Urteil des OLG Frankfurt vom 24.02.2005
OLG Frankfurt: wahlrecht, zustellung, gerichtliche zuständigkeit, örtliche zuständigkeit, auflage, zivilprozessordnung, wohnsitzwechsel, bindungswirkung, rechtshängigkeit, erfüllungsort
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Gericht:
OLG Frankfurt 21.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
21 AR 133/04
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 12 ZPO, § 13 ZPO, § 29 ZPO,
§ 35 ZPO, § 36 Abs 1 Nr 6 ZPO
(Wahl unter mehreren Gerichtsständen bei
Wohnsitzwechsel des Schuldners nach
Mahnbescheidsantrag)
Tenor
Das Amtsgericht in B wird gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO als das zuständige Gericht
bestimmt.
Gründe
Der Kläger verlangt vom Beklagten die Bezahlung von Prämien für eine
Kraftfahrzeugversicherung. Im Mahnbescheidsantrag gab er als Prozessgericht das
Amtsgericht G an, in dessen Bezirk der damalige Wohnsitz des Beklagten (... F.)
lag, an dem auch die Zustellung des Mahnbescheids am 16.4.03 erfolgte. Als nach
Abgabe der Akten an das Amtsgericht G (Eingang dort: 3.3.04) die Anordnung des
schriftlichen Vorverfahrens nebst Klagebegründung nicht zugestellt werden konnte,
weil der Beklagte zwischenzeitlich, nämlich am 1.8.2003, nach B verzogen war,
beantragte der Kläger auf entsprechenden Hinweis des Amtsgerichts G die
Verweisung "an das örtlich zuständige Amtsgericht B". Das Amtsgericht G gab die
Sache an das Amtsgericht B ab, welches sich mit Beschluss vom 28.9.04 für
unzuständig erklärte und auf einen Hilfsantrag des Klägers die Sache an das
Amtsgericht G verwies. Dieses hat die Sache dem Senat zur Bestimmung des
zuständigen Gerichts vorgelegt.
Auf die zulässige Vorlage ist das Amtsgericht B als zuständiges Gericht zu
bestimmen. Als Gericht des allgemeinen Gerichtsstandes (§§ 12, 13 ZPO) ist das
Amtsgericht B für die Klage zuständig. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Bestimmung
der (hier: örtlichen) Zuständigkeit ist der Zeitpunkt des Eingangs der Akten (§ 696
Absatz 1 Satz 4 ZPO) bei dem Streitgericht (Zöller-Vollkommer,
Zivilprozessordnung, 25. Auflage, Randnummern 5 und 7 zu § 696; Zöller-Herget
aaO Rdnr. 3 zu § 4; Zöller-Greger aaO Rdnr. 2 zu § 261; BayObLG, NJW-RR 1995,
635 und Senat, Beschluss vom 22.5.02, 21 AR 104/01 zur örtlichen sowie OLG
Frankfurt NJW-RR 1992, 1341, 1995, 831 und 1996, 1403 zur sachlichen
Zuständigkeit). Eine danach eingetretene Änderung des Wohnsitzes hat gemäß §
261 Absatz 3 Nr. 2 ZPO keinen Einfluss mehr auf die (örtliche) Zuständigkeit.
Durch den Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts B vom 28.9.04 ist das
Amtsgericht G nicht zuständig geworden. Zwar sind Verweisungsbeschlüsse
gemäß § 281 Absatz 2 Satz 4 ZPO bindend. Die Bindungswirkung setzt sich im
Zuständigkeitsbestimmungsverfahren fort und kommt auch fehlerhaften
Verweisungsbeschlüssen zu, denn sie soll gewährleisten, dass Streitigkeiten über
die Zuständigkeit der Gerichte vermieden bzw. bald beendet werden und dass es
möglichst rasch zu einer Sachentscheidung kommt. Die Bindungswirkung entfällt
jedoch, wenn die Verweisung auf der Nichtgewährung rechtlichen Gehörs der
Parteien beruht oder einer rechtlichen Grundlage entbehrt und sich daher als
objektiv willkürlich erweist.
Das Amtsgericht B stützt seinen Verweisungsantrag darauf, dass der Kläger im
Mahnbescheidsantrag das Amtsgericht G bindend gewählt habe und dass
"Veränderungen nach dem Zeitpunkt, in dem das Wahlrecht grundsätzlich
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"Veränderungen nach dem Zeitpunkt, in dem das Wahlrecht grundsätzlich
ausgeübt werden muss (Klageerhebung oder Mahnbescheidsantrag)", nicht
beachtlich seien. Dabei hat das Amtsgericht B übersehen, dass in der Angabe des
Amtsgerichts G im Mahnbescheidsantrag nicht die Ausübung des Wahlrechts nach
§ 35 ZPO gesehen werden kann, weil - wie das Amtsgericht B in anderem
Zusammenhang zutreffend ausführt - nach der genannten Vorschrift eine
Wahlmöglichkeit nur unter mehreren zuständigen Gerichten besteht, zum
damaligen Zeitpunkt aber nur ein Gericht, nämlich das Amtsgericht G, als Gericht
sowohl des allgemeinen Gerichtsstandes als auch des Gerichtsstands des
Erfüllungsortes (§ 29 ZPO) in Betracht kam. Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger
mit der Bezeichnung des Amtsgerichts G als Streitgericht im
Mahnbescheidsantrag dieses Gericht ausschließlich als Wohnsitzgericht des
Beklagten oder ausschließlich als Gericht des Erfüllungsortes habe in Anspruch
nehmen wollen, sind nicht ersichtlich.
Durch die gemäß § 690 Absatz 1 Nr. 5 ZPO gebotene Bezeichnung eines
zuständigen Gerichts als Streitgericht im Mahnbescheidsantrag ist vorliegend die
Möglichkeit der Wahl zwischen mehreren zuständigen Gerichten für die Klägerin
nicht entfallen. Der Vorschrift des § 35 ZPO ist nicht zu entnehmen, dass ein
Wahlrecht nur im Zeitpunkt der Einreichung des Mahnbescheidsantrags gegeben
oder beachtlich sein soll. Im Falle einer Klage kann das Wahlrecht nach allgemeiner
Meinung bis zum Zeitpunkt der Rechtshängigkeit, also bis zur Zustellung der
Klageschrift (§§ 261 Absatz 1, 253 Absatz 1 ZPO) ausgeübt werden (Zöller-
Vollkommer, Zivilprozessordnung, 25. Auflage und Thomas-Putzo,
Zivilprozessordnung, 26. Auflage, jeweils Randnummer 2 zu § 35 m.w.N.). Für den
durch ein Mahnverfahren eingeleiteten Rechtsstreit kann nichts anderes gelten.
Das Mahnverfahren hat nicht den Zweck, das ansonsten gegebene Wahlrecht
nach § 35 ZPO auszuschließen (OLG Celle NdsRPfl 1993, 359 und für den
Rechtszustand vor dem 1.1.92: BGH NJW 1979, 984 = MDR 1979, 556 = RPfleger
1979, 195 sowie OLG Hamm AnwBl 1982, 78). Zwar ist im Falle eines
Mahnverfahrens in der Bezeichnung des Streitgerichts im Mahnbescheidsantrag
die Ausübung des durch § 35 ZPO gegebenen Wahlrechts zu sehen. Dies setzt
aber voraus, dass in diesem Zeitpunkt ein Wahlrecht wirklich besteht (vgl. OLG
Celle aaO). In diesen Fällen erlischt das Wahlrecht mit der Zustellung des
Mahnbescheids (Zöller-Vollkommer a.a.O. Randnummern 16 zu § 690 und 9 zu §
696 ZPO; so auch die Begründung der Gesetzesänderung zu § 690 Absatz 1 Nr. 5
in Bundestagsdrucksache 11/3621, Seite 47). In den in diesem Zusammenhang
von der Kommentarliteratur herangezogenen Gerichtsentscheidungen ist aber
regelmäßig die Wahl zwischen mehreren Gerichten bereits im Zeitpunkt des
Mahnbescheidsantrags gegeben (Zöller-Vollkommer a.a.O.: BGH NJW 1993, 1273;
1997, 1154; 2002, 3634; BayObLG Rechtspfleger 1993, 411; 2003, 139 und
BayObLGZ 2003, 187). Ein Wahlrecht kann jedoch auch erst nach Beantragung
des Mahnbescheids und - wie vorliegend - noch nach dessen Zustellung entstehen
(vgl. BayObLG MDR 1995, 312 = NJW-RR 1995, 635). Mindestens im letzteren Fall
kann es nicht durch die vorherige Mahnbescheidszustellung bereits erloschen sein.
Es besteht dann - wie allgemein - bis zum Eintritt der Rechtshängigkeit, wobei in
diesem Zusammenhang anders als bei den sonstigen, für die gerichtliche
Zuständigkeit maßgeblichen Umständen nicht auf den Zeitpunkt des Eingangs der
Akten beim Streitgericht (s.o.), sondern auf den Zeitpunkt der Zustellung der
Klagebegründung abzustellen ist. Wenn in Fällen wie dem vorliegenden das
Wahlrecht erst nach Zustellung des Mahnbescheids durch Wohnsitzwechsel des
Schuldners/Beklagten entsteht, erfährt der Kläger hiervon typischerweise erst
durch die Mitteilung des Streitgerichts, dass die Zustellung der Anordnung des
schriftlichen Vorverfahrens bzw. der Ladung zum frühen ersten Termin zusammen
mit der Klagebegründung am früheren Wohnsitz fehlgeschlagen sei. Ließe man
nun die Ausübung des Wahlrechts mit der Begründung nicht mehr zu, dass der
entscheidende Zeitpunkt des Eingangs der Akten bei dem als Streitgericht
bezeichneten Gericht bereits verstrichen ist, würde damit das Wahlrecht
regelmäßig ins Leere laufen. Dies würde außerdem eine nicht gerechtfertigte
Benachteiligung desjenigen Klägers bedeuten, der den Weg über das
Mahnverfahren statt einer sofortigen Klageerhebung wählt (OLG Köln MDR 1980,
763). Demzufolge muss, wenn im Falle eines vorgeschalteten Mahnverfahrens das
Wahlrecht nach § 35 ZPO erst nach Zustellung des Mahnbescheids entsteht, dem
Kläger bis zur Zustellung der Klagebegründung die Möglichkeit gegeben wehren,
von dem Wahlrecht Gebrauch zu machen.
Das Amtsgericht B hat, obwohl es sich in der Begründung des
Verweisungsbeschlusses mit Fragen der Ausübung des Wahlrechts nach § 35 ZPO
befasst hat, unbeachtet gelassen, dass, nachdem durch den Umzug des
befasst hat, unbeachtet gelassen, dass, nachdem durch den Umzug des
Beklagten Erfüllungsort und Wohnsitz auseinander gefallen waren, der Kläger durch
den Verweisungsantrag vom 19.5.04 sein Wahlrecht ausgeübt und B als das
Gericht des allgemeinen Gerichtsstandes gewählt hat. Dabei es hat es dem Kläger
ein Wahlrecht insgesamt abgesprochen und ist dabei nicht in angemessener Weise
auf dessen Argumentation im Schriftsatz vom 1.9.04 (Blatt 34 d.A.) eingegangen.
Das Amtsgericht B hat somit als nach geltendem Recht zuständiges Gericht
gleichwohl den Rechtsstreit an ein anderes Gericht verwiesen und damit objektiv
den Anschein erweckt, es habe sich darüber hinweggesetzt, dass die Verweisung
des Rechtsstreits gemäß § 281 Absatz 1 ZPO die Unzuständigkeit des
verweisenden Gerichts voraussetzt (vgl. BayObLGR 2000, 56). Dies muss als
objektiv willkürlich angesehen werden.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.