung der Rechtsmittelbegründungsfrist
gemäß § 345 Abs. 1 StPO i.V.m. § 79 Abs.3 OWiG. Die Rechtsmittelbegründung
der Staatsanwaltschaft Essen vom 6. Mai 2008 ging beim Amtsgericht Dorsten
bereits am 9. Mai 2008 ein, mithin deutlich innerhalb der Monatsfrist des § 345
Abs. 1 StPO.
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b. Der Senat musste das angefochtene Urteil auch im Schuldspruch aufheben. Die
Beschränkung der Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft auf den
Rechtsfolgenausspruch ist unwirksam.
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Zwar kann nach allgemeiner Meinung, die der aller Senate für Bußgeldsachen des
OLG Hamm entspricht, die Rechtsbeschwerde ebenso wie die Revision auf
abtrennbare Teile beschränkt werden (Göhler, a.a.O., § 79 OWiG Rn. 32 mit
weiteren Nachweisen). Insoweit gelten die im Strafverfahren für die Beschränkung
der Berufung oder Revision auf das Strafmaß geltenden Grundsätze entsprechend
(vgl. dazu Meyer-Goßner, StPO, 51. Aufl., 2008, § 318 StPO Rn. 16 ff. mit
zahlreichen weiteren Nachweisen). Die Beschränkung der Rechtsbeschwerde ist
danach nur wirksam, wenn in der tatrichterlichen Entscheidung hinreichende
Feststellungen für die vom Rechtsbeschwerdegericht zu treffende Entscheidung
über die Rechtsfolgen getroffen werden (Göhler, a. a. O., § 79, Rn. 32 mit weiteren
Nachweisen).
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Das ist vorliegend aber nicht der Fall. Das Amtsgericht hat zur Tat keinerlei
Feststellungen getroffen, sondern ist ausweislich des Gesamtzusammenhangs der
Urteilsgründe von einer wirksamen Beschränkung des Einspruchs gegen den
Bußgeldbescheid des Landrates des Kreises S vom 26. März 2007 ausgegangen.
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Aufgrund der zulässigen Rechtsbeschwerde hat das Rechtsbeschwerde-gericht
auch ohne dahin gehende Rüge von Amts wegen zu prüfen, ob das Amtsgericht
den seiner Beurteilung unterliegenden Sachverhalt in vollem Umfang überprüft hat,
insbesondere ob der Gegenstand des amtsgerichtlichen Verfahrens durch eine
Beschränkung des Einspruchs in dem Umfang begrenzt war, wie das Amtsgericht
es angenommen hat.
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Dieser im Strafverfahren geltende Grundsatz ( Meyer-Goßner StPO, 51. Aufl., §
352, Rn.4; KK-StPO, 6. Aufl. § 318, Rn.1) beansprucht für das Bußgeldverfahren
gleichermaßen Geltung; denn es handelt sich letztlich um eine Frage der
Rechtskraft, die auch im Bußgeldverfahren zu berücksichtigen ist ( BayObLG NZV
2000, 50).
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Diese Prüfung ergibt, dass das Amtsgericht zu Unrecht von einer wirksamen
Beschränkung des Einspruchs auf den Rechtsfolgenausspruch ausgegangen ist.
50
Zwar ist eine solche horizontale Beschränkung nach der Neufassung des
51
§ 67 Abs. 2 OWiG durch das Gesetz zur Änderung des Gesetzes über
Ordnungswidrigkeiten und anderer Gesetze vom 26. Januar 1998 grundsätzlich
zulässig. Damit ist auch eine Beschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch in
seiner Gesamtheit möglich, sofern der Bußgeldbescheid den gesetzlichen
Anforderungen des § 66 Abs. 1 OWiG entspricht (OLG Hamm, VRS 99, 220,221;
KG NZV 2002, 466; BayObLG NStZ-RR 2000, 19, OLG Bamberg, NJW 2006,
627,628; OLG Rostock, NZV 2002, 137).
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Bei den massenhaft anfallenden Bußgeldbescheiden in Verfahren wegen
Verkehrsordnungswidrigkeiten fehlen aber in der Regel – wie auch hier – Angaben
zur Schuldform, sodass eine Beschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch nach
diesen Grundsätzen nicht wirksam ist, denn eine zulässige Beschränkung auf den
Rechtsfolgenausspruch setzt voraus, dass ausreichende Feststellungen zum
Schuldspruch getroffen worden sind
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(vgl. Göhler, § 67 Rn. 34e ff m.w.N.; MeyerGoßner, StPO 51. Auflage, § 318 Rn 16
54
m.N.).
Bei Ordnungswidrigkeiten, die - wie hier- sowohl
fahrlässig
begangen werden können, ist dies aber nicht der Fall, wenn im Bußgeldbescheid
die Schuldform weder festgestellt wurde, noch sich aus der Sachdarstellung ergibt
(KG, VRS 114, 48; MeyerGoßner, StPO 51. Auflage,
55
§ 318 Rn 16 m. N.).
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Eine Ausnahme von diesem Grundsatz ist obergerichtlich für den Fall anerkannt,
dass die Verwaltungsbehörde die Regelsätze der Bußgeldkatalogverordnung als
Ahndung angeordnet hat. Die Beträge des Bußgeldkatalogs, an denen die
Behörde grundsätzlich gebunden ist, gehen von fahrlässiger Begehung und
gewöhnlichen Tatumständen aus. Setzt die Verwaltungsbehörde für einen dem
Katalog entsprechenden Tatbestand ohne Weiteres die dort vorgesehene
Regelbuße fest, gibt sie zu erkennen, dass sie dem Betroffenen fahrlässiges
Handeln zur Last legt ( KG VRS 114, 47; OLG Bamberg DAR 2006, 399; OLG Celle
NZV 1999, 524; OLG Koblenz DAR 2004, 719; OLG Zweibrücken VRS 110, 292).
Für diesen Fall hat auch der Bußgeldrichter von fahrlässiger Begehungsweise
auszugehen und zu prüfen, welche Ahndung für das fahrlässige Verhalten tat- und
schuldangemessen ist.
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So verhält es sich aber vorliegend nicht. Der Bußgeldbescheid legt dem
Betroffenen eine Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb
geschlossener Ortschaften um mehr als 70 km/h zur Last. Nach der
Bußgeldkatalogverordnung ist für einen solchen Verstoß im Regelfall eine
Geldbuße in Höhe von 375,00 € und ein dreimonatiges Fahrverbot vorgesehen.
Tatsächlich enthält der Bußgeldbescheid vom 26. März 2007 aber eine Geldbuße
von 562,50 €. Die im Bußgeldbescheid verhängte Sanktion übersteigt den
Regelsatz für eine derartige Ordnungswidrigkeit erheblich. Die Verhängung einer
derartigen Geldbuße kommt, wenn das Gesetz wie hier ohne im Höchstmaß zu
unterscheiden, für vorsätzliches und fahrlässiges Handeln eine Geldbuße androht,
nach § 17 Abs. 2 OWiG nur im Falle vorsätzlichen Handelns in Betracht. Der
angefochtene Bußgeldbescheid enthält aber weder Angaben zur Schuldform, noch
lässt sich sonst aus der Sachdarstellung ableiten, von welcher Schuldform der
Landrat des Kreises S ausgegangen ist. Ob die Abweichung von der Regelbuße
seitens der Verwaltungsbehörde wegen der Voreintragungen des Betroffenen oder
des im Bußgeldbescheid aufgeführten "grob verkehrswidrigen Verhaltens" oder
aufgrund - hier naheliegenden- vorsätzlichen Fehlverhaltens vorgenommen wurde,
ist dem Bußgeldbescheid nicht zu entnehmen und bleibt völlig offen. Allein der
mögliche Rückschluss aus der Höhe der verhängten Geldbuße, die nur im Falle
vorsätzlichen Handelns zulässig gewesen wäre, vermag anders als bei einer
Anwendung des Bußgeldkataloges hier die fehlenden Ausführungen zu der
angenommenen Schuldform nicht zu ersetzen. Denn es erscheint jedenfalls nicht
ausgeschlossen, dass die Geldbuße lediglich der Norm des § 17 Abs. 1 OWiG
entnommen worden und die einschränkende Vorschrift des § 17 Abs. 2 StPO bei
der Festsetzung übersehen worden ist. Für Letzteres spricht die Begründung des
Urteils. Der Tatrichter hat insoweit ausgeführt, die Bußgeldbehörde habe "wegen
der Voreintragung des Betroffenen und weil der Betroffene zum Zeitpunkt der
Messung den linken Fahrstreifen der Autobahn befahren habe, die Regelbuße auf
den Betrag von 562,50 Euro erhöht."
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Ein Umkehrschluss von der Höhe des Bußgeldes auf die Schuldform ist daher
nicht möglich. Fehlen aber hinreichende Feststellungen zur Schuldform, ist die
Beschränkung des Einspruches auf den Rechtsfolgenausspruch unwirksam (KG
VRS 114, 48).
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Aufgrund der unwirksamen Beschränkung des Einspruches auf den
Rechtsfolgenausspruch und damit einhergehend fehlender eigener Feststellungen
des Tatrichters zur vorgeworfenen Tat stellen die Urteilsgründe keine ausreichende
Grundlage zur Überprüfung der Rechtsfolgen für das Rechtsbeschwerdegericht da.
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Aufgrund dessen war auch von einer unwirksamen Beschränkung der
Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft auf den Rechtsfolgenausspruch
auszugehen.
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c. Auf die – damit als unbeschränkt geltende - Sachrüge der Staatsanwaltschaft
Essen war das amtsgerichtliche Urteil insgesamt aufzuheben. Die vorliegenden
dem Rechtsbeschwerdegericht unterbreiteten Urteilsgründe halten einer
rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Zwar unterliegen die Gründe des Urteils in
Bußgeldsachen keinen hohen Anforderungen. Sie müssen jedoch so beschaffen
sein, dass das Rechtsbeschwerdegericht ihnen zur Nachprüfung einer richtigen
Rechtsanwendung entnehmen kann, welche Feststellungen
der Tatrichter
objektiven und subjektiven Tatbestandselementen getroffen hat und welche
tatrichterlichen Erwägungen der Bemessung der Geldbuße und der Anordnung
oder dem Absehen von Nebenfolgen zugrunde liegen. Dabei kann die notwendige
eigene Tatsachenfeststellung des Gerichts
nicht
Beschränkung des Einspruches auf den Rechtsfolgenausspruch oder im Falle der
Rechtskraft des Urteils ) durch eine Bezugnahme auf den Bußgeldbescheid
ersetzt werden (vgl. OLG Düsseldorf wistra 90, 78; KG DAR 1988, 102; OLG
Bremen NStZ 1996, 287; Göhler OWiG, 14. Aufl., § 71 Rn 42, 42b; K-K OWiG-
Senge § 71 Rn 106 m. w. N.). Denn Grundlage der Sachentscheidung können
nach dem Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme nur
die in der
Hauptverhandlung erhobenen Beweise
Verhandlungsgegenstände sein. Diesen Anforderungen genügen die
Urteilsgründe, die sich ausdrücklich wegen der objektiven Tatumstände auf den
Inhalt des Bußgeldbescheides beziehen, nicht. Denn aus ihnen ergibt sich, dass
es sich bei den Feststellungen zur Tat ausschließlich um die Wiedergabe des
Bußgeldbescheides, nicht aber um eigene Feststellungen des Gerichts nach
durchgeführter Beweisaufnahme handelt.
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Bereits aus diesem Grund war das angefochtene Urteil aufzuheben
64
d. Der Senat teilt im Übrigen die Auffassung der Staatsanwaltschaft, dass die vom
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Tatrichter getroffenen Feststellungen zum Rechtsfolgenausspruch ein Absehen
von der Verhängung eines Fahrverbots nach § 4 Abs. 4 BKatV nicht zu tragen
vermögen.
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aa. Nach § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG kann einem Betroffenen wegen einer
Verkehrsordnungswidrigkeit nach § 24 StVG, die er unter grober Verletzung seiner
Pflichten als Kraftfahrzeugführer begangen hat und wegen der eine Geldbuße
festgesetzt worden ist, für die Dauer von einem bis zu drei Monaten verboten
werden, Kfz jeder oder einer bestimmten Art im Straßenverkehr zu führen. Eine
grobe Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers gem.
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§ 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BKatV liegt i.d.R. vor, wenn der Tatbestand der Nr. 11.3 des
BKat i.V.m. der Tabelle 1 c des Anhangs zum BKat verwirklicht wird. Die
Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 105 km/h ist ein dort
erfasster Tatbestand, der bei Begehung der Tat außerhalb geschlossener
Ortschaften wie im vorliegenden Fall neben einer Geldbuße von 375 Euro ein
Fahrverbot von drei Monaten vorsieht. Die Erfüllung dieses Tatbestandes weist auf
das Vorliegen eines groben Verstoßes i.S.v. § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG hin, der
zugleich ein derart hohes Maß an Verantwortungslosigkeit im Straßenverkehr
offenbart, dass es regelmäßig der Denkzettel und Besinnungsmaßnahme eines
Fahrverbots bedarf. Ausnahmsweise kann von der Anordnung abgesehen werden,
wenn greifbare Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sich die Tat von den
genannten Regelfällen zugunsten des Betroffenen unterscheidet und hierdurch die
tatbestandsbezogene oder die rechtsfolgenbezogene Vermutung entkräftet wird.
Hierfür hat der Tatrichter eine auf Tatsachen gestützte, besonders eingehende
Begründung zu geben, in der im Einzelnen darzulegen ist, welche (besonderen)
Umstände es gerechtfertigt erscheinen lassen, von dem Regelfahrverbot
abzusehen (vgl. OLG Karlsruhe VRS 98, 385 ff. m.w.N).
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bb. Diesen Maßstäben genügt die Begründung im angefochtenen Urteil nicht.
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1. Der Tatrichter hat insoweit in den Urteilsgründen Folgendes ausgeführt: "Der
Betroffene ließ sich unwiderlegbar dahin gehend ein, dass er unmittelbar vor dem
Fahrtantritt von seiner zu diesem Zeitpunkt mit Zwillingen im 8 Monat schwangeren
Frau angerufen worden sei, die ihm mitteilte, sie habe starke Schmerzen,
vermutlich hätten die Wehen -mehr als zwei Wochen vor dem errechneten Stichtag
-eingesetzt.
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Die Ehefrau des Betroffenen habe bereits mehrfach Fehlgeburten erlitten. Sie habe
sich aus diesem Grund zu Beginn der Schwangerschaft für 6 Wochen in stationärer
ärztlicher Behandlung befunden. Am Tattag selbst habe sich die Ehefrau des
Betroffenen allein zu Hause befunden.
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Der Betroffene habe sich daraufhin auf den Weg nach Hause gemacht, wobei ihm
nach seinem Aufbruch in H ein zweiter Anruf seiner Ehefrau erreicht habe, mit dem
diese ihm mitgeteilt habe, dass sich ihre Schmerzen deutlich verschlimmert hätten
und sie einen Krankenwagen gerufen habe. Sie bat den Betroffenen, er möge bitte
direkt zu ihr in das Krankenhaus kommen.
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In Sorge um seine Frau und seine ungeborenen Kinder sei der Betroffene auf der
weitestgehend freien Strecke dann mit überhöhter Geschwindigkeit gefahren".
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Zutreffend geht das Amtsgericht noch davon aus, dass von einer groben
Pflichtverletzung im Sinne des § 25 Abs.1 s. 1 StVG in subjektiver Sicht nur
ausgegangen werden kann, wenn sie auf besonders grobem Leichtsinn, grober
Nachlässigkeit oder Gleichgültigkeit beruhen. Ein Regelfall grober
Pflichtverletzung ist dann zu verneinen, wenn die gesamten Tatumstände so weit
von dem typischen, vom Verordnungsgeber ins Auge gefassten Fall des
Verkehrsverstoßes abweichen, dass die objektiv schwerwiegende
Zuwiderhandlung nicht auch subjektiv in erhöhtem Maße vorwerfbar ist und eine
grobe Pflichtverletzung deshalb im Ergebnis nicht festgestellt werden kann. Dies
war aber vorliegend nicht der Fall. Anders als in der zur Begründung
herangezogenen Entscheidung des OLG Karlsruhe (DAR 2002, 229), wusste der
Betroffene aufgrund des zweiten Anrufs seiner Ehefrau, dass sich diese bereits auf
dem Wege zum Krankenhaus befand und damit in ärztlicher Obhut. Bei der zitierten
Entscheidung des OLG Karlsruhe hingegen ging der Betroffene davon aus, seine
schwangere Ehefrau befände sich, in den Wehen liegend, hilflos zu Hause. Eine
tatsächliche oder vermeintliche Notlage lag daher bereits nach der Einlassung des
Betroffenen nicht vor. Allein der Wunsch schnellstmöglich zur bevorstehenden
Geburt seiner Kinder ins Krankenhaus zu gelangen, um seiner Frau beizustehen,
rechtfertigt nicht die Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit.
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2. Auch darf sich der Tatrichter nicht mit der bloßen Einlassung des Betroffenen
zum Vorliegen einer "notstandsähnlichen Situation" begnügen, sondern muss
diese anhand sonstiger Beweismittel, etwa der Einvernahme der Ehefrau, des
behandelnden Arztes oder einer Nachfrage beim Einwohnermeldeamt nach dem
genauen zeitlichen Geburtstermin, überprüfen und kritisch hinterfragen. Soll
nämlich vom Regelfall der Verhängung eines Fahrverbots abgesehen werden, so
bedarf es wegen der grundsätzlich gebotenen Gleichbehandlung aller
Verkehrsteilnehmer einer besonders eingehenden und sorgfältigen Überprüfung
der Einlassung eines Betroffenen, um das missbräuchliche Behaupten eines
solchen Ausnahmefalles auszuschließen und auch dem Rechtsbeschwerdegericht
die Nachprüfung der richtigen Rechtsanwendung zu ermöglichen ( OLG Rostock
VRS 101, 380 ff.: Härtefall; OLG Düsseldorf NStZ-RR 1997,52 f.: notstandsähnliche
Lage; vgl. allg. hierzu Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 39. Aufl. 2007, StVG, § 25
75
Rn. 26).
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Das Urteil war daher insgesamt aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und
Entscheidung an das Amtsgericht Dorsten zurückzuverweisen.
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