Urteil des OLG Frankfurt vom 18.02.2008

OLG Frankfurt: ablauf der frist, wiederaufnahme des verfahrens, vergleich, beendigung, widerklage, anfechtung, vorbefassung, vertretung, arbeitsrecht, fahrtkosten

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Gericht:
OLG Frankfurt 3.
Senat für
Familiensachen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
3 WF 281/07
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Norm:
§ 15 Abs 5 S 2 RVG
Rechtsanwaltsvergütung: Gebührenanspruch eines
Rechtsanwalts bei Anfechtung eines Prozessvergleichs
mehr als zwei Kalenderjahre nach seinem Abschluss
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird abgeändert.
Aufgrund des rechtskräftigen Urteils des Amtsgericht - Familiengericht - Königstein
vom 24.01.2006 hat der Beklagte an die Klägerin 73.108,30 € nebst 5
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab 16.05.2007 zu erstatten.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Beklagte zu tragen.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
Die Ehe der Parteien wurde mit rechtskräftigem Urteil des Amtsgerichts Königstein
im Jahre 1996 geschieden. Ein im März 1997 eingeleitetes Verfahren auf
Zugewinnausgleich in Höhe von 12.650.000,00 DM ist mit Vergleich vom
09.11.2000 unter Einbeziehung weiterer Regelungsgegenstände beendet worden.
Vor und anlässlich der Fälligkeit der letzten aus dem Vergleich übernommenen
Teilzahlung über 450.000,00 DM hat der Beklagte den Vergleich wegen arglistiger
Täuschung und aus anderen Gründen angefochten und mit dieser Begründung die
Fortsetzung des Verfahrens beantragt. Im Laufe des Fortsetzungsverfahrens hat
er mit Schriftsatz vom 23.08.2005 im Wege der Hilfswiderklage für den Fall, dass
der Vergleich als bestandskräftig angesehen werde, wegen nachträglicher
Entwicklungen (unter anderem Wegfall der Geschäftsgrundlage) die Unzulässigkeit
der weiteren Zwangsvollstreckung aus dem Vergleich geltend gemacht.
Mit - inzwischen rechtskräftigem - Urteil vom 24.01.2006 hat das Amtsgericht
festgestellt, dass der am 09.11.2000 zwischen den Parteien geschlossene
Vergleich wirksam sei und den Rechtsstreit beendet habe, die Widerklage
abgewiesen und die weiteren Kosten des Rechtsstreits dem Beklagten auferlegt.
Auf das Urteil mit seiner Begründung wird Bezug genommen.
Mit Beschluss vom 24.01.2006 hat das Amtsgericht den Streitwert für die
Widerklage auf 7.897.613,80 € festgesetzt, entsprechend dem zugleich in Bezug
genommenen Wertfestsetzungsbeschluss vom 09.02.2001, mit dem der
Vergleichswert auf 15.446.390,00 DM und der für die Klage auf 12.650.000,00 DM
festgesetzt worden ist.
Auf die hiergegen gerichtete Streitwertbeschwerde des Beklagten hat es mit
weiterem Beschluss vom 02.06.2006 im Wege der Abhilfe den Wert für die
Widerklage auf 0,00 € festgesetzt und zur Begründung ausgeführt, dass der
Rechtsstreit denselben Gegenstand betreffe wie die Klage, so dass sich dadurch
deren Wert nicht erhöhe.
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Mit Kostenfestsetzungsantrag vom 15.05.2007, beim Amtsgericht eingegangen
am 16.05.2007, hat die Klägerin - unter Zurücknahme vorausgegangener Anträge
- die Festsetzung ihrer Kosten mit 73.108,30 € nebst gesetzlichen Zinsen ab
Antragseingang beantragt. Der beantragte Betrag setzt sich zusammen aus 1,3
Verfahrensgebühr und 1,2 Terminsgebühr, jeweils aus dem festgesetzten
Vergleichswert von 7.897.613,80 €, nebst 20,00 € Postpauschale, 14,40 €
Fahrtkosten und 16 % Mehrwertsteuer.
Der Beklagte ist dem Antrag entgegengetreten.
Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Amtsgericht den Antrag
zurückgewiesen, da durch die Fortsetzung des Verfahrens keine weiteren Kosten
entstanden seien, die auf Grund der Kostenentscheidung festgesetzt werden
könnten. Alle in dem Verfahren entstandenen Gebühren seien bereits Gegenstand
des mit dem Urteil bestätigten Vergleichs gewesen und hätten durch die
Fortsetzung des Verfahrens nicht nochmals entstehen können.
Gegen diesen ihr am 23.07.2007 zugestellten Beschluss richtet sich die am
28.07.2007 eingegangene sofortige Beschwerde der Klägerin, die sie darauf stützt,
dass zwischen dem Vergleich und dem Wideraufruf des Verfahrens mehr als 2
Jahre lägen. Damit gelte die Fortsetzung des Verfahrens gemäß § 15 Abs. 5 S. 2
RVG als neue Angelegenheit mit der Folge, dass die verlangten Gebühren erneut
entstanden seien.
Der Beklagte tritt der Beschwerde mit Rechtsgründen entgegen. Das Amtsgericht
hat mit Beschluss vom 22.10.2007 nicht abgeholfen.
Der Einzelrichter des Senats hat die Sache wegen grundsätzlicher Bedeutung an
den Senat abgegeben.
Die sofortige Beschwerde ist nach §§ 104 Abs. 3, 567 ZPO statthaft und auch
sonst zulässig.
Das Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg und führt antragsgemäß zur
Festsetzung der Kosten ihrer Prozessbevollmächtigten in beantragter Höhe.
Der Beklagte ist durch das rechtskräftige Urteil in die (weiteren) Kosten des
Rechtsstreits verurteilt worden. Die beantragten Gebühren (Geschäfts- und
Terminsgebühr) sind nach Wiederaufnahme des Verfahrens durch die Tätigkeit der
erneut beauftragten Prozessbevollmächtigten nochmals entstanden. In
entsprechender Anwendung des § 15 Abs. 5 S. 2 RVG gilt die fortgesetzte Tätigkeit
als neue Angelegenheit im Sinne dieser Bestimmung.
Entgegen der Rechtsauffassung der Beschwerde ist allerdings die Bestimmung des
§ 15 Abs.5 Satz 2 RVG nicht dahin zu verstehen, dass jede weisungsgemäß nach
längerem Nichtbetrieb fortgesetzte Tätigkeit in einer Angelegenheit, als welche im
gerichtlichen Verfahren die Tätigkeit im Rechtszug definiert ist (§ 15 Abs. 2 Satz 2
RVG), nach Ablauf der Frist als neue Angelegenheit gilt. Abs. 2 Satz bezieht sich
nach seiner systematischen Stellung im Gesetz nur auf den Satz 1 dieses
Absatzes und nicht auch, jedenfalls nicht unmittelbar, auf die übrigen Absätze, und
damit auch nicht auf Abs.2.
Abs.5 regelt die Fallgestaltungen, dass der RA in einer Angelegenheit, in der hier
gegebenen Variante also die Vertretung in einem Rechtszug im gerichtlichen
Verfahren, seine Tätigkeit beendet hat und danach erneut mit der weiteren
Vertretung mandatiert wird. Dieser Fall kann eintreten nach Kündigung und neuer
Mandatserteilung oder wenn der RA zunächst nur mit Einzelaufträgen betraut war,
z.B. als Terminsvertreter oder Verkehrsanwalt, und dieses Mandat dann, nach
Beendigung, auf weitere Einzeltätigkeiten oder die Gesamtvertretung erweitert
wird. Kennzeichnendes Merkmal der Bestimmung in Abgrenzung zu Abs. 1 und 2
ist also die Beendigung der Tätigkeit und neuer Auftrag innerhalb derselben
Angelegenheit. Diese wird durch die Anrechnungsvorschrift des Abs. 5 so
behandelt, als sei die zwischenzeitliche Beendigung nicht erfolgt und der RA von
Anfang an in vollem Umfang beauftragt und tätig geworden. Hintergrund dieser
Regelung ist die Erwägung, dass der Rechtsanwalt bei der späteren erneuten (oder
erweiterten) Tätigkeit die durch die Vorbefassung erworbenen Erkenntnisse für die
Fortführung des Mandats nutzen kann.
Es liegt auf der Hand, dass es für diesen Gesichtspunkt eine zeitliche Dimension
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Es liegt auf der Hand, dass es für diesen Gesichtspunkt eine zeitliche Dimension
gibt, da erfahrungsgemäß im Lauf der Zeit Erkenntnisse und Erfahrungen
verblassen, so dass nach längerer Zeit der erneut beauftrage RA sich in den Fall
mit ähnlichem Aufwand erneut einarbeiten muss, wie ein tatsächlich erstmals mit
dem Fall betrauter Prozessvertreter.
Diese schon unter der Geltung der alten Fassung der Bestimmung geführte
Diskussion (vgl. v.Eicken, NJW 1994, 2258, 2259) hat der Gesetzgeber durch die
Einfügung des Satzes 2 zu § 13 Abs.5 BRAGO mit dem
Kostenrechtsänderungsgesetz vom 1.7.1994 in dem Sinne geklärt, dass nach 2
Kalenderjahren nach Beendigung der früheren Tätigkeit ein neuer Auftrag als neue
Angelegenheit ohne Anrechnung der früher verdienten Gebühren gilt. Die
Bestimmung ist inhaltlich unverändert in § 15 RVG übernommen worden.
Diese Regelung ist nach dem darin zum Ausdruck gebrachten allgemeinen
Rechtsgedanken des Gesetzes entsprechend auf andere Anrechnungsvorschriften
bei Weiterführung anwaltlicher Tätigkeit angewandt worden, etwa auf § 118 Abs.2
BRAGO (vgl. Gerold/Schmidt – Madert, BRAGO, 15.Aufl. § 118 N 27), also z.B. die
Erteilung des Prozessmandats nach Scheitern außergerichtlicher Verhandlungen
im Rahmen eines zunächst darauf beschränkten Auftrags, oder § 43 Abs.2 BRAGO
(streitiges Verfahren nach Mahnverfahren).
Ebenso ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass § 15 Abs. 2 Satz 2 auch auf die
Anrechnung der Geschäftsgebühr nach Aufhebung und Zurückverweisung gemäß
VV RVG Vorbem. 3 VI entsprechend anwendbar ist. (z.B. OLG München, FamRZ
2006, 1561 m.w.N.). Gesetzessystematisch gilt das nach Aufhebung und
Zurückverweisung durch die höhere Instanz erneuerte Verfahren als eigener
Rechtszug und damit neue Angelegenheit. Hiervon ausgenommen ist die
Geschäftsgebühr (früher Prozessgebühr nach § 15 BRAGO), die damit dem
früheren Rechtszug zugeordnet bleibt. Obwohl damit dem Wortlaut nach § 15 Abs.
5 Satz 2 RVG diesen Fall nicht umfasst, folgt die entsprechende Anwendung dem
Sinn der Bestimmung (OLG München a.a.O.).
Diese Erwägungen führen dazu, auch im Fall der Fortsetzung des Verfahrens,
nachdem die Wirksamkeit des verfahrensbeendenden Vergleichs angezweifelt wird,
die Zeitschranke des § 15 Abs.5 Satz 2 RVG entsprechend anzuwenden.
Gemeinsamer tragender Gesichtspunkt dieser wie auch der bisher schon von der
Rechtsprechung ausgebildeten Anwendungsfälle ist der Umstand, dass der RA
seine Tätigkeit im Rahmen des erteilten Mandats beendet hat und nunmehr
erneut mit der Sache betraut wird. Die Vorbefassung, die eine erneute
Einarbeitung entbehrlich macht und die Anrechnung auf bereits daraus verdienten
Gebühren rechtfertigt, tritt in ihren Auswirkungen mit zunehmendem Zeitablauf,
den das Gesetz mit 2 Kalenderjahren typisierend festlegt, zurück und bewirkt, dass
der RA hinsichtlich der Einarbeitung einem erstmals damit befassten RA
gleichsteht. Der Umstand, dass die Verfahrensbeendigung durch den Vergleich
sich nachträglich als nur scheinbar herausstellt, kann keinen sachlichen
Unterschied machen. Dabei spielt für die Bewertung auch eine Rolle, dass es sich
bei dem Grundsatz, dass die Wirksamkeit des Vergleichs im Wege der Fortsetzung
des Ausgangsverfahrens zu klären ist, um ein von der Rechtsprechung
entwickeltes Konstrukt handelt, das in erster Linie verfahrensrechtlich motiviert ist
(die weniger prozessökonomische Alternative wäre die Klärung in einem eigenen
Feststellungsprozess), während die daraus abgeleiteten gebührenrechtlichen
Konsequenzen für die tatsächliche Mandatsabwicklung eher untypisch sind. Nach
der tatsächlichen Interessenlage steht der mit der Fortsetzung des Verfahrens
betraute RA nicht anders dar als der, der nach Aufhebung und Zurückverweisung
den Mandanten in dem fortgesetzten Verfahren vertritt. In beiden Fallgestaltungen
hat er nach Beendigung der Instanz durch Urteil oder Vergleich auch seine
Tätigkeit abgeschlossen, die Kosten abgerechnet und die Handakte weggelegt. Mit
einer erneuten Befassung muss er im Fall einer Instanzbeendigung durch
anfechtbares Urteil eher in noch höherem Maße rechnen als nach Vergleich wegen
späterer Zweifel an dessen Wirksamkeit.
Soweit die Vorinstanz ihre gegenteilige Rechtsauffassung auf die Kommentarstelle
Gerold/Schmidt, 16. Aufl. § 15 RVG Anm. 103 stützt, ist dies ohne Aussagekraft.
Sämtliche dort aufgeführten Belegstellen beziehen sich auf Entscheidungen vor
der Rechtsänderung durch das Kostenrechtsänderungsgesetz 1994 und besagen
damit nichts zu einer entsprechenden Anwendung der 2-Jahres-Frist auf diesen
Sachverhalt.
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Vorliegend beträgt die Frist zwischen Beendigung der früheren Tätigkeit nach
Vergleichsschluss 2000 und dem Wiederanruf im Jahr 2005 4 volle Kalenderjahre.
Damit sind für die Antragstellerin die in dem fortgesetzten Verfahren für ihre
Tätigkeit verdienten Gebühren neu entstanden, ohne dass hierauf die in dem
früheren Verfahrensabschnitt entstandenen Gebühren angerechnet werden.
Der Wert des (fortgesetzten) Verfahrens entspricht dem mit Beschluss des
Amtsgerichts vom 9.2.2001 festgesetzten Vergleichswert (in dem der zugleich
festgesetzte geringere Streitwert des Verfahrens enthalten ist). Der Vergleich ist in
seinem vollen Umfang Gegenstand des fortgesetzten Verfahrens gewesen. Da im
Fall des Prozesserfolges des Beklagten auch die bereits aufgrund des Vergleichs
erbrachten Leistungen ohne Rechtsgrund geleistet wären mit der darauf
gegründeten Rückforderungsmöglichkeit, beschränkt sich der Wert des Verfahrens
nicht auf die noch offenen Teilforderungen, die das Fortsetzungsverfahren
veranlasst haben. Diesen Wert hat, so jedenfalls ist der weitere
Streitwertbeschluss des Amtsgerichts vom 24.1.2006 auszulegen, das AG für das
fortgesetzte Verfahren übernommen. Soweit darin weitergehend auch noch ein
gesonderter Wert für die vom Beklagten im Wege der Klageerweiterung erhobene
Hilfswiderklage festgesetzt worden ist, ist dies in der Folgezeit auf Wertbeschwerde
im Wege der Abhilfe mit Beschluss vom 2.6.2006 berichtigt worden. Diese
Bewertung ist für den Senat nach Ablauf der Frist des § 63 Abs.3 Satz 2 GKG in
Verbindung mit § 23 RVG bindend.
Die Gebührenberechnung der Prozessbevollmächtigten der Klägerin in dem Antrag
vom 15.5.2007 ist im Übrigen zutreffend. Hierauf wird Bezug genommen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die über die Zulassung der
Rechtsbeschwerde auf § 574 ZPO.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.