Urteil des OLG Frankfurt vom 12.05.2005

OLG Frankfurt: unerfahrenheit, werbung, eltern, taschengeld, prämie, beeinflussung, erwerb, merchandising, verbraucher, transparenz

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Gericht:
OLG Frankfurt 6.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
6 U 24/05
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 3 UWG, § 4 Nr 2 UWG
(Wettbewerbsrechtliche Kontrolle einer an Kinder
gerichteten Werbeaktion: Verneinung der Ausnutzung
geschäftlicher Unerfahrenheit von Kindern bei "Milchtaler"-
Sammelaktion beim Süßigkeitenkauf zur Erlangung
kostenloser Kinokarten bzw. Film-Fanartikel)
Leitsatz
1. Nicht jede Werbung, die sich gezielt an Kinder und Jugendliche wendet, ist geeignet,
deren geschäftliche Unerfahrenheit auszunutzen.
2. Eine gezielt an Kinder gerichtete Wertreklame, die bestimmte Prämien im Rahmen
einer Sammelaktion verspricht, ist nicht generell unzulässig.
3. Für die Beurteilung, ob eine Sammelaktion die geschäftliche Unerfahrenheit von
Kindern ausnutzt, die mit ihrem Taschengeld in gewissem Umfang selbst wirtschaften,
ist die Transparenz des Angebots einschließlich der Werthaltigkeit der versprochenen
Zugaben von erheblicher Bedeutung.
Tenor
Die Berufung gegen das am 15.12.2004 verkündete Urteil der 12. Kammer für
Handelssachen des Landgerichts Frankfurt am Main wird auf Kosten der
Antragstellerin zurückgewiesen.
Das Urteil ist rechtskräftig.
Gründe
I.
Die Antragstellerin ist die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs. Die
Antragsgegnerin vertreibt Nahrungsmittel, insbesondere Süßwaren. Die Parteien
streiten über die wettbewerbsrechtliche Zulässigkeit der Werbeaktion „...“, die die
Antragsgegnerin im Oktober 2004 begann. Auf den Verpackungen verschiedener
Produkte der Antragsgegnerin wurden „...“ aufgedruckt, die ausgeschnitten und in
ein zugehöriges Sammelheft geklebt werden sollten. Die gesammelten „...“
konnten bei Erreichen einer bestimmten Anzahl eingetauscht werden gegen
Prämien im Kontext mit dem Film „X“. Dieser Film war für Kinder ab sechs Jahren
freigegeben; er lief ab dem 09.12.2004 in den deutschen Kinos an. Für 50 „...“
lobte die Antragsgegnerin eine Kinokarte aus. Daneben waren wahlweise für 50, 75
und 100 „...“ eine Tasse, eine Kappe, ein T-Shirt oder ein Handtuch erhältlich, die
jeweils mit Motiven aus dem genannten Film verziert waren. Für 75, 100 und 150
„...“ konnte der Einsender des Sammelheftes eine Kappe, ein Langarmshirt oder
einen Rucksack aus der „Kinder Sportswear Kollektion“ bekommen. Die Anzahl der
auf den Erzeugnissen der Antragsgegnerin aufgedruckten „...“ war je nach dem
Preis der Ware unterschiedlich; so befanden sich auf der Verpackung einer „Y“ ein
und auf der Verpackung einer „Z“ sechs „...“. Nach einer von der Antragsgegnerin
vorgelegten Aufstellung konnten 50 ... beispielsweise mit einem Kostenaufwand
von 25,47 EUR gesammelt werden. Die Sammelhefte konnten bis zum 31.03.2005
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von 25,47 EUR gesammelt werden. Die Sammelhefte konnten bis zum 31.03.2005
eingelöst werden.
Die Antragstellerin hat die Werbeaktion als wettbewerbswidrig beanstandet, weil
die Aktion geeignet sei, die geschäftliche Unerfahrenheit von Kindern auszunutzen
(§§ 3, 4 Nr. 2 UWG). Sie hat unter Bezugnahme auf die konkrete Verletzungsform
beantragt, der Antragsgegnerin die Ankündigung und/oder Durchführung einer
solchen Aktion zu untersagen. Das Landgericht hat den Eilantrag zurückgewiesen.
Gegen dieses Urteil, auf dessen tatsächliche Feststellungen gemäß § 540 Abs. 1
Nr. 1 ZPO Bezug genommen wird, wendet sich die Antragstellerin mit ihrer
Berufung, mit der sie ihren erstinstanzlichen Antrag weiterverfolgt.
II.
Die Berufung der Antragstellerin ist zulässig, hat in der Sache aber keinen Erfolg.
Festzuhalten ist vorab, dass die Antragstellerin bei der Begründung ihres
Unterlassungsbegehrens nicht zwischen den einzelnen Prämien differenziert und –
in Auseinandersetzung mit der Entscheidung des Landgerichts – die gesonderte
Bewertung eines „Teilbereichs Kinokarte“ ausdrücklich ablehnt. Dementsprechend
erfasst der Eilantrag, der unter Berücksichtigung der Antragsbegründung
auszulegen ist, nicht die mit der Prämie „Kinokarte“ verbundene Besonderheit,
dass der Erwerb dieser Prämie, unabhängig von der Laufzeit der Aktion insgesamt,
nur so lange lohnenswert ist, wie der Film in den Kinos läuft. Soweit jugendliche
Kunden ihr Augenmerk auf die Kinokarte richten und in den übrigen Prämien
keinen adäquaten Ersatz sehen, mögen sie sich bei dem Sammeln der „...“ unter
Zeitdruck fühlen, zumal im Vorhinein nicht feststeht, wie viele Wochen ein Film in
den Kinos zu sehen sein wird. Dieser auf eine der ausgelobten Prämien
beschränkte Gesichtspunkt ist aber, wie gesagt, nicht Gegenstand des
vorliegenden, auf grundsätzlichere Fragestellungen ausgerichteten, Verfahrens.
Das Landgericht hat einen Verstoß gegen §§ 3, 4 Nr. 2 UWG mit Recht verneint.
Die beanstandete Werbeaktion ist nicht geeignet, die geschäftliche Unerfahrenheit
von Kindern auszunutzen.
Die Vorschrift des § 4 Nr. 2 UWG ist hier anwendbar, da sich die Werbeaktion der
Antragsgegnerin gezielt (auch) an Kinder gerichtet hat. Auf mögliche
Werbewirkungen gegenüber Jugendlichen stellt die Antragstellerin erklärtermaßen
nicht ab. Auf der anderen Seite werden von kleineren Kindern, die noch kein
Taschengeld erhalten, keine eigenen Kaufentscheidungen getroffen. Somit geht es
– vorbehaltlich der später noch zu erörternden Frage, wie sich eine durch Werbung
ausgelöste Einflussnahme von Kindern auf die Kaufentscheidungen ihrer Eltern
wettbewerbsrechtlich auswirken kann – im vorliegenden Fall um das Verhalten von
Kindern, die Taschengeldempfänger sind und mit ihrem Taschengeld kleinere
Einkäufe wie den Erwerb von Süßigkeiten selbst bestreiten. Damit dürfte in etwa
die Altersgruppe der 8- bis 13-Jährigen angesprochen sein. Jedenfalls betrifft die
beanstandete Werbung unabhängig von einem bestimmten Mindestalter solche
Kinder, die mit ihrem Taschengeld in begrenztem Rahmen selbst wirtschaften, die
über finanzielle Dinge daher einen gewissen Überblick haben und die, wie es das
Landgericht formuliert hat, einfache Rechnungen vornehmen können.
Von geschäftlicher Unerfahrenheit ist bei Kindern und Jugendlichen stets
auszugehen, da sie typischerweise noch nicht in ausreichendem Maße in der Lage
sind, Warenangebote kritisch zu beurteilen. Kinder und Jugendliche neigen dazu,
gefühlsmäßig und spontan zu entscheiden (vgl. Baumbach/Hefermehl – Köhler,
Wettbewerbsrecht, 23. Auflage, § 4 UWG, Rdnr. 2.17 m.w.N.), wobei allerdings der
alterstypischen Entwicklung entsprechend graduell zu differenzieren ist (vgl. Fezer
– Scherer, UWG, § 4-2, Rdnr. 111 f., 146). Mit der Feststellung geschäftlicher
Unerfahrenheit ist nicht zugleich gesagt, dass jede Werbung, die sich gezielt an
Kinder und Jugendliche als Verbrauchergruppe wendet und deren
Kaufentscheidung – dem Wesen der Werbung entsprechend – beeinflussen soll,
damit zugleich auch geeignet ist, die geschäftliche Unerfahrenheit auszunutzen
(vgl. Baumbach/ Hefermehl – Köhler, a.a.O.). Eine solche Eignung ist im
vorliegenden Fall zu verneinen.
Das Gesetz lässt zur Erfüllung des in § 4 Nr. 2 UWG normierten
Unlauterkeitstatbestands die Eignung der vorgenommenen Wettbewerbshandlung
zur Ausnutzung der geschäftlichen Unerfahrenheit genügen. Dies erspart dem
Anspruchsteller im Streitfall den Beweis, dass tatsächlich die geschäftliche
Unerfahrenheit von Mitgliedern des geschützten Personenkreises ausgenutzt
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Unerfahrenheit von Mitgliedern des geschützten Personenkreises ausgenutzt
wurde (vgl. – zu § 4 Nr. 1 UWG – Baumbach/Hefermehl – Köhler, § 4 UWG, Rdnr.
1.8; Plaß in HK-WettbR, § 4 UWG, Rdnr. 52). Aus der Formulierung des Gesetzes
kann jedoch nicht gefolgert werden, dass schon eine eher fernliegende, nur unter
besonderen Umständen in Betracht kommende Möglichkeit der Ausnutzung
geschäftlicher Unerfahrenheit ausreichen würde. Entscheidend ist vielmehr, ob die
Ausnutzung der geschäftlichen Unerfahrenheit eines durchschnittlich
aufmerksamen und verständigen Mitglieds der angesprochenen Altersgruppe
durch die beanstandete Werbung objektiv wahrscheinlich ist.
Werbeaktionen der vorliegenden Art berühren die Rationalität der
Nachfrageentscheidung insofern, als sie eine einfache Gegenüberstellung von
Preis und Gegenwert erschweren. Um den Wert einer Zugabe, die in der
Gewährung einer bestimmten Anzahl von Sammelpunkten besteht, einschätzen
zu können, muss neben dem Wert der ausgelobten Prämien auch beurteilt
werden, welcher Kaufeinsatz insgesamt notwendig ist, um eine solche Prämie zu
erhalten. Anschließend stellt sich die Frage, ob dieser Kaufeinsatz den eigenen
Bedürfnissen und finanziellen Möglichkeiten angemessen ist. Damit ergibt sich für
Kinder, die eher spontan und gefühlsmäßig entscheiden als Erwachsene, ein
grundlegendes Transparenzproblem. Allerdings hat dies von vornherein keine
Auswirkungen auf die Dispositionen solcher Kinder, die ohnehin nur an dem
Produkt als solchem interessiert sind und in der Sammelaktion keinen
wesentlichen Kaufanreiz sehen. Soweit hingegen gerade die Sammelaktion als ein
für die Kaufentscheidung bedeutsamer Gesichtspunkt empfunden wird, bleibt
festzuhalten, dass eine rationale Nachfrageentscheidung erschwert ist. Die Vor-
und Nachteile der Kaufentscheidung ließen sich leichter abwägen, wenn es nicht
um den sukzessiven Erwerb einer bestimmten Warenmenge ginge, wenn also zum
Beispiel die an der Prämie interessierten Kinder sogleich vor die Wahl gestellt
würden, ein zu dem Erhalt der Prämie berechtigendes Warengebinde als Ganzes
zu erwerben oder nicht.
Aus den dargelegten Gründen könnte man erwägen, Formen einer gezielt an
Kinder gerichteten Wertreklame, in der die Gewährung von Zugaben bei der
(sukzessiven) Abnahme bestimmter Warenmengen versprochen wird, generell für
wettbewerbswidrig zu halten (vgl. hierzu OLG Düsseldorf, GRUR 1975, 267, 268 f. –
Milky Way; OLG München, WRP 1984, 46 f. – Sammelschnipsel-Aktion;
Baumbach/Hefermehl – Köhler, § 4 UWG, Rdnr. 2.17 und 2.19; Plaß in HK-WettbR, §
4 UWG, Rdnr. 123; Brändel in Festschrift für v. Gamm, S. 9 und 19 f.; Benz, WRP
2003, 1160, 1165 f.; ablehnend: Harte/Henning-Stuckel, UWG, § 4 Nr.2, Rdnr. 11;
Fezer-Scherer, UWG, § 4-2, Rdnr. 130 ff.).
Ein derart grundlegendes Verbot bestimmter Formen der Wertreklame gegenüber
Kindern ginge nach der Auffassung des Senats aber zu weit. Zu berücksichtigen ist
zunächst, dass der Gesetzgeber bei Aufhebung der Zugabeverordnung und auch
bei Fassung des neuen UWG davon abgesehen hat, das früher allgemein geltende
Verbot bestimmter Werbeformen durch eine ausdrückliche Regelung für die
Werbung gegenüber Kindern teilweise beizubehalten bzw. wieder einzuführen.
Schon dies spricht gegen die Bildung einer an die früher geltende
Zugabeverordnung angelehnten und von den Umständen des jeweiligen
Einzelfalles abgekoppelten Fallgruppe im Rahmen des § 4 Nr. 2 UWG.
Des weiteren sind Kinder gemäß § 4 Nr. 2 UWG vor einer Ausnutzung ihrer
geschäftlichen Unerfahrenheit und insbesondere vor Übervorteilung zu schützen,
nicht aber vor werblicher Beeinflussung schlechthin. Da sich die geschäftliche
Unerfahrenheit von Kindern aber ganz allgemein auf ihre Beeinflussbarkeit durch
Werbung auswirkt, kann ein Ausnutzen geschäftlicher Unerfahrenheit nur aufgrund
einer das Maß und die Funktion der Einflussnahme berücksichtigenden
Wertungsentscheidung angenommen werden. In diesem Zusammenhang ist zu
berücksichtigen, dass nach der Aufhebung des Rabattgesetzes und der
Zugabeverordnung Sammelaktionen der vorliegenden Art im allgemeinen, nicht
speziell auf Kinder ausgerichteten, Geschäftsverkehr zu den etablierten und
gängigen Werbeformen zählen. In der Alltagswelt der Erwachsenen, auf die Kinder
vorbereitet werden sollen und aus der sie Anregungen und Lehren beziehen, ist
diese Form der Wertreklame üblich geworden.
Auf diesem Hintergrund erscheint es fragwürdig, ein Segment der allgemein
gebräuchlichen und dem Verkehr gewohnten Werbeformen in der Werbung
gegenüber Kindern generell als unzulässig zu bewerten. Nach der Einschätzung
des Senats ist ein derart grundsätzliches Verdikt im Hinblick auf die hier in Rede
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des Senats ist ein derart grundsätzliches Verdikt im Hinblick auf die hier in Rede
stehende Werbeform der Auslobung von Prämien im Rahmen einer Sammelaktion
nicht angemessen. Auch wenn die Beurteilung der Preiswürdigkeit eines
Warenangebots und seines Nutzens für den eigenen Bedarf aufgrund einer
solchen Sammelaktion erschwert ist, heißt das andererseits nicht ohne weiteres,
dass ein Kind, das mit seinem Taschengeld in begrenztem Rahmen selbst
wirtschaftet, in einer solchen Situation im Regelfall überfordert sei. Ein in gewissem
Maße vorausschauendes Verhalten auf der Grundlage einfacher Berechnungen
kann von einem geschäftlich nicht gänzlich unerfahrenen Kind insbesondere dann
erwartet werden, wenn die Entscheidungssituation, mit der das Kind konfrontiert
wird, im allgemeinen Marktgeschehen alltäglich ist, und dem Kind daher aufgrund
des Kontakts mit seinen Eltern und sonstigen Bezugspersonen sowie auch
aufgrund eigener Anschauung nicht völlig fremd sein wird.
Sind somit auf die Gewährung von Prämien ausgerichtete Sammelaktionen in der
Werbung gegenüber Kindern nicht generell unzulässig, so sind die jeweils
angegriffene Werbung und die durch sie beabsichtigte und bewirkte Beeinflussung
der durch die Werbung angesprochenen Kinder einer konkreten Betrachtung zu
unterziehen, wobei zum Schutz der kindlichen Verbraucher durchaus ein strenger
Maßstab anzulegen ist. Im vorliegenden Fall führt diese konkrete Bewertung zu
dem Ergebnis, dass keine Eignung zur Ausnutzung der geschäftlichen
Unerfahrenheit vorliegt.
Ein Ausnutzen geschäftlicher Unerfahrenheit liegt zum einen immer dann nahe,
wenn Kinder durch werbliche Anreize bewogen werden sollen, überteuerte oder
ungeeignete Waren zu kaufen, die ein geschäftlich erfahrener
Durchschnittsverbraucher vernünftigerweise nicht erwerben würde (vgl.
Baumbach/Hefermehl – Köhler, §ּ4 Rdnr. 1.83 und 2.17). Diese Voraussetzungen
sind hier ersichtlich nicht erfüllt. Die Antragstellerin behauptet selbst nicht, dass
die in die „...“-Aktion einbezogenen Produkte der Antragsgegnerin zu erhöhten
Preisen angeboten worden seien. Des weiteren stellten die in der Sammelaktion
ausgelobten Prämien einen rational nachvollziehbaren Kaufanreiz dar, dessen
Wirksamkeit nicht von der geschäftlichen Unerfahrenheit der Werbeadressaten
abhing. So konnte man durch den Erwerb einschlägiger Produkte zu einem Preis
von insgesamt ungefähr 25 EUR 50 „...“ sammeln und diese beispielsweise gegen
eine Kinokarte im Wert von ca. 5 bis 6 EUR eintauschen. Eine solche Werbeaktion
kann auch bei dem aufgeklärten Durchschnittsverbraucher Anklang finden. Sie
unterscheidet sich in ihrer objektiv nachvollziehbaren Attraktivität nicht wesentlich,
jedenfalls nicht nachteilig, von Sammelaktionen, wie sie in der Welt der
Erwachsenen gang und gäbe sind.
Kann – wie hier – die Gefahr einer Übervorteilung der durch die Werbung
angesprochenen, geschäftlich unerfahrenen Kinder nicht festgestellt werden, so
scheidet eine Ausnutzung geschäftlicher Unerfahrenheit damit noch nicht ohne
weiteres aus. Der Tatbestand des § 4 Nr. 2 UWG kann gleichwohl erfüllt sein, wenn
eine unzureichende Transparenz des Angebots, eine Ausnutzung des
„Sammeltriebs“ oder ein Anhalten zum „Kauf über Bedarf“ zur Annahme einer
unzulässigen werblichen Beeinflussung führen (vgl. Harte/Henning-Stuckel, § 4 Nr.
2 Rn 11).
Die Transparenz des Angebots einschließlich der Werthaltigkeit der versprochenen
Zugabe ist hierbei von erheblicher Bedeutung (vgl. auch § 4 Nr. 4 UWG). In dieser
Hinsicht begegnet die hier zur Beurteilung stehende Werbeaktion „...“ keinen
Einwänden, die über das oben angesprochene grundsätzliche (für die Beurteilung
als wettbewerbswidrig aber nicht ausreichende) Transparenzproblem
hinausgingen.
Insbesondere lässt sich der Wert der Zugaben realistisch einschätzen. Den als
potentiellen Käufern angesprochenen Kindern ist der ungefähre Wert einer
Kinokarte bekannt. Von diesem Preis ausgehend kann nachvollzogen werden, wie
die Antragsgegnerin die übrigen Prämien wertmäßig eingestuft hat. Die
Antragstellerin hat nicht aufgezeigt, dass hierbei – gemessen an dem objektiven
Wert – Ungereimtheiten vorlagen.
Ein unlauteres Ausnutzen kindlicher Sammelleidenschaft ist ebenfalls zu
verneinen. Das Ausschneiden und Sammeln der einheitlich gestalteten „...“ dient
als Kaufnachweis. Ein über diese (notwendige) Funktion hinausgehendes
Sammelinteresse wird nicht geweckt.
Durch die angegriffene Werbung werden die angesprochenen Kinder auch nicht zu
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Durch die angegriffene Werbung werden die angesprochenen Kinder auch nicht zu
einem „Kauf über Bedarf“ angehalten. Unter diesem Gesichtspunkt kann eine
Sammelaktion wie die vorliegende wettbewerbswidrig sein, wenn der geschäftlich
unerfahrene Verbraucher durch besondere Modalitäten der Werbeaktion davon
abgehalten wird, eine an der Attraktivität und dem Nutzen des Angebots
ausgerichtete rationale Nachfrageentscheidung zu treffen, wobei nicht außer
Betracht bleiben darf, dass Werbung und insbesondere Werbung für Genussmittel
in legitimer Weise auch darauf abzielt, bei den Werbeadressaten Bedürfnisse
überhaupt erst zu wecken.
Wesentliche Bedeutung haben in diesem Zusammenhang die zeitlichen
Rahmenbedingungen. So kann eine unangemessen knappe zeitliche Begrenzung
einer solchen Sammelaktion dazu führen, dass die als Verbraucher
angesprochenen Kinder in kurzer Zeit relativ große Mengen der beworbenen
Produkte erwerben, um den angestrebten Sammelerfolg nicht zu gefährden.
Gerade hierin kann eine Ausnutzung geschäftlicher Unerfahrenheit liegen, weil es
Kindern deutlich schwerer fällt als Erwachsenen, in wirtschaftlich vernünftiger Weise
auf Vorrat zu kaufen.
Die Werbeaktion „...“ lief indessen etwa fünf Monate lang. Dieser Zeitraum reichte
noch aus, um im Rahmen eines üblichen, auf eine Person ausgelegten,
Konsumverhaltens die für den Erhalt einer Prämie ausreichende Anzahl von „...“
zu sammeln, ohne größere „Vorratskäufe“ vornehmen zu müssen.
Anders verhielt es sich für diejenigen, die erst gegen Ende der Werbeaktion mit
dem Sammeln begonnen haben. Entscheidende Bedeutung hat das hier aber
nicht. Denn die auf den Film „X“ ausgerichtete Werbaktion korrespondierte in ihrer
Werbewirkung mit der Werbekampagne für den Film. Auf „Späteinsteiger“ war sie
nicht angelegt. Umgekehrt erscheint allerdings auch nicht die Annahme
gerechtfertigt, die angesprochenen Kinder seien gerade wegen der Bezugnahme
auf den Film und wegen des insoweit drohenden Aktualitätsverlustes dazu
veranlasst worden, die für den Bezug einer Prämie erforderliche Zahl von „...“
möglichst rasch zu erwerben. Für diejenigen, denen es besonders auf Aktualität
ankam, lag der direkte Kauf eines derartigen Merchandising-Artikels von
vornherein wesentlich näher als der umständlichere und aufwendigere Erwerbsweg
über die „...“-Sammelaktion.
Schließlich kann im vorliegenden Fall auch nicht von einer übersteigerten
Attraktivität der Zugaben (Prämien) ausgegangen werden. Den Wert der
ausgelobten Prämien konnten die Kinder, wie bereits ausgeführt, in etwa
einschätzen. Ein zum Kauf verleitender Gruppenzwang kann nicht angenommen
werden, wie das Landgericht bereits zutreffend ausgeführt hat. Im übrigen ist zwar
nicht zu verkennen, dass das große Interesse an dem Film „X“ die
Sammelprämien besonders attraktiv erscheinen ließ. Dies war aber eine
wettbewerbsrechtlich nicht zu beanstandende Folge der für den Kinofilm
betriebenen Werbung, die sich ganz allgemein auf das Verbraucherinteresse an
einem Kinobesuch und an einschlägigen Merchandising-Artikeln ausgewirkt hat.
Die angegriffene Werbeaktion sprach nicht nur Kinder an, die selbst als Käufer der
von der Antragsgegnerin vertriebenen Produkte in Betracht kommen, sondern
auch jüngere Kinder, für die noch sämtliche Kaufentscheidungen von den Eltern
getroffen werden. Die Wirkung der Werbung auf solche Kinder kann
wettbewerbsrechtlich insofern von Interesse sein, als diese Kinder ihre Eltern zum
Kauf der beworbenen Waren motivieren können. Auch unter diesem Gesichtspunkt
ist ein Wettbewerbsverstoß im vorliegenden Fall aber zu verneinen. Dabei kann
offenbleiben, ob eine Einschaltung geschäftlich unerfahrener Kinder als
„Kaufmotivatoren“ ihrer Eltern durch § 4 Nr. 2 UWG erfasst wird (vgl.
Baumbach/Hefermehl – Köhler, § 4 Rdnr. 2.17) oder – auf die Eltern abstellend –
lediglich durch § 4 Nr. 1 UWG (vgl. Harte/Henning-Stuckel, § 4 Nr. 2 Rdnr. 5 und 17;
Fezer-Scherer, § 4-2 Rdnr. 120).
Die Voraussetzungen des § 4 Nr. 1 UWG sind nicht gegeben. Auch wenn der durch
Werbung provozierte Einsatz von Kindern als Kaufmotivatoren als eine Form der
Druckausübung bzw. der unangemessenen unsachlichen Einflussnahme im Sinne
von § 4 Nr. 1 UWG in Betracht kommen mag (grundsätzlich ablehnend Fezer-
Scherer, § 4-2 Rdnr. 121), so sind die insoweit zu stellenden Anforderungen im
vorliegenden Fall doch bei weitem nicht erfüllt.
Für Kinder, die noch nicht selbst mit ihrem Taschengeld Einkäufe tätigen,
übernehmen deren Eltern nicht nur den Einkauf von Süßwaren und derartigen
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übernehmen deren Eltern nicht nur den Einkauf von Süßwaren und derartigen
Artikeln, sondern auch und erst recht den Einkauf von Kinokarten, Tassen,
Kleidungsstücken und ähnlichen Waren. Sofern sie sich veranlasst sehen, einem
durch die angegriffene Werbung angeregten Kaufwunsch ihrer Kinder Folge zu
leisten, können sie die Kinokarte oder einen entsprechenden Merchandising-Artikel
direkt erwerben, ohne deshalb an der Sammelaktion teilnehmen zu müssen. Im
übrigen kann ein unangemessener Druck, den ein Kind als „Kaufmotivator“ auf
seine Eltern ausübt, in der Regel nur dann in Betracht gezogen werden, wenn zu
dem Kaufwunsch des Kindes besondere situationsbedingte Umstände hinzutreten,
die die Entscheidungs- und Handlungsfreiheit der Eltern einengen. Daran fehlt es
im vorliegenden Fall.
Zu § 4 Nr. 2 UWG ist zwar zunächst festzuhalten, dass kleinere Kinder, die noch
kein Taschengeld erhalten oder die mit ihrem Taschengeld noch nicht selbständig
kleinere Einkäufe machen, praktisch über keinerlei geschäftliche Erfahrung
verfügen. Im Hinblick auf diese Altersgruppe, im wesentlichen die der unter 8-
jährigen, mag die angegriffene Werbung zur Ausnutzung der (besonders großen)
geschäftlichen Unerfahrenheit im Ansatz geeignet sein. Soweit Kinder nicht selbst
als Käufer, sondern lediglich als „Kaufmotivatoren“ ihrer Eltern fungieren, kann
jedoch nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Kauflust der Kinder durch die
Einschaltung der Eltern eingegrenzt und korrigiert wird. Daher ist in dieser
Konstellation im Ergebnis eine Eignung zur Ausnutzung der geschäftlichen
Unerfahrenheit noch weniger anzunehmen als bei denjenigen Kindern, die ihre
Kaufentscheidungen ohne Beeinflussung durch ihre Eltern selbst treffen.
Die Antragstellerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen, da ihr
Rechtsmittel ohne Erfolg geblieben ist (§ 97 Abs. 1 ZPO).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.