Urteil des OLG Frankfurt vom 18.05.2010
OLG Frankfurt: verfügung von todes wegen, zwischenverfügung, grundbuchamt, erbschein, nacherbschaft, nachlassgericht, genehmigung, testament, beschränkung, erbrecht
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Gericht:
OLG Frankfurt 20.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
20 W 138/10
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 18 GBO, § 35 GBO, § 2100
BGB, § 2365 BGB
Leitsatz
1. Das Grundbuchamt ist grundsätzlich zur Überprüfung der materiell-rechtlichen
Richtigkeit eines Erbscheins nicht berechtigt.
2. Eine Eintragung der Erbfolge kann nicht mittels Zwischenverfügung von der Vorlage
eines berichtigten Erbscheins abhängig gemacht werden, weil das Grundbuchamt das
dem Erbschein zu Grunde liegende Testament so auslegt, dass wirksam eine
Nacherbfolge angeordnet sei, während der Erbschein keine Beschränkung der Erben
durch Anordnung einer Nacherbschaft enthält.
Tenor
Die angefochtene Zwischenverfügung wird aufgehoben.
Gründe
Der derzeitig noch als Eigentümer des betroffenen Grundstücks eingetragene A ist
am --.--.2008 ledig und kinderlos verstorben. Er hatte am 15.07.2001 ein
privatschriftliches Testament errichtet, in dem er einzelne
Vermögensgegenstände seiner Lebensgefährtin und seinen vier Geschwistern,
den Antragstellern zu 2)- 5) zugewendet hatte, so den Antragstellern zu 4) und 5)
das betroffene Hausgrundgrundstück zu gleichen Teilen, und dem Antragsteller zu
3) gestattet hatte, eine Wohnung anzubauen. Die Antragstellerin zu 1) - seine
minderjährige Nichte- hatte er zur Nacherbin "des gesamten Anwesens"
bestimmt. Wegen der Einzelheiten wird auf Blatt 5 der Nachlassakte 6 IV 340/08/ 6
VI 368/09 des Amtsgericht Fürth/Odenwald Bezug genommen. Dieses erteilte am
15.12.2009 den Antragstellern zu 2)- 5) einen gemeinschaftlichen Erbschein,
wonach sie Erben zu je ¼ Anteil nach A geworden sind (Bl. 74 der Nachlassakte).
Die Antragsteller und die Lebensgefährtin des Erblassers schlossen am
28.08.2009 zu UR-Nr. .../2009 des Verfahrensbevollmächtigten eine
Auslegungsvereinbarung, für deren Inhalt auf Bl. 47 ff der Nachlassakten Bezug
genommen wird. Darin wird unter IV bewilligt und beantragt, das betroffene
Grundbuch durch Eintragung der Antragsteller zu 2) – 5) in Erbengemeinschaft zu
berichtigen und die vereinbarte Auseinandersetzung hinsichtlich des betroffenen
Grundstücks dahingehend, dass die Antragsteller zu 4) und 5) Miteigentümer zu je
½ werden, im Grundbuch zu vollziehen. Ferner wurde unter IV d) der Urkunde die
Eintragung einer Auflassungsvormerkung zu Gunsten der Antragstellerin zu 1)
bewilligt und beantragt. Mit Schriftsatz des Verfahrensbevollmächtigten der
Antragsteller vom 14.01.2010 (Bl 5/6 ff der Grundakten) sind die
Grundbuchberichtigung - soweit erforderlich -, die Eigentumsumschreibung und die
Eintragung der Auflassungsvormerkung zu Gunsten der Antragstellerin zu 1) sowie
die Löschung von Rechten in Abt. II beantragt worden.
Durch Zwischenverfügung vom 06.04.2010 hat die Grundbuchrechtspflegerin die
Vorlage eines hinsichtlich der Anordnung einer Nacherbschaft zu Gunsten der
Antragstellerin zu 1) berichtigten Erbscheins verlangt und ausgeführt, es fehle ein
Verzicht der für die Antragstellerin zu 1) handelnden Ergänzungspflegerin auf die
Eintragung des Nacherbenvermerks, ebenso eine entsprechende
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Eintragung des Nacherbenvermerks, ebenso eine entsprechende
familiengerichtliche Genehmigung. Nach Vorlage des berichtigten Erbscheins
könne die Grundbuchberichtigung mit Eintragung des Nacherbenvermerks
erfolgen und danach die Eigentumsumschreibung sowie die
Auflassungsvormerkung zu Gunsten der Antragstellerin zu 1) eingetragen werden.
Falls dann die Löschung des Nacherbenvermerks gewünscht werde, sei noch die
Löschungsbewilligung der Ergänzungspflegerin nebst rechtskräftiger
familienrechtlicher Genehmigung einzureichen.
Dagegen richtet sich die als Erinnerung bezeichnete Beschwerde der Antragsteller,
mit der geltend gemacht wird, es bedürfe nicht der Vorlage eines berichtigten
Erbscheins, da der vorliegende Erbschein unter Berücksichtigung der
Auslegungsvereinbarung der Beteiligten nicht zu beanstanden sei. Da eine
Einsetzung eines Erben, auch eines Nacherben, hinsichtlich einzelner
Vermögensgegenstände nicht möglich sei, sei die Nacherbfolge nicht in den
Erbschein aufzunehmen gewesen und kein Raum für die Eintragung eines
Nacherbenvermerks im Grundbuch. Gerade im Hinblick auf die fehlende Grundlage
für die Eintragung eines Nacherbenvermerks sei die Sicherung der Antragstellerin
zu 1) durch die Eintragung eines Auflassungsvermerks vereinbart worden.
Die Grundbuchrechtspflegerin hat mit Beschluss vom 20.04.2010 der Erinnerung
nicht abgeholfen unter Hinweis darauf, dass die Immobilie den wesentlichen Teil
des Nachlassvermögens darstelle und über § 2120 Abs. 2 BGB die Nacherbfolge
Inhalt des Erbscheins sein könne.
Auch gegen den Nichtabhilfebeschluss haben die Antragsteller Rechtsmittel
eingelegt und u. a. vorgetragen, dass Grundbuchamt dürfe sich nicht über den zu
Recht erteilten Erbschein und die familiengerichtlichen Genehmigung
hinwegsetzen.
Die Beschwerde - nach Abschaffung der Durchgriffserinnerung durch Gesetz vom
06.08.1998 (BGBl I 2030) gilt § 75 GBO auch für die Beschwerde gegen eine
Entscheidung des Rechtspflegers (§ 11 Abs. 1 RpflegerG) -, über die gemäß §§ 72,
75 GBO nach erfolgter Nichtabhilfeentscheidung der Rechtspflegerin das
Oberlandesgericht zu entscheiden hat, ist zulässig und führt in der Sache auch
zum Erfolg. Dagegen ist eine selbständige Anfechtung der
Nichtabhilfeentscheidung nicht zulässig und nicht gesondert zu bescheiden
(BayObLG FGPrax 2003, 199; Demharter: GBO, 27. Aufl., § 75, Rdnr. 13).
Die angefochtene Zwischenverfügung, durch die die beantragten Eintragungen
von der Vorlage eines im Hinblick auf eine Nacherbschaft der Antragstellerin zu 1)
berichtigten Erbscheins abhängig gemacht worden sind, kann keinen Bestand
haben.
Die Rechtspflegerin hat nicht berücksichtigt, dass die Vermutung der Richtigkeit
des vorliegenden Erbscheins gemäß § 2365 GBO auch für das Grundbuchverfahren
gilt. Ist im Erbschein keine Beschränkung aufgeführt, gilt der Erbe als in seinen
Verfügungen nicht durch Anordnungen des Erblassers - wobei nur
Testamentsvollstreckung, Nacherbfolge und Ersatznacherbfolge in Frage kommen
- beschränkt (Palandt/Edenhofer: BGB, 69. Aufl., § 2365, Rdnr. 1 und 2).
Das Grundbuchamt hat bei Eintragungen auf Grund Erbscheins diesen lediglich
darauf zu überprüfen, ob er von der sachlich zuständigen Stelle ausgestellt worden
ist und das Erbrecht formell unzweideutig bezeugt. Weitere Prüfungen stehen dem
Grundbuchamt grundsätzlich nicht zu, gleichgültig, ob es um die Formgültigkeit
der Verfügung von Todes wegen, deren Auslegung oder die Beurteilung sonstiger
Tatsachen geht. Nach absolut h. M. (vgl. Schöner/Stöber: Grundbuchrecht, 14.
Aufl., Rdnr. 784 und Fußnote 12) liegt die Verantwortung für die Feststellung des
Erbrechts und die Richtigkeit des Erbscheins ausschließlich beim Nachlassgericht.
Auf formelle Mängel des Erbscheins vom 15.12. 2009 ist die angefochtene
Zwischenverfügung nicht gestützt worden, sondern die Rechtspflegerin geht
offenbar, ohne dies im Einzelnen zu begründen, von einer wirksamen
Nacherbeneinsetzung der Antragstellerin zu 1) in dem Testament vom 15.07.2001
aus. Nach bereits vom Kammergericht begründeter ständiger Rechtsprechung ist
das Grundbuchamt wegen der durch das Gesetz festgelegten funktionellen
Aufgabenverteilung zwischen Nachlassgericht und Grundbuchamt aber auch nicht
berechtigt, kraft eigener, dem Inhalt des Erbscheins widersprechender Auslegung
des zu Grunde liegenden Testaments den Erbschein zum Nachweis der Erbfolge
für ungenügend zu erklären (Meikel/Roth: Grundbuchrecht, 10. Aufl., § 35, Rdnr. 77
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für ungenügend zu erklären (Meikel/Roth: Grundbuchrecht, 10. Aufl., § 35, Rdnr. 77
und Hinweise in Fußn. 135, 136).
Auf eine Fallgestaltung, für die die Richtigkeitsvermutung des § 2365 BGB
möglicherweise nicht gelten würde, so bei positiver Kenntnis des Grundbuchamts
von der Einziehung oder Kraftloserklärung, offenbaren inhaltlichen Unrichtigkeiten
des Erbscheins oder Verstößen gegen eine gefestigte Rechtsauffassung ist die
Zwischenverfügung nicht gestützt worden. Davon abgesehen wird für diese Fälle,
wie auch bei Bekanntwerden neuer, bei Erbscheinserteilung vom Nachlassgericht
nicht berücksichtigter Tatsachen, welche die materielle Unrichtigkeit des
Erbscheins erweisen könnten, die Auffassung vertreten, dass das Grundbuchamt
eine Überprüfung durch das Nachlassgericht anzuregen hat und nicht mittels
Zwischenverfügung die Bindungsproblematik auf die Beteiligten abwälzen darf (vgl.
Meikel/Roth, aaO., Rdnr. 90, 91; Kuntze/Ertl/Herrmann/Eickmann: Grundbuchrecht,
6. Aufl., § 35, Rdnr. 49- 56).
Auf Grund der Bindung des Grundbuchamts an den Erbschein vom 15.12.2009, die
keine Beschränkung der Antragsteller zu 2) -5) durch Anordnung einer
Nacherbschaft enthält, fehlt auch die Grundlage für die in der angefochtenen
Zwischenverfügung an das Bestehen einer Nacherbschaft geknüpften weiteren
Eintragungshindernisse. Die Zwischenverfügung war deshalb in vollem Umfang
aufzuheben.
Da Gegenstand der Beschwerde gegen eine Zwischenverfügung aber lediglich das
darin aufgeführte Eintragungshindernis, nicht jedoch die Entscheidung über den
Eintragungsantrag selbst ist (OLG Hamm Rpfleger 2002, 353; Demharter: GBO,
27. Aufl., § 71, Rdnr. 34), kann über die Aufhebung der Zwischenverfügung hinaus
keine Anweisung zur Eintragung ergehen.
Das Grundbuchamt hat vielmehr über die Anträge vom 14.01.2010 erneut unter
Bindung an die Rechtsauffassung des Senats zu entscheiden.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.