Urteil des OLG Frankfurt vom 10.09.2008

OLG Frankfurt: drohende gefahr, kollision, fraktur, wahrscheinlichkeit, geschwindigkeit, mitverschulden, zaun, aufwand, arbeitsentgelt, rechtshängigkeit

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Gericht:
OLG Frankfurt 1.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
1 U 184/07
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 253 Abs 2 BGB, § 823 Abs 1
BGB
Verkehrssicherungspflicht: Pflicht eines Skiliftbetreibers
zur Abpolsterung von Eisenpfosten im Bereich der
Talstation eines Skilifts
Leitsatz
Fest im Boden verankerte Metallpfosten an der Talstation eines Skiliftes sind zum
Schutz von Skifahrern gegen Verletzungen grundsätzlich abzupolstern. Bei einer
Verletzung dieser Pflicht spricht der erste Anschein dafür, dass die beim Sturz eines
Skifahrers gegen den Metallpfosten erlittene Unterschenkelverletzung auf der
fehlenden Polsterung beruht (im Anschluss an BGH, Urteil vom 3.6.2008 - VI ZR
223/07).
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das am 6.7.2007 verkündete Urteil der 2.
Zivilkammer des Landgerichts Limburg an der Lahn abgeändert.
Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger
a) 13.718,64 € und
b) außergerichtliche Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 594,73 €
jeweils zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz
seit dem 6.2.2007 zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche
materiellen und nach dem 10.9.2008 entstehende immaterielle Schäden aus dem
Skiunfall vom ….2004 in ... zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf einen
Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergegangen sind bzw. übergehen
werden.
Im Übrigen bleibt die Klage abgewiesen, die weitergehende Berufung wird
zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger zu 31%, der Beklagte zu 69% zu
tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
Die Berufung ist zulässig und teilweise begründet. Der Kläger hat gegen den
Beklagten einen Anspruch auf Ersatz seines materiellen und seines immateriellen
Schadens aus dem streitgegenständlichen Skiunfall, weil der Beklagte die auf
seinen Skilift bezogenen Verkehrssicherungspflichten schuldhaft verletzt und
dadurch die erheblichen Beinverletzungen des Klägers verursacht hat.
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A. Der Beklagte hat seine Verkehrssicherungspflichten gegenüber den Nutzern
seines Liftes, also auch gegenüber dem Kläger dadurch verletzt, dass er die
Begrenzungspfosten des Zauns an der Talstation des Liftes nicht abpolsterte,
beispielsweise mit Schaumstoff, Strohsäcken oder ähnlichem.
I. Dem Beklagten oblag als Betreiber des Liftes und der zugehörigen Pisten die
Verkehrssicherungspflicht für die Gesamtanlage. Diese Pflicht bezog sich
gegenständlich auch auf die Unfallstelle, die bestimmungsgemäß von Skifahrern
passiert wurde, um zum Lift zu gelangen.
II. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass sich die Verantwortung des
Sicherungspflichtigen zwar in erster Linie auf verdeckte und atypische Gefahren
bezieht, dass sie sich aber nicht ausnahmslos auf diesbezügliche
Vorsorgemaßnahmen reduzieren lässt (vgl. BGH NJW 1985, 620 f.; NJW-RR 1986,
1029, 1030). Der Umfang der Pistensicherungspflicht ist wie allgemein der Umfang
von Verkehrssicherungspflichten anhand der Umstände des Einzelfalles zu
konkretisieren, wobei insbesondere auf die Größe der Gefahr, den Grad ihrer
Erkennbarkeit und die Möglichkeiten für ihre Vermeidung oder Überwindung
abzustellen ist (vgl. BGH NJW 1973, 1379, 1380; 1982, 762, 763; OLG Dresden
NJW-RR 1999, 902), außerdem auf die schutzbedürftigsten Personen (vgl. OLG
Hamm NJW-RR 2000, 102; BGH NJW 1985, 620). Die Gesamtschau dieser Kriterien
ergibt, dass der Beklagte die Eisenpfosten im Bereich der Talstation seines
Skiliftes hätte abpolstern müssen:
1. Die durch die Pfosten drohende Gefahr war groß in doppelter Hinsicht. Zum
einen drohten Unfälle in diesem Bereich mit einer relativ hohen Wahrscheinlichkeit.
Der Lift und die zugehörigen Pisten wurden von zahlreichen Personen, darunter
auch vielen Kindern benutzt. Es ist eine allgemeinkundige Erfahrungstatsache,
dass sich gerade im Bereich von Lift-Talstationen besonders viele Skifahrer
zusammenballen und dass es dort wegen unangepasst schneller Skifahrer
besonders häufig zu Kollisionen und Stürzen kommt. Zum anderen waren die
harten, unnachgiebigen Eisenpfosten geeignet, erhebliche Verletzungen
hervorzurufen.
2. All dies lag für den sachkundigen Beklagten auf der flachen Hand.
3. Die Abpolsterung der Pfosten in diesem Gefahrenbereich hätte keinen
nennenswerten Aufwand erfordert.
B. Der Beklagte hat keine Gesichtspunkte vorgetragen, die daran zweifeln ließen,
dass er die Verkehrssicherungspflicht schuldhaft verletzt hat.
C. Die unstreitigen Beinverletzungen des Klägers beruhen auf dieser
Verkehrssicherungspflichtverletzung, das heißt auf der Kollision mit einem
ungepolsterten Eisenpfosten an der Talstation des vom Beklagten betriebenen
Skiliftes.
I. Der glaubhaften Aussage der Zeugin Z1 kann entnommen werden, dass der
Kläger gegen den Zaun gefallen ist.
II. Dem Sachverständigengutachten ist immerhin zu entnehmen, dass der
Beinbruch des Klägers nur durch eine Kollision mit dem Begrenzungspfosten und
nicht durch den Sturz des Klägers allein erklärt werden kann. Jedenfalls ist die
gegenteilige Behauptung des Beklagten nicht bewiesen. Der Beklagte beanstandet
das Sachverständigengutachten nur wegen fehlender Feststellungen zur
Geschwindigkeit des Klägers. Diese war nicht Beweisthema, weil dazu
nachvollziehbarer Beklagtenvortrag fehlte. Dass der eigene Ski des Klägers die
Fraktur verursacht hat, ist eine neue Behauptung des Beklagten (§ 531 Abs. 2 S. 1
Nr. 3 ZPO) und – vor allem – sachlich fernliegend.
III. Hinsichtlich der nach dem Sachverständigengutachten offenen Beweisfrage I 2
des Beweisbeschlusses vom 21.1.2008 – Ursächlichkeit der fehlenden
Abpolsterung für die Verletzungen des Klägers – bedurfte es keiner weiteren
Sachaufklärung. Bei der Verletzung von Verkehrssicherungspflichten, die typischen
Gefährdungen entgegenwirken sollen, findet der Beweis des ersten Anscheins
Anwendung, wenn sich in dem Schadensfall – wie hier – gerade diejenige Gefahr
verwirklicht, der durch die Auferlegung bestimmter Verhaltenspflichten begegnet
werden soll (vgl. BGH, Urteil v. 03.06.2008 - VI ZR 223/07, juris-Rn. 17). Hierauf
hatte der Senat die Parteien unter dem 6.8.2008 hingewiesen. Der Beklagte hat
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hatte der Senat die Parteien unter dem 6.8.2008 hingewiesen. Der Beklagte hat
diesen Anscheinsbeweis weder erschüttert noch widerlegt, für die fehlende
Ursächlichkeit der fehlenden Abpolsterung hat er keinen Beweis angeboten.
D. Ein Mitverschulden des Klägers hat der Beklagte nicht nachvollziehbar
vorgetragen.
E. Zur Höhe der klägerischen Ansprüche:
I. Die Höhe des ersatzfähigen Vermögensschadens schätzt der Senat auf 5.718,64
€.
1. Seinen Verdienstausfall hatte der Kläger zuletzt auf 5.234,64 € beziffert (Blatt
37 ff. d. A.), nämlich auf 1.781,06 € Differenz zwischen hypothetischem
Arbeitsentgelt und Krankengeld und auf 3.453,58 € krankheitsbedingten
Prämienverlust (dazu Beleg Blatt 14 d. A.). Der Beklagte hat das nur noch
hinsichtlich der Prämien bestritten und schlicht als unschlüssig bezeichnet, was
unverständlich ist.
2. Die in Höhe von 82,50 € + 135 € geltend gemachten Fahrtkosten zur Klinik und
zur Krankengymnastik können abrundend auf 200 € geschätzt werden (§ 287
ZPO).
3. Der Eigenanteil des Klägers für den Klinikaufenthalt in Höhe von 80 € ist nicht
ersatzfähig, da dem entsprechende Ersparnisse des Klägers gegenüberstehen. 4.
Die übrigen mit der Klage geltend gemachten Schadensposten sind unstreitig.
II. Als Schmerzensgeld erachtet der Senat einen Betrag in Höhe von 8.000 € für
angemessen. Die Verletzungen des Klägers – dreifacher Bruch des rechten
Unterschenkels und ein Haarriss unter der Kniescheibe – und der sich knapp ein
Jahr hinziehende, nicht ganz vollständige Heilungsverlauf sind unstreitig; die Leiden
des Klägers sind als erheblich einzustufen. Andererseits wiegt das Verschulden des
Beklagten nicht schwer.
III. Der Feststellungsantrag ist begründet, weil der Kläger angesichts der Schwere
seiner Verletzungen mit nicht absehbaren Spätfolgen rechnen muss.
IV. Die Verpflichtung des Beklagten zum Ersatz der dem Kläger entstandenen
vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten folgt aus §§ 280 Abs. 1, 2, 286 BGB. Der
geltend gemachte Betrag ist der Höhe nach nicht zu beanstanden.
V. Die Kläger begehrt Zinsen ab Eintritt der Rechtshängigkeit. Die Klage wurde
dem Beklagten am 5.2.2007 zugestellt, so dass er ab dem 6.2.2007 Zinsen
schuldet, dies in gesetzlicher Höhe (§ 288 Abs. 1 S. 2 BGB).
F. Ein Anlass für die Zulassung der Revision besteht nicht (§ 543 Abs. 2 ZPO);
dieses Erkenntnis steht mit der einschlägigen höchst- und obergerichtlichen
Rechtsprechung in Einklang. Die übrigen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92
Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.