Urteil des OLG Frankfurt vom 23.02.2007
OLG Frankfurt: elterliche sorge, vertretung, erbengemeinschaft, teilung, zustellung, nachlass, erbschein, beschwerdefrist, vertreter, tod
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Gericht:
OLG Frankfurt 1.
Senat für
Familiensachen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
1 UF 371/06
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 181 BGB, § 1626 BGB, §
1629 BGB, § 1680 BGB, §
1795 BGB
Ergänzungspflegschaft: Anordnung wegen eines
beabsichtigten Grundstücksverkaufs durch eine
Kindesmutter, die mit ihrem Kind nach dem Tod des
Kindesvaters eine Erbengemeinschaft bildet
Leitsatz
Zur Ergänzungspflegerbestellung für die Vertretung des Kindes bei der
Erbauseinandersetzung
Tenor
Die Beschlüsse vom 19. Oktober 2006 und vom 06. November 2006 werden
aufgehoben.
Das Beschwerdeverfahren ist gerichtsgebührenfrei.
Gründe
I.
Mit dem angefochtenen Beschluss vom 19.10.2006 hat die Rechtspflegerin des
Familiengerichts Ergänzungspflegschaft für das am … 1999 geborene Kind
angeordnet. Der Wirkungskreis umfasst „die Wahrnehmung und Vertretung des
Kindes bei der Erbauseinandersetzung in der Nachlassangelegenheit nach dem
verstorbenen Kindesvater A (geboren am …1951 / verstorben am ...2006),
insbesondere bei der Veräußerung vorhandenen Grundbesitzes (Erbnachweis:
Erbschein vom 09.08.2006 des Nachlassgerichts Idstein, Az: 22 VI 115/06).“
Die Bestellung des Ergänzungspflegers hat das Familiengericht dem zuständigen
Vormundschaftsgericht vorbehalten. Dieses hat unter dem 25. Oktober 2006 auf
rechtliche Bedenken hingewiesen. Unter dem 06. November 2006 hat das
Familiengericht den Wirkungskreis darauf hin wie folgt neu gefasst:
„Der Wirkungskreis umfasst die Wahrnehmung und Vertretung des Kindes bei
der Erbauseinandersetzung in der Nachlassangelegenheit nach dem verstorbenen
Kindesvater A (geboren am ...1951 / verstorben am ...2006), insbesondere bei der
im Rahmen der Erbauseinandersetzung erfolgenden Veräußerung vorhandenen
Nachlassgrundbesitzes (Erbnachweis: Erbschein vom 09.08.2006 des
Nachlassgerichts Idstein, Az: 22 VI 115/06).“
Beide Beschlüsse wurden der Kindesmutter nur formlos bekannt gemacht.
Unter dem 20. November 2006 hat die Kindesmutter gegen den Beschluss vom
19. Oktober 2006 beim Familiengericht „Beschwerde“ eingelegt. Diese ging am
21. November 2006 beim Familiengericht ein. Das Vormundschaftsgericht hat die
Bestellung und Verpflichtung eines Ergänzungspflegers mit Beschluss vom 24.
November 2006 abgelehnt.
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Das Familiengericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 13. Dezember 2006
nicht abgeholfen und diese dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.
Die Akten gingen am 20. Dezember 2006 beim Beschwerdegericht ein.
II.
Die Beschwerde ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.
1. Gegen die Anordnung der Ergänzungspflegschaft ist das Rechtsmittel der
befristeten Beschwerde im Sinne von § 11 Abs. 1 RPflG i. V. m. § 621 e ZPO
statthaft. Denn die von dem nach § 3 Nr. 2 a i. V. m. § 14 RPfG funktionell
zuständigen Rechtspfleger getroffene Endentscheidung betrifft einen Teilbereich
der elterlichen Sorge im Sinne von § 621 Abs. 1 Nr. 1 ZPO (vgl. OLG Koblenz, ZERB
2007,S. 15 f.).
Die Beschwerde ist auch im Übrigen zulässig. Insbesondere ist sie noch innerhalb
der Notfrist des § 621 e Abs. 3 i. V. m. § 517 ZPO fristgerecht beim
Oberlandesgericht eingegangen.
Grundsätzlich läuft die Beschwerdefrist vom Zeitpunkt der Zustellung der in
vollständiger Form abgefassten Entscheidung an (vgl. § 621 e Abs. 3 Satz 2 i. V.
m. § 517 Hs 2 ZPO). An einer förmlichen Zustellung fehlt es hingegen vorliegend.
Lässt sich die förmliche Zustellung nicht nachweisen, so gilt sie in dem Zeitpunkt
als zugestellt, indem sie tatsächlich zugegangen ist (vgl. § 189 ZPO). Die Frist
beginnt daher unter Berücksichtigung von § 222 ZPO i. V. m. § 187 BGB
frühestens am 23. Oktober 2006, so dass sie am 23. November 2006 endet. Die
Beschwerdeführerin hat die Beschwerde zwar entgegen § 621 e Abs. 3 ZPO nicht
innerhalb der Monatsfrist beim Beschwerdegericht eingelegt. Die versehentliche
Adressierung der Beschwerde an das Beschwerdegericht schadet aber vorliegend
ausnahmsweise nicht. Denn das Rechtsmittel ist innerhalb der Beschwerdefrist
beim Familiengericht eingegangen und die Beschwerdeführerin durfte darauf
vertrauen, dass das Familiengericht fristgerecht die Beschwerde an das
Oberlandesgericht weiterleitet. Im Übrigen wäre die Beschwerde bei einer
Weiterleitung im ordentlichen Geschäftsgang auch noch fristgerecht beim
Oberlandesgericht eingegangen.
2. Die Beschwerde führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung.
a) Insoweit kann dahingestellt bleiben, ob das Familiengericht überhaupt zur
Entscheidung berufen war (zum Meinungsstreit: Staudinger-Beinwald, Kommentar
zum Bürgerlichen Gesetzbuch, § 1909 Rn. 38 m.w.Nachw.; MünchKomm-Schwab,
BGB, § 1909 Rn. 62), denn diese Frage ist einer Überprüfung durch das
Beschwerdegericht entzogen (vgl. § 621 e Abs. 4 Satz 1 ZPO).
b) Die Beschwerde hat jedoch deshalb Erfolg, weil die Voraussetzungen für die
Anordnung einer Ergänzungspflegschaft im Sinne von § 1909 BGB derzeit nicht
vorliegen.
Die der Beschwerdeführerin als Kindesmutter nach dem Tod des Vaters alleine
zustehende elterliche Sorge (vgl. § 1680 Abs. 1 i. V. m. §§ 1626, 1629 BGB) ist
lediglich in den gesetzlich beschriebenen Ausnahmefällen eingeschränkt. An einer
gesetzlichen Beschränkung der elterlichen Sorge in diesem Sinne fehlt es
vorliegend. Insbesondere besteht kein gesetzlicher Vertretungsausschluss nach §§
1629 Abs. 2, 1795 Abs. 2, 181 BGB. Hiernach besteht wegen der abstrakten
Gefahr eines Interessenkonflikts in den Fällen ein gesetzlicher
Vertretungsausschluss, in denen der gesetzliche Vertreter (hier die
Beschwerdeführerin) auf beiden Seiten eines Rechtsgeschäfts tätig wird. Hingegen
werden solche Rechtsgeschäfte nicht von dem Ausschlusstatbestand erfasst, in
denen der Vertreter und der Vertretene zugleich im eigenen Namen und im
Namen des Vertretenen einem Dritten gegenüber Erklärungen abgeben (vgl.
Palandt-Diederichsen, BGB, 66. Auflage, § 1795 Rn. 4).
So liegt es hier. Denn die Beschwerdeführerin beabsichtigt den Verkauf eines in
den Nachlass fallenden Grundstücks. Insoweit sind von ihr lediglich
Parallelerklärungen abzugeben, die einen gesetzlichen Vertretungsausschluss
nicht herbeiführen. Eine Erbauseinandersetzung, auch eine gegenständliche
beschränkte Teilauseinandersetzung, die nach einer Ergänzungspflegerbestellung
verlangen würde (vgl. Palandt-Diederichsen, BGB, 66. Auflage, § 2042 Rn. 7, 18),
ist mit dem Verkauf des Grundstücks nicht verbunden. Vielmehr bleibt die aus ihr
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ist mit dem Verkauf des Grundstücks nicht verbunden. Vielmehr bleibt die aus ihr
und dem gemeinschaftlichen Sohn bestehende Erbengemeinschaft an dem
Veräußerungserlös bestehen (vgl. § 2041 BGB). Erst mit der Teilung des Erlöses
wäre die gegenständlich beschränkte Teilauseinandersetzung vollzogen. Eine
Teilung soll jedoch gerade nicht erfolgen, sondern nach dem Willen der
Beschwerdeführerin soll der Erlös der aus ihr und ihrem Sohn zusammengesetzten
Erbengemeinschaft zufließen.
Soweit das Familiengericht gleichwohl die Ergänzungspflegerbestellung für die
Vertretung des Kindes bei der Erbauseinandersetzung angeordnet hat, kann diese
Entscheidung keinen Bestand haben. Denn eine Erbauseinandersetzung ist von
der Beschwerdeführerin derzeit nicht gewollt. Sie hat mit ihrem Antrag vom 24.
August 2006 sowie der Stellungnahme vom 20. Januar 2007, in welcher sie sich auf
Ausführungen des Vormundschaftsgerichts bezieht, deutlich zum Ausdruck
gebracht, dass zum jetzigen Zeitpunkt lediglich der Verkauf des zum Nachlass
gehörenden Grundstücks und keine Teilung des Erlöses beabsichtigt ist. Wie
überdies dem vorliegenden Nachlassverzeichnis zu entnehmen ist, umfasst der
Nachlass weiteres Vermögen, insbesondere ein zweites Grundstück sowie Giro-
und Sparkonten, ein Wertpapierdepot und eine Lebensversicherung. Im Übrigen
sind die Miterben nicht gehalten, sich auseinanderzusetzen. Sie können vielmehr
die Erbengemeinschaft auch dauerhaft aufrechterhalten. Für eine (vorbeugende)
Ergänzungspflegerbestellung fehlt es vor diesem Hintergrund an einer
gesetzlichen Grundlage.
Vorsorglich wiest der Senat im Übrigen darauf hin, dass die sorgeberechtigte
Beschwerdeführerin für die Veräußerung eines Grundstücks einer
familiengerichtlichen Genehmigung nach § 1643 Abs. 1 i. V. m. § 1821 Ziff. 1 BGB
bedarf.
III.
Mit der Aufhebung des Beschlusses vom 19. Oktober 2006 entfällt auch die
Grundlage für den Beschluss vom 06. November 2006. Aus Gründen der
Rechtsklarheit war dieser ebenfalls aufzuheben.
IV .Die Kostenentscheidung beruht auf § 131 Abs. 3 KostO.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.