Urteil des OLG Frankfurt vom 31.08.2006

OLG Frankfurt: verwirkung, unterhalt, verjährung, volljährigkeit, eltern, vaterschaft, auflage, unterliegen, leistungsfähigkeit, pflege

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Gericht:
OLG Frankfurt 5.
Senat für
Familiensachen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
5 WF 233/05
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 654 ZPO, § 207 Abs 1 BGB, §
242 BGB, § 1613 Abs 3 BGB
(Kindesunterhalt: Verwirkung des Unterhaltsanspruchs
eines minderjährigen Kindes trotz Hemmung der
Verjährung bis zur Volljährigkeit)
Leitsatz
Der Umstand, dass die Verjährung der Unterhaltsansprüche eines minderjährigen
Kindes gegenüber seinen Eltern bis zur Volljährigkeit des Kindes gehemmt ist, steht der
Annahme einer Verwirkung nicht entgegen, wenn aus besonderen Gründen die
Vorraussetzungen sowohl des Zeit- als auch des Umstandsmoments erfüllt sind.
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird abgeändert.
Dem Antragsteller wird für die Klage vom 22.7.2005 Prozesskostenhilfe bewilligt.
Ihm wird Rechtsanwalt .... zu den Bedingungen eines ortsansässigen Anwalts
beigeordnet.
Das Beschwerdeverfahren ist gerichtsgebührenfrei, außergerichtliche Kosten sind
nicht zu erstatten (§§ 1, 3 GKG i.V.m. KV Nr. 1811, § 127 Abs. 4 ZPO).
Gründe
Die hinreiche Erfolgsaussicht der Klage kann nicht verneint werden. Im Verfahren
nach § 654 ZPO ist - was das Amtsgericht auch nicht verkennt - der Einwand der
Verwirkung zu prüfen, vergleiche dazu BGH MDR 2003, 994; OLG Jena NJW-RR
2002, 1154; OLG Karlsruhe FamRZ 2002, 1262). Der Bundesgerichtshof hat
dargelegt, dass auch Unterhaltsansprüche Minderjähriger der Verwirkung
unterliegen können. Der Umstand, dass die Verjährung der Unterhaltsansprüche
eines minderjährigen Kindes gegenüber seinen Eltern bis zur Volljährigkeit des
Kindes gehemmt ist, steht der Annahme einer Verwirkung nicht entgegen, wenn
aus besonderen Gründen die Voraussetzungen sowohl des Zeit- als auch des
Umstandsmoments erfüllt sind (BGH FamRZ 1999, 1422 unter Hinweis auf BGH
FamRZ 1988, 370 ff.). In der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 13.1.1988
( FamRZ 1988, 370 ff.; siehe auch BGH FamRZ 2002, 1698; FamRZ 2004, 531) ist
ausgeführt, nach § 1613 BGB könne Unterhalt für die Vergangenheit nur
ausnahmsweise gefordert werden. Von einem Unterhaltsgläubiger, der
lebensnotwendig auf Unterhaltsleistungen angewiesen sei, könne eher als von
einem Gläubiger anderer Forderungen erwartet werden, dass er sich zeitnah um
die Durchsetzung des Anspruchs bemühe. Tue er dies nicht, erwecke er in der
Regel den Eindruck, er sei in dem fraglichen Zeitraum nicht bedürftig, zumal seine
wirtschaftlichen Verhältnisse dem Unterhaltsschuldner meist nicht genau bekannt
seien, und Unterhaltsrückstände könnten zu einer erdrückenden Schuldenlast
anwachsen, die auch die Leistungsfähigkeit des Unterhaltsverpflichteten für den
laufenden Unterhalt beeinträchtigen könne. Schließlich seien im Unterhaltsprozess
die für die Unterhaltsbemessung maßgeblichen Einkommensverhältnisse nach
längerer Zeit oft nur schwer aufklärbar. Die angeführten Gründe seien so
gewichtig, dass das Zeitmoment bereits dann erfüllt sein könne, wenn die
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gewichtig, dass das Zeitmoment bereits dann erfüllt sein könne, wenn die
Rückstände Zeitabschnitte beträfen, die etwas mehr als ein Jahr zurücklägen. Sei
der Unterhaltsberechtigte durch besondere Umstände, insbesondere durch solche
im Verantwortungsbereich des Schuldners, an einer zeitnahen Geltendmachung
seines Rechts gehindert, sei das Zeitmoment diesen anzupassen. Zum
Umstandsmoment, das heißt dem Hinzutreten besonderer Umstände auf Grund
deren der Unterhaltsverpflichtete sich darauf einrichten durfte und eingerichtet
hat, dass der Unterhaltsberechtigte sein Recht nicht mehr geltend machen werde,
hat der Bundesgerichtshof unter anderem ausgeführt, ein Unterhaltsverpflichteter
pflege seine Lebensführung an die ihm zur Verfügung stehenden Einkünfte
anzupassen, so dass er bei unerwarteten Unterhaltsnachforderungen nicht auf
Ersparnisse zurückgreifen könne und dadurch regelmäßig in Bedrängnis gerate.
Besonderer Feststellungen, dass er sich tatsächlich auf den Fortfall der
Unterhaltsforderung eingerichtet habe, bedürfe es daher nicht. Danach kommt auf
Grund der neueren Entscheidungen des Bundesgerichtshofs eine Verwirkung für
zurückliegende Unterhaltsansprüche jedenfalls in Betracht (vergleiche aber auch
BGH FamRZ 1981, 763, wonach der Rechtsbehelf der Verwirkung im Bereich der
Anwendung von § 1615 i BGB alte Fassung - jetzt § 1613 Abs. 3 BGB - besonderer
Zurückhaltung unterliegt und im wesentlichen nur insoweit zur Anwendung
gelangen soll, als die in Frage kommenden Belastungen und Beeinträchtigungen
des Unterhaltsschuldners außerhalb dessen Regelungsbereich liegen; vergleiche
ferner OLG Brandenburg FamRZ 2000, 1044; OLG Jena NJW-RR 2002, 1154; OLG
Köln FamRZ 2000, 1434; OLG Düsseldorf FamRZ 1989, 776).
Der Antragsteller hatte zwar Kenntnis von der möglichen Vaterschaft. Dabei ist
allerdings unklar, ob er 1998 Zweifel an seiner Vaterschaft äußerte. Von Seiten der
Antragsgegnerin ist seit 1998 nicht mehr an ihn herangetreten worden. Sie war
nicht gehindert, die Vaterschaftsfeststellung und die Geltendmachung von
Unterhaltsansprüchen zu betreiben. Eine Angstvorstellung, der Antragsteller
könne das Kind nach einer Vaterschaftsfeststellung verschleppen, ist - wenn dafür
konkrete Anhaltspunkte gegeben wären - bestritten. Nach der Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs muss sich die minderjährige Antragsgegnerin auch das
Verhalten ihres gesetzlichen Vertreters zurechnen lassen, und zwar sogar trotz
der Hemmung der Verjährung eines Anspruchs des Kindes gegenüber seinen
Eltern nach § 207 Abs. 1 Satz 2 BGB (BGH, FamRZ 1999, 1422, im Ergebnis
ebenso die Vorinstanz OLG Frankfurt am Main, 2 UF 88/98, FamRZ 1999, 1163 ff.
unter Abänderung von AG Kirchhain, Urt. v. 03.03.1998, 7 F 519/97, jetzt auch
Johannsen/Henrich/Graba, Eherecht, 4. Auflage, 2003, § 1613 Rn. 10, anderer
Ansicht noch die Vorauflage, kritisch hierzu aber weiterhin Luthin, Handbuch des
Unterhaltsrechts, 2004, Rn. 3123 und Fußnote 311 m. w. N.).
Hier wären außerdem erhebliche Unterhaltsrückstände aufgelaufen. Der
Antragsteller macht geltend, noch nicht einmal zur Zahlung des laufenden
Unterhalts leistungsfähig zu sein. Er bemühe sich um eine zusätzliche Tätigkeit,
um wenigstens den laufenden Unterhalt zahlen zu können. Auch wenn der
Antragsteller unter Umständen nicht damit rechnen konnte, dass der Bedarf der
Antragsgegnerin gedeckt sein konnte, so sind danach doch die weiteren
Argumente des Bundesgerichtshofs für die in Betracht kommende Annahme einer
Verwirkung von Bedeutung.
Soweit nach der im Hauptverfahren erforderlichen Abwägung aller Umstände nicht
alle Unterhaltsansprüche in der Vergangenheit der Verwirkung unterliegen, ist
ferner darauf hinzuweisen, dass nach dem Vorbringen des Antragstellers Unterhalt
von der Unterhaltsvorschusskasse wohl bis Anfang 2004 gezahlt wurde, so dass
ein Anspruchsübergang in Betracht kommt. Dieser Einwand wäre im Verfahren
nach § 654 ZPO ebenfalls zu berücksichtigen (Zöller/Philippi, ZPO, 25. Auflage, §
653 Rn. 4), so dass auch deswegen die Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu
erfolgen hat. Die Einzelheiten sind im Hauptverfahren zu klären.
Für das weitere Verfahren wird noch darauf hingewiesen, dass die beglaubigte
Abschrift der Klage, obwohl unter dem 18.10.2005 das schriftliche Vorverfahren
bereits angeordnet ist, bisher noch nicht zugestellt worden ist.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.