Urteil des OLG Frankfurt vom 20.03.1985
OLG Frankfurt: unterhalt, einzelrichter, arbeitslosigkeit, umschulung, bruttoeinkünfte, datum, daten, scheidung, auflage, unterlassen
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Gericht:
OLG Frankfurt 1.
Senat für
Familiensachen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
1 UF 205/84
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
§ 1575 BGB
Nachehelicher Ausbildungsunterhalt
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts –
Familiengericht – Darmstadt vom 14.5.1984/1.6.1984 abgeändert:
Die Klage auf nachehelichen Unterhalt wird – soweit sie nicht schon
abgewiesen worden ist – auch im übrigen abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des gesamten Rechtsstreits.
Wert: 3.600,– DM (300,– DM x 12).
Tatbestand
Die Parteien sind geschiedene Eheleute. Auf die Klage der Ehefrau hat das
Amtsgericht den Beklagten zur Zahlung eines nachehelichen Unterhaltes von
300,– DM monatlich für die Zeit ab 1.8.1983 verurteilt, im übrigen hat es die Klage
abgewiesen.
Hiergegen hat der Beklagte form- und fristgerecht Berufung mit dem Antrag
eingelegt,
die Klage auf nachehelichen Unterhalt insgesamt abzuweisen.
Die Klägerin bittet um Rückweisung des Rechtsmittels.
Der Einzelrichter hat den Parteien verschiedene Auflagen gemacht, die Akten 55 F
959/81 zu Informationszwecken beigezogen und den Beklagten in der mündlichen
Verhandlung vom 27.2.1985, zu der die Klägerin wegen der Teilnahme an
Inszenierungsarbeiten nicht erschienen war, persönlich angehört. Die Klägerin
hatte Gelegenheit, zu dem Anhörungsprotokoll Stellung zu nehmen, was sie mit
Schriftsatz vom 18.3.1985 auch tat.
Die Parteien haben sich mit einer Endentscheidung des Rechtsstreits durch den
Berichterstatter als Einzelrichter einverstanden erklärt.
Im übrigen wird von der weiteren Darstellung des Sach- und Streitstandes gemäß
§ 543 Abs. 1 ZPO abgesehen und auf den gesamten Akteninhalt Bezug
genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung des Beklagten ist zulässig (§§ 511, 516, 519 ZPO). Da der
Verkündungsvermerk auf dem angefochtenen Urteil von dem Vermerk auf den
zugestellten Urteilsausfertigungen im Datum abweicht, war es um der
erforderlichen Rechtsklarheit willen angebracht, beide Daten in den vorstehenden
Urteilstenor aufzunehmen.
Die Berufung des Beklagten hat auch in der Sache selbst Erfolg, weswegen die
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Die Berufung des Beklagten hat auch in der Sache selbst Erfolg, weswegen die
Klage auf nachehelichen Unterhalt insgesamt abzuweisen war: Ein nachehelicher
Unterhaltsanspruch besteht weder dem Grunde noch der Höhe nach.
Zu Recht weist der Beklagte darauf hin, daß aus dem angefochtenen Urteil nicht
zu ersehen ist, auf welche konkrete Anspruchsgrundlage das Amtsgericht die
Verurteilung zur Zahlung von nachehelichem Unterhalt stützt. Wie sich aus § 1569
BGB ergibt, hat nach der Scheidung einer Ehe jeder Ehegatte auch in
wirtschaftlicher Hinsicht für sich selbst zu sorgen (Grundsatz der
Eigenverantwortlichkeit), es sei denn, es liegt ein Ausnahmetatbestand im Sinne
der §§ 1570 ff. BGB vor (nacheheliche Mitverantwortung). § 1570 BGB ist
vorliegend nicht gegeben, denn die Klägerin betreut keine gemeinsamen Kinder
der Parteien; § 1571 ist nicht gegeben, denn die Klägerin ist Mitdreißigerin, also
noch nicht alt im Sinne dieser Vorschrift; § 1572 ist nicht gegeben, denn die
Klägerin ist weder krank noch gebrechlich, vielmehr ist sie voll arbeitsfähig, wie ihr
Studium und ihre Nebenjobs zeigen; § 1573 BGB ist nicht gegeben, denn die
Klägerin hat sich bisher nicht um eine angemessene Ganztagserwerbstätigkeit
bemüht, vielmehr nur studiert und nebenher gejobbt; § 1576 ist nicht gegeben,
denn die Klägerin ist in jungen Jahren nach relativ kurzer, kinderloser Ehe
geschieden worden; bleibt § 1575 BGB: Unterhalt wegen Ausbildung, Fortbildung
oder Umschulung. Hierzu hat der vollbesetzte Senat in seinem Urteil vom
29.1.1982 in der Sache 1 UF 205 und 185/81 = 52 F 355/79 und 50 F 947/81
Amtsgericht Darmstadt u. a. ausgeführt: "An den Tatbestand des § 1575 Abs. 1
BGB sind jedoch strenge Anforderungen zu stellen ... Es müssen konkrete
Maßnahmen zur Verwirklichung des Berufszieles getroffen worden sein; geäußerte
Berufswünsche allein reichen nicht aus ... Von einer ernstlichen Studienabsicht, die
in Erwartung der Ehe oder während der Ehe aufgegeben wurde, kann daher nicht
ausgegangen werden ... Eine Umschulung oder Fortbildung zum Ausgleich
ehebedingter Nachteile im Beruf gemäß § 1575 Abs. 2 BGB strebt die
Antragstellerin ebenfalls nicht an."
Ein Blick in den Standardkommentar von Palandt-Diederichsen (44. Auflage, 1985,
Anmerkung 2 a und 3 zu § 1575 BGB) bestätigt diese Rechtsauffassung des
Senats. Dementsprechend hatte der erkennende Einzelrichter der Klägerin mit
Beschluß vom 10.9.1984 aufgegeben, die Voraussetzungen des § 1575 BGB näher
zu substantiieren und unter Beweis zu stellen. Hierauf hat der
Prozeßbevollmächtigte der Klägerin mit Schriftsatz vom 29.11.1984 erwidert: "Auf
den ersten Blick nicht ganz verständlich ist die Anregung des Senats im Beschluß
vom 10.9.1984 Ziff. 4 b, die Klägerin möge die Voraussetzungen des § 1575 BGB
näher substantiieren und unter Beweis stellen. Nach hiesiger Auffassung ist § 1575
BGB hier nicht einschlägig, weil die Klägerin weder in Erwartung der Ehe noch
während der Ehe eine Schul- und Berufsausbildung unterlassen oder abgebrochen
hat, sondern im Gegenteil vor und während der Ehe die Abendschule besuchte,
während der Ehe Abitur machte und anschließend und immer noch in der Ehezeit
ihr heutiges Studium aufnahm. Ich darf mir den Hinweis auf die
Protokollerklärungen vom 11.4.1984 erlauben, bitte aber den verehrten Senat um
einen weiteren Hinweis, wenn dennoch hierzu vorgetragen werden soll." Mit
Schriftsatz vom 18.3.1985 trägt die Klägerin vor, die Voraussetzungen des § 1575
Abs. 1 BGB seien gegeben.
Es kann dahinstehen, ob die Klägerin mit der Forderung nach Ausbildungsunterhalt
einen ehebedingten Nachteil ausgleicht (dies mag im Hinblick auf ihren jüngsten
Schriftsatz offen bleiben), jedenfalls fehlen in ihrem Vortrag und in den
Ausführungen des Amtsgerichts detaillierte Angaben dazu, daß sie mit dem
angestrebten "Studienziel Magister" "eine angemessene Erwerbstätigkeit, die den
Unterhalt nachhaltig sichert, zu erlangen" vermag. In Anbetracht der bekannten,
sich schon seit Jahren abzeichnenden und immer mehr zunehmenden
Arbeitslosigkeit der Jung-Akademiker (vgl. etwa den SPIEGEL-Bericht 1985 Nr. 12,
Seite 77) bedeutet die Aufnahme eines, insbesondere geisteswissenschaftlichen
Studiums ein Risiko, das dem anderen, geschiedenen Ehegatten ganz oder
teilweise nur dann aufgebürdet werden darf, wenn auch greifbar realistische
Chancen bestehen, daß der klagende Ehegatte nach Abschluß seines Studiums
und eines etwaigen Praktikums volle wirtschaftliche Selbständigkeit erlangt
(andernfalls der sog. Aufstockungsunterhalt des § 1573 BGB vorzuziehen ist). Wie
realistisch ihre Berufswünsche bzw. -chancen sind, hat die Klägerin trotz
Aufforderung in dem Beschluß vom 10.9.1984 nicht aufgezeigt: das geht
entsprechend der Ausnahmeregel des § 1575 BGB zu ihren Lasten.
Selbst wenn man eine Anspruchsgrundlage zugunsten der Klägerin annähme,
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Selbst wenn man eine Anspruchsgrundlage zugunsten der Klägerin annähme,
wäre ein Unterhaltsanspruch aber auch der Höhe nach nicht gegeben: Außer
seiner Klavierlehrertätigkeit hat der Beklagte keine weiteren Einkünfte, wie er
glaubhaft unter Bezugnahme auf die Steuerbescheide der Parteien klargestellt
hat. Nicht intersubjektiv nachvollziehbar ist die Auffassung des Amtsgerichts, der
Beklagte könne aufgrund seiner Tätigkeit und seines Könnens als Klavierlehrer
über höhere durchschnittliche monatliche Einkünfte verfügen, und zwar in Höhe
von monatlich etwa 3.000,– DM (gemeint ist wohl netto). Dem stehen bereits die
von der Klägerin mitunterschriebenen Steuererklärungen der Parteien für 1981
und 1982 gegenüber; denn gemäß dem gemeinsamen Steuerbescheid für 1981
hatte man Bruttoeinkünfte aus selbständiger Tätigkeit in Höhe von 13.500,– DM
oder monatlich 1.125,– DM, und gemäß gemeinsamem Steuerbescheid für 1982
hatte man Bruttoeinkünfte aus selbständiger Tätigkeit in Höhe von 14.400,– DM
oder monatlich 1.200,– DM. Von diesen Beträgen gehen noch die Steuern,
Sozialversicherungsbeiträge, Werbungskosten etc. ab. Wenn die Klägerin
demgegenüber vorgetragen hat, der Beklagte habe monatlich 3.000,– DM an
Einkünften, dann muß sie irgendwo die Unwahrheit gesagt haben. Jedenfalls muß
die Klägerin sich zunächst an ihre eigene Unterschrift gegenüber dem Finanzamt
halten lassen und kann nun nicht plötzlich an einem angeblich mehr als doppelt so
hohen Einkommen des Beklagten teilhaben wollen, was sie früher selbst nicht in
dieser Höhe für gegeben erachtet hatte (Verbot des Selbstwiderspruchs: §§ 157,
242 BGB). Bei diesem Sachverhalt hatte das Amtsgericht nicht genügend
Anhaltspunkte im Sinne des § 287 ZPO, die es rechtfertigen, dem Beklagten ein
monatliches Einkommen von etwa 3.000,– DM zu unterstellen. Im übrigen hat das
Amtsgericht auch nicht aufgezeigt, wie ein selbständiger Klavierlehrer in der
heutigen Zeit größerer Arbeitslosigkeit und größerer Sparsamkeit, aber auch
größerer Konkurrenz sein Einkommen mehr als verdoppeln könnte – ganz
abgesehen von der Frage, ob dies dann noch den ehelichen Lebensverhältnissen
im Sinne des § 1578 Abs. 1 S. 1 BGB entspräche, an denen allein teilzuhaben die
Klägerin allenfalls einen Anspruch hätte.
Auch soweit das Amtsgericht anhand konkreter Schülerzahlen und eines
bestimmten Stundensatzes ein "monatliches Einkommen des Beklagten in Höhe
von 2.000,– DM errechne(t)", ist übersehen worden, daß es sich auch insoweit nur
um einen Bruttobetrag handelt, der um die bereits genannten Abzugsposten zu
bereinigen ist: erst an den Saldo hätte die weitere Unterhaltsberechnung
anzuknüpfen.
Schließlich hat das Amtsgericht auch nicht berücksichtigt, daß der Beklagte wieder
verheiratet ist, seine neue Ehefrau kein nennenswertes Einkommen hat und aus
dieser Verbindung im August 1983 ein Kind hervorgegangen ist, der Beklagte sich
also weiteren Unterhaltsverbindlichkeiten gegenübersieht. Geht man von den
Steuerbescheiden und den angeblichen Schülerzahlen und Stundensätzen aus
und schreibt man diese für die gegenwärtige Zeit in etwa fort (§ 287 ZPO), so
ergibt sich, daß der Beklagte bereinigte Nettoeinkünfte von jeweils unter dem
großen Selbstbehalt liegend hatte und hat (1982 bis Ende 1984: 1.200,– DM
monatlich, ab dem 1.1.1985 1.300,– DM monatlich: Senat in FamRZ 1984, 1072),
also nicht leistungsfähig im Sinne des § 1581 BGB ist.
Die Nebenentscheidungen dieses Urteils beruhen auf §§ 3, 91 ZPO, 17 GKG.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.