Urteil des OLG Frankfurt vom 21.04.2009
OLG Frankfurt: auflösung der gesellschaft, aktiengesellschaft, gewinnverwendung, ausdehnung, bekanntmachung, tagesordnung, rechtfertigung, anfechtbarkeit, satzung, teilnichtigkeit
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Gericht:
OLG Frankfurt 5.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
5 U 68/08
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 241 AktG, § 262 AktG
(Aktiengesellschaft: Ausdehnung der Nichtigkeit eines
Hauptversammlungsbeschlusses auf einen weiteren
Beschluss; Anfechtbarkeit eines Beschlusses zur Auflösung
der Gesellschaft)
Leitsatz
1. § 139 BGB ist im Verhältnis verschiedener Beschlussfassungen einer
aktienrechtlichen Hauptversammlung zueinander nicht anzuwenden.
2. Ein Beschluss einer Hauptversammlung zur Auflösung der AG kann wegen eines
Informationsmangels anfechtbar sein.
Tenor
Auf die Berufungen der Kläger wird das am 16.5.2008 verkündete Urteil der 5.
Kammer für Handelssachen des Landgerichts Frankfurt am Main zur
Klageabweisung abgeändert.
Der Beschluss der außerordentlichen Hauptversammlung der Beklagten vom
7.12.2007 zu Tagesordnungspunkt 8 mit nachstehendem Inhalt wird für nichtig
erklärt: „Die Gesellschaft wird zum Stichtag 10.1.2008 aufgelöst und zu Abwicklern
die Vorstandsmitglieder A und B bestimmt.“
Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits und die durch die
Nebeninterventionen verursachten Kosten zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten wird nachgelassen, die
Zwangsvollstreckung der Kläger oder der Streithelfer durch Sicherheitsleistung in
Höhe von 110% des auf Grund des Urteils für den jeweils vollstreckenden
Beteiligten vollstreckbaren Betrages abzuwenden, soweit nicht dieser vor der
Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden
Betrages leistet.
Gründe
I. Die Kläger wenden sich als Aktionäre gegen die Wirksamkeit verschiedener
Beschlüsse der außerordentlichen Hauptversammlung der Beklagten vom
7.12.2007, die sie für nichtig, jedenfalls aber anfechtbar halten.
Die Kläger und ihre Streithelfer waren bei Bekanntmachung der Tagesordnung und
sind noch Aktionäre der Beklagten, deren Beschlüsse zu TOP 2
(Gewinnverwendung), TOP 6 (Ausschüttung aus der gebundenen Kapitalrücklage
über Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln nebst Kapitalherabsetzung) und
TOP 8 (Auflösung und Liquidatorenbestellung) sie erstinstanzlich angegriffen
haben, wobei die Kläger jedenfalls zu TOP 8 Widerspruch gegen die
Beschlussfassung erhoben hatten. Zu den Einzelheiten der Beschlussfassungen
wird auf die Niederschrift des Notars N1 (UR-Nr. .../07) verwiesen (Anl. B 1, Bl. 146-
155 d.A.). Zu der vor der Beschlussfassung gestellten Aktionärsfrage, warum die
Auflösung gerade zum 10.1.2008 erfolgen solle, erteilte der Vorstand eine Antwort
nicht.
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Die Kläger und ihre Streithelfer haben zu der Auflösungsentscheidung behauptet,
es habe sich insoweit um eine mit der Gewinnverwendung und der Ausschüttung
aus der gebundenen Kapitalrücklage einheitliche Maßnahme gehandelt, denn der
Vorstand habe mit der Auszahlung erreichen wollen, dass der Firmenmantel
leichter hätte verwertet werden können.
Das Landgericht hat die Beschlüsse zu TOP 2 und TOP 6 als nichtig festgestellt,
weil die Anknüpfung der Gewinnverwendung, die auch für die
Rücklageentscheidung von Bedeutung sei, an einen nur in einem
Zwischenabschluss berechneten Gewinn dem Wesen der Aktiengesellschaft nicht
entspräche. Zu der Auflösungsentscheidung hat es die Klage abgewiesen, weil
diese nicht gerichtlich nachprüfbar sei und eine Informationspflichtverletzung nicht
vorliege. Zu den weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Parteivortrags und der
Entscheidungsgründe wird auf das Urteil Bezug genommen (Bl. 188-199 d.A.).
Die Kläger verfolgen mit ihren Berufungen die Unwirksamkeit der
Beschlussfassung zu TOP 8 weiter und wenden ein, TOP 8 sei schon deshalb
nichtig, weil der Beschluss mit denen zu TOP 2 und TOP 6 einheitlich gewollt
gewesen sei, womit sich das Landgericht nicht auseinander gesetzt habe. Es habe
auch ein Informationsmangel vorgelegen, weil nicht auf die Motive des Vorstands
eingegangen worden sei, die Auflösung gerade zu 10.1.2008 vorzuschlagen.
Die Klägerin zu 1.) beantragt, unter teilweiser Abänderung des angefochtenen
Urteils den in der außerordentlichen Hauptversammlung der Beklagten am
7.12.2007 gefassten Beschluss zu Tagesordnungspunkt 8 (Auflösung der
Gesellschaft) für nichtig zu erklären, hilfsweise festzustellen, dass der
vorbezeichnete Beschluss der Hauptversammlung der Beklagten vom 7.12.2007
nichtig ist.
Der Kläger zu 2.) beantragt,
wie folgt zu entscheiden: Das Urteil des Landgerichts wird teilweise
abgeändert. Über die festgestellte Nichtigkeit der Beschlussfassungen der
außerordentlichen Hauptversammlung der Beklagten vom 7.12.2007 zu den
Tagesordnungspunkten Nr.2 und Nr.6 hinaus wird auch der von der vorgenannten
Hauptversammlung gefasste Beschluss zu Tagesordnungspunkt Nr.8 betreffend
die Auflösung der Gesellschaft mit folgendem Wortlaut: „ 8. Auflösung der
Gesellschaft/ Vorstand und Aufsichtsrat schlagen vor, die Gesellschaft zum
Stichtag 10.1.2008 aufzulösen und zu Abwicklern die Vorstandsmitglieder A und B
zu bestimmen.“ für nichtig erklärt.
Die Streithelfer stellen keine Anträge.
Die Beklagte beantragt,
die Berufungen der Kläger zu 1.) und 2.) zurückzuweisen.
Die Beklagte verteidigt insoweit das Urteil und macht geltend, die Beschlüsse zu
TOP 2 und TOP 8 seien infolge des Entschlusses zur Auflösung vorgeschlagen
worden.
II. Die Berufungen der Kläger sind zulässig, insbesondere form- und fristgerecht
eingelegt und gerechtfertigt worden. Die Rechtsmittel haben Erfolg, weil das Urteil
des Landgerichts im Umfang der Klageabweisung – aus der Sicht des
Berufungsgerichts – auf einem Rechtsfehler beruht und das Ergebnis auch nicht
wegen einer abweichenden, sich aus § 529 Abs.1 ZPO ergebenden
Tatsachengrundlage im Berufungsverfahren zu halten ist, § 513 Abs.1 ZPO. Der
Beschluss zu TOP 8 ist allerdings nicht wegen seines Zusammenhangs mit den
nichtigen Beschlüssen zu TOP 2 und TOP 6 nach § 241 Nr.3 AktG iVm. § 139 BGB
nichtig. Denn § 139 BGB ist hier nicht anzuwenden. Dass für
Versammlungsbeschlüsse § 139 BGB anwendbar ist, wenn sie über interne
Organisationsakte hinausgehen (vgl. BGH vom 10.9.1998, V ZB 11/98 - BGHZ
139, 288 für WEG-Beschluss; BGH vom 15.11.1993, II ZR 235/92 - BGHR AktG 108
Abs.1 „Teilnichtigkeit 1“; auch Palandt/Heinrichs, § 139 Rz.3), gilt nämlich für
Hauptversammlungsbeschlüsse der Aktiengesellschaft nicht. Aus der
Entscheidung des Reichsgerichts vom 7.6.1910 (II 507/09 - RGZ 73, 429, 431) folgt
das aber nicht, denn diese verneint wegen des Vorrangs von § 75 GmbHG eine
Anwendung des § 139 BGB auf andere Bestimmungen einer teilunwirksamen
Satzung einer GmbH (dazu auch Staudinger/Roth, BGB, Neubearbeitung 2003, §
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Satzung einer GmbH (dazu auch Staudinger/Roth, BGB, Neubearbeitung 2003, §
139 Rz.11; Soergel/Hefermehl, BGB, 13. Aufl. 1999, § 139 Rz.59), während es hier
nicht um einen Satzungsmangel geht. Auch die Entscheidung des BGH vom
15.11.1993 (II ZR 235/92 – BGHZ 124, 111) kann nicht herangezogen werden,
wiewohl sie die Anwendung von § 139 BGB für möglich hält, denn sie betrifft nur
einen Aufsichtsratsbeschluss, für den die Regelungen des § 241 AktG gerade nicht
gelten sollen. Dass § 139 BGB herangezogen werden kann, wenn ein
Nichtigkeitsgrund bei einem zusammengesetzten Beschluss nur einzelne
Beschlusspunkte erfasst (vgl. RG vom 22.1.1935 – II 198/34 – RGZ 146, 385, 394;
auch Hüffer, AktG, 8. Aufl. 2008, § 241 Rz.36) ist ebenfalls ohne Belang. Es geht
hier nicht um die Erhaltung von Teilen eines Beschlusses, sondern es steht eine
Ausdehnung der Nichtigkeitsgründe des § 241 AktG auf einen weiteren Beschluss
zur Entscheidung.
Der Senat folgt der im Schrifttum, soweit ersichtlich ohne Gegenstimme,
vertretenen Auffassung, dass mögliche Nichtigkeitsgründe in § 241 AktG
abschließend geregelt sind, sodass §§ 134, 138 BGB daneben nicht gelten, aber
auch nicht § 139 BGB (vgl. auch Spindler/Stitz/Würthwein, AktG 2007, § 241 Rz.15;
Heidel, Aktienrecht, 2. Aufl. 2007, § 241 Rz.1 AktG; Bürgers/Körber, AktG, 2008, §
241 Rz.6 ).
Dafür spricht unmissverständlich der Wortlaut („Ein Beschluss ... ist ... nur dann
nichtig, wenn...“, Unterstreichung zugefügt), wie auch der Regelungszweck, der
darin besteht, aus Gründen der Rechtssicherheit (vgl. Heidel, wie oben, § 241 Rz.1)
möglichst bald Klarheit über den Bestand eines Beschlusses zu erlangen. Das
geschieht dadurch, dass – bis auf Ausnahmen wegen übergeordnetem Interesse –
Mängel von Beschlüssen grundsätzlich nur eine zeitlich begrenzte Anfechtung
ermöglichen sollen. Bei einem Beschluss, der wegen seines Inhalts oder seines
Zustandekommens selbst nicht von den vorgenannten Ausnahmefällen, also nicht
von aktienrechtlicher Nichtigkeit, erfasst ist, besteht das übergeordnete Interesse
an seiner Nichtigkeit nicht; es ist sachgerecht, ihn – wie andere fehlerhafte
Beschlüsse – nur als anfechtbar anzusehen.
Eine andere Sicht wäre möglich, wenn man die Entschließungen zu TOP 2, 6 und 8
als „einen Beschluss“ iSd. § 241 AktG ansehen könnte. Es unterliegt aber keinem
Zweifel, dass „ein“ Beschluss, also seine Vereinzelung, bestimmt wird durch die
getrennte Stellung zur Stimmabgabe und damit zur Willensbildung der
Hauptversammlung (vgl. Hüffer, wie vor, § 241 Rz.2).
Auf die Anfechtungsklagen der Kläger ist der Beschluss zur Auflösung (TOP 8) für
nichtig zu erklären. Die Anfechtungsbefugnis der Kläger gemäß § 245 Ziff.1 AktG
besteht, wie sie auch fristgerecht Klage erhoben haben (§ 246 Abs.1 ZPO iVm. §
167 ZPO). Ihre Aktionärstellung und ihr Widerspruch der in der Hauptversammlung
erschienenen Kläger zu TOP 8 sind unstreitig geblieben, wie auch ihr Aktienerwerb
vor Bekanntmachung der Tagesordnung.
Die Anfechtungsklage ist begründet. Freilich liegt keine Gesetzes- oder
Satzungsverletzung durch den Beschlussinhalt vor, § 243 Abs.1 AktG. Zutreffend
hat das Landgericht gesehen, dass die Auflösung nach § 262 Abs.1 Ziff.2 AktG
keiner sachlichen Rechtfertigung bedarf, sondern seine Rechtfertigung mit dem
gebotenen Quorum in sich trägt (BGH vom 28.1.1980, II ZR 124/78 – BGHZ 76,
352, 353), sodass er grundsätzlich keiner gerichtlichen Inhaltskontrolle unterliegen
kann. Es ist insoweit auch kein Missbrauch des Stimmrechts durch die –
qualifizierte - Stimmenmehrheit festzustellen.
Es lag jedoch – objektiv - ein Verfahrensfehler vor, weil die Kläger über die
Grundlagen der Auflösung unrichtig informiert worden waren. Die Kläger haben
erstinstanzlich vorgetragen (Bl. 9 und Bl. 45 oben), der Vorstand habe in der
Hauptversammlung dahin informiert, dass nach Abfluss der Gesellschaftsmittel
aus der Maßnahme zu TOP 6 die Gesellschaft nicht mehr fortgeführt werden
könne. Dem ist die Beklagte vor dem Landgericht nicht entgegengetreten.
Schriftsatzvortrag hat die Beklagte dazu nicht gehalten. Der erstinstanzliche
Tatbestand gibt ein Bestreiten dieser Darstellung ebenfalls nicht zweifelsfrei zu
erkennen, sodass Wirkungen aus § 314 ZPO nicht entstehen. Denn die darauf
bezogene Passage des Tatbestands (LGU S.6, 1. Absatz, Bl. 193 d.A.) trennt nicht
ausreichend zwischen der Mitteilung einer Rechtsansicht („Eine Anfechtbarkeit
...ergebe sich auch daraus, dass ...“) und einem Tatsachenvortrag. Ein schlichtes
Bestreiten wäre ohnedies unzulässig gewesen, § 138 Abs.2, 3 ZPO, weil es nicht
klargestellt hätte, ob eine Erklärung des Vorstands ganz oder mit welchem
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klargestellt hätte, ob eine Erklärung des Vorstands ganz oder mit welchem
anderen Inhalt in Frage gestellt werden sollte. Der im Berufungsverfahren neue
Vortrag, die Kapitalmaßnahmen seien Folge der Auflösungsentscheidung gewesen,
die ihrerseits im Zusammenhang mit dem Rufverlust aus Ermittlungen wegen
Geldwäsche gestanden hätten, ist nach § 531 Abs.2 ZPO nicht zuzulassen.
Zulassungstatsachen sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
Die erteilte Information war unrichtig, denn die Maßnahme nach TOP 6 war
gesetzeswidrig und konnte nicht wirksam beschlossen werden. Die gleichzeitige
Herabsetzung der Gesellschaftsmittel war also als Grundlage für die über die
Auflösung zu treffende Ermessensentscheidung der Aktionäre falsch und geeignet,
in den Aktionären einen Irrtum hervorzurufen. Die Wesentlichkeit des Beweggrunds
der Verwaltung, die Auflösung vorzuschlagen, für die Entscheidung eines objektiv
urteilenden Aktionärs im Sinne von § 243 Abs.4 Satz 1 AktG liegt auf der Hand und
wird durch die Frage der Kläger nach dem Grund des Auflösungszeitpunkts noch
unterstrichen. Dass die Darstellung möglicherweise wegen eines Rechtsirrtums bei
dem Vorstand erfolgte, berührt die Unrichtigkeit nicht, für die es auf subjektive
Elemente nicht ankommt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs.1 und 101 Abs.1 ZPO. Die
Vollstreckbarkeitsentscheidung folgt aus § 708 Nr.10 ZPO und § 711 ZPO. Die
Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs.2 ZPO
fehlen.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.