Urteil des OLG Frankfurt vom 11.01.2006
OLG Frankfurt: körperliche untersuchung, unrichtige angabe, diagnose, bedingter vorsatz, zeugnis, unrichtigkeit, gespräch, befund, meinung, dokumentation
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Gericht:
OLG Frankfurt 1.
Strafsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
1 Ss 24/05
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Norm:
§ 278 StGB
(Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse: Ärztliche
Untersuchung keine zwingende Voraussetzung eines
Gesundheitszeugnisses; unschädlicher Fehler eines
Gesundheitszeugnisses mangels Erheblichkeit)
Tenor
Das angefochtene Urteil aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten
der Revision, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Frankfurt am
Main zurückverwiesen.
Gründe
Das Amtsgericht Frankfurt am Main hat den Angeklagten wegen Ausstellens eines
unrichtigen Gesundheitszeugnisses in Tateinheit mit einem Verstoß gegen § 92
Abs. 2 Nr. 2 AuslG zu einer Geldstrafe von 75 Tagessätzen in Höhe von 60,- Euro
verurteilt.
Die dagegen gerichtete Berufung des Angeklagten wurde mit Urteil des
Landgerichts Frankfurt am Main vom 08.10.2004 verworfen.
Das Landgericht hat unter anderem folgendes festgestellt:
"Noch vor dem 17.04.2001 war ihr Visum abgelaufen, so dass A sich seitdem
illegal in der Bundesrepublik aufhielt. Ihr Zuhälter war zu dieser Zeit der sog. "B".
Dieser teilte A mit, dass er einen Weg wisse, ihren Aufenthalt in der
Bundesrepublik ausländerrechtlich scheinbar korrekt zu verlängern; ihr Vorteil sei
dabei die Verdienstmöglichkeiten in dieser Verlängerungszeit. Der Weg bestehe
darin, dass ein ihm bekannter Rechtsanwalt für A einen Verlängerungsantrag bei
dem Ausländeramt mit unrichtigen Eintragungen etwa zum Vermögen und zum
Grund des Aufenthalts stelle; außerdem würde das unrichtige Attest eines Arztes
beigefügt, wonach A krank und nicht reisefähig sei.
A war mit diesem Vorgehen einverstanden. Sie machte sich diesen Weg zu ihrer
Sache, sie informierte sich über die Symptome der nicht sofort durchschaubaren
Krankheit eines LWS-Syndroms, deren Darstellung sie auch einübte.
Der "B" brachte sie daraufhin in die Praxis des Angeklagten. Da A nicht Deutsch
spricht, führte der "B" das Gespräch sowohl mit der am Empfang sitzenden
Sprechstundengehilfin C als auch mit dem Angeklagten. Der Angeklagte kannte
weder A noch den "B".
A hatte weder eine private noch eine gesetzliche Krankenversicherung. Sie war am
17.04.2001 nicht krank. Ihr ging es bei dem Besuch darum, das Attest zu erhalten,
um bei dem Ausländeramt ihre fehlende Reisefähigkeit zu belegen.
Der "B" erklärte – nach Absprache mit A – dem Angeklagten, dass bei A
Schmerzen vorlägen, die auf ein LWS-Syndrom hinweisen. Der Angeklagte nahm
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Schmerzen vorlägen, die auf ein LWS-Syndrom hinweisen. Der Angeklagte nahm
keine körperlichen Untersuchungen bei A vor, so dass es Symptome nicht
simulieren musste; er richtete auch keine ergänzenden Fragen – über den "B" – an
sie. Er setzte nach einem kurzen Gespräch mit dem "B" ein Attest auf, druckte es
aus, unterschrieb es und gab es dem "B" in die Hand.
Das Attest lautete unter dem Datum 17.04.2001:
"Ärztliches Attest zur Vorlage bei der Ausländerbehörde
O.g. Patientin ist seit Montag, den 09.04.01 in meiner schmerztherapeutischen
Behandlung.
Diagnosen Akutes LWS-Syndrom ICD 10 M54.4, mit pseudoradikulärem Syndrom
L5 und Wirbelblockaden ICD10 M99.0
Sie ist wegen o.g. Diagnosen und der laufenden Behandlung derzeit und für
weitere 10 Tage nicht reisefähig."
Dieses Attest war, was der Angeklagte wusste, unrichtig. A war nicht seit
09.04.2001 in therapeutischer Behandlung bei dem Angeklagten. Sie war am
17.04.2001 das erste Mal in der Praxis. Die Diagnose des Angeklagten beruhte
allein auf dem kurzen Gespräch mit dem "Bs". Dem Angeklagten war die
Richtigkeit der Erklärung des "B" so gleichgültig, dass er auch mit deren
Unrichtigkeit der Diagnose einverstanden war. Anhaltspunkte dafür zu gewinnen,
dass er auf die Richtigkeit der Erklärungen des "B" vertrauen könne, hielt er nicht
für erforderlich. Er überprüfte nicht durch Nachfragen die Plausibilität der
Erklärungen. Er unterrichtete sich nicht über eine Krankenvorgeschichte, die bisher
erfolgten Diagnosen und Behandlungen."
Zur Einlassung des Angeklagten hat das Landgericht folgendes ausgeführt:
"Der Angeklagte hat angegeben, A, die er bei ihrer Vernehmung in der
Berufungshauptverhandlung wiedererkannte habe, sei an den im Attest genannten
Daten am 09. und am 17.04.2001 in Begleitung eines ihm unbekannten Herren in
seiner Praxis gewesen. Auch A, die er als O1 erkannte habe, sei ihm vor den
Praxisbesuchen unbekannt gewesen. Eine Krankenversicherung oder sonstige
Zahlungszusage für die Behandlungskosten habe nicht bestanden. Er sei aber aus
seinem berufsethischen Verständnis auch bereit, jedenfalls in einem Notfall – wie
hier – einen Patienten ohne Geld zu behandeln. Bei dem ersten Gespräch habe
der Begleiter von A erklärt, dass diese starke Schmerzen, so wie später attestiert,
habe; mit A selber habe er nicht geredet, weil sie die deutsche und er die O1
Sprache nicht spräche. In Fällen wie den bei A gegebenen müsse er sich auf die
Angaben der Patienten verlassen. Über den persönlichen und vermögensmäßigen
Hintergrund von Frau A und ihres Begleiters, über die aktuelle Einnahme von
Medikamenten sowie sonstige Krankheiten habe er sich nicht unterrichtet, er sehe
dies im Rahmen der hier angezeigten Behandlung auch nicht als notwendig an. Da
A in keiner Krankenkasse war, habe er auch keine Dokumentation über das
Behandlungsgespräch gefertigt. Die Therapie habe zunächst in einem Zuwarten
bestanden, wie die Schmerzen sich entwickeln. In Fällen wie dem vorliegenden
komme es üblicherweise dann nach wenigen Tagen zu einem zweiten Gespräch.
Sollte sich der Zustand dann noch nicht gebessert haben, sei jetzt eine intensivere
Auseinandersetzung mit dem Patienten geboten. Im vorliegenden Fall sei zwar die
Patientin erneut erschienen, sie habe allerdings lediglich das Attest gewollt und sei
zu einem eingehenderen Behandlungsgespräch nicht bereit gewesen. Das in der
Berufungshauptverhandlung verlesene Attest habe er ausgestellt; es sei
medizinisch zutreffend."
Gegen dieses Urteil richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte und in
gleicher Weise begründete Revision des Angeklagten.
Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg.
Die Feststellungen tragen den Schuldspruch nicht.
Danach hat der Angeklagte der Zeugin A ein akutes LWS-Syndrom mit
pseudoradikulären Syndrom und Wirbelblockaden attestiert, obwohl diese nicht
krank war. Insoweit fehlt es an den erforderlichen Feststellungen zur inneren
Tatseite.
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Für den subjektiven Tatbestand verlangt das Gesetz Handeln wider besseres
Wissens. Damit ist bedingter Vorsatz bezüglich der Unrichtigkeit des Inhalts des
Gesundheitszeugnisses ausgeschlossen (Schönke/Schröder-Cramer § 278 Rdnr.
6). Das landgerichtliche Urteil stellt fest, dass der B – nach Absprache mit A –
erklärt habe, dass bei dieser Schmerzen vorliegen, die auf ein HWS-Syndrom
hinweisen (U.A. S. 5, 4. Absatz). A habe sich unter Vermittlung des "Bs" raffiniert
und sachkundig für krank erklärt (U.A. S. 18, 1. Absatz). Dem Angeklagten sei die
Richtigkeit der Erklärung des Bs so gleichgültig gewesen, dass er auch mit der
Unrichtigkeit der Diagnose einverstanden gewesen sei (U.A. S. 6, 1. Absatz). Diese
Feststellungen begründen keinen direkten Vorsatz hinsichtlich der Unrichtigkeit der
Diagnose. Sie legen vielmehr nahe, dass der Angeklagte die sachkundige
Täuschung infolge Fahrlässigkeit nicht erkannt haben könnte. Insoweit fehlt auch
die für die revisionsrechtliche Überprüfung erforderliche Darlegung der
tatsächlichen Grundlage. Es hätte der Darlegung der Angaben des "B" im
Einzelnen bedurft. Allerdings wusste der Angeklagte, dass er das Attest ohne
körperliche Untersuchung ausgestellt hatte. Auch das vermag indessen den
Schuldspruch nicht zu begründen.
Nach herrschender Meinung (BGHSt 10,157; BGHSt 6, 19; RG GA 43, 385; OLG
Frankfurt NJW 77, 2128; OLG München NJW 50, 796; OLG Düsseldorf MDR 57, 30;
OLG Zweibrücken JR 82, 294; Tröndle-Fischer, StGB, § 278 Rdnr. 2; Lackner, StGB,
§ 278 Rdnr. ; Schönke/Schröder-Cramer, StGB, § 278 Rdnr. 2; LK – Gribbohm § 278
Rdnr. 6) ist ein Gesundheitszeugnis nicht nur dann unrichtig, wenn eine unrichtige
Diagnose gestellt wurde, sondern auch dann, wenn es in irgendeinem wesentlichen
Punkt den Tatsachen widerspricht. Die Unrichtigkeit kann sich auf den Befund oder
die Beurteilung beziehen (BGHSt 10,157). Es kommt nicht darauf an, ob in dem
Zeugnis Angaben tatsächlicher oder gutachterlicher Art unrichtig sind (LR
Gribbohm a.a.O.). Nach diesen Grundsätzen liegt ein unrichtiges
Gesundheitszeugnis in der Regel auch dann vor, wenn ein Zeugnis über einen
Befund ausgestellt wird, ohne das eine Untersuchung stattgefunden hat (Tröndle-
Fischer a.a.O. m.w.N.).
Die Gegenauffassung (SK – Hoyer § 278 Rdnr. 2; NK – Puppe § 278 Rdnr. 2), die
unter Berufung auf den Wortlaut des § 278 StGB fordert, dass das
Gesundheitszeugnis eine unwahre Erklärung gerade auf den Gesundheitszustand
eines Menschen enthalten muss, überzeugt nicht.
Auch wenn der Wortlaut des § 278 StGB mehr für eine formale Interpretation dahin
zu sprechen scheint, dass ein unrichtiges Zeugnis nur dann vorliegt, wenn die
Diagnose den tatsächlichen Gegebenheiten widerspricht, ist der vom geschützten
Rechtsgut her erfolgenden teleologischen Auslegung, die dem Wortlaut des
Gesetzes keineswegs widerspricht, der Vorzug zu geben. § 278 StGB will die
Beweiskraft ärztlicher Zeugnisse für Behörden sichern (OLG München a.a.O.).
Nicht weil das Zeugnis üblicherweise eine zutreffende Diagnose enthält oder weil
der Arzt eine Diagnose mitteilt, von deren Richtigkeit er überzeugt ist, kommt dem
ärztlichen Zeugnis ein besonderer, strafrechtlich schutzwürdiger Beweiswert zu.
Dieser beruht vielmehr darauf, dass die in dem Zeugnis enthaltene Diagnose
jenen Befund wiedergibt, den eine für die Feststellung derartiger Befunde
sachverständige Person aufgrund ordnungsgemäßer, d. h. dem Fall
angemessener Unterrichtung, festgestellt hat (Anmerkung Otto JR 82, 296, 297).
In der Regel wird die ordnungsgemäße Unterrichtung eine körperliche
Untersuchung des Patienten erfordern. Es ist jedoch innerhalb der herrschenden
Meinung anerkannt, dass der Begriff der ärztlichen Untersuchung nicht in jedem
Fall eine körperliche Untersuchung oder persönliche Befragung des Patienten
voraussetzt (OLG Düsseldorf a.a.O.; Tröndle/Fischer a.a.O., LK – Gribbohm a.a.O.).
Es gibt Krankheitsfälle, in denen es sich entweder nach der Art der Erkrankung
oder der seelischen Verfassung des Patienten für den gewissenhaften Arzt
verbietet, eine körperliche Untersuchung oder eine persönliche Befragung des
Patienten vorzunehmen. In solchen Fällen genügt der Arzt der ihm obliegenden
Sorgfaltspflicht auch im Rahmen des § 278 StGB, wenn er vor der Ausstellung des
Gesundheitszeugnisses sich auf andere Weise zuverlässig über den
Gesundheitszustand des Patienten unterrichtet (OLG Düsseldorf a.a.O.).
Vorliegend hat sich der Angeklagte dahingehend eingelassen, dass er sich in
Fällen wie dem vorliegenden auf die Angabe der Patienten verlassen müsse. Er
habe sich über den persönlichen und vermögensmäßigen Hintergrund von Frau A
und ihres Begleiters, über deren Lebensumstände, über eine
Krankheitsvorgeschichte, über Vorbehandlungen, über die aktuelle Einnahme von
Medikamenten so wie sonstige Krankheiten nicht unterrichtet, da dies im Rahmen
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Medikamenten so wie sonstige Krankheiten nicht unterrichtet, da dies im Rahmen
der hier angezeigten Behandlung auch nicht als notwendig anzusehen sei. Die
Therapie habe zunächst in einem Zuwarten bestanden, wie die Schmerzen sich
entwickeln (U.A. S. 8). Aufgrund dieser – nicht widerlegten-Einlassung hätte das
Landgericht unter Hinzuziehung sachverständiger Hilfe feststellen müssen, ob sich
der Angeklagte allein aufgrund der geschilderten Symptome ein zuverlässiges Bild
von der Erkrankung der Zeugin machen konnte. Sollte dies nicht der Fall sein,
hätte festgestellt werden müssen, welche Untersuchung der Angeklagte nach den
Regeln der ärztlichen Kunst hätte vornehmen müssen.
Nach den dargestellten Grundsätzen ist es für das Vorliegen eines unrichtigen
Gesundheitszeugnisses auch nicht ausreichend, dass das Landgericht feststellt,
dass die Zeugin A nicht seit dem 09.04.2001 in schmerztherapeutischer
Behandlung war, sondern am 17.04.2001 das erste Mal in der Praxis war. Zwar ist
das Gesundheitszeugnis insoweit unrichtig. Jedoch hat bereits das Reichsgericht
entschieden, dass die unrichtige Angabe tatsächlicher Art einen wesentlichen
Bestandteil des Zeugnisses bilden, also für die gutachterliche Beurteilung
erheblich sein muss, was von den Umständen des Einzelfalls abhängt ( und bei
deren Berücksichtigung im entschiedenen Fall für die unrichtige Angabe der Zeit
der vorgenommenen Untersuchung bejaht wurde( RG GA 34, 385). In Fortführung
dieser Rechtsprechung hat auch der BGH (BGHSt 10, 157) klargestellt, dass nicht
jede unrichtige Angabe unter § 278 StGB fällt. Hinzukommen muss vielmehr, dass
die tatsächliche Grundlage des Gutachtens einen erheblichen Fehler aufweist. Das
Landgericht hat vorliegend nicht festgestellt, dass die Zeitangabe wesentlicher
Bestandteil und erheblich für die gutachterliche Beurteilung war. Das aber hätte
vorliegend – gegebenenfalls auch unter Hinzuziehung sachverständiger Hilfe-
festgestellt werden müssen.
Der Schuldspruch wegen § 278 StGB kann daher keinen Bestand behalten. Das gilt
ebenso für den Schuldspruch wegen des Verstoßes gegen § 92 Abs.2 Nr.2
AuslG(der in der hier gegebenen Konstellation als das zur Tatzeit geltende Recht
Anwendung findet, weil § 95 Abs.1 AufenthaltsG nicht milder i. S. v. § 2 Abs. 2 StGB
ist), da Tateinheit vorliegt. Es wird auch insoweit die nähere Darlegung der
Angaben des "Bs" erforderlich sein.
Da bereits die Sachrüge durchgreift, bedürfen die erhobenen Verfahrensrügen
keiner Erörterung.
Das angefochtene Urteil ist mithin wegen des aufgezeigten Mangels aufzuheben
und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten
der Revision, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Frankfurt am
Main zurückzuverweisen (§§ 349 Abs. 4, 353, 354 Abs. 2 StPO).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.