Urteil des OLG Dresden vom 28.06.2004

OLG Dresden: freie wahl des verteidigers, verfügung, verhinderung, wahlverteidiger, beihilfe, rechtswidrigkeit, schöffengericht, ermessensausübung, fehlerhaftigkeit, scheidung

Leitsatz:
Gegen die Verfügung des Vorsitzenden, durch die ein Termins-
verlegungsantrag abgelehnt wird, ist die Beschwerde dann
statthaft, wenn eine in fehlerhafter Ermessensausübung getrof-
fene Entscheidung für Verfahrensbeteiligte eine besondere
selbständige Beschwer bewirkt, weil sie unschwer vermeidbar
das Recht des Angeklagten beeinträchtigt, sich des Beistandes
eines Verteidigers seines Vertrauens zu bedienen und die
Rechtswidrigkeit der angefochtenen Verfügung evident ist.
OLG Dresden, 1. Strafsenat, Beschluss vom 28.06.2004, Az. 1 Ws 121/04
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Oberlandesgericht
Dresden
1. Strafsenat
Aktenzeichen: 1 Ws 121/04
5 Ns 355 Js 41700/00 LG Chemnitz
34 G Ws 419/04 GenStA Dresden
Beschluss
vom 28. Juni 2004
in der Strafsache gegen
S
geboren am
wohnhaft
Verteidiger: 1.) Rechtsanwalt Dr. P P
2.) Rechtsanwalt G F
3.) Rechtsanwalt U S
wegen Beihilfe zur Insolvenzverschleppung
hier: Beschwerde gegen Ablehnung einer Terminsverlegung
1. Auf die Beschwerde des Angeklagten wird die
Verfügung des Vorsitzenden der 5. Strafkammer
des Landgerichts Chemnitz vom 09. Juni 2004
aufgehoben.
2. Die
mit
Verfügung
des
Vorsitzenden
vom
28. Mai 2004
anberaumten
Hauptverhandlungs-
termine
am
06.,
08.,
19.,
20. und
22. Juli 2004 werden aufgehoben.
3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die
insoweit
entstandenen
notwendigen
Auslagen
des Angeklagten fallen der Staatskasse zur
Last.
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G r ü n d e :
I.
Mit Urteil des Amtsgerichts - Schöffengericht - Chemnitz
vom 13. Juni 2003 wurde der Angeklagte nach elftägiger
Hauptverhandlung vom Vorwurf der Beihilfe zur vorsätzlichen
Insolvenzverschleppung aus tatsächlichen Gründen freige-
sprochen. Auf die hiergegen eingelegte Berufung der Staats-
anwaltschaft hat das Landgericht Chemnitz mit Beschluss vom
10. Oktober 2003 das Verfahren nach § 153 a StPO gegen Be-
zahlung eines Geldbetrages vorläufig eingestellt. Nachdem
der Angeklagte die Geldauflage nicht bezahlt hatte, hat der
Vorsitzende der Berufungskammer das Verfahren wieder aufge-
nommen und mit Verfügung vom 28. Mai 2004 - ohne Terminsab-
sprache mit den drei aus Berlin stammenden Wahlverteidi-
gern -
Termine
zur
Berufungshauptverhandlung
auf
den
06. Juli 2004 mit Fortsetzungsterminen am 08., 19., 20. und
22. Juli 2004 bestimmt. Unmittelbar nach Eingang der Ladun-
gen haben Rechtsanwalt Dr. P und Rechtsanwalt F die Aufhe-
bung der Hauptverhandlungstermine mit der Begründung be-
gehrt, sie seien am 06. und 08. Juli 2004 in einem länger
geplanten und fest gebuchten Jahresurlaub, dessen Verschie-
bung aufgrund von Buchungen und aus bürointernen Gründen
nicht in Betracht komme. Gleichzeitig befinde sich auch der
Angeklagte im Juli in seinem ebenfalls seit längerer Zeit
geplanten Jahresurlaub. Der weitere Verteidiger, Rechtsan-
walt S , hat ebenfalls unverzüglich nach Erhalt der Ladung
Terminsverlegung
beantragt,
da
er
am
06.,
08.
und
20. Juli 2004 jeweils in anderen Strafsachen vor dem Amts-
gericht Tiergarten in Berlin gebunden sei.
Mit Verfügung vom 09. Juni 2004 hat der Vorsitzende der Be-
rufungskammer die Anträge als unbegründet zurückgewiesen.
Die drei Verteidiger müssten in der Lage sein, die Vertei-
digung zu bewerkstelligen. Im Übrigen liege ein Fall not-
wendiger Verteidigung nicht vor. Darüber hinaus habe der
Angeklagte gewusst, dass eine Verhandlung bevorstehe.
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Hiergegen richtet sich die von den Rechtsanwälten Dr. P und
F
namens
ihres
Mandanten
eingelegte
Beschwerde
vom
15. Juni 2004,
der
der
Vorsitzende
mit
Verfügung
vom
16. Juni 2004 nicht abgeholfen hat.
Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden hat beantragt, die
Beschwerde als unzulässig zurückzuweisen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet und führt zur Aufhe-
bung der ablehnenden Entscheidung über die Terminsverlegung
sowie zur Aufhebung der anberaumten Hauptverhandlungstermi-
ne.
1. Die Beschwerde ist zulässig (§ 304 Abs. 1 StPO). Zwar
ist eine ablehnende Verfügung des Vorsitzenden des er-
kennenden Gerichts im Hinblick auf § 305 Abs. 1 StPO in
der Regel unanfechtbar (Meyer-Goßner, StPO 47. Aufl.
Rdnr. 8 zu § 213 m.w.N.). Sie ist jedoch nach der vom
Senat geteilten herrschenden Meinung ausnahmsweise dann
statthaft, wenn eine in rechtsfehlerhafter Ermessenaus-
übung getroffene Entscheidung für Verfahrensbeteiligte
eine besondere selbstständige Beschwer bewirkt, weil sie
zum Beispiel unschwer vermeidbar das Recht des Angeklag-
ten beeinträchtigt, sich des Beistandes eines Verteidi-
gers seines Vertrauens zu bedienen (OLG München, NStZ
1994, 451) und die Rechtswidrigkeit der angefochtenen
Verfügung
evident
ist
(KG
Berlin,
Beschluss
vom
16. Februar 1998 - 4 Ws 28/98 -). Dies macht der Ange-
klagte vorliegend geltend, indem er vorträgt, die Ableh-
nung
der
Terminsverlegung
trotz
Verhinderung
aller
drei Wahlverteidiger
trage
ermessensfehlerhaft
seinem
Recht, einen Verteidiger seines Vertrauens bei der
Hauptverhandlung zugegen zu haben, nicht (ausreichend)
Rechnung.
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2. Die Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg.
Zwar ergibt sich aus dem Grundsatz der Terminshoheit des
Vorsitzenden einer Strafkammer nach § 213 StPO eine Ein-
schränkung der Überprüfbarkeit seiner angefochtenen Ver-
fügung. Sie ist danach nur dahingehend zulässig, ob der
Vorsitzende bei seiner Terminierung die rechtlichen
Grenzen des ihm eingeräumten Ermessens eingehalten oder
ob er sein Ermessen rechtsfehlerhaft ausgeübt hat. Dabei
hat er das staatliche Interesse an der reibungslosen und
beschleunigten Durchführung des Strafverfahrens und das
Interesse des Angeklagten, sich in der Hauptverhandlung
des Beistands gerade eines von ihm gewählten und sein
besonderes Vertrauen genießenden Verteidigers bedienen
zu können, in einen angemessenen Ausgleich zu bringen.
Demnach hat das Beschwerdegericht bei der Nachprüfung
der Ermessensausübung sich darauf zu beschränken, ob der
Vorsitzende sämtliche relevanten Gesichtspunkte in seine
Entscheidung eingestellt und rechtsfehlerfrei gegenein-
ander abgewogen hat. Die Zweckmäßigkeit der Verfügung
unterliegt dagegen nicht der Nachprüfbarkeit (OLG Frank-
furt/Main, StV 2001, 157, 158).
Danach erweist sich im vorliegenden Fall die Versagung
der begehrten Terminsverlegung als evident ermessens-
fehlerhaft.
Zwar hat ein Verteidiger kein Recht auf vorherige Ter-
minsabsprache. Wird aber das Recht des Angeklagten auf
freie Wahl des Verteidigers dadurch eingeschränkt, dass
dieser die Termine wegen anderer Verteidigungen oder
Verhinderung durch Urlaub nicht wahrnehmen kann, ohne
dass er Einfluss auf die Terminsanberaumung hätte nehmen
können, kann die Terminsverfügung prozessordnungswidrig
sein (OLG Hamburg, StV 1995, 11). Ein solcher Fall liegt
hier jedenfalls deshalb vor, da das Verfahren nicht dem
besonderen Beschleunigungsgebot unterliegt. Denn der An-
geklagte befindet sich weder in Haft noch wird sonst ei-
ne vorläufige Maßnahme (z. B. § 111 a StPO) gegen ihn
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vollzogen. Auch ist nicht ersichtlich, zumindest hat der
Kammervorsitzende hierauf seine ablehnende Entscheidung
nicht gestützt, dass die Kammer bei einer Verlegung die
Sache aufgrund einer angespannten Terminslage nicht spä-
ter kurzfristig neu terminieren könnte.
Die vorliegende Verfahrensweise des Vorsitzenden ent-
zieht dem Angeklagten damit letztlich ohne nachvollzieh-
baren Grund den Verteidiger seines Vertrauens. Dies ist
hier auch deshalb bedenklich, da entgegen der Ansicht
des Vorsitzenden ein Fall der notwendigen Verteidigung
aus folgenden Gründen durchaus nahe liegt: Zum einen hat
die Staatsanwaltschaft Anklage zum Schöffengericht des
Amtsgerichts Chemnitz erhoben. Dem Ganzen liegt ein kom-
plizierter Sachverhalt zugrunde. Das Amtsgericht hat in
der Sache insgesamt an elf Sitzungstagen verhandelt. Die
Staatsanwaltschaft hat gegen das freisprechende Urteil
Berufung mit dem Ziel einer Verurteilung des Angeklagten
eingelegt.
Auch wenn der Angeklagte keinen verfassungsrechtlich
verbürgten Anspruch hat, dass die Hauptverhandlung unter
allen Umständen mit allen drei von ihm gewählten Vertei-
digern durchgeführt werden muss (OLG Frankfurt/Main,
NStZ-RR 1997, 177, 178), so kann ihm jedenfalls durch
eine Terminierung ohne Absprache mit den Verteidigern
und der Ablehnung einer Terminsverlegung trotz Vorbrin-
gen nachvollziehbarer Verhinderungsgründe der Wahlver-
teidiger in dem konkret hier zur Entscheidung anstehen-
den Fall nicht das Recht genommen werden, sich zumindest
von einem von ihnen in der Berufungshauptverhandlung
vertreten zu lassen. Die Nichtbeachtung der prozessualen
Rechte des Angeklagten führt deshalb zur Fehlerhaftig-
keit der Ermessensentscheidung.
Die angefochtene Verfügung vom 09. Juni 2004 ist nach
alledem aufzuheben. Weil nach dem Akteninhalt und der
sich aus den Schriftsätzen der Verteidiger ergebenden
Terminskollissionen nur eine ermessensfehlerfreie Ent-
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scheidung, nämlich die Aufhebung der anberaumten Termi-
ne, in Betracht kommt, kann der Senat als Beschwerdege-
richt auch diese Entscheidung selbst treffen (OLG Frank-
furt/Main, StV 1993, 6, 7).
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden An-
wendung von § 467 Abs. 1 StPO.
Kubista Seitz Gmel
Richter am Richter am Richterin am
Oberlandesgericht Amtsgericht Landgericht
RiAG Seitz ist aufgrund
Ortsabwesenheit an der
Beifügung seiner Unter-
schrift gehindert
(Kubista)
Kubista, RiOLG