Urteil des OLG Frankfurt vom 21.06.2005

OLG Frankfurt: republik liberia, durchsuchung, polizei, rechtswidrigkeit, beschlagnahme, besitz, zeugnisverweigerungsrecht, ausnahme, haftbefehl, echtheit

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Gericht:
OLG Frankfurt 3.
Strafsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
3 Ws 499/05, 3 Ws
501/05
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 53 Abs 1 S 1 Nr 2 StPO, § 97
Abs 1 Nr 3 StPO, § 98 StPO, §
103 StPO
(Durchsuchung der Kanzlei des Verteidigers:
Rechtswidrigkeit des Durchsuchungsbeschlusses wegen
Beschlagnahmeverbot)
Tenor
1. Auf die Beschwerde von Rechtsanwalt X wird festgestellt, dass die
Durchsuchungsanordnung betreffend seiner Kanzleiräume rechtswidrig gewesen
ist.
Die Beschlagnahmeanordnung betreffend die in der Kanzlei von Rechtsanwalt X
sichergestellten Unterlagen wird aufgehoben.
Die Kosten dieses Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen des
Beschwerdeführers trägt die Staatskasse ( §§473, 467 StPO ).
2. Die Beschwerde von Rechtsanwalt Y wird auf seine Kosten ( § 473 Abs. 1 StPO)
als unzulässig verworfen.
Gründe
I.
Dem Angeschuldigten legt die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main mit Anklage
vom 29.3.2004 unter anderem einen Betrug in einem besonders schweren Fall
sowie Urkundenfälschung in zwei Fällen zur Last. Da der Angeschuldigte in der
Folgezeit unbekannten Aufenthalts war, erging am 18.5.2004 Haftbefehl des
Landgerichts Frankfurt am Main. Am 17.8.2004 wurde der Angeschuldigte in
Österreich festgenommen. Bei seiner Festnahme konnten mehrere in seinem
Besitz befindliche Diplomatenpässe der Republik Liberia sowie mehrere Schreiben
des Außenministeriums der Republik Liberia sichergestellt werden. Am 19.8.2004
erließ das Landgericht Frankfurt am Main daraufhin einen Internationalen
Haftbefehl. Die Auslieferung des Angeschuldigten ist zwar bewilligt, im Hinblick auf
das in Österreich gegen den Angeschuldigten laufende Strafverfahren jedoch
aufgeschoben. Die Auslieferungshaft ist außer Vollzug gesetzt.
Im Rahmen des Haftverschonungsverfahrens hat der zum damaligen Zeitpunkt
tätige Verteidiger Rechtsanwalt Y mit Schriftsatz vom 15.12.2004, gerichtet an das
Landgericht Frankfurt am Main, vorgetragen, dass die beim Angeschuldigten
sichergestellten Diplomatenpässe der Republik Liberia nicht gefälscht seien und
hierbei auf eine anliegende Stellungnahme des Interpolbüros der liberianischen
Polizei verwiesen. Tatsächlich befand sich die von Rechtsanwalt Y bezeichnete
Stellungnahme nicht als Anlage bei seinem Schriftsatz vom 15.12.2004.
Mit Verfügung vom 14.3.2005 ersuchte die Vorsitzende der Strafkammer das
Polizeipräsidium Frankfurt am Main um weitere Ermittlungen hinsichtlich der
Echtheit der beim Angeschuldigten aufgefundenen Diplomatenpässe und
Schreiben des Außenministeriums der Republik Liberia.
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In der Folgezeit versuchten die Ermittlungsbehörden, die von RA Y in seinem
Schreiben v. 15.12.2004 bezeichnete Stellungnahme des Interpolbüros der
liberianischen Polizei zu erlangen. Rechtsanwalt Y, der mittlerweile sein Mandat
niedergelegt hatte, zeigte sich jedoch nicht bereit, die Stellungnahme den
Ermittlungsbehörden zur Verfügung zu stellen und verwies auf den jetzigen
Verteidiger Rechtsanwalt X. Eine Anfrage der Staatsanwaltschaft bei Rechtsanwalt
X bezüglich der Stellungnahme des Interpolbüros der Liberianischen Polizei verlief
ebenfalls ergebnislos. Mit Telefax vom 6.4.2005 teilte RA X mit, dass nicht die
Verteidigung, sondern KHK A mit den Ermittlungen beauftragt sei.
Auf Antrag der Staatsanwaltschaft vom 28.4.2005 ordnete daraufhin das
Landgericht Frankfurt am Main mit dem angefochtenen Beschluss vom 3.5.2005
(Bl. 1498 d. A.) die Durchsuchung der Kanzleiräume der Verteidiger Rechtsanwalt Y
und Rechtsanwalt X sowie die Beschlagnahme der im Schriftsatz des
Rechtsanwalts Y vom 15.12.2004 genannten Stellungnahme des Interpolbüros der
liberianischen Polizei zur Echtheit der im Besitz des Angeschuldigten befindlichen
Diplomatenpässe der Republik Liberia sowie der diesbezüglichen Originalschreiben
des Außenministeriums der Republik Liberia an.
Bei den am 19.5.2005 durchgeführten Durchsuchungen wurden in der Kanzlei von
Rechtsanwalt X zwei Kopien aus seiner Handakte und im Büro von Rechtsanwalt Y
drei Faxschreiben aus der Handakte beschlagnahmt.
II.
1. Die von Rechtsanwalt X hinsichtlich der Durchsuchung seiner Kanzleiräume
eingelegte Beschwerde, die sowohl die Durchsuchungs- als auch die
Beschlagnahmeanordnung umfasst, ist zulässig, § 305 S. 2 StPO. Bezüglich der
zwischenzeitlich durch Vollzug erledigten Durchsuchungsanordnung richtet sich die
Beschwerde nunmehr auf Feststellung der Rechtswidrigkeit.
Die Beschwerde ist in vollem Umfang begründet.
Der angefochtene Durchsuchungsbeschluss des Landgerichts Frankfurt am Main
ist rechtswidrig. Die Voraussetzungen einer Durchsuchung der Kanzleiräume des
Verteidigers Rechtsanwalt X lagen nicht vor.
Hinsichtlich der Schreiben des Außenministeriums gab es schon keine
Anhaltspunkte dafür, dass sich diese Unterlagen im Besitz von Rechtsanwalt X
befanden. Anders als im Fall der Durchsuchung beim Verdächtigen (§ 102 StPO)
muss bei der Durchsuchung bei anderen Personen aufgrund bestimmter
bewiesener Tatsachen – und nicht nur aufgrund von Vermutungen – die Annahme
gerechtfertigt sein, dass die Durchsuchung zur Auffindung des bestimmten
Beweismittels führen wird, § 103 StPO. Solche Tatsachen lagen bezüglich der
Schreiben des Außenministeriums nicht vor. Der Schriftverkehr zwischen den
Ermittlungsbehörden und Rechtsanwalt X betraf lediglich die von Rechtsanwalt Y in
seiner Stellungnahme vom 15.12.2004 bezeichnete Stellungnahme des
Interpolbüros der liberianischen Polizei. Allein die Tatsache, dass der
Beschwerdeführer Verteidiger des Angeschuldigten ist, rechtfertigte nicht den
Schluss, dass sich die gesuchten Schreiben des Außenministeriums in seiner
Anwaltskanzlei befanden und das deren Durchsuchung zur Auffindung dieser
Gegenstände führen würde.
Im übrigen ergibt sich die Rechtswidrigkeit des angefochtenen
Durchsuchungsbeschlusses – auch hinsichtlich der gesuchten Stellungnahme des
Interpolbüros der liberianischen Polizei – aus dem unzulässigen Zweck der
Maßnahme. Denn Durchsuchungen dürfen nicht zu dem Zweck vorgenommen
werden, Gegenstände aufzuspüren, die nach § 97 StPO von der Beschlagnahme
ausgenommen sind (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 45. Auflage, § 103 Rdnr. 6, 7
m.w.N.). Die Gegenstände, die bei dem Verteidiger RA X sichergestellt werden
sollten, unterliegen einem Beschlagnahmeverbot, im vorliegenden Fall dem an das
Zeugnisverweigerungsrecht des Verteidigers nach § 53 Abs. 1 Nr. 2 StPO
anknüpfenden Beschlagnahmeverbot nach § 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO. Danach sind
Gegenstände vor der Beschlagnahme geschützt, wenn ihr Aussagegehalt das
Vertrauensverhältnis betrifft. Die Reduzierung des Anwendungsbereichs von § 97
Abs. 1 Nr. 3 StPO nur auf solche Gegenstände, die innerhalb des
Vertrauensverhältnisses entstanden sind, lässt sich weder aus dem Wortlaut noch
dem Sinn und Zweck des Gesetzes entnehmen (KK-Nack, StPO, 5. Aufl., § 97,
Rdnr. 16; Meyer-Goßner, a.a.O., § 97, Rdnr. 30 jew. m.w.N.). Unter das
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Rdnr. 16; Meyer-Goßner, a.a.O., § 97, Rdnr. 30 jew. m.w.N.). Unter das
Beschlagnahmeverbot fallen demnach auch Urkunden, die ein Dritter dem
Verteidiger zum Zwecke der Verteidigung übergeben hat, da die durch diese
Unterlagen zu beweisenden Tatsachen von dem Zeugnisverweigerungsrecht des
Verteidigers umfasst werden (vgl. Senat, StV 1982, 64; OLG Hamm. StV 1995,
570; LG Fulda, NJW 2000, 1508; Meyer-Goßner, a.a.O., § 97 Rdnr. 30, 36 ff.; jew.
m.w.N.). Dies gilt auch dann, wenn aus bestimmten Umständen darauf
geschlossen werden kann, dass es sich um Unterlagen handelt, die der Entlastung
des Angeklagten dienen (vgl. Senat, a.a.O.).
Eine Ausnahme von der Beschlagnahmefreiheit ergäbe sich allenfalls dann, wenn
die Unterlagen dem Verteidiger nicht für die Zwecke der Verteidigung übergeben
worden sind, wofür vorliegend keine Anhaltspunkte ersichtlich sind.
Ob eine Ausnahme von der Beschlagnahmefreiheit ebenfalls dann anerkannt
werden kann, wenn der Verteidiger seine privilegierte Stellung offensichtlich
missbraucht, um Akten, Schriftstücke oder andere Gegenstände dem Zugriff der
Strafverfolgungsbehörden zu entziehen (zustimmend Meyer-Goßner, a.a.O., § 97
Rdnr. 39 m.w.N.; kritisch und im Ergebnis offen gelassen: Senat, a.a.O.; LG Fulda,
a.a.O.) kann letztlich dahinstehen, da eine solche Einschränkung jedenfalls nur für
extreme Ausnahmefälle, nämlich nur dann anerkannt werden kann, wenn
feststeht, dass mit dem Verteidigerprivileg ausschließlich ein von der
Verfahrensordnung missbilligtes Ziel verfolgt wird und keinerlei Gesichtspunkte
erkennbar sind, die eine verfahrensfremde Rechtsverwirklichung noch hinnehmbar
erscheinen lassen, wobei im Zweifel eine Vermutung zu Gunsten der Zulässigkeit
selbst missbräuchlicher Ausnutzung von Verfahrensrechten besteht (vgl. Senat
a.a.O.). Anhaltspunkte dafür, dass der Verteidiger des Angeschuldigten unter den
vorgenannten Voraussetzungen dem Gericht die bezeichneten Urkunden
vorenthalten hat, sind nicht ersichtlich. Allein der Umstand, dass der Verteidiger
auf das gerichtliche und staatsanwaltschaftliche Ersuchen in der Sache nicht
eingegangen ist, vermag einen offensichtlichen Missbrauch nicht zu begründen. Es
ist zumindest nicht auszuschließen, dass der Verteidiger des Angeschuldigten in
Wahrnehmung seiner Funktion und nach pflichtgemäßer anwaltlicher Güter- und
Interessenabwägung rechtfertigende Gründe hatte, sich entsprechend zu
verhalten. Damit fehlt es an einer ausreichenden Grundlage für die Feststellung,
dass der Verteidiger Rechtsanwalt X sein Verteidigungsprivileg in dem oben
gekennzeichneten Sinne missbraucht hat.
Soweit sich die Kammer auf eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm im
Beschluss vom 23.6.1988 (Az.: 1 VAs 3/88 – zit. nach JURIS) stützt, vermag dies
eine andere Beurteilung nicht zu rechtfertigen. Die Entscheidung des
Oberlandesgerichts Hamm betrifft die Überprüfung der Art und Weise einer
Durchsuchung im Rahmen des Antrags auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 23
EGGVG. Gegenstand dieser Entscheidung ist daher nicht die Beurteilung der
Rechtmäßigkeit der Durchsuchungsanordnung, sondern lediglich die Überprüfung
der ordnungsgemäßen Durchführung einer rechtmäßig angeordneten
Durchsuchung.
Ein Ausschluss der Beschlagnahmefreiheit nach § 97 Abs. 2 S. 3 StPO liegt
ebenfalls nicht vor.
Die gesuchten Unterlagen unterfallen daher der Beschlagnahmefreiheit gemäß §
97 Abs. 1 Nr. 3 StPO, weswegen die zum Auffinden dieser Beweismittel
angeordnete richterliche Durchsuchung der Kanzleiräume von Rechtsanwalt X
rechtswidrig war.
Demzufolge ist auch die Beschlagnahmeanordnung hinsichtlich der in der Kanzlei
von Rechtsanwalt X sichergestellten Unterlagen aufzuheben. Es handelt sich
hierbei um beschlagnahmefreie Schriftstücke, die dem Verteidiger herauszugeben
sind.
2. Die von Rechtsanwalt Y durch seinen Vertreter Rechtsanwalt Z eingelegte und
als „Widerspruch“ bezeichnete Beschwerde gegen die Durchsuchungs- und
Beschlagnahmeanordnung ist unzulässig. Die Beschwerde ist gemäß § 306 Abs. 1
StPO schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle einzulegen. Der als
Beschwerde aufzufassende „Widerspruch“ ist jedoch nur mündlich anlässlich der
erfolgten Durchsuchung eingelegt worden.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.