Urteil des OLG Frankfurt vom 08.08.2006

OLG Frankfurt: werkzeug, fahrzeug, gebrauchsgegenstand, diebstahl, wegnahme, beendigung, methadon, betrug, eigentum, kennzeichen

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Gericht:
OLG Frankfurt 1.
Strafsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
1 Ss 177/06
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Norm:
§ 244 Abs 1 Nr 1 Buchst a Alt
2 StGB
(Diebstahl mit Waffen: Einordnung eines Taschenmessers
als gefährliches Werkzeug)
Tenor
Das angefochtene Urteil wird aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten
der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Frankfurt am Main
zurückverwiesen.
Gründe
Das Amtsgericht Frankfurt am Main hat den Angeklagten wegen Diebstahls mit
Waffen zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt.
Dagegen richtet sich die statthafte und auch sonst in zulässiger Weise eingelegte
und mit der Sachrüge begründete Revision des Angeklagten. Sie wendet sich
gegen eine Verurteilung des Angeklagten wegen Diebstahls mit Waffen.
Das angefochtene Urteil hält auf die Sachrüge der revisionsrechtlichen
Überprüfung nicht stand.
Die Feststellungen tragen die Verurteilung wegen Diebstahls mit Waffen (§ 244
Abs. 1 Nr. 1 a StGB) nicht.
Das Amtsgericht hat zum Tatgeschehen festgestellt:
„Der Angeklagte begab sich am 10.03.2006 gegen 03.00 Uhr in die …Straße.
Dort stand ein Transporter der Marke XX mit dem amtlichen Kennzeichen … Dieser
Transporter stand im Eigentum des Zeugen Z1. Die Heckklappe des Transporters
war zu diesem Zeitpunkt unverschlossen. Der Angeklagte öffnete die Heckklappe
des Transporters, drang in das Fahrzeug ein und nahm drei Zigarettenpäckchen,
eine Schutzbrille und ein Taschenmesser an sich. Diese Gegenstände wollte er für
sich behalten. Ihr Gesamtwert betrug zwischen 25 und 30 Euro. Das
Taschenmesser war zwar von minderer Qualität, hatte aber eine Klingenlänge von
8 cm sowie eine Klingenbreite von mehr als 1 cm.
Etwa eine halbe Stunde vor der Tat hatte der Angeklagte Kokain, Heroin und
Methadon genommen. Aufgrund dessen war er nur noch eingeschränkt in der
Lage, das begangene Unrecht einzusehen und sich dieser Einsicht entsprechend
zu verhalten.“
Diese Feststellungen tragen die Bewertung des vom Angeklagten als Diebesgut an
sich genommenen Taschenmessers als „gefährliches Werkzeug“ im Sinne des §
244 Abs. 1 Nr. 1 a StGB nicht.
Allerdings sind nach der Rechtsprechung des BGH (vgl. BGH NStZ-RR 2002, 265
m.w.N.) Messer, sofern sie nicht schon dem Waffenbegriff unterfallen, generell als
„gefährliche Werkzeuge“ einzustufen. Ob dies grundsätzlich ungeachtet der Größe
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„gefährliche Werkzeuge“ einzustufen. Ob dies grundsätzlich ungeachtet der Größe
und der eigentlichen Bestimmung als Gebrauchsgegenstand eines solchen
Messers auch für Taschenmesser gilt oder ob es im Hinblick darauf, dass sich das
Mitsichführen eines solchen Taschenmessers als Gebrauchsgegenstand des
täglichen Lebens als sozialadäquates Verhalten darstellt, einer einschränkenden
Auslegung des Begriffs des gefährlichen Werkzeuges im Sinne des § 244 Abs. 1 Nr.
1 a StGB bedarf, hat der BGH zuletzt ausdrücklich offen gelassen (BGH NStZ
2005, 340).
Im Schrifttum gibt es eine ganze Reihe von Vorschlägen zu Abgrenzungskriterien
(vgl. Übersicht bei Tröndle/Fischer, StGB, 53. Aufl., § 244 Rz 7 ff). Vertreten werden
sowohl subjektive, als auch objektive Lösungsansätze zur Restriktion des § 244
Abs. 1 Nr. 1 a StGB, die überwiegend für erforderlich erachtet wird. Soweit das
Merkmal der „Waffenersatzfunktion“ herangezogen wird, um eine uferlose
Ausweitung des Begriffs des „gefährlichen Werkzeuges“ auf jeden beliebigen
Gegenstand zu vermeiden (Tröndle/Fischer a.a.O. Rz 9 d m.w.N.), führt dies in
einer Vielzahl von Fällen zu sachgerechten Ergebnissen, hilft aber im Fall eines
Taschenmessers nicht weiter. Bei kleineren Messern, wie Taschenmessern, wird
eine waffenersetzende abstrakte Gefährlichkeit– abhängig von der konkreten
Beschaffenheit des Taschenmessers – kaum gegeben sein.
Der Senat sieht deshalb keine Veranlassung, für die Beurteilung von
Taschenmessern als „gefährliches Werkzeug“ von seiner in Anlehnung an die
Entscheidung des 3. Strafsenats des BGH (NStZ 1999, 301 f) entwickelten
Rechtsprechung (StV 2002, 145) abzuweichen. Da das Mitführen eines
Taschenmessers als Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens ein
sozialadäquates Verhalten darstellt, ist eine einschränkende Auslegung des
Begriffs des gefährlichen Werkzeuges zumindest für Taschenmesser angebracht.
In dem Fall erfordert die Einordnung des Gegenstandes als gefährliches Werkzeug
neben seiner Eignung, erhebliche Verletzungen beifügen zu können, die
Feststellung einer generellen, von der konkreten Tat losgelösten Bestimmung des
Gegenstandes zur gefährlichen Verwendung seitens des Täters, welche noch nicht
die konkrete Verwendungsabsicht erreicht.
Die Feststellungen des Amtsgerichts rechtfertigen hier unter Anwendung dieser
Grundsätze nicht die Einordnung des von dem Angeklagten aus dem Fahrzeug
mitgenommen Taschenmessers als gefährliches Werkzeug i.S.d. § 244 Abs. 1 Nr.
1 a StGB.
Wegen der von dem Amtsgericht festgestellten „minderen Qualität“ des
Taschenmessers bestehen bereits Bedenken, ob es im Hinblick auf seine
Beschaffenheit überhaupt geeignet ist, erhebliche Verletzungen herbeizuführen.
Da nicht ausgeführt wird, worauf sich die mindere Qualität bezieht, z.B. auf die
Schärfe oder Bruchfestigkeit der Klinge des Taschenmessers, kann nicht
ausgeschlossen werden, dass das Messer generell ungeeignet ist, einem
Menschen erhebliche Verletzungen zuzufügen. Neben der konkreten
Beschaffenheit des Messers wird ggf. zusätzlich zu klären sein, ob der Angeklagte
das Taschenmesser generell, von der Tat losgelöst, zur gefährlichen Verwendung
bestimmt hat, insbesondere zu welchem Zweck er das Messer aus dem Fahrzeug
mitnahm, wie er es einstecken hatte und wie schnell es gegebenenfalls
einsatzbereit war.
Die Feststellungen des angefochtenen Urteils tragen zudem nicht die Bewertung,
der Angeklagte habe ein gefährliches Werkzeug im Sinne des § 244 Abs. 1 Nr. 1 a
StGB „bei sich geführt“.
Das Merkmal des „Beisichführens“ ist eine den Qualifikationstatbestand des § 244
Abs. 1 Nr. 1 a StGB eingrenzende subjektive Komponente, die nämlich
voraussetzt, dass der Täter das gefährliche Werkzeug bewusst gebrauchsbereit bei
sich hatte (BGH NStZ – RR 2003, 12; NStZ RR – 1997, 50).
Der Annahme, der Täter führe ein gefährliches Werkzeug bei sich, steht nicht
bereits entgegen, dass der Täter dieses gefährliche Werkzeug erst aus der
Diebesbeute erlangt. Der Täter muss das Werkzeug beim Diebstahl bei sich
führen, d.h. in irgendeinem Zeitpunkt vom Ansetzen zur Tat bis zur Beendigung
der Wegnahme (BGH NStZ-RR 2003, 186, 188), wobei es ausreicht, wenn sich der
Täter erst während der Tat oder sogar erst aus der Beute mit dem Werkzeug
versieht (BGH NStZ 1985, 547; Tröndle-Fischer, a.a.O., Rz 13).
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Für ein „Beisichführen“ reicht im übrigen das allgemeine, noch auf keinen
bestimmten Zweck gerichtete Bewusstsein aus, ein funktionsbereites Werkzeug
hier i.S. eines gefährlichen Werkzeuges i.S. obiger Definition zur Verfügung zu
haben, das geeignet ist, erhebliche Verletzung zu verursachen. Die Vorstellung
des Täters muss sich also nicht von vornherein auf den konkreten Einsatz als
Nötigungsmittel beziehen; sie kann sich ebenso auf die Eignung als Mittel zur
Wegnahme richten (so auch OLG Hamm, StV 2001, 352). Dieses folgt aus der
gebotenen und vom Gesetzgeber gewollten Abgrenzung zu § 244 Abs. 1 Nr. 1 b
StGB, der für die dortige Tatwerkzeuge und – mittel ausdrücklich eine
Zweckbestimmung als Nötigungsmittel vorsieht.
Demnach sind die Voraussetzungen des § 244 Abs. 1 Nr. 1 a StGB nach den
konkreten Tatumständen zu bestimmen. Es ist Aufgabe des Tatrichters
ausreichende Feststellungen zum Vorstellungsbild des Täters zu treffen, wobei die
Anforderungen an diese Feststellungen umso niedriger sind, desto gefährlicher
und für einen Einsatz als potenzielles Nötigungsmittel geeigneter, sprich
waffenähnlicher der jeweilige Gegenstand ist (vgl. hierzu auch BHG NStZ-RR 1997,
50). Umgekehrt ist es bei Alltags- und Berufsgegenständen, deren Beisichführen
als sozialadäquat zu bewerten wäre, wenn der Täter nicht gerade eine Straftat
beginge, und die deshalb den Schluss nahe legen, dass dem Täter die
Verfügbarkeit dieses Gegenstandes während der Begehung des Diebstahls gar
nicht bewusst war. Hier sind die Anforderungen an die Feststellungen zum
Vorstellungsbild des Täters umso höher, desto weniger der bestimmungsgemäße
Gebrauch des Gegenstandes eine Zweckentfremdung als potenzielles
Nötigungsmittel nahe legt.
Ob der Angeklagte das Taschenmesser – so es nach obigen Kriterien als
„gefährliches Werkzeug“ zu beurteilen ist - auch im Sinne der vorstehend
dargestellten Grundsätze während der Tat bei sich geführt hat, kann der Senat
nicht beurteilen; dazu fehlen – ebenso wie zu dem damit zusammenhängenden
Erfordernis der generellen Bestimmung des Taschenmessers zur gefährlichen
Verwendung (s. o. Seite 3 unten) - ausreichende Feststellungen. Für ein bewusstes
„Beisichführen“ bezogen auf die Wegnahmehandlung könnte sprechen, dass der
Angeklagte das Werkzeug zwar nicht bereits ursprünglich in diesem Sinne
eingesteckt, schließlich aber aus dem Fahrzeug entwendet hat. Damit muss dem
Angeklagten jedenfalls der Besitz des Messers noch während der Tatbegehung
bewusst gewesen sein. Zum Vorstellungsbild des Angeklagten bezogen auf die
potenzielle Doppelfunktion des Taschenmessers als Nötigungsmittel und dessen
Gefährlichkeit im Falle einer Konfrontation hingegen erlauben die Feststellungen
keinerlei Rückschlüsse.
Nach alledem war das angefochtene Urteil mit den zugrundeliegenden
Feststellungen aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des
Amtsgerichts Frankfurt am Main zurückzuverweisen (§§ 353 Abs. 2, 354 StPO).
Der Senat weist weiter darauf hin, dass in dem angefochtenen Urteil bei der
Vorstrafenliste unter Ziff. 19 nicht dargelegt ist, ob Rechtskraft eingetreten ist.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.