Urteil des OLG Hamm vom 07.05.2007
OLG Hamm: meinungsfreiheit, strafrechtliche verfolgung, unbeteiligter dritter, beleidigung, strafantrag, ddr, werturteil, kritik, strafanzeige, ehre
Oberlandesgericht Hamm, 2 Ss 171/07
Datum:
07.05.2007
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
2. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
2 Ss 171/07
Vorinstanz:
Landgericht Bochum, 4 Ns 61 Js 1394/05
Tenor:
Die Revision wird auf Kosten des Angeklagten verworfen.
Gründe:
1
I.
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Das Amtsgericht Bochum hat gegen den Angeklagten durch Urteil vom 15. August 2006
wegen Beleidigung eine Geldstrafe in Höhe von 60 Tagessätzen zu je 7, EUR verhängt.
Die hiergegen eingelegte Berufung hat die 4. kleine Strafkammer des Landgerichts
Bochum am 18. Januar 2007 mit der Maßgabe verworfen, dass der Tagessatz auf 3,- €
festgesetzt wird. Die Kammer hat u.a. folgende Feststellungen getroffen:
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"Im Oktober 2005 wurde der Angeklagte von der JVA B in die JVA C verlegt. In C
kam der Angeklagte in Kontakt zu dem als Anstaltsarzt tätigen Zeugen Dr. I. Von
Anfang an kam es zwischen beiden zu Streitigkeiten, insbesondere aufgrund
unterschiedlicher Vorstellungen über die Behandlung der Diabeteserkrankung.
Nachdem der Angeklagte kurz zuvor im Justizvollzugskrankenhaus G noch neu
eingestellt worden war, änderte der Zeuge Dr. I die Insulineinstellung, worüber sich
der Angeklagte ärgerte. Der Angeklagte war auch nicht damit einverstanden, dass
der Zeuge Dr. I ihn als arbeitsfähig für Tätigkeiten im Strafvollzug erklärte, während
er offenbar noch in der JVA B für dauerhaft arbeitsunfähig eingestuft wurde. Wegen
dieser Unstimmigkeiten kam es zu erheblichen verbalen Auseinandersetzungen,
indem der Angeklagte den Zeugen immer wieder beschimpfte. In den
Sprechstunden mit dem Zeugen kam kaum ein echtes Gespräch zustande; der
Angeklagte hatte seine feste Meinung, ließ sich nichts sagen sondern stand einfach
auf und ging.
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Nachdem der Angeklagte bereits zahlreiche Eingaben an das
Landesjustizvollzugsamt NRW fertigte, übersandte er unter dem 28.10.2005 ein
weiteres Schreiben an diese Behörde mit zahlreichen Beschwerden. In diesem
Schreiben heißt es im Zusammenhang mit der vom Angeklagten beanstandeten,
mangelhaften diätetischen Verpflegung u.a. wörtlich:
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"Erwartungsgemäß wird behauptet, dass die hiesige Krankenkost den
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Anforderungen entspricht. Selbst der Lagerarzt aus C, der in der hiesigen Anstalt
leider verantwortlich als "Arzt" tätig ist (Dr. (?) I2), vertrat süffisant lächelnd die
Auffassung, dass die hiesige Diät nicht immer passe."
In einer weiteren Eingabe an das Landesjustizvollzugsamt NRW vom 10.11.2005
schreibt der Angeklagte wörtlich:
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"Am gestrigen Tag wurde ich auf Veranlassung des Herrn (Dr.?) I2, dem ehemaligen
Lagerarzt des DDR-Zuchthauses C, vom hiesigen Normalvollzug in die
Pflegeabteilung der hiesigen JVA verlegt, die leider dem vorgenannten "Mediziner"
untersteht. (…) Eine Behandlung durch Herrn I2 lehne ich ab. Meine Eingaben, die
sich auf die Misshandlungen dieses Mediziners beziehen, sprechen für sich. Der
Unrechtsstaat DDR existiert nicht mehr und gesundheitsschädigende Handlungen
und Maßnahmen (Verweigerung von Insulin) müssen nicht hingenommen werden.""
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Gegen das Urteil der 4. kleinen Strafkammer des Landgerichts Bochum richtet sich die
auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten, mit der er
seinen Freispruch erstrebt.
9
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Revision des Angeklagten gemäß §
349 Abs. 2 StPO als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.
10
II.
11
Die fristgerecht eingelegte sowie form- und fristgerecht begründete Revision ist zulässig,
hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.
12
1.
13
Soweit der Angeklagte rügt, es fehle bereits an einer Prozessvoraussetzung, da ein
wirksamer Strafantrag nicht vorliege, kann er mit dieser Rüge nicht durchdringen. Ob die
von Amts wegen zu berücksichtigenden Prozessvoraussetzungen vorliegen, hat das
Revisionsgericht nach den Grundsätzen des Freibeweises zu prüfen, ohne dabei auf die
vom Tatrichter getroffenen Feststellungen beschränkt und an dessen Beweiswürdigung
gebunden zu sein (vgl. Senatsbeschluss vom 14. Juli 2005 in 2 Ss 172/05; BGH MDR
1955, 143).
14
Entgegen der Ansicht der Revision lässt sich dem Schreiben des Leiters der
Justizvollzugsanstalt C vom 08. November 2005 ein Strafantrag wegen Beleidigung
hinreichend deutlich entnehmen. Eine ausdrückliche Bezeichnung des Begehrens als
Strafantrag ist nicht erforderlich (vgl. Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl., § 77 Rn. 38).
Inhaltlich genügt es für einen solchen Strafantrag vielmehr, wenn sich der Wille des
Verletzten bzw. des Dienstvorgesetzten ergibt, dass der Angeklagte wegen der
geschilderten Tat strafrechtlich verfolgt wird (vgl. BGH NJW 1951, 368; OLG Hamm,
Beschluss vom 30. Januar 2007 in 3 Ss 383/06; Tröndle/Fischer, StGB, 54. Auflage, §
77 Rn. 24). Dieses Begehren ist dem Schreiben vom 08. November 2005 zu
entnehmen. Diesbezüglich hat die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Antragsschrift vom
16. April 2007 u.a. Folgendes ausgeführt:
15
"Dass das Schreiben des nach §§ 3 LBG, 12, 13 LOG zuständigen
Dienstvorgesetzten vom 08.11.2005 auf strafrechtliche Verfolgung gerichtet war,
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ergibt sich bereits aus dem Folgeschreiben vom 24.11.2005 (Bl. 14 d.A.), in dem auf
die "Strafanzeige" vom 08.11.2005 Bezug genommen wird. Außerdem haben die
von hier aus im Freibeweis durchgeführten Ermittlungen (telefonische Auskunft des
Sachbearbeiters B1 am 16.04.2007) ergeben, dass vor Absendung des fraglichen
Schreibens die Sache dem Leiter der Justizvollzugsanstalt zur "Billigung" vorgelegt
und in einem Vermerk festgehalten worden war, dass "Strafanzeige" erstattet
werden solle."
Diesen Ausführungen tritt der Senat bei. Darüber hinaus spricht gerade der vom
Revisionsführer vorgetragene Umstand, dass das Schreiben vom 08. November 2005
"aus dem Mund eines Volljuristen" stammt, für den erforderlichen ausdrücklichen
Verfolgungswillen. Denn das an die Staatsanwaltschaft Bochum gerichtete Schreiben
ist – wie bereits dargelegt – nicht vom betroffenen Anstaltsarzt, dem ein persönliches
Antragsrecht zugestanden hätte, sondern von dessen Dienstvorgesetzten verfasst
worden, dem gem. § 194 Abs. 3 S. 1 StGB zusätzlich ein eigenes Antragsrecht zustand.
Die Beleidigung eines Amtsträgers wird nämlich nicht nur im Interesse des betroffenen
Amtsträgers, sondern auch im Interesse der Behörde verfolgt (vgl. Tröndle/Fischer,
a.a.O., § 194 Rn. 5). Vor diesem Hintergrund lässt sich der Bitte "um strafrechtliche
Überprüfung der Angelegenheit" sowie der hiermit verbundenen Bitte um Mitteilung des
Ausgangs des Verfahrens deutlich entnehmen, dass der Leiter der Justizvollzugsanstalt
C nicht nur eine Verfolgung der Tat anheim gestellt oder angeregt, sondern ein
strafrechtliches Einschreiten ausdrücklich verlangt hat. Denn das von dem persönlich
nicht betroffenen Anstaltsleiter verfasste Schreiben macht anderenfalls – gerade aus der
Sicht eines Volljuristen – keinen Sinn. Bei dem "ausdrücklichen Strafantrag" vom 03.
April 2006 handelt es sich hingegen lediglich um eine Bekräftigung des ohnehin schon
deutlich gemachten Strafverlangens und nicht um eine erstmalige Bitte um
strafrechtliches Einschreiten.
17
2.
18
Die Feststellungen der 4. kleinen Strafkammer des Landgerichts Bochum tragen die
Verurteilung des Angeklagten wegen Beleidigung.
19
Unter einer Beleidigung ist die Kundgabe der Nichtachtung oder Missachtung zu
verstehen (vgl. BGHSt 1, 298; 11, 67; 16, 58 f). Dabei kann die Beleidigung durch
ehrenrührige Tatsachenbehauptung sowie durch herabsetzende Werturteile gegenüber
dem Betroffenen begangen werden (vgl. OLG Hamm vom 10. Oktober 2005 in 3 Ss
231/05).
20
Der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zufolge ist bei Angriffen auf die
Ehre zunächst zu untersuchen, ob eine Äußerung eine Tatsachenbehauptung oder die
Kundgabe einer Meinung, d.h. eines Werturteils, darstellt. Bei der Tatsachenbehauptung
steht die objektive Beziehung zwischen der Äußerung und der Realität im Vordergrund,
so dass sie auch einer Überprüfung auf ihren Wahrheitsgehalt zugänglich ist. Hingegen
sind Meinungen, auf die sich der grundgesetzliche Schutz der Meinungsfreiheit in erster
Linie bezieht, durch die subjektive Beziehung des Einzelnen zum Inhalt seiner Aussage
und durch die Elemente der Stellungnahme und des Dafürhaltens geprägt (vgl. BVerfG,
StV 2000, 416; NJW 1994, 1779). Tatsachenbehauptungen können jedoch auch in den
Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG fallen, und zwar dann, wenn sie im Zusammenspiel
die Voraussetzung für die Bildung von Meinungen sind, weil sich diese in der Regel auf
tatsächliche Annahmen stützen oder zu tatsächlichen Verhältnissen Stellung beziehen
21
(vgl. BVerfG NJW 1994, 1779). Ob der Tatrichter den Aussagegehalt einer
beanstandeten Äußerung zutreffend erfasst und rechtlich einwandfrei zwischen
Tatsachenbehauptung und Werturteil unterschieden hat, unterliegt revisionsrechtlicher
Nachprüfung (vgl. BGH NJW 1997, 2513). Zu bewerten ist die beanstandete Äußerung
in ihrer Gesamtheit; einzelne Elemente dürfen aus einer komplexen Äußerung nicht
herausgelöst und einer vereinzelten Betrachtung zugeführt werden, weil dies den
Charakter der Äußerung verfälscht und ihr damit den ihr zustehenden
Grundrechtsschutz von vornherein versagen würde (vgl. BGH a.a.O.).
Das Urteil der 4. kleinen Strafkammer des Landgerichts Bochum wird diesen
Anforderungen gerecht. Die Kammer hat die Äußerungen des Angeklagten umfassend
in ihrer Gesamtheit betrachtet und abgewogen und ist zu dem zutreffenden Schluss
gelangt, dass es dem Angeklagten in erster Linie darum gegangen sei, "seine negative
Meinung über den Zeugen kundzutun, und nicht etwa eine eventuelle unwahre
Tatsache zu behaupten". Damit ist klargestellt, dass der Schwerpunkt der Äußerung auf
dem Werturteil liegt. Bei Bekundungen, die sowohl Elemente von
Tatsachenbehauptungen als auch Wertungen enthalten, entscheidet der überwiegende
Teil (vgl. Tröndle/Fischer, a.a.O., § 186 Rn. 3 m.w.N.). Insbesondere wenn der Vorwurf –
wie im vorliegenden Fall – als Glied einer Argumentationskette erscheint, mit welcher
vom Täter behauptete Ungerechtigkeiten angeprangert werden sollen, sind
entsprechende Äußerungen in der Regel als Meinungsäußerung aufzufassen (vgl.
BayObLG NStZ-RR 2002, 41).
22
Dementsprechend fallen die Äußerungen des Angeklagten in den Schutzbereich des
Art. 5 Absatz 1 GG. Prüfungsmaßstab für die vorliegenden Erklärungen ist somit das
Grundrecht der Meinungsfreiheit. Es gewährleistet jedermann grundsätzlich das Recht,
seine Meinung frei zu äußern. Jeder soll sagen können, was er denkt, auch wenn er
keine nachprüfbaren Gründe für sein Urteil angibt oder angeben kann (vgl. BVerfG NJW
1976, 1980). Aus diesem Grund sind Werturteile von Art. 5 Absatz 1 GG unabhängig
davon geschützt, ob die Äußerung "wertvoll" oder "wertlos", "richtig" oder "falsch",
"emotional" oder "rational" begründet ist (vgl. BVerfG NJW 1992, 2815; NJW 1983,
1415; NJW 1972, 811).
23
Ob ein Werturteil überhaupt einen abwertenden Charakter hat und damit eine
strafbewehrte Persönlichkeitsverletzung darstellt, hat der Tatrichter unter umfassender
Auslegung des tatsächlichen Gehalts der Äußerung, ihrer Zielsetzung und der von ihr
ausgehenden Wirkungen zu bewerten. Nicht jede Verletzung von
Persönlichkeitsrechten stellt eine gem. § 185 StGB strafbare Ehrverletzung dar. So liegt
in der bloßen Ablehnung eines anderen für sich allein keine Beleidigung, wenn damit
eine Ehrverletzung noch nicht einhergeht. Deshalb ist es eine anhand der Umstände
des Einzelfalls tatrichterlich zu entscheidende Interpretationsfrage, ob mit einer
Äußerung zugleich auch die Minderwertigkeit des Betroffenen zum Ausdruck gebracht
wird (vgl. Senatsbeschluss vom 22. September 2003 in 2 Ss 452/03; OLG Zweibrücken
NStZ 1994, 490).
24
Die tatrichterliche Auslegung unterliegt dabei allerdings nur eingeschränkter
revisionsrechtlicher Überprüfung (vgl. BVerfG NJW 2000, 199). Das Revisionsgericht
darf nur überprüfen, ob die Auslegung auf einem Rechtsirrtum beruht oder gegen
Sprach- und Denkgesetze verstößt (vgl. BGHSt 21, 371) oder ob sie lückenhaft ist, also
ob im Rahmen der Auslegung alle Begleitumstände berücksichtigt worden sind (vgl.
BGHSt 40, 97). Das Revisionsgericht hat zudem zu berücksichtigen, ob der Tatrichter
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bei der Anwendung der §§ 185 ff. StGB die Beeinträchtigung, die der persönlichen Ehre
auf der einen und der Meinungsfreiheit, die durch § 185 StGB eingeschränkt wird, auf
der anderen Seite droht, gesehen und richtig gewertet hat. Urteile, die den Sinn der
mündlichen Äußerung erkennbar verfehlen und deren rechtliche Würdigung darauf
gestützt wird, halten den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Grundrechts auf
Meinungsfreiheit nicht stand. Ein Verstoß gegen das Grundrecht der Meinungsfreiheit
liegt auch dann vor, wenn das Strafgericht bei mehrdeutigen Äußerungen die zur
Verurteilung führende Bedeutung zu Grunde legt, ohne vorher andere mögliche
Deutungen mit schlüssigen Gründen ausgeschlossen zu haben (vgl. BVerfG NJW 1990,
980 und 1995, 3303; OLG Hamm vom 10.Oktober 2005 in 3 Ss 231/05).
Ein solcher Fall fehlerhafter Auslegung liegt jedoch nicht vor.
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Die Kammer hat die Umstände, die für die Beurteilung der Frage des Vorliegens eines
Angriffs auf die Ehre maßgeblich sind, so umfassend aufgeklärt und im Urteil mitgeteilt,
dass dem Senat aus den Urteilsfeststellungen heraus eine Überprüfung möglicht ist (vgl.
Senatsbeschluss vom 21.02.2000 in 2 Ss 130/00).
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Dass sich die fraglichen Bemerkungen des Angeklagten nicht allgemein auf die Ärzte in
der Justizvollzugsanstalt als Kollektiv oder – wie vom Revisionsführer dargelegt – auf
das "System des real existierenden Strafvollzugs in der JVA C" bezogen, liegt auf der
Hand, da der Name des betroffenen Arztes in den Schreiben ausdrücklich genannt
worden ist. Diese gezielte Bezugnahme auf den Zeugen Dr. I entfällt nicht allein
dadurch, dass der Angeklagte sich erkennbar in den Beschwerdeschreiben generell
gegen die seiner Ansicht nach mangelhafte Verpflegung und medizinische Versorgung
in der Justizvollzugsanstalt C wendet und dessen Verbesserung begehrt. Zur
Verfolgung dieses Zweckes wird der Zeuge nämlich zielgerichtet aus der (kleinen)
Gruppe der Anstaltsärzte herausgegriffen und in Zusammenhang mit den inhumanen
Haftbedingungen und Misshandlungen in den Haftanstalten der ehemaligen DDR
gebracht. Zudem wird ihm die ärztliche Qualifikation abgesprochen, indem seine
Promotion in Zweifel gezogen wird.
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Es ist – auch in verfassungsrechtlicher Hinsicht – nicht zu beanstanden, dass die
Kammer hierin eine schwerwiegende Persönlichkeitsverletzung des Zeugen Dr. I
gesehen hat. Sie hat sich im Rahmen der erforderlichen Auslegung damit auseinander
gesetzt, dass neben einer bloßen Herabwürdigung des Anstaltsarztes auch eine
(negative) Bewertung des Verhaltens des Betroffenen durch den Angeklagten als
Deutungsmöglichkeit in Betracht kommt. Die Schreiben waren nämlich an das
Justizvollzugsamt NRW in X gerichtet und zielten auf die Feststellung der mangelhaften
Versorgung und Verpflegung für Diabetespatienten in der Justizvollzugsanstalt C ab.
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Gleichwohl ist die Kammer mit rechtsfehlerfreien Argumenten davon ausgegangen,
dass die vom Angeklagten gewählte Formulierung ("Lagerarzt aus C") den Zeugen auf
eine Stufe mit den ausführenden Organen eines Unrechtsstaates stellt. Dem Arzt wird
hierdurch unterstellt, er wende illegale Behandlungsmethoden an, die aus den
Gefängnissen der ehemaligen DDR bekannt geworden sind. Dies wird durch das
wiederholte Anzweifeln der ärztlichen Qualifikation bestärkt. Diese zulässige
Deutungsvariante stellt einen schwerwiegenden Vorwurf und damit eine schwere
Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts dar (vgl. BVerfG NJW 2006, 3769).
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Auch die vom Revisionsführer vorgebrachte alternative Deutung, es habe sich lediglich
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um den Gebrauch eines gängigen Spitznamen für den betroffenen Anstaltsarzt
gehandelt, ist erwogen und – nach entsprechender Beweiserhebung – mit schlüssigen
Argumenten ausgeschlossen worden. Dass die Bezeichnung unter den Gefangenen –
zumindest gelegentlich – als "Spitzname" für den Zeugen verwendet wurde, ist ohne
Belang. Sie hat sich nämlich nicht derart verselbständigt, dass sie als wertfreie oder
auch nur saloppe Anrede eingestuft werden könnte. Insbesondere kann dem
Betroffenen nicht zugemutet werden, ehrverletzende Bezeichnungen hinzunehmen, nur
weil sie sich unter den Gefangenen der Justizvollzugsanstalt eingebürgert haben.
Die Kammer hat die Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Arztes auch zutreffend
nicht als Schmähkritik aufgefasst, sondern ist mit tragbaren Argumenten in die gebotene
Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit des Angeklagten und dem Ehrenschutz des
Betroffenen eingetreten, die Art. 5 Abs. 1 GG bei der Anwendung des § 185 StGB
grundsätzlich verlangt (vgl. BVerfG NJW 2005, 3274 m.w.N.). Die Äußerung des
Angeklagten ist nämlich – wie bereits erwähnt – nicht allein auf die Herabsetzung der
Person des Zeugen gerichtet, sondern auch auf eine Auseinandersetzung in der Sache.
Dieser greifbare Sachbezug, nämlich die Ausrichtung an dem Ziel, die Haftbedingungen
in der Justizvollzugsanstalt Bochum zu verbessern, kann den Schreiben des
Angeklagten nicht völlig abgesprochen werden.
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Im Rahmen der Abwägung, bei der es auf die Schwere der Beeinträchtigung der
betroffenen Rechtsgüter ankommt und deren Ergebnis verfassungsrechtlich nicht
vorgegeben ist (vgl. BVerfG NJW 2000, 199), sind alle wesentlichen Umstände des
Falles zu berücksichtigen (vgl. BVerfG NJW 1996, 1529; NJW 1999, 2262). Für den
Angeklagten spricht zwar, dass er seine Meinungsäußerung nicht als unbeteiligter
Dritter, sondern als Partei einer rechtlichen Auseinandersetzung im Kampf um
Rechtspositionen gemacht hat (vgl. OLG Hamm vom 03. Juni 2004 in 4 Ss 138/04).
Dabei kommt es grundsätzlich auch nicht darauf an, dass er seine Kritik anders hätte
formulieren können (vgl. BVerfG StV 1991, 458). Zu berücksichtigen ist ferner, dass der
Angeklagte als juristischer Laie deutliche Kritik an den seiner Ansicht nach nicht
haltbaren Vorgängen in der Justizvollzugsanstalt Bochum üben wollte. In diesem
Zusammenhang ist auf der Grundlage der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts weiterhin zu beachten, dass das Recht, Maßnahmen der
öffentlichen Gewalt ohne Furcht vor staatlichen Sanktionen zu kritisieren, zum
Kernbereich des Grundrechts auf freie Meinungsäußerung gehört (vgl. BVerfG NJW
1992, 2815). Dies gilt vor allem, wenn sich das Werturteil auf staatliche Einrichtungen,
deren Bedienstete und deren Vorgehensweise bezieht (vgl. OLG Düsseldorf NStZ-RR
2003, 295). Selbst scharfe und übersteigerte Äußerungen fallen in diesem
Zusammenhang in den Schutzbereich des Art. 5 Absatz 1 GG (vgl. BVerfG NJW 1992,
2815).
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Dieser grundgesetzlich geschützten Position des Angeklagten steht aber die Schwere
der Ehrkränkung des angegriffenen Zeugen und sein Anspruch auf Wahrung seiner
Persönlichkeitsrechte gegenüber. Der Vorwurf der Anwendung rechtswidriger
Behandlungsmethoden und das generelle Infragestellen der ärztlichen Qualifikation
bedeuten für jeden Mediziner eine inakzeptable Kränkung (vgl. BVerfG NJW 2006,
3769), insbesondere wenn die Vorwürfe wiederholt erhoben werden. Unter Abwägung
sämtlicher – auch bereits erwähnter – Umstände ist hier der verletzten Rechtsposition
des angegriffenen Anstaltsarztes ein höheres Gewicht beizumessen als der
Meinungsfreiheit. Bei der Abwägung ist zwar zu berücksichtigen, dass der Betroffene
durchaus an einer hoheitlichen Maßnahme Kritik üben kann und angebliches oder
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tatsächliches Fehlverhalten aufzeigen darf, ohne sogleich befürchten zu müssen, der
Strafverfolgung ausgesetzt zu sein (vgl. OLG Hamm vom 03. Juni 2004 in 4 Ss 138/04;
KG StV 1997, 485; BayObLG NStZRR 2002, 41). Dies gilt jedoch nicht uneingeschränkt.
Der Ehrenschutz kann in Fällen wie dem vorliegenden schon deshalb nicht
zurücktreten, weil der Anstaltsarzt den inakzeptablen Angriffen des Angeklagten kaum
anders wird begegnen können als auf der Ebene der strafrechtlichen Verfolgung. Er
muss im Rahmen seiner Arbeit tagtäglich mit den Gefangenen in der
Justizvollzugsanstalt in Kontakt treten. Zu diesem Personenkreis gehört auch der
Angeklagte, selbst wenn dieser derzeit von dem zweiten Anstaltsarzt betreut wird,
nachdem er im Zuge einer Auseinandersetzung über die Häufigkeit von
Augenarztbesuchen seinerseits Strafanzeige gegen den Zeugen Dr. I erstattet hatte. In
dieser besonderen, durch den Haftalltag geprägten Situation sähe sich der Betroffene
ständigen inakzeptablen Diffamierungen ausgesetzt, wenn man der Meinungsfreiheit
des Angeklagten in diesem Fall einen höheren Stellenwert einräumte als dem
Persönlichkeitsrecht des Zeugen.
35
3.
36
Der Rechtsfolgenausspruch ist zwar nicht frei von Rechtsfehlern, der Senat hat
gleichwohl von der Aufhebung des angefochtenen Urteils nach § 354 Abs. 1 a StPO
abgesehen, weil die verhängte Strafe angemessen ist.
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Die Verurteilung des Angeklagten hat Bestand, obwohl die Urteilsgründe erkennen
lassen, dass die Kammer rechtsfehlerhaft zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt hat,
dass er "in der Hauptverhandlung keinerlei Reue und Einsicht gezeigt hat, sondern
vielmehr der Auffassung ist, zu solchen ehrverletzenden Äußerungen berechtigt zu
sein". Die Generalstaatsanwaltschaft weist zu Recht darauf hin, dass der Angeklagte
angesichts der Tatsache, dass er in Abrede gestellt hat, mit Beleidigungsvorsatz
gehandelt zu haben, keine Reue und Einsicht zeigen konnte, ohne seine
Verteidigungsposition aufzugeben (vgl. Tröndle/Fischer, a.a.O., § 46 Rn. 50 m.w.N.).
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Nach ständiger Rechtsprechung darf ein Prozessverhalten, das sich – wie im
vorliegenden Fall – im Rahmen einer zulässigen Verteidigungsstrategie hält, dem
Angeklagten nicht strafschärfend zur Last gelegt werden, weil sonst sein Recht, sich zu
verteidigen, mittelbar in Frage gestellt wird (vgl. BGH StV 2002, 74; wistra 1998, 303;
OLG Hamm, Beschluss vom 29. September 2005 in 1 Ss 400/05). Das gilt nicht nur für
das Leugnen der Tat, sondern selbst dann, wenn der Angeklagte "nur" versucht, die Tat
in einem wesentlich milderen Licht darzustellen. An ein solches Verhalten allein dürfen
deshalb strafschärfende Erwägungen nicht angeknüpft werden (vgl. BGH StV 1991,
255).
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Gleichwohl nötigt der Rechtsfehler in diesem Punkt der Strafzumessung nicht zu einer
Aufhebung des Urteils. Gemäß § 354 Abs. 1 a StPO kann das Revisionsgericht wegen
einer Verletzung nur bei Zumessung der Rechtsfolgen von der Aufhebung des
angefochtenen Urteils absehen, wenn die verhängte Rechtsfolge angemessen ist.
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Dies ist vorliegend der Fall.
41
Die vom Amtsgericht ausgeurteilte Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 3,00 € erscheint
angesichts der ausführlich dargestellten Gesamtumstände angemessen. Es erscheint
42
auch ausgeschlossen, dass die rechtsfehlerhaften Erwägungen der Kammer bei der
Festsetzung der Rechtsfolge bestimmend waren mit der Folge, dass einer
Zurückweisung der Vorzug zu geben wäre (vgl. Meyer/Goßner, StPO, 49. Aufl., § 354
Rn. 28), zumal die verhängte Geldstrafe ohnehin im untersten Bereich des Strafrahmens
liegt.
III.
43
Die Kostenentscheidung folgt aus § 467 Abs. 1 StPO.
44