Urteil des OLG Frankfurt vom 11.06.2001

OLG Frankfurt: ernsthafter grund, haftgrund, fluchtgefahr, untersuchungshaft, entlassung, entziehen, polizei, totschlag, haftbefehl, haus

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Gericht:
OLG Frankfurt 1.
Strafsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
1 Ws 44/01
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 112 Abs 2 Nr 2 StPO, § 112
Abs 3 StPO, § 213 StGB, § 112
StPO
(Untersuchungshaftbefehl: Haftgrund der Schuldschwere
bei Totschlag im minder schweren Fall; Haftgrund der
Fluchtgefahr in Ansehung der Straferwartung)
Leitsatz
Zum Haftgrund der Fluchtgefahr nach § 112 Abs. 2 StPO
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird abgeändert. Der Angeklagte wird unter der
Bedingung, dass er Sicherheit in Höhe von 50.000,– DM (in Worten: fünfzigtausend
Deutsche Mark) leistet, die auch durch Vorlage einer selbstschuldnerischen
Bürgschaft einer inländischen Bank oder Sparkasse erbracht werden kann, und im
übrigen unter folgenden Auflagen vom weiteren Vollzug der Untersuchungshaft
aus dem Haftbefehl des Amtsgerichts Bad Hersfeld vom 30.9.2000 (Gs 468/00)
verschont:
1. Der Angeklagte hat festen Wohnsitz beizubehalten.
2. Er hat sich einmal wöchentlich bei der für seinen Wohnsitz zuständigen
Polizeistation zu melden, erstmals spätestens drei Tage nach seiner Entlassung.
Die weiteren Meldetage bestimmt die Polizei.
3. Er darf die Bundesrepublik Deutschland nicht verlassen.
4. Er hat jeder an ihn ergehenden Ladung Folge zu leisten.
Die weitergehende Beschwerde wird verworfen.
Gründe
Die Beschwerde ist zulässig. Sie hat in der Sache teilweise Erfolg. Sie führt zur
Haftverschonung unter Sicherheitsleistung und Auflagen, wie aus der
Beschlussformel ersichtlich.
Der Angeklagte ist der ihm im Haftbefehl nach Maßgabe des – noch nicht
rechtskräftigen – Urteils des Landgerichts Fulda vom 9.4.2001 zur Last gelegten
Straftat des Totschlags im minder schweren Fall (§ 213 StGB) dringend verdächtig.
dringende Tatverdacht
Urteils. Hinreichende Anhaltspunkte für ein dem Angeklagten günstigeres Ergebnis
als Folge der von ihm eingelegten Revision sind nicht ersichtlich.
Da der Haftgrund des § 112 Abs. 3 StPO für den Fall des § 213 StGB nicht gilt
(Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44. Aufl., RN 36, h. M.), bedarf es der Prüfung,
ob ein Haftgrund im Sinne des § 112 Abs. 2 StPO vorliegt. In Betracht kommt hier
Fluchtgefahr
nur ansatzweise gegeben, wobei sich der Fluchtanreiz aus der Höhe der – nicht
rechtskräftig – gegen den Angeklagten verhängten Freiheitsstrafe von 6 Jahren
und 6 Monaten ergibt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass für den nicht
vorbestraften Angeklagten die Möglichkeit einer bedingten Entlassung nach
Verbüßung von 2/3 der verhängten Strafe (52 Monate) nicht fern liegt und dass er
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Verbüßung von 2/3 der verhängten Strafe (52 Monate) nicht fern liegt und dass er
seit dem 30.9.2000 im Falle der Rechtskraft des Urteils anzurechnende
Untersuchungshaft von mehr als 8 Monaten erlitten hat, woraus sich für ihn aus
heutiger Sicht und nach derzeitigem Sachstand eine nicht unrealistische
Straferwartung von noch 3 Jahren und 8 Monaten ergibt. Da der geständige
Angeklagte nach dem Antrag seines Verteidigers durchaus mit einer – wenn auch
geringeren – zu verbüßenden Freiheitsstrafe rechnete, laufen hier letztlich die
Erwägungen zum Haftgrund der Fluchtgefahr auf die Frage hinaus, ob die Differenz
zwischen der erwarteten und der verhängten Freiheitsstrafe – jeweils unter
Berücksichtigung bedingter Entlassung und anzurechnender Untersuchungshaft –
den Angeklagten veranlassen könnten, sich im Falle der Freilassung dem weiteren
Verfahren bis hin zur Strafvollstreckung zu entziehen. Dafür, diese Frage zu
bejahen, spricht die vom Landgericht (UA S. 23) erwähnte erhöhte
Strafempfindlichkeit des Angeklagten, auch der Umstand, dass er durch seine Tat
den Verlust einer familiären Bindung im engeren Sinne und die Kündigung seines
Arbeitsverhältnisses herbeiführte. Dagegen spricht das von der Kammer positiv
gewürdigte Nachtatverhalten: Er hat sich nach Tatbegehung der Strafverfolgung
nicht durch die Flucht entzogen, vielmehr für die Benachrichtigung der Polizei
gesorgt und dieser gegenüber die Tat sofort umfassend eingestanden. Er hat
dabei auch für ihn nachteilige Umstände eingeräumt und das Geschehen ehrlich
bereut (UA S. 22). Hinzu kommen die familiären Bindungen im weiteren Sinne
(Mutter, Geschwister und Kinder). Ein Bruder und die ältere Tochter ... mit Mann
und 2 Kindern wohnen in unmittelbarer Nachbarschaft. Er hat einen festen
Wohnsitz im eigenen Haus, von 1972 bis 1974 (vielfach in Eigenhilfe) erstellt. Es
erscheint deswegen glaubhaft, dass das Haus nur gering hypothekarisch belastet
ist (s. Stellungnahme der Verteidigung vom 30.5.2001, S. 2, Bl. 383), und
jedenfalls im Hinblick auf familiäre Hilfe als übertriebene Befürchtung, wenn der
Angeklagte in der Hauptverhandlung meinte, er werde es vielleicht nicht halten
können. Sollte er nach endgültigem Verlust des Arbeitsplatzes keine neue
Beschäftigung in seinem erlernten Beruf finden, blieben ihm soziale Leistungen
und nach Strafverbüßung die Aussicht auf eine in einem langen Berufsleben seit
1960 erworbene Rente, die er durch Flucht oder Untertauchen aufs Spiel setzen
würde. Auch die von ihm benötigte ärztliche (kardiologische) Betreuung dürfte ein
Anreiz für ihn sein, hier zu bleiben.
Unter diesen Umständen und Berücksichtigung der aus der Beschlussformel
ersichtlichen weniger einschneidenden Maßnahmen spricht bei der gebotenen
Gesamtabwägungen aller Lebensumstände des Angeklagten eine größere
Wahrscheinlichkeit dafür, er werde sich – auf freien Fuß gesetzt – dem weiteren
Verfahren einschließlich Strafvollstreckung zur Verfügung halten, als für die
Erwartung, er werde sich ihm durch Flucht oder Untertauchen entziehen.
Das Schreiben des Angeklagten an Freunde (B und G) vom 24.4.2001 (Bl. 370)
gibt keinen hinreichenden Anlass zu einer gegenteiligen Beurteilung. Auch die
Äußerung, am besten werde er auswandern, erscheint eher als Ausdruck seiner
Enttäuschung über ein als zu hoch empfundenes Strafmaß, dem durch Revision zu
begegnen er sich entschlossen hat, denn als Ergebnis realistischer
Zukunftsplanung auf der Grundlage der zuvor beschriebenen persönlichen
Verhältnisse.
Auch möglicherweise noch andauernde negative Reaktionen in seiner
Heimatgemeinde auf seine Tat und Verurteilung können für den Angeklagten, der
die Tat vorbehaltlos gestanden und ehrlich bereut hat, kein ernsthafter Grund sein,
alle noch vorhandenen Bindungen abzubrechen und sich in eine in jeder Hinsicht
ungewisse Zukunft abzusetzen.
Unter diesen Umständen kann der Zweck der Untersuchungshaft auch durch die
aus der Beschlussformel ersichtlichen weniger einschneidenden Maßnahmen nach
§ 116 StPO erreicht werden.
Soweit sich die Beschwerde darüber hinaus auch gegen den Bestand des
Haftbefehls richtet, ist das Rechtsmittel angesichts dringenden Tatverdachts und
ansatzweise bestehender Fluchtgefahr zu verwerfen.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.
die obersten Bundesgerichte erfolgt.