Urteil des OLG Frankfurt vom 02.06.2008
OLG Frankfurt: arzneimittel, eugh, produkt, bestandteil, beeinflussung, abgrenzung, krankheit, wiederherstellung, internet, diät
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Gericht:
OLG Frankfurt 6.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
6 W 34/08
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 2 AMG, § 21 AMG, Art 1 Nr 2
EGRL 83/2001, Nr 1 Buchst b
EGRL 27/2004, Art 1 Nr 2 EGRL
27/2004
(Einstweiliges Verfügungsverfahren wegen eines
behaupteten Wettbewerbsverstoßes durch
Inverkehrbringen eines nicht zugelassenen Arzneimittels:
Einstufung eines Mittels zur Vermeidung der Folgen einer
Lactoseintoleranz)
Leitsatz
Jedenfalls nach den im Eilverfahren bestehenden Erkenntnismöglichkeiten ist ein Mittel,
das zur Vermeidung der Folgen einer Lactoseintoleranz die vom menschlichen Körper
nicht mehr erfüllte Aufgabe der Aufspaltung von Milchzucker durch Zuführung eines
Enzyms übernimmt, nicht als Funktionsarzneimittel einzustufen; insbesondere fehlt es
insoweit sowohl an einer metabolischen als auch an einer pharmakologischen Wirkung.
Tenor
Die Beschwerde wird auf Kosten des Antragstellers zurückgewiesen.
Beschwerdewert: 100.000 EUR
Gründe
Die zulässige Beschwerde des Antragstellers hat in der Sache keinen Erfolg.
I. Bereits mangels Vorliegens eines Verfügungsgrundes unzulässig ist das
Eilbegehren mit den Hilfsanträgen, welche der Antragsteller mit Schriftsatz vom
27.05.2008 erstmals gestellt hat. Die Hilfsanträge unterscheiden sich von den
Hauptanträgen dadurch, dass der letzte Halbsatz fehlt: „… solange die Produkte
nicht als Arzneimittel zugelassen sind“. Der Antragsteller stellt sie für den Fall,
dass der Senat der Auffassung sein sollte, die Produkte der Antragsgegnerin seien
als ergänzende bilanzierte Diäten für besondere medizinische Zwecke im Sinne
des § 1 Abs. 4 a S. 3 Nr. 2 DiätV verkehrsfähig. Zur Begründung führt der
Antragsteller aus, es sei unstreitig, dass die Produkte der Antragsgegnerin nicht
als ergänzende bilanzierte Diäten in den Verkehr gebracht würden, sondern als
Lebensmittelzusatz.
Abgesehen davon, dass es ein ungewöhnliches prozessuales Vorgehen ist, als
Antragsteller selbst zur Einordnung eines angegriffenen Erzeugnisses, hier als
ergänzende bilanzierte Diät, nichts vorzutragen und ein Verbot für den Fall zu
beantragen, dass der Senat – aus welchen Gründen auch immer – zu einer
solchen Einschätzung gelangt, führt der Antragsteller mit diesen Hilfsanträgen
über vier Monate nach Einleitung des Eilverfahrens einen neuen Streitgegenstand
ein, wofür kein Verfügungsgrund besteht. Der Antragsteller war nicht gehindert,
diesen rechtlichen Gesichtspunkt von Anfang an zum Gegenstand eines hilfsweise
verfolgten Begehrens zu machen. Mit seinem Zuwarten hat er die
Dringlichkeitsvermutung des § 12 Abs. 2 UWG widerlegt.
II. Hinsichtlich der Hauptanträge besteht jedenfalls kein Verfügungsanspruch. Ein
solcher folgt insbesondere nicht aus §§ 3, 4 Nr.11 UWG i. V. m. §§ 2, 21 AMG.
Dem Antragsteller ist es nicht gelungen, in diesem Eilverfahren in einer für den
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Dem Antragsteller ist es nicht gelungen, in diesem Eilverfahren in einer für den
Ausspruch des begehrten Verbotes hinreichenden Weise glaubhaft zu machen,
dass es sich bei den angegriffenen Produkten „A“, „B“, „C“ und „D“ der
Antragsgegnerin um Arzneimittel gemäß § 2 AMG handelt, die der
Zulassungspflicht des § 21 AMG unterliegen. Zur Begründung wird auf die
zutreffenden Ausführungen in der angefochtenen Entscheidung sowie im
Nichtabhilfebeschluss des Landgerichts vom 13.3.2008 Bezug genommen; auch
das weitere Beschwerdevorbringen rechtfertigt keine abweichende Beurteilung.
Der Arzneimittelbegriff hat durch Art. 1 Nr. 2 der Richtlinie 2001/83/EG in der
Fassung, die diese Vorschrift durch Art. 1 Nr. 1 b) der Richtlinie 2004/27/EG
erhalten hat, eine Vollharmonisierung erfahren mit der Folge, dass der nationale
Arzneimittelbegriff nunmehr, nach Ablauf der in Art. 3 der Richtlinie 2004/27/EG
vorgesehenen Umsetzungsfrist am 30.10.2005, richtlinienkonform auszulegen ist
(BGH, WRP 2006, 736, Tz. 33 – Arzneimittelwerbung im Internet; Senat, Urteil vom
29.04.2008, Az. 6 U 109/07, S. 8). Soweit der Antragsteller, der diese Auffassung
in seinen erstinstanzlichen Schriftsätzen ausdrücklich geteilt hat, meint, dies im
Hinblick auf die Entscheidung des EuGH „Knoblauch-Extrakt-Pulver-Kapsel“ (GRUR
2008, 271 ff.) anders sehen zu müssen, ist dem nicht zu folgen. Die Entscheidung
befasst sich nicht mit der Richtlinie 2004/27/EG und der darin vorgesehenen
Neudefinition des Arzneimittelbegriffs, sondern geht noch von der Richtlinie
2001/83/EG aus.
Wie das Landgericht in seinem Zurückweisungsbeschluss zutreffend festgestellt
hat, handelt es sich bei den angegriffenen Produkten nicht um
Präsentationsarzneimittel im Sinne von Art. 1 Nr. 2 a) der Richtlinie 2001/83/EG in
der Fassung der Richtlinie 2004/27/EG. Wie der Antragsteller in seiner
Beschwerdebegründung nochmals klargestellt hat, ist sein Eilantrag darauf auch
nicht gestützt.
Es ist jedoch davon auszugehen, dass es sich bei den angegriffenen Produkten
auch nicht um Funktionsarzneimittel im Sinne von Art. 1 Nr. 2 lit. b) der Richtlinie
handelt. Jedenfalls vermochte der Antragsteller dies nicht glaubhaft zu machen.
Nach Art. 1 Nr.2 b) der Richtlinie sind Funktionsarzneimittel „alle Stoffe oder
Stoffzusammensetzungen, die im oder am menschlichen Körper verabreicht
werden, um entweder die menschlichen physiologischen Funktionen durch eine
pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung
wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen …“.
Durch die angegriffenen Produkte werden die menschlichen physiologischen
Funktionen weder wiederhergestellt noch korrigiert noch beeinflusst, und zwar
weder durch eine pharmakologische noch durch eine metabolische Wirkung.
Der Einwand des Antragstellers, entscheidend sei, dass das Produkt einen
therapeutischen Zweck erfülle, wie das Bundesverwaltungsgericht kürzlich noch
entschieden habe (Urteil vom 25.07.2007, Az. 3 C 23/06 – Lactobact omni FOS)
verfängt nicht. Zwar hat das Bundesverwaltungsgericht in dieser Entscheidung
ausgeführt, ein Erzeugnis, das geeignet sei, therapeutische Zwecke zu erfüllen, sei
in jedem Fall ein Arzneimittel (Rn. 18 bei juris). Im nächsten Absatz wird aber
erläutert, was das Gericht unter einem therapeutischen Zweck versteht, nämlich
den Zweck, die physiologischen Funktionen von Menschen wiederherzustellen, zu
korrigieren oder zu beeinflussen (a. a. O. Rn. 19).
An der Wiederherstellung oder Korrektur einer physiologischen Funktion würde es
von vornherein fehlen, wenn es sich bei der Laktoseintoleranz nicht um eine
Krankheit handeln würde, wie die Antragsgegnerin meint. Das erscheint
zweifelhaft; der Senat geht zu Gunsten des Antragstellers davon aus, dass es sich
bei der Laktoseintoleranz um eine Krankheit handelt. Rund 15% der in Deutschland
lebenden erwachsenen Bevölkerung leidet an einer Laktoseintoleranz. Das
bedeutet, ihr Körper ist nicht (mehr) in der Lage, selbst das Enzym Laktase zu
bilden, um Laktose (Milchzucker) zu spalten. Die Folge ist, dass die Aufnahme von
Milchzucker zu Beschwerden wie insbesondere Durchfall führen kann.
Der Verzehr der angegriffenen Produkte führt jedoch nicht dazu, die Fähigkeit des
Körpers, Milchzucker zu spalten, wiederherzustellen (ebenso OLG Stuttgart, Urteil
vom 14.02.2008, Az. 2 U 81/07, Rn. 48 ff. bei juris). Stattdessen nehmen sie dem
Körper die Aufgabe, Milchzucker durch die Bildung des entsprechenden Enzyms zu
spalten, ab, indem das zugeführte Enzym diese Aufgabe übernimmt und den
Speisebrei im Darm dergestalt verändert, dass das Disaccharid Milchzucker in
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Speisebrei im Darm dergestalt verändert, dass das Disaccharid Milchzucker in
Monosaccharid-Einheiten aufgespalten wird. Damit fehlt es nicht nur an einer
Wiederherstellung oder Korrektur, sondern auch an einer Beeinflussung
menschlicher physiologischer Funktionen. Diese erfolgt weder durch eine
metabolische noch durch eine pharmakologische Wirkung.
Die Beeinflussung menschlicher physiologischer Funktionen durch metabolische
Wirkung setzt voraus, dass sich das Produkt nennenswert auf den Stoffwechsel
auswirkt und die Funktionsbedingungen des Körpers wirklich beeinflusst (EuGH,
GRUR 2008, 271, Tz. 60 – Knoblauch-Extrakt-Pulver-Kapsel). Diese Wirkung haben
die angegriffenen Produkte nach dem Vorbringen der Parteien nicht. Sie wirken
sich nicht auf den Stoffwechselprozess aus, sondern verändern selbst den
milchzuckerhaltigen Speisebrei so, dass ein laktoseintoleranter Organismus ihn
trotz seiner eingeschränkten Möglichkeiten „normal“ verdauen kann. Die
Funktionsbedingungen des Körpers werden nicht beeinflusst.
Die Ausführungen von SV1 in seinem Privatgutachten vom 07.04.2008 (Anlage Ast
31) führen nicht zu einem anderen Ergebnis. In seinem Fazit heißt es, durch
Laktasemangel und die somit unzureichende Laktoseresorption würden
physiologische Körperfunktionen beeinträchtigt. Durch die beschleunigte
Darmpassage werde die Verdauung essentieller Nahrungsbestandteile reduziert.
Das kann als richtig unterstellt werden, ebenso der Umstand, dass der Verzehr der
angegriffenen Produkte dazu führt, dass die Geschwindigkeit der Darmpassage
und damit die Verdauung der Nahrungsbestandteile normalisiert wird. Hierbei
handelt es sich aber nur um Folgen der Wirkung der angegriffenen Produkte, den
Milchzucker aufzuspalten, die wiederum erzielt wird, ohne menschliche
physiologische Funktionen durch metabolische Wirkung zu beeinflussen. Die
mittelbare Auswirkung der Produkte auf den Verdauungsprozess durch dessen
Normalisierung reicht nach Auffassung des Senats nicht aus, um die Einordnung
als Arzneimittel zu rechtfertigen.
Die angegriffenen Produkte beeinflussen menschliche physiologische Funktionen
auch nicht durch eine pharmakologische Wirkung. Nach der Rechtsprechung des
Senats setzt das Tatbestandsmerkmal der pharmakologischen Wirkung eine
Wechselwirkung zwischen den Molekülen der infrage stehenden Substanz und
einem zellulären Bestandteil, gewöhnlich als Rezeptor bezeichnet, voraus, die
entweder in einer direkten Reaktion resultiert oder die Reaktion eines anderen
Agens blockiert (Urteil vom 21.09.2006, Az. 6 U 91/05, Rz. 28 bei juris; Urteil vom
29.04.2008, Az. 6 U 109/07, Seite 11). Der Senat hat sich damit einer von einer
Expertengruppe aus Behörden- und Industrievertretern unter Federführung der
Europäischen Kommission entwickelten Leitlinie zur Abgrenzung von Arzneimitteln
und Medizinprodukten zu eigen gemacht (Wiedergabe bei Gröning,
Heilmittelwerberecht, § 1 Rn. 182) und diese Definition in seiner jüngst ergangenen
Entscheidung in der Sache 6 U 109/07 auch zur Abgrenzung von Arzneimitteln und
kosmetischen Mitteln eingesetzt. Dieses Eilverfahren bietet keinen Anlass, von
dieser Definition abzuweichen. Sie steht entgegen der Auffassung des
Antragstellers insbesondere nicht im Widerspruch zur Entscheidung „Knoblauch-
Extrakt-Pulver-Kapsel“ des EuGH, in der es lediglich heißt, die pharmakologischen
Eigenschaften eines Arzneimittels müssten wissenschaftlich festgestellt sein (a. a.
O. Rn. 61); dies besagt nichts darüber, worin diese Eigenschaften bestehen
müssen.
Da die Moleküle der angegriffenen Produkte unstreitig nicht in eine Wechselwirkung
zu einem zellulären Bestandteil des menschlichen Körpers treten, fehlt es an einer
pharmakologischen Wirkung (ebenso OLG Stuttgart a. a. O. Rn. 65).
Soweit der Antragsteller schließlich darauf verweist, die Gesundheitsgefahr stelle
bei der Beurteilung, ob es sich um ein Arzneimittel handelt, einen eigenständigen
Faktor dar, kann auch dies seinem Eilantrag nicht zum Erfolg verhelfen. Zwar ist es
nach der bisherigen Rechtsprechung des EuGH anerkannt, dass bei der
Einordnung als Arzneimittel neben der immunologischen, metabolischen oder
pharmakologischen Wirkung auch weitere Merkmale wie unter anderem mögliche
Risiken bei seiner Verwendung zu berücksichtigen sind (EuGH, WRP 2005, 863;
GRUR 2008, 271, Tz. 69). Fraglich ist allerdings, ob dies auch noch nach der
Neufassung von Art. 1 Nr. 2 der Richtlinie 2001/83/EG durch die Richtlinie
2004/97/EG gilt. Diese Frage hat das Bundesverwaltungsgericht dem Europäischen
Gerichtshof mit Beschluss vom 14. Dezember 2006 (Az. 3 C 38.06) in einem
Vorabentscheidungsverfahren vorgelegt.
19 Da der Wortlaut des Art. 1 Nr. 2 der Richtlinie in der nunmehr geltenden Fassung
für die Berücksichtigung dieses Kriteriums keinen Raum lässt, ist für dieses
Eilverfahren davon auszugehen, dass die Gesundheitsgefahr nach aktueller
Rechtslage kein eigenständiger Beurteilungsfaktor ist, so dass die Frage offen
bleiben kann, ob die von dem Antragsteller dargelegten Gesundheitsrisiken, die
mit den Verzehr der angegriffenen Produkte verbunden sein sollen, tatsächlich
bestehen. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.