Urteil des OLG Hamm vom 19.11.2008
OLG Hamm: wiedereinsetzung in den vorigen stand, vollmacht, lfg, minderung, revisionsgrund, verfügung, ermächtigung, rüge, auflage, datum
Oberlandesgericht Hamm, 4 Ss OWi 553/08
Datum:
19.11.2008
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
4. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
4 Ss OWi 553/08
Vorinstanz:
Amtsgericht Tecklenburg, 7 OWi 79 Js 3191/07 (1441/07)
Tenor:
Der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde wird verworfen, da es
nicht geboten ist, die Nachprüfung des angefochtenen Urteils zur hier
allein zulässigen Fortbildung des materiellen Rechts zu ermöglichen
oder das Urteil wegen Versagung des rechtlichen Gehörs aufzuheben (§
80 Abs. 1, 2, 4 Satz 3 OWiG).
Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens trägt der Betroffene (§ 473
Abs. 1 StPO in Verbindung mit § 46 Abs. 1 OWiG).
Z u s a t z :
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1. Die Zulassung der Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des materiellen Rechts ist
nicht geboten. Erfolgt - wie hier - eine Verurteilung des Betroffenen aufgrund
unentschuldigten Nichterscheinens in der Hauptverhandlung nach § 74 Abs. 2 OWiG, ist
auf die hier ausdrücklich erhobene allgemeine Sachrüge lediglich zu prüfen, ob Prozeß-
oder Verfahrenshindernisse vorliegen und ob insoweit eine Fortbildung des materiellen
Rechts geboten ist. Das ist ersichtlich nicht der Fall.
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2. Im Übrigen käme eine Zulassung der Rechtsbeschwerde nur in Betracht, wenn das
angefochtene Urteil wegen Versagung des rechtlichen Gehörs aufzuheben wäre, was
mit einer zulässigen Verfahrensrüge geltend gemacht werden muß.
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Es kann dahinstehen, ob insoweit überhaupt eine entsprechende Rüge erhoben worden
ist, weil sich die Ausführungen in den Schriftsätzen vom 22. und 29. April 2008
jedenfalls dem Wortlaut nach nur auf den Antrag auf Gewährung von Wiedereinsetzung
in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Hauptverhandlung bzw. die sofortige
Beschwerde gegen die Ablehnung der Wiedereinsetzung beziehen. Selbst wenn man
insoweit eine Falschbezeichnung annähme, führt das nicht zur Zulassung der
Rechtsbeschwerde.
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Das Amtsgericht hat sich mit dem ihm in der Hauptverhandlung bekannten
Entschuldigungsvorbringen nach vorheriger telefonischer Rücksprache mit dem
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behandelnden Arzt hinreichend auseinandergesetzt. Die Entscheidung, das
Nichterscheinen des Betroffenen auf dieser Grundlage als nicht ausreichend
entschuldigt anzusehen, ist von Rechts wegen nicht zu beanstanden.
Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs aufgrund der Entscheidung, den Betroffenen
nicht von seiner Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung
zu entbinden, kommt ebenfalls nicht in Betracht. Diese Verfahrensrüge ist nicht in
zulässiger Weise ausgeführt worden. Der Betroffene hätte nämlich darlegen müssen,
aus welchen Gründen der Tatrichter von seiner Anwesenheit in der Hauptverhandlung
einen Beitrag zur Aufklärung des Sachverhalts unter keinen Umständen hätte erwarten
dürfen. Hierzu ist es erforderlich, den im Bußgeldbescheid erhobenen Tatvorwurf und
die konkrete Beweislage im Einzelnen vorzutragen (vgl. Göhler, OWiG, 14. Auflage, §
74 Rdn. 48 c; OLG Rostock, DAR 2008, 400 (400)). Dem Gesamtzusammenhang des
Urteils und den (möglichen) Rechtsbeschwerdebegründungen vom 22. und 29. April
2008 ist hingegen zu entnehmen, daß in der Hauptverhandlung die Fahrereigenschaft
des Betroffenen zu klären war. Da der Betroffene diese ersichtlich nicht eingeräumt
hatte, war seine Anwesenheit in der Hauptverhandlung zwingend geboten.
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Darüber hinaus ist der Rechtsbeschwerdebegründung nicht zu entnehmen, ob der
Verteidiger überhaupt ausreichend bevollmächtigt war, den Entbindungsantrag für den
Betroffenen zu stellen. In formeller Hinsicht ist die Entbindung des Betroffenen gem. §
73 Abs. 2 OWiG davon abhängig, daß er einen entsprechenden Antrag gestellt hat. Der
Verteidiger bedarf zur Stellung des wirksamen Entpflichtungsantrags einer über die
Verteidigervollmacht hinausgehenden Vertretungsvollmacht (vgl. OLG Rostock,
Senatsbeschlüsse vom 18.5.2006 - 2 Ss (OWi) 314/05 I 193/05) -, vom 13.3.2006 - 2 Ss
(OWi) 11/05 I 29/05 - und vom 31.3.2006 - 2 Ss (OWi) 402/04 I 260/04 -; BayObLG NStZ-
RR 2000, 247, 248; Herrmann in Rebmann/Roth/Herrmann OWiG 3. Aufl. (3. Erg. Lfg) §
73 Rdn. 7, 16; Göhler, a.a.O., § 73 Rdn. 4; Stephan in Burhoff, Handbuch für das
straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, Rdn. 1412). Dies ist für den vergleichbaren
Fall des § 233 Abs. 1 Satz 1 StPO allgemein anerkannt (BGHSt 12, 367, 369, 374; 25,
281, 284; Tolksdorf in KK 5. Aufl. § 233 Rdn. 1; Meyer-Goßner, StPO, 51. Aufl. § 233
Rdn. 5), wobei weitgehend die allgemeine Vollmacht, den Angeklagten in dessen
Abwesenheit vertreten zu dürfen, für ausreichend erachtet wird (vgl. nur Tolksdorf in KK,
a.a.O.; Meyer-Goßner, a.a.O.; Schlüchter in SK-StPO, 12. Lfg., § 233 Rdn. 8, jeweils
m.w.N.; enger: RGSt 54, 210, 211; 64, 239, 245; OLG Düsseldorf NJW 1960, 1921 f.;
OLG Schleswig SchlHA 1964, 70 f., wonach eine besondere Ermächtigung erforderlich
sei; offen gelassen in BGHSt 12, 367, 374). Für den Bereich des § 73 Abs. 2 OWiG kann
nichts anderes gelten (vgl. auch BayObLG, a.a.O.; Göhler, a.a.O.). Denn in beiden
Fällen läuft der Entbindungsantrag auf eine Minderung der Rechtsstellung des
Angeklagten bzw. Betroffenen hinaus. Die Entscheidung, mit der die Entbindung von
der Anwesenheitspflicht angeordnet wird, ermöglicht nämlich die Durchführung einer
Hauptverhandlung zur Sache in seiner Abwesenheit - hier: gem. § 74 Abs. 1 OWiG - und
berührt damit sein Anwesenheitsrecht. Wird der Entpflichtungsantrag von dem
Verteidiger ohne ausreichende Vertretungsvollmacht gestellt, kann die Durchführung
der Hauptverhandlung ohne den Betroffenen den absoluten Revisionsgrund des § 338
Nr. 5 StPO (i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG) begründen (vgl. schon RGSt 54, 210, 211;
Senge in KK-OWiG, a.a.O., § 74 Rdn. 53; zu § 234 StPO: Tolksdorf in KK, a.a.O., § 234
Rdn. 22). Die Antragstellung enthält demnach eine Verfügung über ein Recht des
Angeklagten bzw. Betroffenen, dessen Ausübung ihm selbst vorbehalten ist und nicht
ohne weiteres auch dem rechtlich selbstständig neben ihm stehenden Verteidiger
zukommt (BGHSt 12, 367, 372 f.; Schlüchter in SK-StPO, a.a.O.). Daß eine solche
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Vollmacht bestanden hat, ist der Rechtsbeschwerdebegründung nicht zu entnehmen.