Urteil des OLG Düsseldorf vom 24.04.2006

OLG Düsseldorf: mitgliedstaat, eugh, anerkennung, litauen, sperrfrist, inhaber, trunkenheit, sperre, aussetzung, berechtigung

Oberlandesgericht Düsseldorf, III-5 Ss 133/05 - 91/05 IV
Datum:
24.04.2006
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
4. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
III-5 Ss 133/05 - 91/05 IV
Tenor:
Die Revision wird als unbegründet verworfen, weil die Nachprüfung des
Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum
Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 und 3 StPO).
Der Angeklagte trägt die Kosten des Rechtsmittels (§ 473 Abs. 1 Satz 1
StPO).
Das Landgericht Kleve hat durch das mit der Revision angefochtene Urteil
die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Kleve
wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis verworfen.
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Es hat festgestellt:
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Der Angeklagte - dem am 10. Juli 1985 in der damaligen Sowjetunion
(Teilrepublik Litauen) eine Fahrerlaubnis erteilt worden war, für die er nach
Einführung eines neuen Formats durch die inzwischen selbständige
Republik Litauen am 2. September 2000 einen neuen Führerschein erhielt -
ist seit 1996 in der Bundesrepublik Deutschland immer wieder wegen
Trunkenheit im Straßenverkehr und/oder Fahrens ohne Fahrerlaubnis
straffällig geworden. Durch Strafbefehl vom 18. März 1996 (8 Cs 83/96) hat
ihn das Amtsgericht Soest wegen Trunkenheit im Straßenverkehr in zwei
Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Verkehrsunfallflucht zu einer
Geldstrafe verurteilt, die Fahrerlaubnis entzogen und eine Sperre für die
Neuerteilung der Fahrerlaubnis bis 17. Dezember 1996 verhängt. Eine neue
Fahrerlaubnis ist dem Angeklagten in der Bundesrepublik Deutschland in
der Folgezeit nicht mehr erteilt worden, vielmehr sind jeweils im
Zusammenhang mit nachfolgenden Verurteilungen wegen Trunkenheit bzw.
Fahrens ohne Fahrerlaubnis isolierte Sperren für die Neuerteilung einer
Fahrerlaubnis verhängt worden, zuletzt durch Entscheidung des
Amtsgerichts Kleve vom 22. März 2003 mit einer bis zum 11. Februar 2004
laufenden Sperrfrist.
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Zum Tatgeschehen hat das Landgericht festgestellt, dass der Angeklagte
am 29. September 2004 gegen 3.45 Uhr mit einem Pkw Ford Escort am
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öffentlichen Straßenverkehr teilnahm.
Das Landgericht meint, der Angeklagte sei vorsätzlich ohne Fahrerlaubnis
gefahren (§ 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG). Er könne sich wegen § 28 Abs. 4 Nr. 2
FeV auf die litauische Fahrerlaubnis nicht berufen, weil er seinen Wohnsitz
immer in der Bundesrepublik Deutschland gehabt habe und nach § 4 IntVO
habe die litauische Fahrerlaubnis ihre Gültigkeit in der Bundesrepublik
Deutschland nach sechs Monaten verloren.
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Diese Rechtsansicht trifft so nicht zu, denn insoweit hat der EuGH die
Anwendbarkeit dieser Vorschrift wegen der vorrangigen gegenseitigen
Anerkennungspflicht der Fahrerlaubnisse innerhalb der EU für
unanwendbar erklärt (vgl. insoweit zur Wohnsitzproblematik EuGH vom 29.
April 2004 in NZV 2004, 372), gleichwohl hat die Revision keinen Erfolg.
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Der Angeklagte ist nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils
ohne gültige Fahrerlaubnis gefahren.
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Er kann sich nicht darauf berufen, dass er im Besitz einer gültigen EU-
Fahrerlaubnis i.S. von § 28 Abs. 1 FeV ist, die ihn im Inland zum Führen von
Kraftfahrzeugen berechtigt. Nach dieser Vorschrift dürfen Inhaber einer
gültigen EU- oder EWR-Fahrerlaubnis, die ihren ordentlichen Wohnsitz im
Sinne des § 7 Abs. 1 oder 2 FeV in der Bundesrepublik Deutschland haben,
vorbehaltlich der Einschränkungen nach § 28 Abs. 2 bis 4 FeV im Umfang
ihrer Berechtigung Kraftfahrzeuge im Inland führen.
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Der Angeklagte unterliegt den Einschränkungen, die sich aus § 28 Abs. 4
Nr. 4 FeV ergeben. Die Berechtigung nach Abs. 1 gilt nämlich nicht für
Inhaber einer EU- oder EWR-Fahrerlaubnis, denen auf Grund einer
rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung (zeitlich begrenzt oder für immer)
keine Fahrerlaubnis erteilt werden darf (isolierte Sperrfrist nach § 69 a Abs.
1 Satz 3 StGB). So liegt der Fall hier.
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Der Angeklagte ist zwar nach wie vor Inhaber einer 1985 in der damaligen
Sowjetunion (Teilrepublik Litauen) erworbenen Fahrerlaubnis. Er hat nach
Ablauf der durch Urteil des Amtsgerichts Kleve vom 04. Juli 1997 bis zum
11. Oktober 1998 verhängten Sperrfrist am 2. September 2000 durch die
Republik Litauen – die seit 2004 Mitglied der EU ist - einen neuen
Führerschein ausgehändigt erhalten, dessen Gültigkeit die Bundesrepublik
Deutschland zunächst nicht in Frage stellen konnte - wobei es nach
Auffassung des Senats nicht erheblich ist, ob es sich dabei lediglich um
einen Führerschein als Ausweispapier oder eine neue Fahrerlaubnis
gehandelt hat.
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Dies folgt aus dem Urteil des EuGH vom 29. April 2004 (C-476/01 -
abgedruckt u.a. in NZV 2004, 372). Danach ist Art. 1 Abs. 2 in Verbindung
mit Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/439 EWG so auszulegen, dass ein
Mitgliedstaat die Anerkennung der Gültigkeit eines von einem anderen
Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins nicht deshalb ablehnen darf, weil
im Hoheitsgebiet des erstgenannten Mitgliedsstaates auf den Inhaber des
Führerscheins eine Maßnahme des Entzugs oder der Aufhebung einer von
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diesem Staat erteilten Fahrerlaubnis angewendet wurde, wenn die
zusammen mit dieser Maßnahme angeordnete Sperrfrist für die
Neuerteilung der Fahrerlaubnis in diesem Mitgliedstaat
abgelaufen war,
bevor
ist. Dem Angeklagten ist am 2. September 2000 ein neuformatiger
Führerschein zumindest als Ausweis über die ihm 1985 in Litauen erteilte
Fahrerlaubnis ausgestellt worden, nachdem die ihm am 18. März 1996 für
die Bundesrepublik Deutschland auferlegte Sperrfrist für die Erteilung einer
neuen Fahrerlaubnis ebenso abgelaufen war wie eine am 04. Juli 1997
durch das Amtsgericht Dannenberg wegen fahrlässiger Trunkenheit im
Verkehr bis zum 11. Oktober 1998 verhängte isolierte Sperre für die
Neuerteilung einer Fahrerlaubnis.
Diese dem Angeklagten zunächst günstige Sach-und Rechtslage auf der
Grundlage der Entscheidung des EuGH - die ihn in der Zeit zwischen 2.
September 2000 und 27. Dezember 2000 unter Berufung auf den
litauischen Führerschein zum Führen von Kraftfahrzeugen berechtigt hätte,
wenn Litauen damals bereits Mitglied der EU gewesen wäre - ist aber nicht
mehr gegeben. Durch rechtskräftige gerichtliche Entscheidungen sind
nämlich
nach
mehrere neue Sperrfristen durch Entscheidungen des Amtsgerichts Kleve
vom 07. Dezember 2000, 10.Oktober 2002 und 12. Februar 2002
beziehungsweise 22.Mai 2003 (Gesamtstrafenbeschluss) verhängt worden.
Auch diese waren zwar bereits sämtlich abgelaufen, bevor der Angeklagte
die ihm nun vorgeworfene Tat begangen hat. Allerdings trifft der
Rechtsgedanke, welcher der zitierten Entscheidung des EuGH zugrunde
liegt, nunmehr nicht mehr zu, vielmehr hätte der Angeklagte nunmehr
zunächst eine Entscheidung nach § 28 Abs. 5 FeV herbeiführen müssen,
um mit der litauischen Fahrerlaubnis im Inland berechtigt am
Straßenverkehr teilnehmen zu können. Danach wird das Recht, von einer
EU-Fahrerlaubnis nach einer der in Abs. 3 oder 4 genannten
Entscheidungen im Inland Gebrauch zu machen, auf Antrag erteilt, wenn die
Gründe für die Entziehung oder die Sperre nicht mehr bestehen. Das ist
aber nicht geschehen.
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Art. 8 Abs. 4 Satz 1 der Richtlinie 91/439 erlaubt einem Mitgliedsstaat der
Europäischen Union, die Gültigkeit eines von einem anderen Mitgliedstaat
ausgestellten Führerscheins dann nicht anzuerkennen, wenn auf dessen
Inhaber in seinem Hoheitsgebiet eine Maßnahme nach Abs. 2
(Einschränkung, der Aussetzung, des Entzugs oder der Aufhebung der
Fahrerlaubnis) angewendet wurde. Dies stellt eine Ausnahme von dem in
Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie enthaltenen allgemeinen Grundsatz der
gegenseitigen Anerkennung der von den Mitgliedsstaaten ausgestellten
Führerscheine dar. Dieser Grundsatz wurde aufgestellt, um die Freizügigkeit
von Personen zu erleichtern, die sich in einem anderen Mitgliedstaat als
demjenigen niederlassen, in dem sie ihre Fahrprüfung abgelegt haben
(EuGH a.a.O.). Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH sind die
Bestimmungen einer Richtlinie, die von einem in dieser Richtlinie
aufgestellten allgemeinen Grundsatz abweichen, eng auszulegen und zwar
erst recht dann, wenn dieser allgemeine Grundsatz die Ausübung von durch
den Vertrag garantierten Grundfreiheiten erleichtern soll. Im Zusammenhang
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den Vertrag garantierten Grundfreiheiten erleichtern soll. Im Zusammenhang
mit diesem Grundsatz hat der europäische Gerichtshof deshalb in der
vorgenannten Entscheidung zu § 28 Abs. 4 Nrn. 3 und 4 FeV ausgeführt,
dass sich ein Mitgliedstaat hierauf nicht berufen kann, um einer Person, auf
die in seinem Hoheitsgebiet eine Maßnahme des Entzugs oder der
Aufhebung einer früher von ihm erteilten Fahrerlaubnis angewendet wurde,
auf
unbestimmte
zu versagen, der ihr möglicherweise
später
Mitgliedstaat ausgestellt wird. Ist nämlich die zusätzlich zu der fraglichen
Maßnahme angeordnete Sperrfrist für die Neuerteilung der Fahrerlaubnis im
Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats bereits abgelaufen, so verbietet es Art. 1
Abs. 2 i. V. m. Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/439 diesem Mitgliedstaat,
weiterhin die Anerkennung der Gültigkeit eines Führerscheins, der dem
Betroffenen
später
abzulehnen. Es wäre - so der EuGH - die Verneinung des Grundsatzes der
gegenseitigen Anerkennung der Führerscheine selbst, der den Schlussstein
des mit der Richtlinie 91/439 eingeführten Systems darstelle, wenn man
einen Mitgliedstaat für berechtigt hielte, die Anerkennung eines von einem
anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins unter Berufung auf seine
nationalen Vorschriften unbegrenzt zu verweigern.
Diese Ausführungen des EuGH können insbesondere im Kontext mit den
Erwägungen zur Zulässigkeit der Nachprüfung des Wohnsitzerfordernisses
durch nichtausstellende Mitgliedsstaaten (vgl. im nationalen Recht § 28 IV
Nr. 2 FeV) insoweit hat der EuGH ausdrücklich eine Überprüfung im Inland
abgelehnt und ist von einer automatischen Anerkennung der
Fahrerlaubnisse ausgegangen - nur so verstanden werden, dass in
Mitgliedsstaaten ausgestellte Fahrerlaubnisse ipso iure auch im Inland
gültig sind (vgl. VGH Baden-Württemberg zfs 2004, 482 f.), solange die
Ausstellung nicht zeitlich in den Lauf einer Maßnahme nach Art. 8 Abs. 2
der 2. EG-Führerscheinrichtlinie (im nationalen Recht § 28 IV FeV) fällt bzw.
eine solche Maßnahme neu getroffen wird. Den Mitgliedsstaaten ist es
demnach nur versagt, für ihren Bereich die Anerkennung einer EU-
Fahrerlaubnis von zusätzlichen oder abweichenden Bedingungen abhängig
zu machen (OLG Saarbrücken, NStZ-RR 2005, 50 ff.; OLG Celle vom 10.
November 2005 in BeckRS 2005 14090; Otte/Kühner, NZV 2004, 321, 328).
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Damit hat der EuGH aber die Befugnisse eines Mitgliedsstaates aber nur
zugunsten der gegenseitigen Anerkennung i.S. von Art. 1 Abs. 2 der
Richtlinie 91/439 beschränkt, nicht jedoch aufgehoben und dies auch nicht
beabsichtigt. An der grundsätzlichen Befugnis nach Art. 8 Abs. 4 der
Richtlinie 91/439, bei Vorliegen von gerichtlichen Maßnahmen i.S. von Art.
8 Abs. 2 (Einschränkung, der Aussetzung, des Entzugs oder der Aufhebung
der Fahrerlaubnis) die Gültigkeit eines von einem anderen Mitgliedstaat
ausgestellten Führerscheins nicht anzuerkennen, hat sich nichts geändert.
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Bei der hier gegebenen Sachlage konnte der Bundesrepublik Deutschland
deshalb nicht mehr verwehrt werden, der litauischen Fahrerlaubnis die
Anerkennung zu verweigern,
nachdem
des litauischen Führerscheins am 02. September 2000
erneut
Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 91/439 genannten (Maßnahmen angewendet
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worden ist (so auch OLG Saarbrücken a.a.O. ; OLG Celle a.a.O. ). Hierzu
gehört auch das in § 28 Abs. 4 Nr. 4 FeV genannte gerichtliche Verbot der
Erteilung einer neuen Fahrerlaubnis.
Der Angeklagte hat ersichtlich auch nicht gemäß § 28 Abs. 5 FeV eine
Entscheidung herbeigeführt, von seiner litauischen Fahrerlaubnis im Inland
wieder Gebrauch machen zu dürfen. Das aber wäre Voraussetzung für
erneute Teilname am Straßenverkehr gewesen (Hentschel,
Straßenverkehrsrecht, 38. Aufl.; § 28 FeV Rz. 6).
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Entgegen der Auffassung der Verteidigung bedarf es auch keiner Vorlage
an den EuGH zur Herbeiführung einer Vorabentscheidung gemäß Art. 177
III EWG-Vertrag. Zwar steht dem Europäischen Gerichtshof auf Grund dieser
Vorschrift die verbindliche Auslegung von Europarecht zu und ist die
Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof unmittelbar nur in der
Sache bindend, in der sie ergangen ist. Einer Anrufung des Europäischen
Gerichtshofs bedarf es jedoch dann nicht, wenn die entscheidungsrelevante
Frage für einen vergleichbaren Sachverhalt bereits beantwortet ist und das
erkennende Gericht nicht von dieser Rechtsprechung des Europäischen
Gerichtshofs abweichen will. So liegt der Fall hier, weil - wie dargelegt - der
Europäische Gerichtshof im Fall Kapper die hier wesentlichen
Auslegungsfragen bereits entschieden hat und aus der Entscheidung
eindeutig zu entnehmen ist, dass sie für den hier vorliegenden Sachverhalt
nicht einschlägig ist.
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