Urteil des OLG Frankfurt vom 10.03.2009
OLG Frankfurt: kontrolle, verdacht, durchsuchung, anstalt, abgabe, missbrauch, strafvollzug, urin, ausstattung, kumulation
Gericht:
OLG Frankfurt 3.
Strafsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
3 Ws 1111/08
(StVollz)
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 27 StVollzG, § 56 StVollzG, §
101 StVollzG
(Strafvollzug: Anordnung einer Urinabgabe zur Kontrolle
auf Drogenmissbrauch als Zufallsstichprobe;
Verhältnismäßigkeit der Anordnung eines
Trennscheibenbesuchs)
Leitsatz
1. Die Abgabe von Urin zum Zwecke der Kontrolle auf Drogenmissbrauch kann auch als
Zufallsstichprobe ein einem Gefangenen angeordnet werden, wenn ein konkreter
aktueller Verdacht auf einen Missbrauch nicht, bzw. nicht mehr besteht.
2. Ist die Durchführung des Besuches mittels eines "Trennscheibentisches" (OLG
Frankfurt a. M., NStZ-RR 2007, 62) - selbst in Kumulation mit einer dem Besuch
nachfolgenden körperlichen Durchsuchung des Gefangenen - zur Gegenabwehr
gleichermaßen wirksam und unter zumutbarer Inanspruchnahme der sachlichen und
personellen Ausstattung der Anstalt auch durchführbar, ist die Anordnung eines
Trennscheibenbesuches unverhältnismäßig.
Tenor
1. Die Rechtsbeschwerde wird auf Kosten des Antragstellers als unzulässig
verworfen, da eine Nachprüfung des angefochtenen Beschlusses weder zur
Fortbildung des Rechts noch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung
geboten ist (§ 116 StVollzG).
Die Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Anordnung von Urinkontrollen zur
Verhinderung des Drogenmissbrauchs sind obergerichtlich geklärt. Derartige
Drogenscreenings dürfen nicht nur bei Verdacht des Drogenmissbrauchs durch
den betroffenen Gefangenen auf Grund Umstände - z.B.
aktueller Drogenfund in seinem Haftraum (vgl. hierzu OLG Dresden, NStZ 2005,
588; OLG Jena, NStZ-RR 2008, 59 – jew. mwN) oder – etwa auf Grund von
einschlägigen Vorbelastungen oder des der Vollstreckung zu Grunde liegenden
Erkenntnisses – bekannter Suchtgefährdung des Gefangenen (vgl. OLG Hamburg,
Beschl. v. 19.09.2007 – 3 Vollz (Ws) 47/07 mwN) angeordnet werden. Die Abgabe
von Urin zum Zwecke der Kontrolle auf Drogenmissbrauch kann vielmehr auch als
Zufallsstichprobe bei einem Gefangenen angeordnet werden, wenn ein konkreter
aktueller Verdacht auf einen Missbrauch nicht, bzw. nicht mehr besteht (OLG
Hamm, Beschl. v. 3.4.2007 – 1 Vollz (Ws) 113/07 – Juris mwN; Arloth, StVollzG, 2.
Aufl. § 56 Rn 9). Denn auch bei Inhaftierten, die im Zusammenhang mit Drogen
bislang nicht (oder längere Zeit nicht mehr) auffällig geworden sind, besteht die
nicht fernliegende Gefahr, dass sie während des Vollzugs einer Haftstrafe erstmals
(bzw. nach längerer Haftzeit erneut) mit Betäubungsmitteln in Berührung
gekommen sind, so dass auch in diesem Falle durch die Anordnung Belange der
Gesundheitsfürsorge für diesen Gefangenen zumindest – was ausreicht (vgl. OLG
Rostock, ZfStrVO 2005, 116) – mitverfolgt werden (OLG Hamm aaO). Auf diese
Grundsätze konnte sich die Anordnung vom 18.07.2007 stützen.
Die festgestellte Weigerung des Gefangenen, sich dem Screening am 18.07.2009
zu unterziehen, begründete nunmehr einen und Verdacht des
Drogenmissbrauchs, der die nachfolgenden Anordnungen (19.07.2007,
Drogenmissbrauchs, der die nachfolgenden Anordnungen (19.07.2007,
21.07.2007, 31.07.2007) weiterer Urinkontrollen rechtfertigte. Dieser durfte auch
den weiteren verfahrensgegenständlichen Maßnahmen (Trennscheibenbesuch,
Widerruf des Langzeitbesuchs) zu Grunde gelegt werden (vgl. OLG Jena Hamburg
und Jena aaO). Ein Verstoß gegen den Grundsatz der Freiheit zur Selbstbelastung
liegt schon deswegen nicht vor, weil es sich dabei nicht um Disziplinarmaßnahmen
handelte (nur für diese ist eine Verletzung des Nemo-Tenetur-Prinzips streitig vgl.
OLG Rostock und OLG Jena jew. aaO einerseits und OLG Dresden aaO
andererseits).
Auch die Voraussetzungen der Anordnung des Trennscheibenbesuches sind
verfassungsrechtlich (NJW 1994, 1401) und obergerichtlich (KG, NStZ 1995, 103;
1984, 94 wN bei Arloth § 27 Rn 3) geklärt. Diese Rechtsprechung hat die Kammer
erkennbar zu Grunde gelegt. Dass sie § 4 II StVollzG, der nur für den
Verteidigerbesuch einschlägig ist (vgl. BGH, NJW 2004, 244), statt dafür den
Besuch privater Dritter als Ermächtigungsgrundlage einschlägigen § 27 StVollzG
(vgl. BVerfG aaO) genannt hat, ist unschädlich.
Zwar bestehen durchgreifende Bedenken, ob Vollzugsbehörde und Kammer im
konkreten Einzelfall die entwickelten Voraussetzungen für die Anordnung richtig
angewandt haben. Namentlich ist nicht erkennbar, wieso nicht die weniger
belastende und wegen des bestehenden Verdachts aktuellen Drogenkonsums
nach der Rechtsprechung des Senats (NStZ-RR 2007, 62) zulässige kumulative
Anordnung eines „Trennscheibentischbesuches“ mit einer dem Besuch
nachfolgenden körperlichen Durchsuchung des Gefangenen zur Gefahrenabwehr
gleichermaßen wirksam und unter zumutbarer Inanspruchnahme der sachlichen
und personellen Ausstattung der Anstalt auch durchführbar gewesen wäre, was zur
Unverhältnismäßigkeit der getroffenen Anordnung führt. Insofern liegt indes nur
ein Fehler der Rechtsanwendung im Einzelfall vor, der die Rechtsbeschwerde nicht
eröffnet.
2. Der Gegenstandswert wird für das Rechtsbeschwerdeverfahren auf 500,-- €
festgesetzt.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.