Urteil des OLG Frankfurt vom 09.09.2004

OLG Frankfurt: treu und glauben, verwirkung, beschwerderecht, vergütung, bekanntgabe, kenntnisnahme, verfügung, mittellosigkeit, form, zustellung

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Gericht:
OLG Frankfurt 20.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
20 W 227/04
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 19 FGG, § 56g FGG, § 242
BGB
(Festsetzung der Berufsbetreuervergütung: Verwirkung
des Beschwerderechts der Staatskasse)
Leitsatz
Das Beschwerderecht der Staatskasse gegen den Beschluss über die Festsetzung von
Vergütung und Aufwendungsersatz kann verwirkt sein, wenn das Rechtsmittel erst mehr
als 1 Jahr und 6 Monate nach der formlosen Übersendung des
Festsetzungsbeschlusses eingelegt wird und der Berufsbetreuer auf dessen
Endgültigkeit vertrauen durfte.
Tenor
Die sofortige weitere Beschwerde wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
Mit Schreiben vom 27. Dezember 2001, bei Gericht eingegangen am 02. Januar
2002 beantragte der Betreuer die Festsetzung von Vergütung und
Aufwendungsersatz für den Zeitraum vom 29. Juli 2000 bis zum 31. Oktober 2001.
Mit Beschluss vom 07. Januar 2002 setzte der Rechtspfleger antragsgemäß den
Betrag von 2.144,25 EUR wegen Mittellosigkeit des Betreuten gegen die
Staatskasse fest. Dieser Beschluss wurde der Bezirksrevisorin ausweislich der in
der Akte befindlichen Verfügung und Erledigungsvermerk am 09. Januar 2002 zur
Kenntnisnahme übersandt. Erst mit Schreiben vom 15. Juli 2003, welches im März
2004 in Form einer Ablichtung erstmals zur Gerichtsakte gelangte, legte die
Antragsgegnerin gegen den Beschluss vom 07. Januar 2002 sofortige Beschwerde
ein.
Das Landgericht hat die sofortige Beschwerde mit Beschluss vom 10. Mai 2004 als
unzulässig verworfen, weil es das Beschwerderecht der Staatskasse zum
Zeitpunkt der Einlegung des Rechtsmittels als verwirkt angesehen hat.
Hiergegen wendet sich die Antragsgegnerin mit der sofortigen weiteren
Beschwerde, mit der sie insbesondere geltend macht, es sei bereits zweifelhaft, ob
das Rechtsmittel im Hinblick auf die unterbliebene förmliche Zustellung
unangemessen spät eingelegt worden sei. Jedenfalls sei es nicht
rechtsmissbräuchlich, da der Berufsbetreuer wegen verspäteter Antragstellung im
Hinblick auf die Ausschlussfrist des § 1836 Abs. 2 Satz 4 BGB die Entscheidung
trotz Ausbleibens eines Rechtsmittels nicht als endgültig hätte ansehen dürfen. Im
Übrigen sei im Hinblick auf auch in anderen Fällen aufgetretene Schwierigkeiten
bei der Postübersendung vom Vormundschaftsgericht zur Bezirksrevisorin
zweifelhaft, ob sie überhaupt Kenntnis von dem übersandten Beschluss erlangt
habe.
II.
Die kraft Zulassung im angefochtenen Beschluss gemäß § 56 g Abs. 5 Satz 2 FGG
statthafte und auch im Übrigen zulässige sofortige weitere Beschwerde führt in der
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statthafte und auch im Übrigen zulässige sofortige weitere Beschwerde führt in der
Sache nicht zum Erfolg, da die Entscheidung des Landgerichts nicht auf einer
Verletzung des Rechts beruht (§§ 27 Abs. 1 FGG, 546 ZPO).
Die Annahme des Landgerichts, wonach das Beschwerderecht der Staatskasse
verwirkt war, ist rechtlich nicht zu beanstanden.
Nach dem auch im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit anwendbaren
Grundsatz von Treu und Glauben kann es treuwidrig sein, wenn ein befristetes
Rechtsmittel erst eingelegt wird, nachdem seit dem Erlass einer nicht wirksam
zugestellten Entscheidung eine unangemessen lange Zeit verstrichen ist und
besondere Umstände hinzu kommen, welche eine späte Rechtsmitteleinlegung als
rechtsmissbräuchlich erscheinen lassen (vgl. BGH NJW 1965, 1532 und NJW-RR
1989, 768; Schleswig-Holsteinisches OLG NJW-RR 2003, 439). Dabei liegt die
Feststellung, ob das für eine Verwirkung erforderliche Zeit- und Umstandsmoment
gegeben sind, ganz überwiegend auf tatsächlichem Gebiet und kann deshalb vom
Rechtsbeschwerdegericht nur darauf überprüft werden, ob das Landgericht bei
seiner Beurteilung wesentliche Tatumstände übersehen hat oder seine
Feststellungen im Widerspruch zu Denkgesetzen oder Erfahrungssätzen stehen
(vgl. BayObLG ZMR 1999, 847). Dies ist vorliegend nicht der Fall.
Das Landgericht ist zunächst rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass eine
hinreichend lange Zeitspanne bis zur Einlegung des Rechtsmittels vergangen war.
Allgemeine Grundsätze zur Bemessung des sog. Zeitmoments lassen sich nicht
aufstellen. Zu berücksichtigen sind insbesondere Art und Bedeutung des
Anspruchs, die Intensität des geschaffenen Vertrauenstatbestandes und das
Ausmaß der Schutzbedürftigkeit des Betroffenen (vgl. Palandt/Heinrichs, BGB, 63.
Aufl., § 242 Rn. 93). Dabei wird bei Ansprüchen des täglichen Lebens und solchen,
die sich auf Streitigkeiten beziehen, welche einer möglichst raschen Klärung
bedürfen, von einer kürzeren Zeitspanne auszugehen sein (vgl. OLG Köln,
Beschluss vom 13. Oktober 1976 – 16 Wx 121/76 dokumentiert bei Juris). Für den
hier vorliegenden Fall der Betreuervergütung ist zu beachten, dass Berufsbetreuer
regelmäßig ihren Lebensunterhalt mit der Betreuervergütung zu bestreiten haben
und deshalb baldige Gewissheit darüber benötigen, mit welchen Einnahmen aus
ihrer beruflichen Tätigkeit sie rechnen können. Diesem Interesse hat der
Gesetzgeber mit der Einführung der befristeten Beschwerde gegen
Vergütungsfestsetzungsbeschlüsse durch das BtÄndG zum 01. Januar 1999
Rechnung getragen. In materieller Hinsicht hat dieses Beschleunigungsgebot
darüber hinaus seinen Ausdruck in der neu eingeführten Ausschlussfrist des §
1836 Abs. 2 Satz 4 BGB gefunden (siehe hierzu OLG Schleswig a. a. O.).
Des Weiteren wurde in der Rechtsprechung in Verfahren mit kostenrechtlichem
Hintergrund des öfteren bei einem Zeitraum von ca. 1 ½ Jahren nach
Bekanntgabe der Entscheidung das Zeitmoment bejaht (vgl. LG Berlin, BtPrax
1999, 35; OLG Düsseldorf MDR 1997, 104; OLG Karlsruhe, Die Justiz 1991, 2008,
LG Stuttgart, BtPrax 1999, 159). Im vorliegenden Fall wurde das Rechtsmittel der
sofortigen Beschwerde erst am 15. Juli 2003 und somit 18 Monate nach
Bekanntgabe des Festsetzungsbeschlusses durch formlose Übersendung an den
Betreuer und die Bezirksrevisorin gefertigt und gelangte erst am 16. März 2004
und somit nach zwei Jahren und drei Monaten zur Akte. Angesichts dieser
Umstände ist es rechtlich nicht zu beanstanden, dass das Landgericht das für eine
Verwirkung erforderliche Zeitmoment als erfüllt angesehen hat.
Desweiteren lässt auch die Würdigung des Landgerichts, wonach das sog.
"Umstandsmoment" ebenfalls erfüllt ist, Rechtsfehler nicht erkennen. Hierzu hat
das Landgericht sachgerecht darauf abgestellt, dass der Betreuer, dem die
Einlegung des Rechtsmittels im Übrigen erstmals durch die formlose Übersendung
des landgerichtlichen Beschlusses Ende Mai 2004 und somit zwei Jahre und vier
Monate nach Bekanntgabe des Festsetzungsbeschlusses mitgeteilt wurde, darauf
vertrauen durfte, dass die Staatskasse von ihrem Anfechtungsrecht keinen
Gebrauch mehr machen und ihm die festgesetzte Vergütung nebst
Aufwendungsersatz erhalten bleiben würde. Hieran vermag auch der Umstand
nichts zu ändern, dass die Antragsgegnerin in anderen Betreuungsverfahren
betreffenden Festsetzungsvergütungen dieses Betreuers mit Hinweis auf die
Vorschrift des § 1836 Abs. 2 Satz 4 BGB zeitnah angefochten hat. Hinzu kommt,
dass im Hinblick auf die von der Antragsgegnerin mit dem Rechtsmittel zusätzlich
beanstandeten einzelnen Tätigkeiten dem Betreuer wegen des langen Zeitablaufs
konkrete und fundierte Nachweise und Einwendungen kaum noch möglich sein
dürften.
10 Soweit die Antragsgegnerin in der Begründung ihrer weiteren Beschwerde erstmals
geltend macht, es könne nicht ausgeschlossen werden, dass sie keine Kenntnis
von dem am 09. Januar 2002 formlos übersandten Beschluss erlangt habe,
handelt es sich um neuen Sachvortrag, der im Verfahren der Rechtsbeschwerde
keine Berücksichtigung mehr finden kann.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.