Urteil des OLG Frankfurt vom 26.09.2006

OLG Frankfurt: aufschiebende wirkung, rechtskraft, unterbringung, behandlung, aussichtslosigkeit, beschränkung, bewährung, anhörung, abhängigkeit, klinik

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Gericht:
OLG Frankfurt 3.
Strafsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
3 Ws 907/06
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 67 Abs 4 StGB, § 67d Abs 5
StGB
(Unterbringung: Vollstreckung der nicht weiter zu
vollziehenden Unterbringung in einer Entziehungsanstalt
bis zur Rechtskraft des Beschlusses und Anrechnung des
weiteren Verbleibs im Maßregelvollzug auf die Strafe)
Tenor
Die Beschwerde wird auf Kosten des Verurteilten als unbegründet verworfen.
Gründe
I.
Das Landgericht Koblenz verhängte gegen den Verurteilten am 10.8.2001 wegen
Vergewaltigung eine Freiheitsstrafe von vier Jahren und ordnete seine
Unterbringung in einer Entziehungsanstalt an. Die Unterbringung wurde zuletzt in
der Klinik für forensische Psychiatrie in B vollzogen. Durch Anrechnung bisheriger
Haft- und Unterbringungszeiten galten 2/3 der verhängten Freiheitsstrafe seit dem
4.12.2003 als verbüßt.
Während einer Wochenenderprobung vom 28. auf den 29.2.2004 kehrte der
Verurteilte nicht in die Klinik zurück und wurde mit Kokain und Heroin rückfällig. Am
10.3.2004 stellte er sich. Gegenüber einem Therapeuten gab er an, zu einer
Fortführung der Therapie nicht bereit zu sein, was er am Folgetag widerrief. Die
Klinik sprach sich in ihrer Stellungnahme vom 15.3.2004 für die Aussichtslosigkeit
der weiteren Behandlung aus. Der Verurteilte sei, was näher ausgeführt worden ist,
nicht therapiewillig.
In der mündlichen Anhörung vor der Strafvollstreckungskammer am 14.4.2004
gab der Verurteilte an, seine Behandlung fortsetzen zu wollen, schränkte aber ein,
in seiner Behandlungsmotivation wankelmütig und unentschlossen zu sein. Mit
Beschluss vom 15.4.2004 ordnete die Strafvollstreckungskammer des
Landgerichts Limburg gemäß § 67 d Abs. 5 StGB an, dass die Unterbringung in
einer Entziehungsanstalt aus Gründen, die in der Person des Untergebrachten
liegen, nicht weiter zu vollstrecken sei. Die Aussetzung der Vollstreckung der noch
nicht verbüßten Restfreiheitsstrafe zur Bewährung wurde versagt.
Gegen diese Entscheidung legte der – damals schon anwaltlich vertretene –
Verurteilte das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde ein und kündigte eine
Begründung oder Rücknahme an. Mit Schreiben vom 6.6.2004, welches am
8.6.2004 bei der Strafvollstreckungskammer einging, nahm er sein Rechtsmittel
zurück. Er erstrebe die Rechtskraft des Beschlusses und seine Verlegung in eine
Justizvollzugsanstalt, was am 24.6.2004 geschah.
Die Staatanwaltschaft Koblenz berechnete die Strafzeit – Restfreiheitsstrafe von
487 Tagen aus ursprünglich 4 Jahren – ab Rechtskraft des die Aussichtslosigkeit
feststellenden Beschlusses der Strafvollstreckungskammer, nämlich beginnend
mit dem 8.6.2004. Das Strafende wurde auf den 7.10.2005 notiert. Derzeit verbüßt
der Verurteilte Strafhaft in anderer Sache.
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Der Verurteilte begehrt demgegenüber, die Zeit seit seiner Rückkehr in den
Maßregelvollzug als verbüßte Strafe anzurechnen, jedenfalls aber die Zeit ab
Beschlussfassung, dem 15.4.2004. Sein weiterer Aufenthalt habe nur seiner
Anhörung und Zuwarten der Rechtskraft des Beschlusses gedient und stehe einer
sog. Organisationshaft gleich. Das Rechtsmittel habe er damals in Hinblick auf die
versagte Strafaussetzung zur Bewährung eingelegt.
Mit der angefochtenen Entscheidung hat die Strafvollstreckungskammer des
Landgerichts Gießen den Antrag zurückgewiesen und auf das Datum der
Rechtskraft des die Unterbringung beendenden Beschlusses abgestellt. Es liege
nicht im Einflussbereich der Anstalten, dass sich die Verlegung bis zu diesem Tag
verzögere.
II.
Die nach §§ 458 Abs. 1 S. 1, 462 Abs. 1 S. 1 u. Abs. 3, 311 StPO statthafte, form-
und fristgerecht eingelegte Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde ist zulässig,
hat in der Sache aber keinen Erfolg.
Die Vollstreckungsbehörde hat die Strafzeit zutreffend berechnet.
1.
Stellt die Strafvollstreckungskammer nach § 67 d Abs. 5 StGB fest, dass die mit
Urteil neben einer Freiheitsstrafe angeordnete Unterbringung in eine
Entziehungsanstalt nicht weiter zu vollziehen ist, ist die Maßregel (noch) bis zur
Rechtskraft des Beschlusses zu vollstrecken. Der weitere Verbleib des Verurteilten
in der Entziehungsanstalt bis zu diesem Zeitpunkt wird nach § 67 Abs. 4 StGB auf
die Strafe nur angerechnet, bis zwei Drittel der Strafe erledigt sind. Dies ist auch
dann nicht anders zu beurteilen, wenn – wie hier – zwei Drittel der verhängten
Freiheitsstrafe bereits als verbüßt galten und sich der effektive Freiheitsentzug um
die Zeit zwischen Beschlussfassung und Rechtskraft verlängert. Eine der
Organisationshaft vergleichbare Fallgestaltung liegt nicht vor (anders OLG Celle,
Beschl. v. 12.1.2006, StV 2006, 422).
Die sog. Organisationshaft ist dadurch gekennzeichnet, dass sich ein Täter in
Untersuchungshaft befindet, verurteilt wird und nach der gerichtlichen
Entscheidung mit ihrer Rechtskraft im psychiatrischen Krankenhaus oder einer
Entziehungsanstalt unterzubringen ist, aber nicht sofort untergebracht werden
kann. Die Zeit, die der Verurteilte aus Transport- oder Belegungsgründen bis zu
seiner Aufnahme im Maßregelvollzug noch in der Justizvollzugsanstalt zuwarten
muss, ist regelwidrig. Diese Zwischenzeit in sog. Organisationshaft ist gesetzlich
nicht vorgesehen. Kann dieser Verstoß zu einer Verlängerung des effektiven
Freiheitsentzugs führen, gebieten es Art. 2 Abs. 2 S.2, 104 Abs. 1 GG der
Vollstreckungsbehörde von Verfassungs wegen, den Folgen dieser Regelwidrigkeit
im Rahmen der Strafzeitberechnung in geeigneter Weise entgegen zu wirken (
vergl. BVerfG, Beschl. v. 18.6.1997, NStZ 1998, 77).
Wird aber im Einklang mit der rechtskräftigen Verurteilung die Maßregel vollzogen,
liegt der Sachverhalt bei der Beendigung der Maßregel anders. Bis zur Rechtskraft
der Entscheidung nach § 67 d Abs. 5 StGB ist die Maßregel weiter zu vollziehen.
Die Freiheitsstrafe darf erst mit der Rechtskraft des die Maßregel beendenden
Beschlusses vollstreckt werden. Das Verbleiben des Verurteilten im
Maßregelvollzug ist bis zu diesem Zeitpunkt nicht "regelwidrig", sondern
regelgerecht.
Etwas anderes würde nur dann gelten, wenn die Entscheidung nach § 67 d Abs. 5
StGB schon vor Rechtskraft vollzogen, gegen den Verurteilten mithin bereits
Strafhaft vollstreckt werden könnte. Dies ist aber nicht der Fall, insbesondere
hemmt das statthafte Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde den Vollzug der
Entscheidung. § 307 Abs. 1 StPO, wonach durch eine Beschwerde keine
aufschiebende Wirkung hat, ist nicht einschlägig (anders OLG Celle aaO). Die
sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft hat Kraft ausdrücklicher gesetzlicher
Regelung aufschiebende Wirkung (§§ 463 Abs. 5, 462 Abs. 3 S. 2 StPO). Gleiches
gilt für die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen Beschlüsse, wenn – wie
vorliegend - von dem Ergebnis die Vollstreckung einer Strafe oder Maßregel
abhängt. Dies ist aus dem Grundgedanken des § 449 StPO abzuleiten, wonach
Strafurteile erst nach Rechtskraft vollstreckbar sind (OLG Karlsruhe NJW 1964,
1085; Karlsruher-Kommentar, StPO, 5. Aufl., § 307 Rz.1; Löwe-Rosenberg, StPO,
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1085; Karlsruher-Kommentar, StPO, 5. Aufl., § 307 Rz.1; Löwe-Rosenberg, StPO,
25. Aufl., § 307 Rz.3; Meyer-Goßner, StPO, 49. Aufl., § 307 Rz.1; Pfeiffer, StPO, 5.
Aufl., § 307 Rz.1; Lemke-Rautenberg, StPO, 3. Aufl., Rz. 3). Die Annahme der
aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde des Verurteilten gegen den
Ausspruch der Erledigung der Maßregel entspricht der Tragweite der Entscheidung.
Dem Verurteilten wird mit Feststellung der Aussichtslosigkeit endgültig die
Möglichkeit genommen, seine im Erkenntnisverfahren festgestellte als
therapiefähig angesehene Abhängigkeit weiter behandeln zu lassen
(Trödler/Fischer, StGB, 53. Aufl., § 67 d Rz. 7 b; OLG Hamm, NStZ 2000, 168). Das
Rechtsmittel eines Verurteilten zielt auf eine Aufhebung der festgestellten
Aussichtslosigkeit der Behandlung und ist verständiger Weise von dem Willen
getragen, die Behandlung der Abhängigkeit fort zu setzten. Ohne erfolgreiche
Behandlung wird denn auch die Chance auf eine Aussetzung des Strafrestes
entscheidend gemindert, da bei der Prognoseentscheidung eine nicht bewältigte
Abhängigkeit als gewichtiger negativer Faktor einzustellen ist.
Nach all dem ist auch auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten die Maßregel
weiter zu vollziehen. Der Verurteilte ist bis zur Rechtskraft des Ausspruchs der
Erledigung weiter zu behandeln. Für den Vollzug der Maßregel enthält § 67 Abs. 4
StGB jedoch eine gesetzliche Regelung für die Anrechnung auf die Strafe.
Die Beschränkung der Anrechnung auf zwei Drittel kann zur Folge haben, dass die
Gesamtdauer von Maßregelvollzug und Strafvollstreckung die Dauer der erkannten
Freiheitsstrafe übersteigt ( vergl. Tröndle/Fischer, StGB, 53. Aufl., § 67 Rz. 11), was
nicht verfassungswidrig ist ( vergl. BVerfGE 91, 1-70).
2.
Die Rechtskraft des die Erledigung feststellenden Beschlusses ist zutreffend auf
den 8.6.2004 notiert worden.
Der Verurteilte kann sich nachträglich nicht mit Erfolg darauf berufen, er habe das
Rechtsmittel nur in Hinblick auf die versagte Strafaussetzung zur Bewährung
einlegen wollen. Entscheidend ist darauf abzustellen, ob der Verurteilte sein
Rechtsmittel gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 15.4.2004
auf die versagte Strafaussetzung beschränkt hat. Eine solche Beschränkung des
Rechtsmittels, die die Erledigung der Maßregel nicht angreift, ist zuvor zulässig.
Der Ausspruch der Erledigung und die Entscheidung über die Strafaussetzung sind
nämlich derart selbständig, dass sie einer gesonderten Behandlung zugänglich
sind (Senat, Beschluss vom 3.6.2005 – 3 Ws 298-299/05, RuP 2006, 151). Die
Rechtsmitteleinlegung des Verurteilten enthielt aber weder ausdrücklich eine
Beschränkung, noch ergab sich eine Beschränkung aus den Umständen. Das
Rechtsmittel enthielt keine Begründung. Der Verurteilte war sich – wie sich aus
seiner Anhörung ergibt - unschlüssig, ob er eine weitere Behandlung wünsche.
Die Zeit, die der Verurteilte nach Rechtskraft des Beschlusses noch in der
Entziehungsanstalt bis zu seiner Verlegung in eine Justizvollzugsanstalt verbracht
hat, hat die Vollstreckungsbehörde – in Anlehnung an die Grundsätze der
Organisationshaft – der Strafe angerechnet.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.