Urteil des OLG Hamm vom 11.11.2003

OLG Hamm: anstalt, gefahr, gerät, besitz, daten, gefährdung, versiegelung, aushändigung, form, gefangener

Oberlandesgericht Hamm, 1 Vollz (Ws) 194/03
Datum:
11.11.2003
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
1. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
1 Vollz (Ws) 194/03
Vorinstanz:
Landgericht Bochum, Vollz M 960/03
Tenor:
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Der angefochtene Beschluss wird mit Ausnahme der Festsetzung des
Ge-schäftswertes aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Behandlung und Entscheidung - auch über
die Kosten der Rechtsbeschwerde - an die Strafvollstreckungskammer
des Landgerichts Bochum zurückverwiesen.
G r ü n d e :
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Mit seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 28. Juli 2003 hat der Betroffene
die Aufhebung der Entscheidung der Justizvollzugsanstalt Bochum vom
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25. Juli 2003 begehrt, mit der die Aushändigung einer Spielekonsole der Marke "X"
abgelehnt worden ist. Der Leiter der Justizvollzugsanstalt Bochum hat sich zur
Begründung seiner Entscheidung auf den Erlass des Justizministers des Landes
Nordrhein-Westfalen vom 2. April 2002 berufen. Den gegen diese Entscheidung
eingelegten Widerspruch des Verurteilten hat der Präsident des
Landesjustizvollzugsamtes Nordrhein-Westfalen mit Bescheid vom 5. August 2003
zurückgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt worden:
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"Die Ablehnung ist gemäß § 70 Abs. 2 Nr. 2 StVollzG gerechtfertigt, da der Besitz
der beantragten Playstation eine konkrete Gefahr für die Sicherheit und Ordnung
der Anstalt darstellt.
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Das Gerät ist mit der Option einer mehrseitigen Textspeicherung ausgestattet.
Dadurch würden Sie oder Mitgefangene in die Lage versetzt, Daten verschlüsselt
oder unverschlüsselt derart zu speichern, dass Sie dem Zugriff und der
Überprüfung des Vollzugspersonals entzogen sind. In versteckt angelegten
Dateien können Fluchtpläne oder Informationen über Sicherheitsvorkehrungen der
Anstalt gespeichert werden, die in einer geschlossenen Anstalt mit
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der Vollstreckungszuständigkeit der JVA Bochum für langstrafige Gefangene eine
konkrete Gefahr für die Sicherheit und Ordnung bedeuten. Darüber hinaus stellt der
Besitz des Geräts auch insofern eine konkrete Gefahr für die Sicherheit und
Ordnung der Anstalt dar, als es bauartbedingt Hohlräume aufweist und damit
Versteckmöglichkeiten für Gegenstände wie Rauschgift, Bargeld oder Kassiber
bietet. Da das Gerät ohne Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit nicht versiegelt
werden kann, würde es einen unvertretbar hohen Personal- und Zeitaufwand
erfordern, um das Gerät auf versteckte Gegenstände hin zu überprüfen. Hierbei ist
zu berücksichtigen, dass unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung auch
anderen Inhaftierten das Gerät bewilligt werden müsste, falls Ihrem Begehren
entsprochen würde.
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Es ist kein die Sicherheits- und Ordnungserfordernisse der Anstalt überwiegendes
berechtigtes Interesse an der Aushändigung des Geräts erkennbar."
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Mit dem angefochtenen Beschluss hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts
Bochum den Antrag des Betroffenen als unbegründet zurückgewiesen. Die
Strafvollstreckungskammer hat zur Begründung ihrer Entscheidung ausgeführt:
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"Die Ablehnung des Antrags auf Zulassung einer "X" ist rechts- und
ermessensfehlerfrei erfolgt.
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Die Ablehnung ist gemäß § 70 Abs. 2 Nr. 2 StVollzG begründet. Der Besitz einer
"X" gefährdet die Sicherheit und Ordnung der Anstalt.
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Das Gerät besitzt die technische Möglichkeit einer mehrseitigen Textspeicherung.
Der Antragsteller oder andere Gefangene wären somit in der Lage, verschlüsselte
Daten zu speichern und so dem Zugriff und der Überprüfung durch das
Vollzugspersonal zu entziehen. Zudem beinhaltet das Gerät baubedingte
Hohlräume, die als Verstecke für Drogen, Kassiber und ähnliches dienen können."
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Die gegen diese Entscheidung gerichtete form- und fristgerecht eingelegte
Rechtsbeschwerde, mit der der Betroffene eine Verletzung der Aufklärungspflicht rügt,
ist
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zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung vom
Senat zugelassen worden.
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Das Rechtsmittel hat auch einen zumindest vorläufigen Erfolg, weil der Beschluss der
Strafvollstreckungskammer an einem durchgreifenden Mangel leidet. Für das Verfahren
in Strafvollzugssachen gilt der Grundsatz der - von Amts wegen zu erforschenden -
"materiellen Wahrheit" (§ 120 StVollzG, § 244 Abs. 2 StPO). Dies bedeutet, dass die
Strafvollstreckungskammer den Sachverhalt, von dem sie ausgehen will, selbst zu
überprüfen hat und ggf., wenn die von der Anstalt getroffenen Tatsachenfeststellungen
bestritten werden, selbst Beweis zu erheben hat (Senatsbeschluss vom 18. September
2001 - 1 Vollz (Ws) 183/01 -; OLG Frankfurt bei Bungert NStZ 1994, 380;
Calliess/Müller-Dietz, Strafvollzugsgesetz, 9. Aufl., § 115 Rdnr. 2). Denn gemäß § 120
StVollzG i.V.m. § 244 Abs. 2 StPO ist die Strafvollstreckungskammer verpflichtet, zur
Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und
Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind. Dieser
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ureigenen Verpflichtung ist die Strafvollstreckungskammer in rechtsfehlerhafter Weise
nicht nachgekommen.
Gemäß § 70 Abs. 1 StVollzG darf ein Gefangener in angemessenem Umfang u.a.
Gegenstände zur Freizeitbeschäftigung besitzen. Dies gilt nicht, wenn der Besitz, die
Überlassung oder die Benutzung des Gegenstandes das Ziel des Vollzuges oder die
Sicherheit oder Ordnung der Anstalt gefährden würde (§ 70 Abs. 2 Nr. 2 StVollzG).
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Der Versagungsgrund der Gefährdung von Sicherheit und Ordnung der Anstalt setzt
eine konkrete Gefahr voraus, deren Vorliegen in nachprüfbarer Weise festgestellt
werden muss. Dabei kann das Vorliegen einer solchen Gefährdung schon allein
aufgrund der grundsätzlich gegebenen Eignung eines Gegenstandes zur sicherheits-
oder ordnungsgefährdenden Verwendung bejaht werden. Allerdings ergibt sich aus dem
Verhältnismäßigkeitsgebot, dass diese Eignung in Beziehung zu den der Anstalt zu
Gebote stehenden und von ihr im Rahmen einer ordnungsgemäßen Aufsicht auch
anzuwendenden Kontrollmittel gesetzt werden muss. Unter dem Gesichtspunkt der
Erforderlichkeit kann die Versagung der Besitzerlaubnis insbesondere nur dann
Bestand haben, wenn ein milderes Mittel, etwa die Verplombung oder Versiegelung
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eines generell-abstrakt gefährlichen Geräts durch die Justizvollzugsanstalt und die ihr
mögliche regelmäßige Kontrolle der Plomben und Siegel, nicht in gleicher Weise
geeignet ist, der Gefährlichkeit zu begegnen. Schließlich ist im Rahmen der Prüfung der
Zumutbarkeit (Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne) zu beachten, dass Belange des
Gefangenen, etwa ernsthaft und nachhaltig verfolgtes Interesse an Aus- und
Weiterbildung, es ggf. verbieten können, eine nach Schadenswahrscheinlichkeit
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oder Schadensausmaß geringfügige Gefährdung von Sicherheit und Ordnung der
Anstalt zum Anlass für die Verweigerung einer Besitzerlaubnis zu machen (vgl. BVerfG
NStZ 1994, 453; BVerfG NStZ-RR 1996, 252; BVerfG NJW 2003, 2447).
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Hinreichende Feststellungen und Erwägungen in dem vorbezeichneten Sinne sind dem
angefochtenen Beschluss nicht zu entnehmen. Die Strafvollstreckungskam-
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mer hat im vorliegenden Fall die generell-abstrakte Gefahr der Spielekonsole "X" nicht
hinreichend dargelegt und auch nicht detailliert beschrieben, ob dieser Gefahr durch
geeignete Maßnahmen begegnet werden kann. Sie hat sich vielmehr damit begnügt, die
Erwägungen des Präsidenten des Landesjustizvoll-
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zugsamtes aus dem Widerspruchsbescheid in pauschalierter Form wiederzugeben.
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Mangels näherer Beschreibung dieses vom Antragsteller begehrten Telespielgerätes,
also insbesondere von Typ, Funktionsweise und Abmessungen des Gerätes ist die von
der Strafvollstreckungskammer angenommene Gefährlichkeit des Gerätes einer
Überprüfung durch den Senat nicht zugänglich. Angesichts der Tatsache, dass
Gefangene in der Justizvollzugsanstalt beispielsweise über CD-Spieler, Fernsehgeräte
oder andere Telespielgeräte verfügen, ist nicht ersichtlich, aus welchem Grunde einer X
als möglichem Versteck für verbotene Gegenstände ein höherer Gefährdungsgrad
zukommt. In diesem Zusammenhang ist auch nicht dargelegt worden, ob eine
Verplombung oder Versiegelung des Gerätes und auch von Teilen desselben zur
Beseitigung einer Gefährlichkeit möglich ist oder ob die Plomben oder Siegel - ggf.
erkennbar - manipuliert werden können und wie sich eine mögliche Sicherung auf die
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Funktionsfähigkeit dieses Gerätes und den Kontrollaufwand der Justizvollzugsanstalt
auswirken kann (vgl. OLG Rostock ZfStrVo 2003, 56). Darüber hinaus hat die
Strafvollstreckungskammer ungeprüft die Behauptung der Justizvollzugsanstalt
übernommen, das Gerät sei mit einer mehrseitigen Textspeicherung
ausgestattet, die Gefangene in die Lage versetze, Daten verschlüsselt oder
unverschlüsselt derart zu speichern, dass sie dem Zugriff und der Überprüfung des
Vollzugspersonals entzogen seien. Auch hierzu hätte es näherer Erläuterungen der
technischen Gegebenheiten bedurft. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, auf
welche Art und Weise Texte von den Gefangenen verfasst werden können, ob dies z.B.
mit dem Joy-Stick möglich ist. Ferner hat sich die Strafvollstreckungskammer nicht mit
dem Gesichtspunkt auseinandergesetzt, ob sich eine mögliche potentiell größere Gefahr
aus der Tatsache ergibt, dass durch die Verbindung mit weiteren Geräten ein Zugang
zum Internet geschaffen werden kann und somit in vielfältiger Weise Informationen
austauschbar werden.
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Da im angefochtenen Beschluss die vorstehend genannten notwendigen Feststellungen
fehlen, musste er auf die Sachrüge des Beschwerdeführers aufgehoben werden. Eigene
Feststellungen zu treffen, war dem Senat in dem revisionsähnlich ausgestalteten
Rechtsbeschwerdeverfahren verwehrt. Die Sache war daher zur erneuten Entscheidung
an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bochum zurückzuverweisen. Für
die neu zu treffende Entscheidung weist der Senat darauf hin, dass die Beurteilung der
abstrakten Gefährlichkeit einer X letztendlich nur aufgrund eines
Sachverständigengutachtens beurteilt werden kann. Dies gilt auch für die Frage, ob
einer eventuell vorhandenen generell-abstrakten Gefahr durch geeignete Maßnahmen
begegnet werden kann. Soweit dies in der Rechtsprechung bereits bejaht worden ist
(OLG Karlsruhe ZfStrVo 2003, 244), vermag der Senat nicht zu entscheiden, ob die dort
angesprochenen Kontrollmittel die auch nach Auffas-
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sung des OLG Karlsruhe gegebene abstrakte Gefährlichkeit hinreichend besei-
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tigen (vgl. Anmerkung zu diesem Beschluss ZfStrVo 2003, 246; OLG Rostock ZfStrVo
2003, 56; Beschluss Brandenburgisches Oberlandesgericht vom
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25. August 2003 - 1 Ws (Vollz) 14/03).
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Bei der neu vorzunehmenden Prüfung, ob die Überlassung einer X die Sicherheit und
Ordnung der Anstalt i.S.v. § 70 Abs. 2 Nr. 2 StVollzG gefährden würde, sind darüber
hinaus auch die konkreten Gegebenheiten in der Justizvollzugsanstalt Bochum,
insbesondere ihr Sicherheitsinteresse, gegen das Interesse des Strafgefangenen an
dem Besitz des Gerätes abzuwägen (OLG Rostock, a.a.O.; OLG München BLStVkunde
2001, Nr. 4/5, 2 - 3; OLG Nürnberg NStZ-RR 2002, 191; OLG Jena NStZ-RR 2003, 221).
Ferner ist die individuelle Gefährlichkeit des Antragstel-
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lers und die von ihm ausgehende Missbrauchsgefahr angemessen zu berück-
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sichtigen.
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Der Senat verkennt nicht, dass nach dem jetzigen Erkenntnisstand eine gewisse
Wahrscheinlichkeit für die Richtigkeit des Ergebnisses der Strafvollstreckungs-
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kammer spricht, mit anderen Worten also der abstrakten Gefährlichkeit der
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X nicht hinreichend begegnet werden kann, so dass der Versagungsgrund des § 70
Abs. 2 Nr. 2 StVollzG gegeben ist. Im Interesse der Rechtssicherheit bedarf es aber der
näheren Aufklärung der technischen Einzelheiten und Möglichkeiten des Missbrauchs,
die nur mit Hilfe eines Sachverständigengutachtens erfolgen kann.
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Nach alledem war der angefochtene Beschluss aufzuheben und die Sache zur erneuten
Aufklärung und Entscheidung an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts
Bochum zurückzuverweisen.
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