Urteil des OLG Dresden vom 07.02.2007

OLG Dresden: öffentliche sicherheit, stadt, hund, polizeigesetz, gefahr, verordnung, abgrenzung, persönlichkeit, vetter, rasse

Leitsatz:
Eine sächsische Polizeiverordnung, die einen Anleinzwang für
Hunde im Gemeindegebiet anordnet, findet ihre Ermächtigungs-
grundlage im Polizeigesetz des Freistaates Sachsen. Sie ver-
stößt jedenfalls dann gegen den Verfassungsgrundsatz der Ver-
hältnis- mäßigkeit, wenn sie keine Ausnahmen vom allgemeinen
Anleinzwang vorsieht. Die geltende "Polizeiverordnung über öf-
fentliche Sicher- heit und Ordnung in der Stadt Leipzig" vom
19. Mai 2004 ent- spricht insoweit den Anforderungen, weil im
Stadtgebiet von Leipzig Freilaufflächen für Hunde (so genannte
Hundewiesen) in beträchtlicher Anzahl vorhanden sind.
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Oberlandesgericht
Dresden
Senat für Bußgeldsachen
Aktenzeichen: Ss (OWi) 188/06
211 OWi 701 Js 44193/05 AG Leipzig
24 OWi Ss 188/06 GenStA Dresden
Beschluss
vom 07. Februar 2007
in der Bußgeldsache gegen
E
geboren am
wohnhaft:
Verteidiger: Rechtsanwalt C M E
wegen: Verstoßes gegen die Polizeiverordnung über
öffentliche Sicherheit und Ordnung in der
Stadt Leipzig
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1. Die Rechtsbeschwerde der Betroffenen gegen das Ur-
teil des Amtsgerichts Leipzig vom 15. November 2005
wird als unbegründet verworfen.
2. Die Betroffene hat die Kosten ihres erfolglosen
Rechtsmittels zu tragen.
G r ü n d e :
I.
Das
Amtsgericht
Leipzig
hat
die
Betroffene
am
15. November 2005 wegen vorsätzlichen Nichtführens des Hun-
des an der Leine auf öffentlichen Flächen, die nicht als
Freilauffläche ausgewiesen sind, zu einer Geldbuße von
70,00 EUR verurteilt.
Nach den amtsgerichtlichen Feststellungen führte die Be-
troffene am 10. März 2005 in der Zeit von 09.30 Uhr bis
09.45 Uhr im Naherholungsgebiet Silbersee in 04279 Leipzig,
Ausgang B.-Kellermann-Straße einen Hund nicht an der Leine,
obwohl
der
fragliche
öffentliche
Platz
nicht
als
Frei(lauf)fläche (für Hunde) ausgewiesen ist. Der Hund lief
unangeleint in einem Abstand von circa vier Metern neben
der Betroffenen. Im fraglichen Bereich befanden sich keine
sonstigen Personen oder Tiere.
Gegen das Urteil hat die Betroffene durch ihren Verteidiger
rechtzeitig Rechtsbeschwerde eingelegt und zugleich bean-
tragt, die Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des materiellen
Rechts zuzulassen. Mit der Sachrüge macht der Verteidiger
insbesondere geltend, dass die Polizeiverordnung über öf-
fentliche Sicherheit und Ordnung der Stadt Leipzig hin-
sichtlich ihrer Regelung über den Leinenzwang für Hunde im
gesamten Stadtgebiet gegen höherrangiges Recht sowie das
verfassungsrechtliche Bestimmtheits- und Übermaßgebot ver-
stoße und daher unwirksam sei.
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Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden hat beantragt, den
Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde als unbegründet
zu verwerfen.
II.
Mit Beschluss vom heutigen Tage hat der Senat - Der Einzel-
richter - die Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsge-
richts Leipzig vom 15. November 2005 zur Fortbildung des
Rechts zugelassen und die Sache dem Senat in der Besetzung
mit drei Richtern übertragen.
Die zulässige Rechtsbeschwerde hat im Ergebnis keinen Er-
folg; die Überprüfung des Urteils aufgrund der erhobenen
Sachrüge hat keinen Rechtsfehler zu Lasten der Betroffenen
aufgedeckt.
1. Die Feststellungen tragen eine Verurteilung wegen vor-
sätzlichen Verstoßes gegen die Regelungen des § 18
Abs. 1 Nr. 23 i.V.m. § 15 Abs. 3 der Polizeiverordnung
über öffentliche Sicherheit und Ordnung in der Stadt
Leipzig (Beschluss der Ratsversammlung vom 19. Mai 2004,
veröffentlicht
im
Leipziger
Amtsblatt
Nr. 12
vom
12. Juni 2004).
Gemäß § 15 Abs. 3 der vorgenannten Polizeiverordnung
müssen "Hunde ... auf öffentlichen Straßen, Wegen und
Plätzen sowie in öffentlichen Grün- und Erholungsanla-
gen, sofern diese nicht als Freilaufflächen ausgewiesen
sind, zum Schutz von Mensch und Tier stets von einer ge-
eigneten Person an der Leine geführt werden".
Ein vorsätzlicher oder fahrlässiger Verstoß gegen die
genannte Vorschrift kann gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 23 i.V.m.
mit Absatz 2 der Polizeiverordnung mit einer Geldbuße
von 5,00 bis 1.000,00 EUR, bei fahrlässigem Handeln bis
500,00 EUR, geahndet werden.
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Nach den amtsgerichtlichen Feststellungen führte die Be-
troffene am 10. März 2005 in der Zeit von 09.30 Uhr bis
09.45
Uhr
im
Naherholungsgebiet
Silbersee
in
04279 Leipzig, Ausgang B.-Kellermann-Straße, einen Hund
nicht an der Leine, obwohl der öffentliche Platz nicht
als Freifläche ausgewiesen ist. Der Hund lief unange-
leint in einem Abstand von circa vier Metern neben der
Betroffenen. Es herrschten Außentemperaturen von circa
minus drei bis minus vier Grad und es befanden sich in
diesem Bereich keine sonstigen Personen oder Tiere.
Vorsätzliches Handeln der Betroffenen in Kenntnis des
Leinenzwangs hat das Amtsgericht daraus entnommen, dass
die Betroffene nach ihren eigenen Angaben den zuvor
nicht angeleinten Hund unverzüglich angeleint habe,
nachdem sie ein Fahrgeräusch wahrgenommen hatte.
2. Die Polizeiverordnung der Stadt Leipzig vom 19. Mai 2004
ist wirksam; sie verstößt insbesondere nicht gegen hö-
herrangiges Recht.
a) Ermächtigungsgrundlage für die genannte Polizeiver-
ordnung ist § 9 Abs. 1 i.V.m. den §§ 1 Abs. 1 und 14
des
Polizeigesetzes
des
Freistaates
Sachsen
(SächsPolG) in der Fassung der Bekanntmachung vom
13. August 1999 (SächsGVBl S. 466). Danach können die
örtlichen Polizeibehörden (hier der Gemeinderat der
Stadt Leipzig) zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben nach
dem Sächsischen Polizeigesetz (hier der Gefahrenab-
wehr) Polizeiverordnungen zur Abwehr abstrakter Ge-
fahren erlassen. Dass von jedem Hund, unabhängig von
seiner Rasse und Größe, abstrakte Gefahren ausgehen,
ist unzweifelhaft. So hat das Bundesverwaltungsge-
richt in einer Entscheidung vom 03. Juli 2002 (BVerw-
GE 116, 347 ff. = NVwZ 03, 95 ff.), die sich aller-
dings im Wesentlichen mit Bestimmungen der nieder-
sächsischen Gefahrtier-Verordnung befasste, in der
Abgrenzung der Begriffe "abstrakter Gefahr" gegen
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"Gefahrenvorsorge" festgehalten, dass von Hunden un-
zweifelhaft (abstrakte) Gefahren ausgehen, die den
Erlass von Verordnungen nach dem allgemeinen Gefah-
renabwehrrecht ermöglichen. Dies wird vom Verwal-
tungsgerichtshof Baden-Württemberg in der Entschei-
dung vom 06. Mai 2003 (VBlBW 03, 354 f.) ebenso bes-
tätigt
wie
vom
OVG Rheinland-Pfalz,
Urteil
vom
21. September 2006, 7 C 10539/06.OVG. Soweit das nie-
dersächsische Oberverwaltungsgericht in seiner Ent-
scheidung vom 27. Januar 2005 (NdsVBl 05, 130 ff.)
unter Bezugnahme auf die genannte Entscheidung des
Bundesverwaltungsgerichts vom 03. Juli 2002 der Auf-
fassung ist, es sei wissenschaftlich nicht belegt,
dass von allen Hunderassen generell eine abstrakte
Gefahr für Menschen und andere Hunde ausgehe, ist
diese Entscheidung vereinzelt geblieben; sie beruht
offensichtlich auf einem unrichtigen Verständnis der
Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts. Demgemäß
hatte bereits der Bundesgerichtshof in der Vorlage-
entscheidung vom 18. April 1991, 4 StR 518/90 (BGHSt
37, 366 bis 373 = NJW 91, 1691 bis 1692) hinsichtlich
des Leinenzwangs für Hunde ausgeführt, dass im Zusam-
menhang mit allgemeinem Ordnungsrecht vielfältige Ge-
fahren von Hunden ausgehen können, so für Menschen,
die sie verletzen, beschmutzen oder auch nur erschre-
cken können; aber auch für die Kleidung sowie mitge-
führte und abgestellte Sachen, die sie zerstören, be-
schädigen und unkontrolliert verunreinigen können;
für sonstige Tiere, namentlich auch andere Hunde;
schließlich für die Sauberkeit öffentlicher und an-
grenzender Flächen und Wege. Polizeiliche Maßnahmen,
mit denen Gefährdungen von Personen und Sachen durch
(auf der Straße) freilaufende Hunde abgewehrt werden
sollen, seien keine verkehrspolizeilichen Aufgaben,
sondern gehörten zur allgemeinen Gefahrenabwehr.
b) Dass ein ordnungsbehördlich geregelter allgemeiner
Leinenzwang für Hunde grundsätzlich weder gegen das
höherrangige Tierschutzgesetz noch gegen das Grund-
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recht des Hundehalters auf freie Entfaltung seiner
Persönlichkeit verstößt, ist in der obergerichtlichen
Rechtsprechung anerkannt (vgl. OLG Hamm NVwZ 02,
765 f. mit Nachweisen).
c) Ein Verstoß gegen das Übermaßverbot bzw. den Gleich-
behandlungsgrundsatz steht vorliegend ebenfalls nicht
in Rede, weil beim Vorliegen von abstrakten Gefahren,
die von Hunden ausgehen, eine differenzierende Rege-
lung nach Art und Größe sowie Gefährlichkeit von Hun-
derassen nicht erforderlich ist (vgl. VGH Baden-
Württemberg und OVG Rheinland-Pfalz jeweils a.a.O.).
d) Die Polizeiverordnung über öffentliche Sicherheit und
Ordnung der Stadt Leipzig verstößt hinsichtlich ihrer
Festlegungen über die Auferlegung eines Leinenzwangs
für Hunde im gesamten Stadtgebiet auch sonst nicht
gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Denn anders
als die von der Betroffenen genannte Entscheidung des
OLG Hamm vom 08. April 2001 (NVwZ 2002, 765 f.) er-
streckt sich in Leipzig der Leinenzwang nicht auf das
gesamte Gemeindegebiet. Vom Leinenzwang sind Hunde
auf ausgewiesenen sogenannten "Freilaufflächen" be-
freit. Wie die Betroffene selbst mitteilt, gibt es
gegenwärtig in der Stadt Leipzig insgesamt 47 Stand-
orte sogenannter "Hundewiesen" auf einer Fläche von
insgesamt 16,72 Hektar. Soweit die Rechtsbeschwerde
moniert, diese "Hundewiesen" seien nicht als soge-
nannte "Freilaufflächen" entsprechend der Polizeiver-
ordnung ausgewiesen, vermag der Senat dem nicht zu
folgen; denn ersichtlich sind "Freilaufflächen" für
Hunde mit "Hundewiesen" vom Bedeutungsinhalt iden-
tisch.
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III.
Die
Kostenentscheidung
beruht
auf
§ 46 Abs. 1 OWiG,
§ 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.
Lips
Vetter
Gorial