Urteil des OLG Frankfurt vom 09.06.2006

OLG Frankfurt: juristische person, antragsrecht, verletzter, arrest, vollziehung, straftat, eigenschaft, quelle, zivilprozessrecht, begriff

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Gericht:
OLG Frankfurt 3.
Strafsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
3 Ws 508/06
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 73 Abs 1 StGB, § 77 Abs 3
StGB, § 111g StPO, § 111h
StPO
(Vorrangige Befriedigung von Ansprüchen des durch die
Straftat Verletzten bei Arrest: Verletzteneigenschaft des
Insolvenzverwalters über das Vermögen der geschädigten
Gesellschaft)
Leitsatz
Der Insolvenzverwalter ist nicht Verletzter im Sinne von §§ 111 g und 111 h StPO.
Tenor
Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des
Landgerichts Frankfurt am Main - 26. Große Strafkammer – wird auf Kosten des
Antragstellers (§ 473 Abs. 1 StPO) verworfen.
Gründe
Den Angeklagten werden Vermögensdelikte zur Last gelegt, die sie in der Zeit
vom 22. Mai 2002 bis 9. März 2005 (auch) zum Nachteil der A begangen haben
sollen. Der Antragsteller wurde am 14. März 2004 zum vorläufigen
Insolvenzverwalter dieser Gesellschaft, am 1. Juli 2005 zu ihrem Insolvenzverwalter
bestellt. In dieser Eigenschaft erwirkte er dingliche Arreste in das Vermögen der
Angeklagten wegen Schadensersatz- und Provisionsrückforderungsansprüchen der
Schuldnerin. Mit Beschluss vom 25. Mai 2005 ordnete das Amtsgericht Frankfurt
am Main gemäß § 111b StPO den dinglichen Arrest in das Vermögen der
Angeklagten bis zur Höhe von 120.000.000,-- € an.
Der Antragsteller hat gemäß § 111g StPO beantragt,
die Vollziehung der von ihm erwirkten Arreste in die mit Beschluss des
Amtsgerichts vom 25. Mai 2005 gepfändeten Forderungen bzw. beschlagnahmten
Gegenstände,
hilfsweise
die Rangänderung zuzulassen.
Dies hat die Strafkammer versagt. Dagegen wendet er sich mit der sofortigen
Beschwerde.
Das Rechtsmittel ist gemäß §§ 111g Abs. 2 Satz 2, 311 StPO zulässig, hat in der
Sache jedoch keinen Erfolg. Das Landgericht hat den Antrag zu recht
zurückgewiesen, weil der Antragsteller nicht Verletzter im Sinne von §§ 111g und
111h StPO ist.
§ 111g StPO trägt dem Grundgedanken von § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB Rechnung,
dass dem Verletzten im Strafverfahren die Durchsetzung seiner Ansprüche
ermöglicht werden soll (vgl. Nack in KK 5. Aufl. § 111g Rdnr. 1; Meyer-Goßner, StPO
48. Aufl. § 111g Rdnr. 1). Der Begriff des Verletzten im Sinne von § 111g StPO
entspricht daher aufgrund dieses Regelungszusammenhangs demjenigen des § 73
Abs. 1 Satz 2 StGB. Verletzt ist danach die durch die Tat im prozessualen Sinn
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Abs. 1 Satz 2 StGB. Verletzt ist danach die durch die Tat im prozessualen Sinn
geschädigte natürliche oder juristische Person als Trägerin des geschützten
Individualrechtsgutes, in das der Täter durch die verbotene Handlung unmittelbar
eingegriffen hat (BGHSt 31, 207, 210; Lackner/Kühl, StGB 25. Aufl. § 73 Rdnr. 6
und § 77 Rdnr. 6; Tröndle/Fischer StGB 53. Aufl. § 73 Rdnr. 13 und § 77 Rdnr. 2).
Dies war hier allein die Schuldnerin, nicht aber der Insolvenzverwalter über ihr
Vermögen.
Der Insolvenzverwalter ist auch nicht kraft seiner Stellung berechtigt, anstelle der
Schuldnerin deren Rechte als Verletzte im Sinne des § 111g StPO geltend zu
machen. Dies ergibt sich aus der Systematik des § 77 StGB. Dort hat der
Gesetzgeber für den Strafantrag ausdrücklich zwischen dem Antragsrecht des
originär Verletzten (§ 77 Abs. 1 StGB), Fällen in denen ein Antragsberechtigter
dieses Antragsrecht ausübt (§ 77 Abs. 3 StGB) und Fallgestaltungen
unterschieden, in denen das Antragrecht (ausnahmsweise) auf bestimmte
Angehörige übergeht (§ 77 Abs. 2 StGB). Dazu ist anerkannt, dass der
Insolvenzverwalter kraft seines Amtes für den Schuldner das Antragsrecht
ausüben kann (vgl. Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl. § 77
Rdnr. 24; Lackner/Kühl a.a.O. § 77 Rdnr. 11; RGSt 33, 433; 35, 149). Dies macht ihn
indessen nicht selbst zum Verletzten. Die Möglichkeit, Befugnisse des Verletzten
wahrzunehmen, bedeutet kein eigenes Antragsrecht (BGHR StGB § 77 Abs. 3
Antragsrecht 1; vgl. auch BGHR StGB § 77 Abs. 1 Verletzter 1). Die
Verletzteneigenschaft ist vielmehr an die juristische Person der Schuldnerin
gebunden und geht weder auf die Insolvenzmasse noch auf den Insolvenzverwalter
über (vgl. Senat, Beschluss vom 15. Mai 2006 – 3 Ws 466+507/06; OLG Hamm
NStZ-RR 1996, 11, OLG Koblenz NJW 1988, 3275).
Eine dem § 77 Abs. 3 StGB entsprechende Regelung, kraft deren der
Insolvenzverwalter berechtigt wäre, die Vollziehung des Arrestes für die verletzte
Schuldnerin geltend zu machen, fehlt für § 111g ff. StPO. Die Interessenlage
spricht auch nicht dafür, den Anwendungsbereich von § 111g StPO über den
Wortlaut hinaus im Sinne des § 77 Abs. 3 StGB dahin auszudehnen, dass nicht nur
der Verletzte selbst, sondern auch der Insolvenzverwalter über sein Vermögen den
Antrag stellen kann. Die Privilegierung des Verletzten in § 111g StPO findet ihren
Grund im persönlichen Opferschutz und der Durchsetzung der Ansprüche des
Geschädigten. Demgegenüber besteht der Hauptzweck des Insolvenzverfahrens –
jedenfalls in Fällen in denen wie hier nach Lage der Akten einen Fortführung des in
Insolvenz geratenen Unternehmens fern liegt – in der bestmöglichen Befriedigung
der Gläubiger (vgl. Senatsbeschluss vom 15. Mai 2006 m. Nachw.).
Der Insolvenzverwalter ist dadurch nicht rechtlos gestellt, denn vor den
Zivilgerichten bleibt er voll handlungsfähig.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.