Urteil des OLG Frankfurt vom 14.07.2005

OLG Frankfurt: örtliche zuständigkeit, wirtschaftliche tätigkeit, bindungswirkung, gerichtsstand, handelsregister, betriebsstätte, unterlassen, quelle, stadt, auskunft

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Gericht:
OLG Frankfurt 14.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
14 UH 13/05
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 3 Abs 1 InsO, § 5 InsO, § 36
ZPO, § 91a ZPO, § 281 ZPO
(Insolvenzverfahren: Keine Bindungswirkung eines
Verweisungsbeschlusses bei unterlassener Aufklärung des
Mittelpunkts der wirtschaftlichen Tätigkeit des Schuldners;
unzulässige Verweisung bei Hauptsacheerledigung)
Tenor
Als das örtlich zuständige Insolvenzgericht wird das Amtsgericht Kassel bestimmt.
Gründe
1. Die Gläubigerin hat mit Schriftsatz vom 03.02.2005 bei dem Amtsgericht Kassel
die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin
beantragt. Der Amtsrichter wies die Gläubigerin mit Verfügung vom 08.02.2005
darauf hin, dass die Schuldnerin nicht in dem bei dem Amtsgericht Kassel
geführten Handelsregister eingetragen und auch nicht ersichtlich sei, dass sich der
Mittelpunkt ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit in Kassel befinde. Gleichzeitig holte er
eine Auskunft aus dem Gewerberegister der Stadt Kassel vom 14.02.2005 ein, aus
der sich ergibt, dass die Schuldnerin im Handelsregister des Amtsgerichts
Hamburg eingetragen ist und in Kassel eine Betriebsstätte unterhält. Die
Gläubigerin vertrat mit Schreiben vom 24.02.2005 die Auffassung, Mittelpunkt des
wirtschaftlichen Handelns der Schuldnerin sei Kassel, zumal deren
Geschäftsführerin dort auch wohne. Vorsorglich beantragte sie für den Fall, dass
eine Prüfung keine Zuständigkeit des Amtsgerichts Kassel ergebe, die Verweisung
des Verfahrens an das Amtsgericht Hamburg. Daraufhin wurde der
Insolvenzeröffnungsantrag und das Schreiben vom 24.02.2005 der Schuldnerin am
10.03.2005 zugestellt. Die Schuldnerin bat mit Schreiben vom 12.03.2005 um
Zurückweisung des Antrags und machte dazu unter anderem geltend, die
Forderung der Gläubigerin sei beglichen. Die Gläubigerin erklärte daraufhin mit
einem am 15.03.2005 eingegangenen Schriftsatz vom 09.03.2005 den Antrag auf
Eröffnung des Insolvenzverfahrens für erledigt. Das Amtsgericht Kassel erklärte
sich mit Beschluss vom 19.04.2005 für örtlich unzuständig und verwies die Sache
an das Amtsgericht Hamburg. Zur Begründung ist ausgeführt, der allgemeine
Gerichtsstand der Schuldnerin liege in Hamburg. Ein Mittelpunkt ihrer
wirtschaftlichen Tätigkeit in Kassel sei nicht festzustellen. Das Amtsgericht
Hamburg erklärte sich seinerseits mit Beschluss vom 25.05.2005 für unzuständig.
Es hat die Sache dem Oberlandesgericht zur Bestimmung des zuständigen
Gerichts vorgelegt.
2. Der Senat ist zur Entscheidung des Zuständigkeitskonflikts zuständig, § 4 InsO
i.V.m. § 36 I, II ZPO. Diese letztgenannte Vorschrift findet auch Anwendung im
Insolvenzverfahren (BGHZ 132, 196; BayObLGZ 2003, 230; OLG Celle ZIP 2004,
561; Zöller / Vollkommer, ZPO, 25. Aufl., § 36, Rdn. 2). Verschiedene Gerichte, von
denen eins für das Verfahren zuständig ist, haben sich rechtskräftig für
unzuständig erklärt, § 36 I Nr. 6 ZPO. Das zunächst höhere gemeinschaftliche
Gericht für die Amtsgerichte Kassel und Hamburg ist der Bundesgerichtshof,
weswegen nach der Regelung des § 36 II ZPO das Oberlandesgericht Frankfurt am
Main als dasjenige Gericht zur Entscheidung berufen ist, zu dessen Bezirk das
zuerst mit der Sache befasste Gericht, hier das Amtsgericht Kassel, gehört.
3. Örtlich zuständig ist das Amtsgericht Kassel. Dessen Zuständigkeit folgt aus § 3
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3. Örtlich zuständig ist das Amtsgericht Kassel. Dessen Zuständigkeit folgt aus § 3
I InsO. Nach dieser Bestimmung ist vorrangig zu prüfen, ob der Schuldner eine
selbständige wirtschaftliche Tätigkeit ausübt; wenn das der Fall ist, bestimmt deren
Mittelpunkt den ausschließlichen Gerichtsstand. Ansonsten ist der allgemeine
Gerichtsstand des Schuldners maßgeblich (MK – Ganter, InsO, § 3, Rdn. 4 ff).
Hiervon ausgehend spricht entgegen der Auffassung des Amtsgerichts Kassel
alles dafür, dass der Mittelpunkt der wirtschaftlichen Tätigkeit der Schuldnerin in
Kassel liegt. Sie hat in Kassel eine Betriebsstätte. Ihre Geschäftsführerin unterhält
ihren Wohnsitz ebenfalls in Kassel. Den Schriftverkehr mit der Gläubigerin ist von
Kassel aus geführt worden. Die einzige auf den Schreiben der Schuldnerin
angegebene Bankverbindung besteht ebenfalls in Kassel. Diese Umstände
rechtfertigen den Schluss, dass die Geschäfte der Schuldnerin im wesentlichen
von Kassel aus betrieben werden. Dem steht nicht entgegen, dass die Schuldnerin
in das Handelsregister des Amtsgerichts Hamburg eingetragen ist, denn die
Eintragung besagt nichts über die tatsächlichen Verhältnisse (MK – Ganter aaO, §
3, Rdn. 10). Irgendwelche konkreten Hinweise darauf, dass die Schuldnerin
wirtschaftliche Tätigkeiten im maßgeblichen Zeitpunkt des Eingangs des
Insolvenzantrags in Hamburg entfaltet hat, gibt es nicht.
Mithin hat die Gläubigerin diejenigen Umstände, welche die Zuständigkeit des
Amtsgerichts Kassel begründen, hinreichend dargetan. Soweit das Amtsgericht
gleichwohl noch Zweifel daran gehabt haben sollte, dass eine Zuständigkeit für
das Verfahren nach § 3 I Satz 2 InsO in Kassel gegeben war, hätte es dem von
Amts wegen nachgehen müssen (MK – Ganter aaO, § 3, Rdn. 37). Das ist
unterblieben. Hieraus folgt, dass die Verweisung fehlerhaft war. Die Verweisung
kann nur von einem unzuständigen Gericht ausgesprochen werden. Das
Amtsgericht Kassel war aber schon deswegen örtlich zuständig, weil der
Mittelpunkt der selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeit der Schuldnerin in Kassel
zumindest ernsthaft in Betracht kam und etwaige entgegenstehende von Amts
wegen zu ermittelnde Feststellungen von ihm nicht getroffen worden sind. Die
Klärung der Zuständigkeitsfrage obliegt dem angerufenen Gericht. Es ist nicht
zulässig, die gebotene Zuständigkeitsprüfung zu unterlassen und bei nicht
hinreichend geklärter Zuständigkeit eine Verweisung auszusprechen.
Das Amtsgericht Hamburg ist auch nicht aufgrund des § 281 II Satz 4 ZPO
zuständig geworden. Diese Vorschrift bestimmt, dass Verweisungsbeschlüsse für
das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen wird, bindend sind. Nach ständiger
Rechtsprechung tritt eine solche Bindungswirkung aber nicht ein, wenn der
Verweisungsbeschluss schlechterdings nicht als im Rahmen des § 281 ZPO
ergangen angesehen werden kann, etwa weil er auf der Verletzung des rechtlichen
Gehörs beruht oder weil er jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt und deshalb als
willkürlich betrachtet werden muss (Senat Beschluss vom 17.02.2003 – 14 UH
4/03; Beschluss vom 16.12.2003 – 14 UH 17/03). So liegt der Fall hier. Zwar stellt
sich nicht bereits jede fehlerhafte Entscheidung als willkürlich dar. Auch geht der
Hinweis des Amtsgerichts Hamburg fehl, die Verweisung sei im Hinblick auf eine
Erledigungserklärung der Gläubigerin nicht mehr statthaft. Eine Verweisung
scheidet nach Ende der Rechtshängigkeit aus, so in den Fällen einer
übereinstimmenden Erklärung der Erledigung der Hauptsache nach § 91 a ZPO
(Zöller / Greger aaO, § 281, Rdn. 7). Daran fehlt es, wenn nur eine einseitig
gebliebene Erledigungserklärung der Gläubigerin abgegeben worden ist. Allerdings
kommt in Betracht, angesichts der Neuregelung des § 269 III ZPO den Antrag der
Gläubigerin im Sinne einer privilegierten Klagerücknahme auszulegen (dazu: OLG
Köln OLGR 2004, 79 f; Zöller / Vollkommer aaO, § 91 a, Rdn. 42), was einer
Verweisung entgegengestanden hätte, da solchenfalls nur noch eine
Kostenentscheidung zu treffen war. Das kann aber dahinstehen. Vorliegend
kommt dem Verweisungsbeschluss jedenfalls auch nach den dargelegten
Grundsätzen keine Bindungswirkung zu, weil er unter Verletzung des rechtlichen
Gehörs der Parteien ergangen ist. Das Amtsgericht hat der Gläubigerin lediglich
mitgeteilt, die örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts Kassel sei nicht hinreichend
dargelegt. Es fehlt jeglicher Hinweis darauf, welche zusätzlichen Angaben zur
Zuständigkeit erwartet werden. In dem Unterlassen eines solchen gebotenen
Hinweises liegt zugleich eine Verletzung des rechtlichen Gehörs der Gläubigerin.
Hinzukommt, dass die knapp gefassten Gründe des Verweisungsbeschlusses die
aus dem Akteninhalt ersichtlichen und oben dargelegten Umstände zur Frage des
Mittelpunktes der selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeit nicht erörtern und damit
den zu berücksichtigenden Sachverhalt nur lückenhaft erfassen. Zusätzlich ist das
rechtliche Gehör der Schuldnerin verletzt, denn ihr ist nach dem Akteninhalt vor
Erlass des Verweisungsbeschlusses der Schriftsatz der Gläubigerin vom
09.03.2005 mit dem Feststellungsantrag nicht zur Kenntnis gebracht worden.
09.03.2005 mit dem Feststellungsantrag nicht zur Kenntnis gebracht worden.
Dieser Schriftsatz war von seinem Inhalt her geeignet, eine mögliche
Stellungnahme der Schuldnerin zu der beabsichtigten Verweisung zu beeinflussen.
Angesichts dessen kann der Verweisungsbeschluss keinen Bestand haben.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.