Urteil des OLG Frankfurt vom 02.06.2003

OLG Frankfurt: treu und glauben, leasingvertrag, anscheinsvollmacht, post, restaurant, vertragsschluss, china, rechtsscheinvollmacht, tatsachenfeststellung, familienbetrieb

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Gericht:
OLG Frankfurt 1.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
1 U 142/02
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
§ 167 BGB
(Vollmachtlos geschlossener Leasingvertrag:
Unanwendbarkeit der Grundsätze der Anscheins- und
Duldungsvollmacht)
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 14.08.2002 verkündete Urteil der 23.
Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt/Main abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Zwangsvollstreckung
durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des nach dem Urteil vollstreckbaren
Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in Höhe von 110 %
des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Anstelle eines Tatbestandes wird auf den Tatbestand und die tatsächlichen
Feststellungen des angefochtenen Urteils Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1
ZPO).
Die Beklagte erstrebt mit ihrer Berufung die Abänderung des angefochtenen
Urteils und Abweisung der Klage. Sie rügt insbesondere, dass das Landgericht zu
Unrecht die Grundsätze der Rechtsscheinvollmacht angewendet habe. Da der
Abschluss des Leasingvertrages kein Vertretergeschäft gewesen sei, fehle es an
einem in Anspruch genommenen Vertrauen für ein bestehendes
Vertretungsverhältnis. Die Anwendung der Grundsätze über die
Anscheinsvollmacht komme auch deshalb nicht Betracht, weil es dem Verhalten
des Zeugen M. an einer gewissen Dauer und Häufigkeit fehle. Die
Tatsachenfeststellung des Landgerichts sei fehlerhaft. Die Aussage des Zeugen M.
habe nicht ergeben, dass er im Jahre 1998 für den Betrieb der Beklagten tätig
gewesen sei. Soweit der Zeuge berichtet habe, dass sein Bruder ihm im Jahre
1998 teilweise Post übergeben habe, habe es sich um solche Post gehandelt, die
an den Zeugen persönlich gerichtet gewesen sei.
Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil. Nach ihrer Auffassung hat die
Beweisaufnahme ergeben, dass die Unterschrift auf dem Leasingvertrag von der
Beklagten stamme. Jedenfalls habe der Zeuge M. mit Vertretungsmacht der
Beklagten gehandelt. Das ergebe sich daraus, dass sämtliche Korrespondenz für
den Leasingvertrag, insbesondere die Abnahmebestätigung vom 03.02.1999, die
Widerrufsbelehrung sowie das Schreiben vom 10.02.1999 der Beklagten
zugegangen sei. Mit Nichtwissen bestreitet die Klägerin, dass die Beklagte
persönlich nicht die an sie gerichtete Post erhalte, dass die Beklagte nicht lesen
und auch nicht deutsch sprechen könne. Wenn die Beklagte die Bearbeitung der
Post und die Führung des Restaurantbetriebes ihrem Sohn überlassen habe,
müsse sie sich an allen geschlossenen Verträgen festhalten lassen. Der
Leasingvertrag sei nach den Umständen von der Beklagten - soweit nicht in deren
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Leasingvertrag sei nach den Umständen von der Beklagten - soweit nicht in deren
Vollmacht abgeschlossen - zumindest genehmigt worden.
II. Die Berufung der Beklagten ist begründet. Der Klägerin stehen gegen die
Beklagte Ansprüche aus dem Leasingvertrag nicht zu, weil ein entsprechendes
Rechtsgeschäft mit der Beklagten nicht zustande gekommen ist.
Die Unterschrift unter dem Leasingvertrag stammt nicht von der Beklagten,
sondern von deren Sohn, dem Zeugen M.. Diese vom Landgericht festgestellte
Tatsache ist auch der Entscheidung im Berufungsrechtszug zugrunde zu legen.
Konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit der Feststellung sind nicht
ersichtlich (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).
Die von dem Zeugen M. bei Vertragsschluss abgegebene Erklärung wirkt nicht
unmittelbar für und gegen die Beklagte (§ 164 Abs. 1 BGB). Der Zeuge M. war
nicht bevollmächtigt, die Beklagte zu vertreten.
Unstreitig wurde dem Zeugen eine Vollmacht durch ausdrückliche Erklärung nicht
erteilt. Es liegen auch keine Umstände vor, die eine konkludente
Vollmachtserteilung ergeben. Insbesondere hat die Beklagte nicht dem Zeugen M.
die Führung ihres Geschäftsbetriebes überlassen.
Allerdings hat der Zeuge M. glaubhaft ausgesagt, dass sich die Tätigkeit der
Beklagten für das China-Restaurant, deren Inhaberin sie ist, auf Mithilfe in der
Küche beschränkt, dass sie Schriftverkehr nicht selbst führt und dass er - der
Zeuge und seine Brüder - "fast alles betreuen". Gleichwohl kann nicht festgestellt
werden, dass die Beklagte dem Zeugen M. die Führung ihres Geschäftsbetriebes
überlassen habe. Denn der Zeuge hat ferner ausgesagt, dass er im Jahre 1998
und 1999 selbst ein China-Restaurant in Kelkheim betrieben habe und dass für den
Betrieb seiner Mutter sein Bruder "zuständig" gewesen sei, der auch die
Bestellungen gemacht habe und ihm - dem Zeugen - gelegentlich Post gegeben
habe. Daraus folgt, dass die Beklagte den vom Zeugen bezeichneten Bruder mit
der Führung des Restaurant-Betriebes betraut und diesem jedenfalls konkludent
die hierzu erforderliche Vollmacht erteilt hat. Hingegen enthält die Aussage des
Zeugen keine ausreichenden Anhaltspunkte für die Annahme, auch dem Zeugen
sei die Führung des Geschäftsbetriebes der Beklagten überlassen worden.
Derartiges folgt auch nicht daraus, dass der Zeuge den Betrieb der Beklagten als
Familienbetrieb bezeichnete. Nach der Erläuterung des Zeugen war der Betrieb
der Beklagten insofern "Familienbetrieb", als man dort mithelfen musste, sobald
es dort "Probleme" gab. Eine gelegentliche Aushilfe im Geschäftsbetrieb der
Beklagten rechtfertigt jedoch nicht schon die Annahme, dass auch der Zeuge M.
zum Abschluss von Verträgen für und gegen die Beklagte bevollmächtigt war.
Danach kann eine dem Zeugen konkludent erteilte Vollmacht der Beklagten nicht
festgestellt werden.
Die Tatsachenfeststellung des Landgerichts, dass die Beklagte auch dem Zeugen
den gesamten Geschäftsbetrieb überlassen habe, ist für die Entscheidung im
Berufungsrechtszug nicht bindend. Aus den genannten Gründen war die
Beweiswürdigung des Landgerichts unvollständig, so dass konkrete Anhaltspunkte
für Zweifel an der Richtigkeit der Feststellung bestehen und eine Neufeststellung -
wie geschehen - gebieten (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).
Die Beklagte muss die Erklärung des Zeugen bei Abschluss des Leasingvertrages
auch nicht nach den Grundsätzen der Anscheinsvollmacht gegen sich gelten
lassen. Die Grundsätze über die Anscheinsvollmacht sind nicht anwendbar, weil
der Zeuge M. bei Vertragsschluss nicht nach außen als Vertreter der Beklagten
auftrat. Bei der Anscheinsvollmacht kann sich der Vertretene auf den Mangel der
Vertretungsmacht seines Vertreters nicht berufen, wenn er schuldhaft den
Rechtsschein einer Vollmacht veranlasst hat, so dass der Geschäftsgegner nach
Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte von einer Bevollmächtigung
ausgehen darf und von ihr ausgegangen ist (BGH NJW 1998, 1854, 1855 mit
weiteren Nachweisen). Grundlage für die Anerkennung der (Duldungs- und)
Anscheinsvollmacht ist der der gesetzlichen Regelung der Rechtsscheinvollmacht
(§§ 170 - 172 BGB) zu entnehmende Gedanke des Vertrauensschutzes (BGH NJW
1991, 1225). Ein Vertrauensschutz des Geschäftsgegners kann jedoch nicht in
Betracht kommen, wenn für diesen ein Vertretergeschäft nach den Umständen
nicht erkennbar ist. So liegt es hier, da der Zeuge die Vertragsurkunde mit der von
ihm gefälschten Unterschrift der Beklagten an die Klägerin sandte.
Die Beklagte muss die von dem Zeugen M. bei Vertragsschluss für sie
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Die Beklagte muss die von dem Zeugen M. bei Vertragsschluss für sie
abgegebene Erklärung auch nicht deshalb gegen sich gelten lassen, weil sie das
vollmachtlose Handeln nachträglich genehmigt habe. Konkrete Anhaltspunkte für
einen entsprechenden rechtsgeschäftlichen Willen der Beklagten oder des von ihr
bevollmächtigten Bruders des Zeugen sind nicht ersichtlich. Sie ergeben sich
insbesondere nicht schon daraus, dass der Zeuge weitere Schriftstücke, die die
Durchführung des Leasingvertrages betreffen, mit seiner Unterschrift versah und
den Firmenstempel der Beklagten beifügte. Der Beklagte hatte als
Familienangehöriger uneingeschränkt Zugang zu den Geschäftsräumen der
Beklagten, die sich um Geschäftspost nicht kümmerte. Unter diesen Umständen
lässt sich aus dem tatsächlichen Geschehen nicht auf einen entsprechenden
rechtsgeschäftlichen Willen der Beklagten schließen.
Danach entfaltet der von dem Zeugen vollmachtlos abgeschlossene
Leasingvertrag keine Wirkungen für oder gegen die Beklagte, so dass die geltend
gemachten Ansprüche nicht begründet sind.
Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, da sie unterliegt (§ 91
Abs. 1 ZPO). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den
§§ 708 Nr. 10. 711 ZPO.
Die Zulassung der Revision ist nicht veranlasst. Die Rechtssache hat keine
grundsätzliche Bedeutung. Auch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung
einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert die Entscheidung des
Revisionsgerichts nicht (§ 543 Abs. 2 ZPO).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.