Urteil des OLG Frankfurt vom 15.05.2008

OLG Frankfurt: einstweilige verfügung, gesamteindruck, form, muster, erzeugnis, wiedergabe, erlass, bedürfnis, gefahr, dokumentation

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Gericht:
OLG Frankfurt 6.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
6 U 182/07
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
Art 10 Abs 1 EGV 6/2002, § 4
Nr 9a UWG
Verletzung eines Gemeinschaftsgeschmacksmusters:
Schutzumfang bei einer zum Teil mit Sockel dargestellten
Weinkaraffe
Leitsatz
1. Ist ein Geschmacksmuster in verschiedenen Ansichten eingetragen, die sämtlich ein
Erzeugnis zeigen (hier: Weinkaraffe) und nur zum Teil ein weiteres hiermit kombiniertes
Erzeugnis (hier: Sockel für die Weinkaraffe), ist für die Bestimmung des
Schutzgegenstandes grundsätzlich von dem Gesamteindruck auszugehen, den die
beiden dargestellten Erzeugnisse erwecken.
2. Die zum früheren deutschen Geschmacksmusterrecht entwickelten Grundsätze über
den Teil- oder Elementenschutz eines eingetragenen Musters sind auf das
Gemeinschaftsgeschmacksmusterrecht (ebenso wie auf das neue deutsche
Geschmacksmusterrecht) nicht anwendbar.
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 19.06.2007 verkündete Urteil der 18.
Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main abgeändert.
Die einstweilige Verfügung des Landgerichts vom 09.02.2007 wird auf-gehoben
und der Antrag auf ihren Erlass zurückgewiesen.
Die Kosten des Eilverfahrens hat die Antragstellerin zu tragen.
Das Urteil ist rechtskräftig.
Gründe
Von der Darstellung des Sachverhalts wird gemäß §§ 540 II i.V.m. 313 a I, 1 ZPO
abgesehen.
Die zulässige Berufung hat auch in der Sache Erfolg. Der Antragstellerin steht der
geltend gemachte Unterlassungsanspruch unter keinem rechtlichen
Gesichtspunkt zu.
1. Geschmackmusterrechtliche Ansprüche sind nicht gegeben, weil die
angegriffene Weinkaraffe beim informierten Benutzer jeweils einen anderen
Gesamteindruck erweckt (Art. 10 I GGV) als die beiden
Gemeinschaftsgeschmacksmuster, auf die der Verfügungsantrag gestützt ist.
Maßgeblich für diese Einschätzung sind Erwägungen, die im vorliegenden
Verfahren zwar – bis zum Hinweis des Senats vom 16.4.2008 – nicht
angesprochen worden waren; sie betreffen jedoch die materiell-rechtliche
Beurteilung, die stets von Amts wegen vorzunehmen ist (§ 529 II 1 ZPO).
a) Das zu einer Sammelanmeldung gehörende Verfügungsmuster … zeigt – durch
Wiedergabe sieben verschiedener Ansichten (Art. 4 II GGDV) – eine Karaffe nebst
Sockel, wobei auf den Ansichten 1.1 bis 1.4 die Karaffe mit dem Sockel zusammen
abgebildet ist, während auf den Ansichten 1.5 bis 1.7 die Karaffe allein
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abgebildet ist, während auf den Ansichten 1.5 bis 1.7 die Karaffe allein
wiedergegeben ist.
Wählt der Geschmacksmusterinhaber eine solche Form der Anmeldung, sind die
eingetragenen Einzeldarstellungen rechtlich als die einheitliche Erscheinungsform
desjenigen Erzeugnisses oder Erzeugnisteils anzusehen, für die
Geschmacksmusterschutz beansprucht wird; insbesondere führen Abweichungen
der Einzeldarstellungen voneinander nicht zu einer Vermehrung der
Schutzgegenstände, sondern müssen bei der Bestimmung des
Schutzgegenstandes außer Betracht bleiben. Es besteht kein Grund, diese zum
früheren deutschen Geschmacksmusterrecht anerkannten Grundsätze (vgl. BGH
WRP 01, 946 – Sitz-Liegemöbel) nicht auch auf das
Gemeinschaftsgeschmacksmusterrecht anzuwenden.
Danach bezieht sich der Schutz des Verfügungsmusters auf die in den
Einzeldarstellungen 1.1 bis 1.4 wiedergegebene Kombination aus Karaffe und
Sockel, wobei die Einzeldarstellungen 1.5 bis 1.7 die Gestaltung der Karaffe weiter
verdeutlichen, ohne jedoch einen eigenständigen Schutz für die Karaffe isoliert zu
begründen. Ein solcher Kombinationsschutz ist – auch unabhängig vom Sonderfall
des „komplexen Erzeugnisses“ i.S.v. Art. 3 c) GGV - grundsätzlich möglich, soweit
körperlich unverbundener Einzelgegenstände ästhetisch aufeinander abgestimmt
sind und in einem funktionalen Zusammenhang stehen (vgl. Ruhl,
Gemeinschaftsgeschmacksmuster, Rdz. 26 zu Art. 3 GGV m.w.N.). Diese
Voraussetzungen erfüllt das Verfügungsmuster nach Auffassung des erkennenden
Senats. Selbst wenn man dies verneinen wollte und das Geschmacksmuster daher
in der vorliegenden Form nicht hätte eingetragen werden dürfen, hätte dies
jedenfalls nicht zur Folge, dass dem Verfügungsmuster innerhalb des vorliegenden
Verletzungsverfahrens ein über den Schutz der dargestellten Kombination
hinausgehender Schutzumfang beigemessen werden könnte.
An der dargelegten Einschätzung vermag auch die Angabe „Bottles“ in der Rubrik
„Indication of the product“ der Anmeldung nichts zu ändern; denn der
Schutzumfang des Verfügungsmusters wird maßgeblich durch die eingetragenen
Darstellungen und nicht durch die Bezeichnung des Erzeugnisses bestimmt.
Ausgehend von dem so zu bestimmenden Schutzgegenstand des
Verfügungsmusters erweckt die beanstandete Karaffe beim informierten Benutzer
einen anderen Gesamteindruck; denn der Gesamteindruck des
Kombinationsmusters wird maßgeblich auch von dem Sockel mitbestimmt, auf
den die Antragsgegnerin bei dem angegriffenen Modell gänzlich verzichtet.
Die Antragstellerin kann auf der Grundlage des Musters ... einen isolierten Schutz
für die dort abgebildete Karaffe auch nicht nach den zum früheren deutschen
Geschmacksmusterrecht entwickelten Grundsätzen über den so genannten Teil-
oder Elementenschutz geltend machen, da diese Grundsätze – worauf in der
Verfügung vom 16.4.2008 hingewiesen worden ist – nach Auffassung des Senats
auf das Gemeinschaftsgeschmacksmusterrecht (ebenso wie auf das neue
deutsche Geschmacksmusterrecht) nicht übertragen werden können (vgl.
Jestaedt, GRUR 08, 19, 23; Ruhl a.a.O. Rdz. 49 ff. zu Art. 10 GGV; a.A.: Eichmann/v.
Falckenstein, Geschmacksmustergesetz, 3. Aufl., Rdz. 36 zu § 38). Anders als
nach altem Recht (vgl. § 1 I GeschmMG a. F.) lässt sich dem Wortlaut der
Gemeinschaftsgeschmacksmusterverordnung kein Anhalt dafür entnehmen, dass
auch für Teile oder Elemente eines eingetragenen Musters isolierter Schutz
beansprucht werden könnte. Hierfür besteht auch kein zwingendes Bedürfnis
mehr, nachdem durch Art. 3 a) GGV klargestellt ist, dass – auch insoweit
abweichend vom früheren deutschen Geschmacksmusterrecht – Teile eines
Erzeugnisses bereits als solche Gegenstand eines eingetragenen
Geschmacksmusters sein können. Unter diesen Umständen kann und muss im
Interesse der Rechtssicherheit vom Anmelder verlangt werden, bereits bei der
Anmeldung unzweifelhaft klarzustellen, wofür Musterschutz beansprucht wird. So
hätte es die Antragstellerin im vorliegenden Fall in der Hand gehabt, die Karaffe
allein zum Gegenstand einer Geschmacksmusteranmeldung zu machen.
b) Das Verfügungsmuster ... zeigt ebenfalls in sieben Ansichten sowohl eine
Karaffe als auch einen dazugehörigen Sockel. Allerdings ist der Sockel lediglich auf
den Ansichten 1.6 und 1.7 dargestellt. Ob allein dieser Unterschied zum
Verfügungsmuster … im Hinblick auf die Bestimmung des Schutzgegenstandes
eine andere Beurteilung rechtfertigt, erscheint zweifelhaft. Die Frage kann aber
letztlich dahinstehen. Denn selbst wenn man einen isolierten Musterschutz der im
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letztlich dahinstehen. Denn selbst wenn man einen isolierten Musterschutz der im
Muster … dargestellten Karaffe unterstellt, verletzt die beanstandete Karaffe das
Muster nicht, weil die sich insoweit gegenüberstehenden Karaffen auch bei
isolierter Betrachtung beim informierten Benutzer nicht den gleichen
Gesamteindruck erwecken (Art. 10 I GGV).
Der ästhetische Gesamteindruck der im Verfügungsmuster wiedergegebenen
Karaffe wird nicht allein durch den kugelförmigen Behälter und den schlanken, sich
nach unten verjüngenden Ausguss geprägt. Ein besonderer gestalterischer Akzent
wird bei der Karaffe auch dadurch gesetzt, dass der Ausguss nicht – wie es dem
informierten Betrachter als Gestaltungsmerkmal von Karaffen geläufig ist – in der
Mitte des Behälters, sondern leicht seitlich versetzt angeordnet ist mit der Folge,
dass der Ausguss der stehenden Karaffe nicht gerade, sondern schräg nach oben
verläuft. Dieses für den Gesamteindruck wichtige Gestaltungsmerkmal weist die
beanstandete Karaffe, bei der der Ausguss mittig auf den Behälter aufgesetzt ist,
gerade nicht auf. Dieser Unterschied reicht ungeachtet der ansonsten
vorhandenen Übereinstimmungen aus, um die beanstandete Ausführungsform
aus dem Schutzumfang des Musters herauszuführen. Dabei ist im Hinblick auf die
Regelung des Art. 10 II GGV auch zu berücksichtigen, dass der
Gestaltungsspielraum für Weinkaraffen angesichts der auf diesem Warengebiet
bestehenden Formenvielfalt jedenfalls nicht als besonders groß eingeschätzt
werden kann.
2. Der Antragstellerin steht der Verfügungsanspruch auch nicht unter dem
Gesichtspunkt der vermeidbaren Herkunftstäuschung (§ 4 Nr. 9 a UWG) zu.
Voraussetzung für einen solchen Anspruch ist nach der Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs (vgl. WRP 05, 878 - Handtuchklemmen) neben der
wettbewerblichen Eigenart auch eine gewisse Verkehrsbekanntheit des
nachgeahmten Erzeugnisses. Davon kann hier nicht ausgegangen werden, da die
Antragstellerin nach ihrem eigenen Vortrag bisher in Deutschland insgesamt
lediglich 635 ihrer Karaffen abgesetzt hat und hierfür auch keine
Publikumswerbung betrieben hat.
Außerdem behauptet die Antragstellerin, ihre Karaffe ausschließlich Herstellern
von Wein oder Spirituosen anzubieten, die die bezogenen Karaffen nicht
weiterverkaufen. Demgegenüber wendet sich die Antragsgegnerin mit der
angegriffenen Karaffe an den privaten Endabnehmer. Auch dieser Unterschied in
den jeweils angesprochenen Verkehrskreisen spricht gegen die den Vorwurf der
Unlauterkeit begründende Gefahr einer Herkunftstäuschung. Ohne Erfolg beruft
sich die Antragstellerin in diesem Zusammenhang darauf, dass die Parteien sich
auch auf Fachmessen begegneten. Denn gegenüber den auf diesen Messen
anwesenden Fachkreisen ist – jedenfalls im Rahmen der Messesituation – eine
Herkunftstäuschung nicht zu befürchten.
Da die von der Antragstellerin vertriebene Karaffe in Deutschland über keinen
nennenswerten Bekanntheitsgrad verfügt, fehlt auch für den Vorwurf der
Rufausbeutung (§ 4 Nr. b UWG) die Grundlage.Die Kostenentscheidung beruht auf
§ 91 ZPO.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.