Urteil des OLG Frankfurt vom 18.05.2010

OLG Frankfurt: verfügung von todes wegen, geschäft, erlass, schriftstück, testament, akte, beschwerdekammer, eigenhändig, datum, erbschein

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Gericht:
OLG Frankfurt 20.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
20 W 176/10
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Norm:
§ 8 Abs 4 S 1 RPflG
Leitsatz
Hat bei Vorliegen einer letztwilligen Verfügung trotz Einwänden gegen die beabsichtigte
Entscheidung der Rechtspfleger über den Erbscheinsantrag entschieden, ist seine
Entscheidung gemäß § 8 Abs. 4 Satz 1 RpflG unwirksam.
Tenor
Auf die Beschwerde wird der Beschluss des Amtsgerichts aufgehoben. Das
Verfahren wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das Amtsgericht
zurückverwiesen.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Auslagen sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die Beteiligte zu 2) legte zunächst dem Nachlassgericht mehrere Schriftstücke
vor, die von der Erblasserin unterzeichnet sind und beantragte die Erteilung eines
Testamentsvollstreckerzeugnisses (Bl. 13 d. A.).
Der Beteiligte zu 1), der der Auffassung ist, dass es sich bei sämtlichen zunächst
von der Beteiligten zu 2) vorgelegten Schriftstücken nicht um wirksame
Testamente handelt, beantragte mit Datum vom 18.01.2010 die Erteilung eines
Erbscheins, der ihn als alleinigen gesetzlichen Erben nach der Erblasserin ausweist.
Mit Schriftsatz vom 10.02.2010 ließ die Beteiligte zu 2) ein Schriftstück zur Akte
reichen, bei dem es sich nach ihrer Auffassung um ein am 08.10.2009 von der
Erblasserin errichtetes Testament handelt, in dem sie zur Alleinerbin bestimmt ist
und überreichte gleichzeitig den Antrag auf Erlass eines Erbscheins, der sie als
alleinige Erbin aufgrund testamentarischer Verfügung nach der Erblasserin
ausweist.
Die Beteiligten zu 1), 3) und 4) teilten mit, dass sie dem Antrag auf Erteilung eines
Erbscheins für die Beteiligte zu 2) nicht zustimmen.
Mit Beschluss vom 10.03.2010 hat die Rechtspflegerin die aufgrund des Antrags
der Beteiligten zu 2) vom 10.02.2010 zur Erteilung eines Erbscheins erforderlichen
Tatsachen für festgestellt erachtet. Es sei beabsichtigt den Erbschein wie
beantragt zu erteilen. Anhand der eingereichten „Testamente“ sei davon
auszugehen, dass die Erblasserin das Testament vom 08.10.2009 (Bl. 45 d. A.)
eigenhändig geschrieben und unterschrieben habe.
Gegen den Beschluss legte der Beteiligte zu 1) Beschwerde ein (Bl. 81 ff. d. A.).
Mit Verfügung Bl. 85 Rs. d. A. hat die Rechtspflegerin der Richterin das Verfahren
zur Entscheidung über die Beschwerde vorgelegt.
Ausweislich der Verfügung Bl. 85 Rs. wurde mit der richterlichen Dezernentin
Rücksprache genommen und sodann das Verfahren mit dem Bemerken: „Der
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Rücksprache genommen und sodann das Verfahren mit dem Bemerken: „Der
Beschwerde wird nicht abgeholfen“ der Beschwerdekammer des Landgerichts
Wiesbaden vorgelegt, die das Verfahren wiederum dem Oberlandesgericht
Frankfurt weitergeleitet hat.
Auf das Verfahren ist, da beide Anträge auf Erlass eines Erbscheins sowie der
Antrag auf Erteilung eines Testamentsvollstreckerzeugnisses nach dem
01.09.2009 gestellt wurden, das FamFG anzuwenden.
Die Beschwerde des Beteiligten zu 1) ist gemäß § 64 FamFG zulässig. Sie führt zur
Aufhebung des angegriffenen Beschlusses und Zurückverweisung an das
Amtsgericht.
Die Entscheidung des Amtsgerichts kann bereits deswegen keinen Bestand haben,
da sie von der funktionell unzuständigen Rechtspflegerin erlassen worden ist.
Gemäß § 3 Ziffer 2 c des Rechtspflegergesetzes (RpflG) sind die nach den
gesetzlichen Vorschriften vom Richter wahrzunehmenden Geschäfte des
Amtsgerichts in Nachlass- und Teilungssachen nach § 342 FamFG und in den
Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit dem Rechtspfleger zugewiesen.
Jedoch ist gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 6 RpflG die Erteilung von Erbscheinen - sofern
eine Verfügung von Todes wegen vorliegt - dem Richter vorbehalten. Zwar hat der
Hessische Verordnungsgeber von der Möglichkeit des § 19 RpflG Gebrauch
gemacht, durch Rechtsverordnung die nach § 16 Abs. 1 Nr. 6 und 7 RpflG
bestimmten Richtervorbehalte ganz oder teilweise aufzuheben und hat insoweit
den Richtervorbehalt ganz aufgehoben, jedoch entsprechend der Regelung des §
19 Abs. 2 RpflG in seiner Verordnung vom 29.10.2008 in § 1 Ziffer 3 vorgesehen,
dass die Rechtspflegerin oder der Rechtspfleger das Verfahren der Richterin oder
dem Richter zur weiteren Bearbeitung vorzulegen hat, soweit gegen den Erlass der
beantragten Entscheidung Einwände erhoben werden.
Bereits durch die gegenläufige Erbscheinsantragstellung durch den Beteiligten zu
1) ist deutlich, dass gegen den Erlass der beantragten Entscheidung Einwände
erhoben werden, so dass das Verfahren der Richterin zur Entscheidung vorzulegen
gewesen wäre.
Die Entscheidung der Rechtspflegerin ist daher gemäß § 8 Abs. 4 Satz 1 RpflG
unwirksam.
Zwar ist von einer wirksamen Entscheidung des Rechtspflegers gemäß § 8 Abs. 2
RpflG dann auszugehen, wenn der Rechtspfleger ein ihm übertragbares Geschäft
wahrnimmt, auch dann, wenn im Einzelfall die Übertragung durch den Richter
fehlen sollte oder wenn die Voraussetzungen für die Übertragung im Einzelfall nicht
gegeben waren (vgl. KG NJW-RR 2004, 801).
Bei dem hier vorliegenden Verfahren der Erteilung eines Erbscheins bei Vorliegen
einer letztwilligen Verfügung und Einwänden gegen den Erlass der beantragten
Entscheidung handelt es sich jedoch nicht um ein Geschäft im Sinne des § 8 Abs.
2 RpflG. Liegen Einwände gegen den Erlass der beantragten Entscheidung vor, ist
keine Möglichkeit der Übertragung des Geschäfts auf einen Rechtspfleger
gegeben, sondern das Verfahren ist zur weiteren Bearbeitung dem Richter
vorzulegen. Es handelt sich daher im vorliegenden Fall um ein nicht übertragbares
Geschäft. Die Entscheidung des Rechtspflegers ist daher nach § 8 Abs. 4 Satz 1
RpflG unwirksam und im Rechtsbehelfsverfahren unabhängig von ihrer sachlichen
Richtigkeit aufzuheben (vgl. Bassenge/Roth, FamFG/RpflG, 12. Aufl., § 8 RpflG Rn. 4
m. w. umfangreichen Nachweisen aus Rechtsprechung und Literatur).
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus § 8 Abs. 4 Satz 2 RpflG, denn das
Geschäft war der Rechtspflegerin nicht durch eine Entscheidung im Sinne des § 7
RpflG zugewiesen worden. Nach dieser Vorschrift entscheidet der Richter über die
Zuständigkeit durch Beschluss, wenn Streit oder Ungewissheit darüber besteht, ob
ein Geschäft von dem Richter oder dem Rechtspfleger zu bearbeiten ist. Im
vorliegenden Fall hat die Rechtspflegerin das Verfahren der oder dem
Nachlassrichter des Amtsgerichts zwar nach Eingang der Beschwerde gegen den
Beschluss der Rechtspflegerin (zur Abhilfeentscheidung) vorgelegt. Der sich dann
im weiteren ergebende Vermerk der Rechtspflegerin wäre aber selbst dann keine
Entscheidung im Sinne des § 7 RpflG, wenn in diesem Vermerk eine
innerdienstliche, den Beteiligten nicht bekannt gemachte Verfügung des Richters
in dem Sinne zu sehen sei, dass die Rechtspflegerin das Verfahren weiter
zuständigkeitshalber zu bearbeiten habe. Denn diese genügt den Anforderungen,
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zuständigkeitshalber zu bearbeiten habe. Denn diese genügt den Anforderungen,
die an eine Entscheidung nach § 7 RpflG zu stellen sind nicht (vgl. BGH RpflG 205,
520 f; Bassenge/Roth, FamFG/RpflG, 12. Aufl., § 8 RpflG Rn. 4 m. w. N.). Die
Zuweisungsentscheidung setzt einen förmlichen Beschluss voraus, der den
Beteiligten bekannt zu geben ist.
Eine bloße Zuschreibung der Sache im Rahmen einer innerdienstlichen Verfügung
ist nicht ausreichend (OLG München Rpfleger 2006, 263).
Da das von der Rechtspflegerin vorgenommene Geschäft aufgrund ihrer
funktionellen Unzuständigkeit unwirksam ist, ist der Beschluss aufzuheben und an
das Amtsgericht Rüdesheim, Zweigstelle Eltville zur Bearbeitung durch den
zuständigen Richter/die zuständige Richterin zurückzuverweisen.
Im Rahmen der erneuten Bearbeitung wird das Amtsgericht Rüdesheim auch zu
klären haben, wie es zur Vorlage des Testaments vom 08.10.2009 kommen
konnte, nachdem zuvor Schriftstücke späteren Datums von der Beteiligten zu 2)
vorgelegt worden waren, ohne dass sie auf das später zur Akte gereichte
Schriftstück vom 08.10.2009 hingewiesen hätte. Auch wird zu klären sein, ob das
Schriftstück tatsächlich von der Erblasserin herrührt und darüber hinaus auf die
Einwände der übrigen Beteiligten hinsichtlich einer etwaigen fehlenden
Testierfähigkeit der Erblasserin einzugehen sein.
Gerichtsgebühren sind für das Verfahren vor dem Oberlandesgericht nicht
entstanden, da keiner der in § 131 KostO vorgesehenen Gebührentatbestände
erfüllt ist. Für die Auferlegung außergerichtlicher Auslagen ist kein Raum, da keine
weiteren Personen im Beschwerdeverfahren beteiligt wurden.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.