Urteil des OLG Frankfurt vom 14.10.2004

OLG Frankfurt: werbung, berufliche tätigkeit, internet, vertretung, berufsfreiheit, vollstreckung, form, wiederholungsgefahr, werbeverbot, hessen

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Gericht:
OLG Frankfurt 6.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
6 U 198/03
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
Art 12 GG, § 1 UWG, § 1aF
UWG, § 3 UWG, § 4 Nr 11 UWG
(Werbung des Rechtsanwalts: Reichweite des
berufsrechtlichen Sachlichkeitsgebot)
Leitsatz
Zur Reichweite des Sachlichkeitsgebots bei der Anwaltswerbung
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das am 12.11.2003 verkündete Urteil der 6.
Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der
Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes in Höhe von bis zu 250.000 EUR,
ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu
unterlassen,
wie folgt zu werben:
„Soweit erforderlich, werden wir auch Klage erheben. Wir werden Anträge auf Erlass
einer einstweiligen Verfügung sorgfältig begründen und den Gerichtstermin auf
jeden Fall wahrnehmen.
Dies unterscheidet uns von einigen anderen auf diesem Gebiet tätigen
Anwälten/innen, bei denen der Sachvortrag häufig recht dürftig ist und keine
Vertretung in der mündlichen Verhandlung erfolgt. So geht z. B. Rechtsanwalt X
aus … nie zur mündlichen Verhandlung, so dass ihn einige Richter bereits als
„Phantom“ bezeichnet haben.
Wir werden als adäquate Gesprächspartner auch von den Richtern geschätzt (...).“
Die Kosten des Rechtsstreits hat der Beklagte zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte kann die Vollstreckung des Klägers durch Sicherheitsleistung in Höhe
von 35.000,-- EUR abwenden, soweit nicht der Kläger vor der Vollstreckung
Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Beschwer des Beklagten: 30.000,-- Euro.
Gründe
I.
Auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil (Bl. 63 ff. d. A.)
wird gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Hiergegen richtet sich die Berufung
des Klägers, der an seiner Auffassung festhält, die Werbung des Beklagten
verletze das Sachlichkeitsgebot der §§ 43 b BRAO, 6 Abs. 1 BORA.
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Der Kläger beantragt,
das angefochtene Urteil abzuändern und es dem Beklagten unter Androhung
der gesetzlichen Ordnungsmittel zu untersagen, wie folgt zu werben:
„Soweit erforderlich, werden wir auch Klage erheben. Wir werden die Anträge
auf Erlass einer einstweiligen Anordnung sorgfältig begründen und den
Gerichtstermin auf jeden Fall wahrnehmen.
Dies unterscheidet uns von einigen anderen auf diesem Gebiet tätigen
Anwälten/innen, bei denen der Sachvortrag häufig recht dürftig ist und keine
Vertretung in der mündlichen Verhandlung erfolgt. So geht z.B. Rechtsanwalt X
aus … nie zur mündlichen Verhandlung, so dass ihn einige Richter bereits als
„Phantom“ bezeichnet haben.
Wir werden als adäquate Gesprächspartner auch von den Richtern geschätzt
(...).“
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil. Er vertritt die Auffassung, die
beanstandete Werbung könne ihm mit Rücksicht auf die aktuellen Rechtsprechung
des Bundesverfassungsgerichts zum Standesrecht der freien Berufe nicht
untersagt werden.
Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze
nebst ihren Anlagen Bezug genommen.
II.
Die Berufung des Klägers ist zulässig und begründet. Die beanstandete Werbung
verstößt gegen das Sachlichkeitsgebot der §§ 43 b BRAO, 6 BORA und stellt damit
zugleich unlauteren Wettbewerb gemäß §§ 3, 4 Nr. 11 UWG (§ 1 UWG a. F.) dar.
Vorab ist klarzustellen, dass die im Klageantrag und im Tenor wiedergegebene
Passage im Kontext angegriffen wird, nicht die einzelnen Sätze isoliert
voneinander. Die Klage ist daher bereits begründet, wenn eine der darin
enthaltenen Werbeaussagen unlauter ist.
Wie im Sitzungsprotokoll der mündlichen Verhandlung vor dem Senat im
Eilverfahren (Aktenzeichen 6 U 29/03) bereits ausgeführt, sind die ersten beiden
Sätze der angegriffenen Passage („Soweit erforderlich werden wir auch Klage
erheben. Wir werden die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung
sorgfältig begründen und etwaige Gerichtstermine auf jeden Fall wahrnehmen.“)
für sich betrachtet nicht zu beanstanden. Die Aussagen sind noch als sachliche
Unterrichtung im Sinne der §§ 43 b BRAO, 6 BORA zu verstehen. Diese
Vorschriften sind im Hinblick auf Artikel 12 GG restriktiv auszulegen und verbieten
den Rechtsanwälten eine Werbung nicht, soweit sie über die berufliche Tätigkeit in
Form und Inhalt sachlich unterrichtet und nicht auf die Erteilung eines Auftrages im
Einzelfall gerichtet ist (BVerfG WRP 2001, 1284, 1286 – Umfassende
Rechtsberatung). Diese Grenze wird von den ersten beiden Sätzen der
angegriffenen Passage beachtet. Die Aussage, Anträge auf Erlass einer
einstweiligen Anordnung würden sorgfältig begründet, enthält zwar ein wertendes
Element, das sich aber vom Boden der Sachlichkeit nicht so weit entfernt, das eine
Einschränkung der Berufsfreiheit durch ein entsprechendes Werbeverbot zu
rechtfertigen wäre.
Demgegenüber wird das Sachlichkeitsgebot durch die nächsten beiden Sätze
(„Dies unterscheidet uns von einigen anderen auf diesem Gebiet tätigen
Anwälten/innen, bei denen der Sachvortrag häufig recht dürftig ist und keine
Vertretung in den mündlichen Verhandlungen erfolgt. So geht z.B. ein
Rechtsanwalt X aus ... nie zu mündlichen Verhandlungen, so dass ihn einige
Richter bereits als „Phantom“ bezeichnet haben.“) verletzt. Zwar handelt es sich
bei der Werbung im Internet um eine passive Darstellungsform, die sich nicht
unaufgefordert potenziellen Interessenten aufdrängt, sondern im Gegenteil von
diesen erst aktiv aufgerufen werden muss, was dafür spricht, das Verbot einer
solchen Werbung strengeren Voraussetzungen zu unterwerfen (BVerfG WRP 2003,
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solchen Werbung strengeren Voraussetzungen zu unterwerfen (BVerfG WRP 2003,
1209, 1211 – Werbung von Zahnärzten im Internet). Auch verkennt der Senat
nicht, dass dieser Teil der angegriffenen Passage einen wahren Tatsachenkern
enthält. Dennoch ist die Werbung unzulässig, weil sie den Leser, der nicht
beurteilen kann, wer zu den von dem Beklagten angesprochenen nachlässigen
Rechtsanwälten gehört, verunsichert. Die Aussage ist für ihn nicht nachvollziehbar.
Ein rechtliches Interesse des Beklagten, nicht nur seine eigene Leistung positiv
darzustellen, wie in den beiden vorangegangenen Sätzen geschehen, sondern
darüber hinaus einen – für den Leser nicht definierbaren – Teil der konkurrierenden
Rechtsanwälte in ein schlechtes Licht zu rücken, besteht nicht. Daher ist der
Auffassung des Landgerichts, die anonymisierte Darstellung des Kollegen X aus ...
sei der vergleichsweise geringst mögliche Eingriff, nicht beizutreten. Überdies
berücksichtigt die Argumentation des Landgerichts nicht, dass es nicht nur um die
Wahrung der Persönlichkeitsrechte des betroffenen Rechtsanwalts geht, sondern
auch und vor allem um das berechtigte Interesse des Werbeadressaten, nicht
durch eine für ihn nicht nachvollziehbare und daher unsachliche Werbung
verunsichert zu werden.
Die Klage ist darüber hinaus auch deshalb begründet, weil es im letzten Satz der
angegriffenen Passage heißt: „Wir werden als adäquate Gesprächspartner auch
von den Richtern geschätzt ...“. Es kann dahingestellt bleiben, ob es sich hierbei
um eine reine Wertung oder um eine Äußerung mit einem – unterstellt – wahren
Tatsachenkern handelt. Mit der Stellung eines Rechtsanwalts im Interesse des
rechtssuchenden Bürgers ist eine Werbung nicht vereinbar, die ein reklamehaftes
Anpreisen in den Vordergrund stellt und mit der eigentlichen Leistung des Anwalts
und dem unabdingbaren Vertrauensverhältnis im Rahmen eines Mandats nichts
mehr zu tun hat (BVerfG NJW 2004, 2656, 2657). Indem der Beklagte sich den
Interessenten als von den Richtern geschätzt präsentiert, erweckt er,
insbesondere im Kontext mit den beiden vorangegangen Sätzen, den Eindruck, in
einem Näheverhältnis zu den zur Neutralität verpflichteten Richtern zu stehen und
Prozesse deshalb nicht nur wegen seiner sachlichen Befähigung, sondern auch
wegen seiner persönlichen Beziehungen gewinnen zu können. Die Aussage ist
zugleich geeignet, den Interessenten davon abzuhalten, einen anderen
Rechtsanwalt zu mandatieren, der zwar genauso befähigt ist, wie der Beklagte,
möglicherweise jedoch nicht in gleicher Weise von „den“ Richtern geschätzt. Sie
wird auch nicht dadurch in ein anderes Licht gerückt, dass es im Anschluss heißt:
„... und werden als einzige Rechtsanwälte auf diesem Gebiet regelmäßig als
Referenten auf Fortbildungsveranstaltungen der Deutschen Richterakademie
eingeladen.“ Denn dieser Satzteil stellt sich nicht als Begründung, sondern als
Konsequenz (im Sinne von: „... und werden deshalb auch als einzige ...“) und
damit als Verstärkung der beanstandeten Äußerung dar.
Der Beklagte handelte wettbewerbswidrig, als er die Werbung im Internet
veröffentlichte, weil der darin liegende Verstoß gegen § 43 b BRAO zugleich den
Tatbestand des § 1 UWG a. F. verletzte. Denn § 43 b BRAO ist eine Vorschrift, die
auch eine auf die Lauterkeit des Wettbewerbs bezogene Schutzfunktion im Sinne
der Rechtsprechung zu § 1 UWG a. F. (BGH GRUR 2004, 346 –
Rechtsanwaltsgesellschaft m. w. Nachw.) aufweist.
Die Werbung des Beklagten bleibt auch nach Einführung des neuen UWG vom
03.07.2004 wettbewerbswidrig. Denn bei § 43 b BRAO handelt es sich um eine
gesetzliche Vorschrift im Sinne von § 4 Nr. 11 UWG, da sie auch dazu bestimmt
ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln. Der Verstoß
des Beklagten gegen § 43 b BRAO stellt zugleich eine unlautere
Wettbewerbshandlung im Sinne von § 3 UWG dar, da er geeignet ist, den
Wettbewerb zum Nachteil der Marktteilnehmer nicht nur unerheblich zu
beeinträchtigen.
Das daraus folgende Verbot verletzt nicht das Grundrecht des Beklagten auf
Berufsfreiheit (Art. 12 GG), da es ihm lediglich untersagt wird, durch
missverständliche Aussagen die rechtssuchenden Interessenten zu verunsichern
und Fehlvorstellungen zu wecken, statt in sachlicher Form für seine Leistungen zu
werben.
Schließlich fehlt es nicht an der für das Bestehen eines Unterlassungsanspruchs
erforderlichen Wiederholungsgefahr. Diese wird insbesondere nicht bereits dadurch
ausgeräumt, dass die fragliche Website aktuell im Internet nicht mehr abrufbar ist.
Der Beklagte kann die angegriffene Passage, zumal er sie als zulässig verteidigt,
jederzeit erneut ins Internet stellen. Er hätte daher eine strafbewehrte
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jederzeit erneut ins Internet stellen. Er hätte daher eine strafbewehrte
Unterlassungserklärung abgeben müssen, um die Wiederholungsgefahr
auszuräumen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, die über die vorläufige
Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche
Bedeutung hat und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer
einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern (§
543 Abs. 2 ZPO). Maßgebend für die getroffene Entscheidung waren die konkreten
Umstände des vorliegenden Einzelfalles, die das Gericht auf der Grundlage
anerkannter Rechtsgrundsätze bewertet hat.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.