Urteil des OLG Frankfurt vom 18.10.2005
OLG Frankfurt: verbotsirrtum, tatbestandsirrtum, abgrenzung, waffenrecht, zivilprozessrecht, quelle, immaterialgüterrecht, dokumentation, verwaltungsrecht, vergehen
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Gericht:
OLG Frankfurt 1.
Strafsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
1 Ss 220/05
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 52 WaffG, § 52a WaffG, § 16
StGB, § 17 StGB
(Abgrenzung von Tatbestandsirrtum und Verbotsirrtum:
Unkenntnis eines Angeklagten von der
Genehmigungspflicht für das Führen einer
Schreckschusswaffe)
Leitsatz
1. Zum Merkmal "ohne die erforderliche Erlaubnis" im Sinne des Waffengesetzes.
2. Zur Abgrenzung zwischen Verbots- und Tatbestandsirrtum
Tenor
Das angefochtene Urteil wird mit den zugrunde liegenden Feststellungen
aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten
der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Frankfurt am Main
zurückverwiesen.
Gründe
Das Amtsgericht Frankfurt am Main hat den Angeklagten wegen vorsätzlichen
unerlaubten Führens einer Schreckschusswaffe -Vergehen nach §§ 2 Abs. 2, 52
Abs. 3 Nr. 2, 54 nebst Anlage 2 Abschnitt 2 Unterabschnitt 1 S. 1 WaffG- zu einer
Geldstrafe von 80 Tagessätzen zu je 8,00 Euro verurteilt.
Hiergegen richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte und in gleicher Weise
begründete Revision des Angeklagten.
Sie führt mit der Sachrüge zur Aufhebung des Urteils.
Nach den Feststellungen hat sich der Angeklagte unwiderlegt dahingehend
eingelassen, er habe nicht gewusst, dass für das Führen einer Schreckschusswaffe
nebst Reizgaspatronen eine Erlaubnis erforderlich sei.
Diese Feststellungen tragen den Schuldspruch wegen vorsätzlichen Handelns
nicht.
Die Annahme des Amtsgerichts, es liege lediglich ein Verbotsirrtum vor, der nicht
unvermeidbar sei, ist rechtsfehlerhaft.
Das Merkmal „ohne die erforderliche Erlaubnis“ ist ein negatives
Tatbestandsmerkmal (Apel/Bushart, Waffenrecht, Band 2 , § 52 Rdnr. 12). Es
gehört als wesentlicher, das Unwerturteil über das Verhalten erst schaffender
Umstand zum gesetzlichen Tatbestand. Ohne dieses Merkmal liegt ein gesetzlich
umschriebener Unrechtstypus nicht vor. Es ist daher ein Tatbestandsirrtum und
kein Verbotsirrtum gegeben, wenn der Täter meint, eine Erlaubnis sei nicht
erforderlich (Steindorf, Waffenrecht, § 53 Rdnr. 26). Die Frage, ob in Fällen des
Irrtums über das Genehmigungserfordernis Tatbestandsirrtum nach § 16 Abs. 1
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Irrtums über das Genehmigungserfordernis Tatbestandsirrtum nach § 16 Abs. 1
StGB oder Verbotsirrtum nach § 17 S. 1 StGB vorliegt, kann nur differenzierend
nach dem jeweilig in Betracht kommenden gesetzlichen Tatbestand entschieden
werden (BGH NStZ 93, 594, 595). Für die Genehmigungspflicht nach dem
Kriegswaffenkontrollgesetz hat der BGH in dem genannten Urteil entschieden,
dass der Umgang mit Kriegswaffen aufgrund seiner besonderen Gefährlichkeit
schweres Unrecht darstelle, das im Einzelfall durch Erteilung einer behördlichen
Genehmigung im Wege der Rechtfertigung ausgeräumt werden könne. Dem liegt
die Auffassung zu Grunde, dass es sich bei den Verboten des
Kriegswaffenkontrollgesetzes um repressive Verbote mit Befreiungsvorbehalt
handelt (Steindorf in Erbs/Kohlhaas a.a.O. vor § 52 a Rdnr. 44). Ein solcher Fall liegt
jedoch hier nicht vor. Vielmehr ist ein präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt
gegeben (Steindorf in Erbs/Kohlhaas a.a.O.). In derartigen Fällen dient der
Genehmigungsvorbehalt der Durchsetzung des staatlichen Kontrollanspruchs. In
dessen Missachtung liegt das entscheidende tatbestandliche Unrecht. Nach den
Grundsätzen der Parallelwertung muss der Täter von einem solchen
Kontrollanspruch ausgehen. Er muss wissen, dass er die Kontrollrechte der
Verwaltung verletzt. Fehlt dieses Wissen, so „sieht“ der Täter allein auf
unrechtsneutrales, sozialadäquates Verhalten, während ihm der soziale
Bedeutungsgehalt des maßgeblichen negativen Tatbestandsmerkmals (ohne
Erlaubnis) verborgen bleibt. Vorsätzliches Handeln kommt also nicht in Betracht
(Steindorf in Erbs/Kohlhaas a.a.O. vor § 52 a Rdnr. 49 a; Steindorf WaffG, vor § 52 a
Rdnr. 44 f.; KK-Rengier, OWiG, § 11 Rdnr. 41 a; Schönke/Schröder-Cramer, StGB, ,
§ 17 Rdnr. 12 a; Münchener Kommentar – Joecks § 17 Rdnr. 80; BGH NStZ-RR 03,
55, 56; 01, 26 –31; BayObLG wistra 92, 273; BayObLG NJW 97, 1319, 1320).
Der aufgezeigte Mangel führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur
Zurückverweisung der Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung auch über
die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Frankfurt am
Main (§§ 349 Abs. 4, 353, 354 Abs. 2 StPO).
Für die erneute Hauptverhandlung wird darauf hingewiesen, dass die Angaben des
Angeklagten zur subjektiven Tatseite der Entscheidung nicht ohne weiteres zu
Grunde gelegt werden müssen. Sie sind vielmehr einer kritischen Überprüfung zu
unterziehen (Steindorf a.a.O. Rdnr. 41). Sollte das Tatgericht erneut zu dem
Ergebnis gelangen, dass der Angeklagte die Erlaubnispflicht nicht kannte, wird es
zu prüfen haben, ob fahrlässiges Handeln vorliegt (§ 53 Abs. 4 WaffG). Im Fall einer
Verurteilung bedarf die Begründung der Tagessatzhöhe näherer Feststellungen.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.