Urteil des OLG Frankfurt vom 16.03.2005

OLG Frankfurt: abrechnung, operation, patient, vergütung, komplikationen, versorgung, satzung, behandlungskosten, einheit, krankenversicherung

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Gericht:
OLG Frankfurt 7.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
7 U 31/04
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
§ 11 BPflV vom 27.04.2001
(Krankenversicherung: Abrechnung der Behandlungskosten
bei Versterben des Patienten vor dem für die
Fallpauschale definierten Ende des Behandlungsfalles)
Leitsatz
Verstirbt ein Patient vor dem für die Fallpauschale definierten Ende des
Behandlungsfalles, ist nach der Bundespflegesatzverordnung nicht nach der
Fallpauschale, sondern nach Sonderentgelt nebst tagesgleichen Pflegesätzen
abzurechnen.
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 4. Zivilkammer des
Landgerichts Frankfurt / M. vom 19.12.2003 abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I.
Die Parteien streiten um die Abrechnung von Krankenhauskosten für die
Behandlung von Herrn A, der bei der Beklagten krankenversichert war.
Die Beklagte erklärte mit Schreiben vom 19.10.2000 die Übernahme der Kosten
einer stationären Behandlung ihres Versicherungsnehmers bei der Klägerin für die
Dauer von drei Wochen bzw. bei Abrechnung mit einer Fallpauschale bis zum
Ablauf der Grenzverweildauer.
Herr A befand sich in der Zeit vom 16.10. bis 20.10.2000 in stationärer
Behandlung bei der Klägerin. Er verstarb nach einer am 16.10. durchgeführten
Herzoperation.
An Stelle der von der Klägerin abgerechneten Fallpauschale 09.071 erstattete die
Beklagte eine Vergütung nur in Höhe des Sonderentgelts 09.22 nebst
Tagespflegesätzen und zwar mit der Begründung, dass der Patient vor dem für die
Fallpauschale definierten Ende des Behandlungsfalles - nämlich dem Abschluss
der Wundheilung - verstorben sei. Der Differenzbetrag aus der Rechnung vom
16.2.2001 in Höhe von 5.081,01 Euro ist Gegenstand der vorliegenden Klage.
Durch Urteil vom 19.12.2003 - auf dessen Inhalt (Bl. 71 ff d.A.) wegen der weiteren
Einzelheiten des Sach- und Streitstandes Bezug genommen wird - hat das
Landgericht der Klage stattgegeben und zur Begründung ausgeführt, im
Umkehrschluss ergebe sich aus § 14 IV Nr. 2 BPflV, dass die Pauschale zum
Tragen komme, wenn die Hauptleistung erbracht sei. Als Hauptleistung sei die
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Tragen komme, wenn die Hauptleistung erbracht sei. Als Hauptleistung sei die
Herzoperation anzusehen. Eine Aufspaltung einzelner Behandlungsleistungen -
hier der Operation und der nachfolgenden Pflegeleistung - wegen vorzeitiger
Beendigung der Behandlung werde dem Sinn und Zweck der Fallpauschale nicht
gerecht.
Hiergegen wendet sich die Beklagte mit der Berufung.
Sie wiederholt ihren Einwand, dass die Klage bereits unzulässig sei, da die Klägerin
nicht entsprechend der Satzung zunächst das Beschwerdeverfahren durchgeführt
habe.
In der Sache habe das Landgericht verkannt, dass mit der vorliegenden
Fallpauschale nicht nur die Operationsleistung, sondern auch die sich
anschließende intensive Pflegeleistung vergütet werden solle. Der Behandlungsfall
sei die Operation nebst Pflege. Die Abrechnung nach einer solchen mehrgliedrigen
Fallpauschale komme daher nur in Betracht, wenn alle Glieder erbracht seien;
ansonsten müsse auf die Sonderentgelte zurückgegriffen werden. Zwar liege der
Fallpauschale eine Mischkalkulation zugrunde, dies bedeute jedoch nicht, dass
auch bei den Patienten, bei denen eine Wundheilung gar nicht eintrete, nach der
Fallpauschale abgerechnet werden könne. Ebenso treffe es zwar zu, dass mit der
Fallpauschale eine leistungsgenaue Abrechnung vermieden werden solle, eine
Vergütung nach der Fallpauschale sei jedoch dann nicht zu erbringen, wenn große
Teile der Leistung gar nicht erbracht seien.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landgerichts abzuändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil. Unter Hauptleistung sei die
wesentliche Leistung, hier also die Operation zu verstehen. Das Kriterium
"Abschluss der Wundheilung“ diene nur zur Abgrenzung der Akut- zur
Weiterbehandlungspauschale. Sonderentgelte seien nur bei einer eigenständigen
Therapie- oder Diagnostikleistung während eines stationären Aufenthaltes in
Ansatz zu bringen.
II.
Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte und begründete
Berufung der Beklagten hat auch in der Sache Erfolg.
Der Klägerin steht gegenüber der Beklagten kein weiterer Vergütungsanspruch
aus der Rechnung vom 16.2.2001 zu. Zwar bestehen an der Zulässigkeit der Klage
keine Bedenken, da die Kostenübernahmeerklärung mangels deutlich
erkennbarem Entlassungswillen hinsichtlich des ursprünglichen Gläubigers nicht als
Schuldübernahme, sondern lediglich als Schuldbeitritt seitens der Beklagten zu
verstehen ist (vgl. hierzu VGH Baden-Württemberg VR 1990, 32). Insofern ist die
Klägerin auch nicht in die satzungsmäßigen Rechte des Mitglieds der Beklagten
eingetreten. Im übrigen schreibt die Satzung der Beklagten (§ 32) nicht zwingend
die Durchführung eines Beschwerdeverfahrens vor Klageerhebung vor.
Die Klägerin war jedoch nicht zur Abrechnung der Fallpauschale 09.071 berechtigt.
Vielmehr war ihre Leistung mit dem Sonderentgelt 09.22 nebst tagesgleichen
Pflegesätzen zu vergüten, so dass die seitens der Beklagten auf dieser Grundlage
vorgenommene Rechnungskürzung zu recht erfolgte. Eine solche Handhabung
entspricht Sinn und Zweck der Fallpauschalenregelung in der
Bundespflegesatzverordnung, in welcher eine ausdrückliche Regelung für den Fall,
dass der Patient nach durchgeführter Operation und begonnener
Intensivbehandlung verstirbt, fehlt.
Zwar ergibt sich aus der Bundespflegesatzverordnung, dass die Abrechnung von
Fallpauschalen - sofern nicht nur eine isolierte Operationsleistung erbracht wird -
grundsätzlich Vorrang vor der Abrechnung von Sonderentgelten hat. Gemäß § 11
(1) BPflV werden mit Fallpauschalen die allgemeinen Krankenhausleistungen für
einen in Anlage 1 bestimmten Behandlungsfall vergütet, wohingegen
Sonderentgelte sich nur auf eine Krankenhausleistung für einen vereinbarten
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Sonderentgelte sich nur auf eine Krankenhausleistung für einen vereinbarten
Leistungskomplex eines Behandlungsfalles beziehen (§ 11 (2) BPflV).
Vorliegend wird der Behandlungsfall in der Fallpauschale 09071 definiert als
"Herzoperation unter Einsatz der Herz-Lungen-Maschine ... Versorgung bis
Abschluss Wundheilung, mindestens jedoch bis Abschluss indikationsspezifischer
Komplikationen“. Die Operation nebst anschließender intensivmedizinischer
Versorgung bis zur Herstellung der Rehabilitationsfähigkeit bilden insofern eine
Einheit. Zwar kann man hieraus - entgegen der Auffassung der Beklagten - nicht
herleiten, dass der erfolgreiche Abschluss der Wundheilung bzw. der
indikationsspezifischen Komplikationen Voraussetzung für die Abrechnung der
Fallpauschale ist. Vielmehr dient das Kriterium "Abschluss der Wundheilung /
indikationsspezifischer Komplikationen“ im Zusammenspiel mit der vereinbarten
Grenzverweildauer der Festlegung, ab welchem Zeitpunkt die Abrechnung weiterer
Leistungen zulässig ist. Der Abschluss der Wundheilung benennt insoweit den
frühestens Zeitpunkt, der Ablauf der Grenzverweildauer den spätestens Zeitpunkt,
ab dem weitere Leistungen abgerechnet werden dürfen. Sinn und Zweck einer
solchen Regelung besteht darin sicherzustellen, dass im Schnitt die der Kalkulation
der Fallpauschale zugrunde gelegte Verweildauer von 12,82 Tagen zum Tragen
kommt. Folgerichtig darf eine Fallpauschale gemäß § 14 (5) Nr. 1 BPflV nicht
abgerechnet werden, wenn der Patient vor Abschluss des Behandlungsfalles
verlegt wird, es sei denn, die Abrechnung nach Pflegesätzen ergibt einen höheren
Gesamtbetrag oder aber es liegt ein Fall der Zusammenarbeit der Krankenhäuser
vor, was zu einer Aufteilung der Fallpauschale führt. Ebenso verbietet § 14 (5) Nr. 2
BPflV die Abrechnung einer Fallpauschale, wenn die Behandlung vor Erbringung der
Hauptleistung beendet wird.
Entgegen der Auffassung des Landgerichts stellt die Herzoperation jedoch nicht
die Hauptleistung der streitgegenständlichen Fallpauschale dar. Die in der 5.
Änderungsverordnung zur Bundespflegesatzverordnung neu definierte
Fallpauschale umfasst gerade die Versorgungsleistung bis zum Abschluss der
äußeren Wundbehandlung. Operation und nachfolgende Versorgung bilden
insofern eine Einheit. Der Begriff der Hauptleistung muss daher auf den dergestalt
definierten Behandlungsfall bezogen werden. Nur auf diese Weise kann Sinn und
Zweck der Fallpauschalenregelung, nämlich eine leistungsgerechte, am definierten
Behandlungsfall orientierte Vergütung der Krankenhausbehandlung
herbeizuführen, sichergestellt werden. In diese Richtung weist auch der -
selbstverständlich für den Senat nicht bindende - Entwurf der X vom 9.3.1998, in
welchem für den Fall, dass der Patient nach Abschluss der OP-Leistung, jedoch vor
Ende der aufgerundeten Hälfte der Normverweildauer verstirbt, eine Abrechnung
nach tagesgleichen Pflegesätzen und Sonderentgelten, ansonsten nach
Fallpauschale, vorgesehen ist.
Der Hinweis des Landgerichts, dass bei einer solchen Betrachtungsweise im
vorliegenden Fall konsequent jeglicher Vergütungsanspruch versagt werden
müsste, weil die von der Beklagten herangezogene Abrechnung nicht einschlägig
sei, trifft nicht zu. Wie die Regelung in § 14 (5) Nr. 1 BPflV zeigt, sieht die
Bundespflegesatzverordnung - sofern keine der benannten Ausnahmen vorliegt -
bei nicht vollständiger Erbringung der Fallpauschale gerade eine Abrechnung nach
Sonderentgelten nebst tagesgleichen Pflegesätzen vor. Die Bedeutung der
Operation wird hierbei angemessen durch das in Ansatz zu bringende
Sonderentgelt, das ca. 60 % der Fallpauschale beträgt, berücksichtigt. Einer
abschließenden Definition, wann die Hauptleistung der streitgegenständlichen
Fallpauschale im Falle der Versterbens des Patienten innerhalb der
Normverweildauer erbracht ist, bedurfte es vorliegend nicht.
Mit den Grundsätzen einer leistungsgerechten Vergütung ist es jedenfalls nicht zu
vereinbaren, die Fallpauschale auch dann in Ansatz zu bringen, wenn der Patient
nach durchgeführter Operation noch innerhalb des für die Intensivpflege als
Bewertungsrelation zugrunde gelegten Zeitraumes von 4,35 Tagen verstirbt.
Angesichts einer kalkulierten Normverweildauer von 12,82 Tagen ist in diesem Fall
die Hauptleistung keinesfalls erbracht.
Danach war in Abänderung des landgerichtlichen Urteils die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 I ZPO; die Entscheidung über die vorläufige
Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision sind nicht gegeben.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.