Urteil des OLG Hamburg vom 10.09.2013
OLG Hamburg: treu und glauben, pauschalpreis, unternehmen, pauschalierung, vertragsschluss, aufmerksamkeit, vergütung, einbau, sicherheitsleistung, lieferung
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Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg 7. Zivilsenat, Urteil vom 10.09.2013, 7 U 106/09
§ 133 BGB
Verfahrensgang
vorgehend LG Hamburg, 22. Oktober 2009, Az: 409 HKO 38/09, Urteil
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg, Kammer 9 für
Handelssachen, vom 22.10.2009, Az. 409 O 38/09, wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das angefochtene Urteil ist ohne
Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte kann die Vollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von
110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die
Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden
Betrags leistet.
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I.
Mit dem angefochtenen Urteil, auf dessen Inhalt zur weiteren Sachdarstellung Bezug
genommen wird, hat das Landgericht die Beklagte verurteilt, an die Klägerin restlichen
Werklohn in Höhe von 60.000 Euro nebst Zinsen zu zahlen. Grundlage ist ein mit
Schreiben vom 25.02. und 03.03.2008 geschlossener Vertrag über die Fertigung,
Lieferung und Montage von Stahlbetonfertigteilen für ein Bauvorhaben mit 34
Wohneinheiten und Tiefgarage in H. Die Parteien streiten darüber, zu welchen
Bedingungen der Werkvertrag geschlossen worden ist.
Die Beklagte hat gegen das ihr am 28.10.2009 zugestellte Urteil am 10.11.2009 Berufung
eingelegt und diese mit einem am 16.12.2009 eingegangenen Schriftsatz begründet. Sie
verfolgt im zweiten Rechtszug ihren Klagabweisungsantrag weiter und beanstandet im
Wesentlichen:
1. Das Landgericht habe die bei den Vertragsverhandlungen für die Parteien
abgegebenen Willenserklärungen nicht gemäß §§133, 157 BGB unter Berücksichtigung
der erkennbar berechtigten Interessen der Parteien und nicht als sinnvolles Ganzes
ausgelegt. Die Auslegung habe sich vielmehr einseitig an den Interessen der Klägerin
orientiert.
Der im Angebotsschreiben vom 06.01.2008 enthaltene Vorbehalt, Bewehrungsmehr- bzw.
-mindermengen mit 1,10 Euro/kg zu berechnen, habe zunächst den berechtigten
Interessen der Parteien entsprochen, da die Klägerin damals über keinerlei Statik oder
Ausführungsplanungsunterlagen verfügt habe und die Stahlmengen sehr grob habe
schätzen müssen. Dies sei nach Übergabe der vorläufigen, noch ungeprüften Statik, die
als verbindlich zu gelten habe, anders gewesen; denn daraus habe die Klägerin für ihre
Kalkulation abschließend die auszuführenden Mengen entnehmen können, soweit nicht
die geprüfte Statik noch Änderungen vorgesehen habe. Deshalb sei die Klausel des
überarbeiteten Angebots vom 13.02.2008:
„Die Bewehrungsangaben im LV wurden aufgrund der Statik und unserer
Erfahrungswerte ermittelt. Mehr- oder Mindermengen werden nach Stahllisten zu einem
EP von 1,10 €/kg netto abgerechnet.“
so zu verstehen, dass Mehr- oder Mindermengen danach überhaupt nur noch zusätzlich
hätten abgerechnet werden dürfen, soweit diese entgegen den Vorgaben der Statik
und/oder entgegen den Erfahrungswerten und/oder auf Grund einer Änderungsanordnung
gemäß § 1 Nr. 3 bzw. 1 Nr. 4 VOB/B angefallen seien. Bei verständiger Würdigung der bei
der Vertragsanbahnung abgegebenen Willenserklärungen und der Begleitumstände habe
das vereinbarte Mehr- und Mindermengenrisiko bei der Klägerin liegen sollen.
Nach der vorangegangenen Überarbeitung des von der Klägerin abgegebenen Angebots
ergebe die Einigung auf einen Pauschalpreis bei sinnvoller Auslegung, dass die weiter
geltenden Bedingungen des Schreibens vom 13.02.2008 nicht solche sein könnten, die
sich auf die Faktoren für die Preisbildung bezögen.
2. Selbst wenn die Auslegung des Landgerichts zutreffend wäre, habe die Klage keinen
Erfolg haben können, weil der hilfsweise von der Beklagten zur Aufrechnung gestellte
Schadensersatzanspruch im Umfang der noch streitgegenständlichen Klagforderung
begründet sei.
a) Die Klägerin habe ihre Vertragspflichten dadurch verletzt, dass sie die
Bewehrungsangaben im Leistungsverzeichnis auf Grund der vorläufigen Statik und ihrer
Erfahrungswerte erheblich fehlerhaft ermittelt habe. Auf Grund der vorgelegten Statik und
der üblichen Berechnungsmodelle hätten die Bewehrungsmehrmengen mit einer
Genauigkeit von +/- 5 % ermittelt werden können, ohne dass Bewehrungspläne
erforderlich gewesen seien. Die Einholung eines Sachverständigengutachtens hätte die
Ermittlung der in erster Instanz vorgetragenen Werte bestätigt.
b) Die Pflichtverletzung der Klägerin habe einen Schaden der Beklagten in Höhe von
60.000 Euro verursacht. Zum einen wäre es möglich gewesen, mit der Klägerin auch
unter Berücksichtigung der richtigen Stahlmengen eine Vereinbarung mit einem
Pauschalpreis in Höhe von 410.000 Euro netto zu treffen, jedenfalls aber in Höhe von
420.000 Euro oder 430.000 Euro. Alternativ habe die Beklagte die benötigten
Stahlmengen für nur 0,55 Euro/kg selbst beziehen können und mit der Klägerin oder
einem anderen Unternehmen einen Vertrag lediglich über den Einbau und die
Herstellung der Bauteile schließen können. Bei Kenntnis einer Nachforderung von mehr
als 30.000 Euro hätte das Interesse der Beklagten, die Stahllieferung und Montage der
Stahlbetonfertigteile aus der Hand eines Vertragspartners zu erhalten, an Bedeutung
verloren.
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Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 22.10.2009 abzuändern und die Klage
abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das Urteil des Landgerichts und wiederholt und vertieft ihren
erstinstanzlichen Vortrag.
1. Die Pauschalierung der Vergütung habe sich nur auf die jeweiligen Vordersätze für die
ansonsten im Leistungsverzeichnis im Einzelnen bezeichneten Leistungen bezogen. Die
reinen Mehr- oder Mindermengen des Stahls seien hingegen nicht Gegenstand der
mengenmäßigen Pauschalierung gewesen.
Für die Auslegung des Vertrages sei auch zu berücksichtigen, dass – unstreitig - beide
Parteien vollkaufmännisch geführte Unternehmen seien, die Beklagte eine Vielzahl von
Bauvorhaben ausführe und in der Baubranche äußerst erfahren sei.
2. Die Klägerin, der – unstreitig – bis zum Vertragsschluss keine Bewehrungspläne
vorgelegen hätten, habe ihre vertraglichen Pflichten nicht verletzt. Es könne insgesamt
allenfalls um eine Mengenabweichung von durchschnittlich 38 % gehen. Sie, die
Klägerin, hätte sich ohne den Vorbehalt für Mehr- und Mindermengen des verwendeten
Stahls nicht auf die vereinbarte Pauschale eingelassen. Sie bestreite andererseits, dass
die Beklagte den Vertrag bei Kenntnis der konkreten Mehrvergütungsansprüche für
Stahlmehrmengen nicht abgeschlossen hätte.
Wegen des weiteren Parteivortrags wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze
nebst Anlagen verwiesen.
II.
Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet. Das Landgericht hat der Klägerin
die streitgegenständliche (Rest-)Werklohnforderung zu Recht und mit zutreffenden
Gründen, auf die zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen verwiesen wird,
zugesprochen. Das Berufungsvorbringen führt nicht zu einer anderen Entscheidung, gibt
aber Anlass zu folgenden Ergänzungen:
1. Die vom Landgericht vorgenommene Auslegung des zwischen den Parteien
geschlossenen Werkvertrages entspricht den allgemeinen Auslegungskriterien,
insbesondere dem Wortlaut der Erklärungen, einer Einbeziehung der Begleitumstände
und der Interessenlage der Parteien.
Empfangsbedürftige Willenserklärungen sind grundsätzlich so auszulegen, wie sie der
Erklärungsempfänger nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte
verstehen musste. Bei der Auslegung dürfen nur solche Umstände berücksichtigt werden,
die bei Zugang der Erklärung dem Empfänger bekannt oder für ihn erkennbar waren. Auf
seinen „Horizont“ und seine Verständnismöglichkeit ist die Auslegung abzustellen. Der
Empfänger darf der Erklärung allerdings nicht ohne weiteres den für ihn günstigsten Sinn
beilegen. Er ist nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung aller ihm erkennbaren
Umstände verpflichtet, mit gehöriger Aufmerksamkeit zu prüfen, was der Erklärende
gemeint hat. Entscheidend ist der durch normative Auslegung zu ermittelnde objektive
Erklärungswert seines Verhaltens. (vgl. Palandt/Ellenberger, BGB, 72. Auflage, § 133, Rn.
9 mit weiteren Nachweisen).
Hiervon ausgehend musste die Beklagte das Angebot der Klägerin im Schreiben vom
25.02.2008 seinem Wortsinn entsprechend so verstehen, dass ein Pauschalpreis von
410.000 Euro netto mit den Modifizierungen im zweiten Absatz des Schreibens
angeboten wurde und eine Einschränkung des Pauschalpreises nach den weiter
geltenden Bedingungen des Schreibens vom 13.02.2008, insbesondere des Vorbehalts
bezüglich der Bewehrungsmengen, gewollt war. Nachdem die Klägerin seit ihrem ersten
Angebot vom 06.01.2008 durchgängig daran festgehalten hatte, dass Bewehrungsmehr-
bzw. -mindermengen abgerechnet werden sollten, und da die Beklagte wissen musste,
dass der Klägerin auch am 25.02.2008 die für die genaue Berechnung der Stahlmengen
erforderlichen Bewehrungspläne noch nicht vorlagen, sprach für die in der Baubranche
erfahrene Beklagte bei der gebotenen Aufmerksamkeit bei Annahme des Angebots vom
25.02.2008 alles dafür, dass der Pauschalpreis entsprechend eingeschränkt sein sollte.
Dies ergab sich auch daraus, dass die Klägerin in den Preisverhandlungen mit einer
Herabsetzung auf zunächst pauschal 420.000 Euro netto und sodann 410.000 Euro netto
der Beklagten zweimal entgegengekommen war, nachdem die Angebotssumme am
13.02.2008 noch 429.157,96 Euro netto betragen hatte. Es ist nichts dafür dargetan oder
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ersichtlich, dass die Klägerin darüber hinaus und abweichend vom Wortlaut des
Schreibens vom 25.02.2008 auch noch das Risiko der Mehrlieferung von
Bewehrungsstahl hätte übernehmen wollen. Insbesondere lässt sich eine dahingehende
Auslegung, die allein den Interessen der Beklagten entsprechen würde, nicht daraus
ableiten, dass der Klägerin am 25.02.2008 eine Statik vorlag, die nach dem Vortrag der
Beklagten eine Ermittlung der Bewehrungsmengen nach den üblichen
Berechnungsmodellen (nur) mit einer Genauigkeit von +/- 5 % hätten ermittelt werden
können. Denn danach bestand unstreitig und für die Beklagte erkennbar ohne die Vorlage
der Bewehrungspläne weiterhin eine nicht unerhebliche Unsicherheit, welche genauen
Bewehrungsmengen benötigt wurden, und war dementsprechend nach wie vor das
Interesse der Klägerin vorhanden, diesem Risiko durch den Vorbehalt einer
nachträglichen Stahlmengenberechnung Rechnung zu tragen.
Die von der Beklagten geltend gemachte Auslegung der betroffenen Bedingungen vom
13.02.2008 für den Fall nachträglicher Leistungsänderungen erscheint wenig sinnvoll,
weil in einem derartigen Fall auf Grund der Einbeziehung der VOB/B in den Vertrag der
Parteien eine Anpassung der Vergütung schon gemäß § 2 Nr. 7 VOB/B in Betracht
gekommen wäre.
2. Ein Schadensersatzanspruch der Beklagten, den diese hilfsweise der Klagforderung in
gleicher Höhe entgegenhält, besteht jedenfalls deshalb nicht, weil die Beklagte auch in
zweiter Instanz nicht dargelegt und bewiesen hat, dass die der Klägerin vorgeworfene
Pflichtverletzung für den geltend gemachten Schaden ursächlich war. Zum einen trägt die
Klägerin unwiderlegt vor, dass sie nicht bereit gewesen wäre, die wesentlich größeren
Stahlmengen zu demselben Preis zu liefern und einzubauen. Dass dies auch der
allgemeinen Lebenswahrscheinlichkeit nicht entsprechen würde, sei nur am Rande
erwähnt. Zum anderen sind die von der Beklagten herangezogenen abweichenden
Vertragskonstellationen für die Kausalität ohne Bedeutung. Denn es kam der Beklagten
allem Anschein nach gerade darauf an, nur einen Vertragspartner für die Fertigung,
Lieferung und den Einbau der Stahlbetonfertigteile zu haben. Die Beklagte hat
demgegenüber nicht bewiesen, dass dieses Interesse entfallen wäre, wenn sie bei
Vertragsschluss mit der Nachberechnung der Stahlmehrmengen gerechnet hätte.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711 S. 1 und 2 ZPO.
Die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 S. 1 ZPO für die Zulassung der Revision sind
nicht erfüllt.