Urteil des OLG Dresden vom 17.04.2002
OLG Dresden: materielle rechtskraft, örtliche zuständigkeit, besonderer gerichtsstand, widerklage, prozessstandschaft, hauptsache, konzentration, report, streitgenossenschaft, trennung
Az. 1 AR 17/02
Leitsatz:
Der Gerichtsstand der Widerklage nach § 33 ZPO ist auch für
die Drittwiderbeklagten und (nur) materiell Beteiligten zu
erstrecken. Mit der – über eine Erweiterung des persönlichen
Anwendungsbereichs des § 33 ZPO bewirkten – Konzentration von
Klage und Widerklage vor dem Prozessgericht unter
gleichzeitiger Einbeziehung aller materiell Beteiligten
gelingt es, den Rechtsstreit umfassend und endgültig
beizulegen; es wird zum einen eine sinnvolle
Verfahrenskonzentration vor einem zuständigen Gericht
ermöglicht, zum anderen werden Mehrfachentscheidungen über
einen Streitgegenstand oder gegenüber mehreren Beteiligten
vermieden.
OLG Dresden; Beschluss vom 17.04.2002
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Oberlandesgericht
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Dresden
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Aktenzeichen: 1 AR 17/02
9 O 7766/01 LG Leipzig
Beschluss
des 1. Zivilsenats
vom 17. April 2002
In dem Rechtsstreit
1.
Dr. N
K
,
T
. 6,
M
- Klägerin und Widerbeklagte zu 1) -
2.
Rechtsanwälte G
& Partner
T
. 6,
M
- Widerbeklagte zu 2) -
3.
Dr. T
G
,
T
. 6,
M
- Widerbeklagter zu 3) -
4.
B
H. H
,
T
. 6,
8
M
- Widerbeklagter zu 4) -
5.
Dr. C
H
,
T
. 6,
M
- Widerbeklagte zu 5) -
3
6.
K
W
,
T
. 6,
M
- Widerbeklagte zu 6) -
7.
Dr. A
L
,
H
. 70,
D
- Widerbeklagte zu 7) -
8.
A
G
,
P
50,
F
- Widerbeklagter zu 8) -
Prozessbevollmächtigte
der Widerbeklagten zu
1) bis 8):
Rechtsanwälte G
& Partner GbR,
T
. 6,
M
gegen
j
AG
S
und
M
H
,
B
15,
L
- Beklagte und Widerklägerin -
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte D
. K
&
W
B
,
M
-Platz 8,
O
wegen Honorarforderung;
hier: Gerichtsstandsbestimmung
4
hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Dresden ohne
mündliche Verhandlung durch
Präsidenten des Oberlandesgerichts B
,
Richter am Oberlandesgericht S
und
Richterin am Oberlandesgericht V
-K
beschlossen:
1. Der
Gerichtsstandsbestimmungsantrag
der
Beklagten
wird
zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Gerichtsstandsbestimmungsverfahrens fallen
der Beklagten zur Last.
3. Der Wert des Gerichtsstandsbestimmungsverfahrens wird auf
20.000,77 EUR festgesetzt.
G r ü n d e :
I.
Die Parteien streiten um anwaltliche Honoraransprüche.
Die Klägerin ist Sozia in der Kanzlei der Widerbeklagten zu
2). Die Kanzlei hatte im Zeitpunkt der Klageerhebung - am
05.
November
2001
-
ihren
Sitz
in
München,
Berlin
und
Frankfurt; ausweislich des Briefkopfs bestand dieser am 18.
Januar 2002 nur noch in München und Frankfurt, ab dem 04.
April 2002 lediglich noch in München.
Bei der Beklagten, die ihren allgemeinen Gerichtsstand in
Leipzig hat, handelt es sich um einen Prozessfinanzierer.
Sie
finanzierte
Streitigkeiten
des
Rechtsanwalts
S
aus
L
gegen
die
BvS
und
deren
Beteiligungsunternehmen;
für
diese
war
Rechtsanwalt
S
als Abwickler tätig geworden.
Rechtsanwalt S
mandatierte die Widerbeklagte zu
2) mit seiner Vertretung. Die Widerbeklagte zu 2) machte
unmittelbar gegenüber der Beklagten ihre Gebühren geltend.
5
Die Klägerin hat die Beklagte im Wege der Prozessstandschaft
für die Sozien der Widerbeklagten zu 2) auf Zahlung von
zunächst
69.327,29
EUR
vor
dem
Landgericht
Leipzig
in
Anspruch genommen und ihre Forderung später auf 80.003,07
EUR erweitert.
Die Beklagte hat Widerklage gegen die Klägerin sowie die
Widerbeklagten zu 2) bis 8) - die Anwalts-GbR und deren
Gesellschafter
-
in
Höhe
von
61.355,02
EUR
vor
dem
Landgericht
Leipzig
erhoben
und
sich
zur
Begründung
auf
bereicherungsrechtliche Ansprüche gestützt; ein Rechtsgrund
für die von ihr am 27. April 2001 an die Widerbeklagte zu 2)
- ausdrücklich unter Vorbehalt - geleistete Zahlung in der
geltend
gemachten
Höhe
sei
nicht
vorhanden,
da
ein
entsprechender Honoraranspruch in Ermangelung eines Auftrags
nicht entstanden sei.
Die Klägerin und die Widerbeklagten zu 2) bis 8) haben mit
Schriftsatz vom 10. Januar 2002 die örtliche Zuständigkeit
des Landgerichts Leipzig gerügt; § 33 ZPO gälte nur für die
Klägerin,
nicht
jedoch
für
die
bis
dahin
nicht
am
Rechtsstreit beteiligten Dritten, die Widerbeklagten zu 2)
bis 8). Die Klägerin und die Widerbeklagten zu 2) bis 6)
hätten ihren allgemeinen Gerichtsstand in München, während
dieser für die Widerbeklagte zu 7) in Düsseldorf und den
Widerbeklagten zu 8) in Frankfurt/Main läge.
In der mündlichen Verhandlung vom 24. Januar 2002 haben die
Parteien
zur
Sache
verhandelt
und
die
Anträge
gestellt.
Nachdem der Klägervertreter erklärt hatte, er halte die Rüge
der
örtlichen
Unzuständigkeit
aufrecht,
hat
der
Beklagtenvertreter
beantragt,
einen
gemeinschaftlichen
Gerichtsstand zu bestimmen.
Mit Beschluss vom 07. März 2002 hat das Landgericht Leipzig
die
Akten
zur
Bestimmung
des
zuständigen
Gerichts
dem
Oberlandesgericht Dresden vorgelegt.
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II.
Eine Gerichtsstandsbestimmung kann nicht erfolgen.
Die Voraussetzungen des § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO sind nicht
gegeben,
weil
es
vorliegend
einen
gemeinschaftlichen
Gerichtsstand für alle Widerbeklagten am Gericht der Klage,
vorliegend beim Landgericht Leipzig, gibt.
1.
Obwohl
die
Klägerin
und
die
Widerbeklagten
am
24.
Januar 2002 vor dem Landgericht Leipzig i.S.d. § 137
Abs. 1 ZPO zur Hauptsache mündlich verhandelt haben,
ergibt sich die Zuständigkeit des Landgerichts Leipzig
dabei
nicht
schon
aus
§
39
Satz
1
ZPO.
Denn
die
Widerbeklagten haben die Zuständigkeit des Landgerichts
Leipzig zuvor bereits mit Schriftsatz vom 10. Januar
2002 gemäß § 282 Abs. 3 ZPO gerügt, so dass die Wirkung
des
§
39
ZPO
nicht
eingetreten
ist
(vgl.
Zöller/Vollkommer, ZPO, 23. Aufl. 2002, § 39 Rdnr. 5;
Putzina,
in:
Münchener
Kommentar
zur
ZPO,
2.
Aufl.
2000, § 39, Rdnr. 6; Thomas/Putzo, ZPO, 24. Aufl. 2002,
§ 39 Rdnr. 8).
2.
Das
Landgericht
Leipzig
ist
indessen
als
besonderer
Gerichtsstand der Widerklage nach § 33 ZPO zuständig.
Die
Beklagte
hat
vorliegend
eine
mit
der
Klage
zusammenhängende
"Widerklage"
gegen
die
Klägerin
und
die am Rechtsstreit bisher nicht beteiligten Dritten,
die
Widerbeklagten
zu
2)
bis
8)
-
oder
Drittwiderbeklagten - erhoben. Die Drittwiderbeklagten
unterhalten
in
Leipzig
keinen
allgemeinen
Gerichtsstand,
dieser
liegt
vielmehr
in
München,
Düsseldorf und Frankfurt/Main.
a) Die Rspr. des BGH lässt die konnexe "streitgenössische"
Drittwiderklage seit langem unter den Voraussetzungen
der als Klageänderung behandelten Parteierweiterung zu
(BGHZ 40, 189; 56, 75; 69, 44; 131, 79, m.w.N.), d.h.
7
bei
Einwilligung
des
Drittwiderbeklagten
oder
"bei
Sachdienlichkeit
der
subjektiven
Klagehäufung"
(BGH,
NJW 1991, 2838 m.w.N.).
b) In der Rspr. des BGH noch nicht abschließend geklärt
ist,
ob
bei
konnexer
und
i.S.d.
§
263
ZPO
sachdienlicher
Drittwiderklage
das
Gericht
der
Klage
nach § 33 ZPO
auch für
die Drittwiderklage örtlich
zuständig ist.
Der BGH hat dies ursprünglich im Anschluss an BGHZ 40,
185 bejaht (BGH, NJW 1966, 1028; zust. Bornkamm, NJW
1989,
2713
<2717>),
später
aber
eine
Gerichtsstandsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO für
erforderlich gehalten (BGH, NJW 1991, 2838; 92, 982;
93, 2120).
Nach neuerer Rspr. ist der Weg nach § 36 Abs. 1 Nr. 3
ZPO nicht gangbar (BGH,
NJW 2000, 1871; dazu näher
Vollkommer/Vollkommer, WRP 2000, 1062).
In der jüngsten Entscheidung des BGH vom 05.04.2001
(BGH-Report 2001, 614, mit Anm. von Vollkommer auf S.
615
f.)
war
die
Frage
nicht
erheblich,
weil
der
Drittwiderbeklagte am Ort der Klage seinen allgemeinen
Gerichtsstand hatte.
c) Nach Ansicht des Senats ist es vorliegend geboten, den
Gerichtsstand der Widerklage i.S.d. § 33 ZPO auch auf
die Widerbeklagten zu 2) bis 8) als Drittwiderbeklagte
und (nur) materiell Beteiligte zu erstrecken.
Für diese Auffassung sprechen folgende Erwägungen:
In
einem
anhängigen
Rechtsstreit
können
sowohl
der
Kläger als auch der Beklagte durch gewöhnliche Klage
weitere Personen zu Beteiligten machen (§§ 261 Abs. 3,
253
ZPO),
Dritte
können
zusammen
mit
selbständiger
Klageerhebung
die
Verbindung
zu
einem
anhängigen
Verfahren beantragen.
Ob
es
zu
einer
einheitlichen
Verhandlung
und
Entscheidung
dieser
Klagen
kommt
oder
nicht,
entscheidet
sich
dann
nach
den
Regeln
über
die
8
Streitgenossenschaft
(§§
59,
60
ZPO)
und
die
Prozessverbindung
bzw.
-trennung
(§§
145,
147
ZPO).
Wegen § 147 ZPO muss aber die als Beklagte in den
Prozess
hineinzuziehende
Partei
beim
Gericht
des
Hauptprozesses
ihren
allgemeinen
oder
besonderen
Gerichtsstand haben; ist das nicht "zufällig" (vgl. OLG
Dresden, NJW-RR 2000, 902) der Fall, scheidet der Weg
einer
Zuständigkeitsbestimmung
aus,
da
die
Voraussetzungen gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO i.d.R.
nicht vorliegen (BGH, NJW 2000, 1871; dazu instruktiv
Vollkommer/Vollkommer, WRP 2000, 1062).
Sinn und Zweck des § 33 ZPO ist es, "zusammengehörige
Ansprüche einheitlich zu verhandeln und zu entscheiden"
(BGHZ 40, 188; BGH-Report 2001, 614, m. kritischer Anm.
von Vollkommer auf S. 615 f.). Dies trifft aber unter
Umständen auch auf den Dritten zu.
Voraussetzung
ist,
dass
es
die
materiell-rechtlichen
Rechtsbeziehungen
im
Verhältnis
zum
Dritten,
insbesondere
die
mit
der
Klage
oder
Verteidigungsmitteln
in
rechtlichem
Zusammenhang
stehenden
Gegenansprüche
mit
sich
bringen,
dass
dem
Dritten die Prozessführung am Ort der Klage zugemutet
werden kann; in derartigen Fällen muss der - zulässigen
-
Einbeziehung
des
Dritten
in
den
ursprünglichen
Rechtsstreit zugleich ein Gerichtsstandseffekt gemäß §
33 ZPO zukommen.
Das
gilt
-
u.a.
-
für
die
Geltendmachung
des
eingeklagten Rechts in gewillkürter Prozessstandschaft
(vgl.
Rüßmann,
AcP
172,
520
<548
ff.>;
Rüßmann/Eckstein-Puhl,
JuS
1998,
443);
denn
die
materielle Rechtskraft eines im Hauptprozess ergehenden
Urteils würde sich hier - ebenso wie im Zessionsfall -
auf den Dritten erstrecken (vgl. Vollkommer/Vollkommer,
WRP
2000,
1062
<1067>;
vgl.
zum
Ganzen
auch
Zöller/Vollkommer, ZPO, 23. Aufl. 2002, § 33 Rdnr. 23).
Dass
es
sich
bei
der
Widerklage
gegen
die
Widerbeklagten
zu
2)
bis
8)
um
eine
sog.
Drittwiderklage
handelt,
ist
letztlich
dem
"prozesstaktischen
Kunstgriff"
der
Klägerin
9
zuzuschreiben,
die
in
Prozessstandschaft
für
die
Widerbeklagten zu 2) bis 8) klagt. Das darf aber im
Ergebnis
nicht
dazu
führen,
dass
denknotwendig
zusammengehörende
Sachverhalte
vor
unterschiedlichen
Gerichten verhandelt werden.
Mit
der
-
über
eine
Erweiterung
des
persönlichen
Anwendungsbereichs
des
§
33
ZPO
bewirkten
-
Konzentration
von
Klage
und
Widerklage
vor
dem
Prozessgericht unter gleichzeitiger Einbeziehung aller
materiell
Beteiligten
gelingt
es,
den
Rechtsstreit
umfassend
und
endgültig
beizulegen;
es
wird
eine
sinnvolle Verfahrenskonzentration vor einem zuständigen
Gericht
ermöglicht
und
Mehrfachentscheidungen
über
einen
Streitgegenstand
oder
gegenüber
mehreren
Beteiligten
vermieden
(so
ausdrücklich
Vollkommer/Vollkommer,
WRP
2000,
1062
<1067>).
Letztlich sind dies die Argumente, die den BGH (BGHZ
40, 185 <188, 190>) zur Einführung der Drittwiderklage
bewogen haben.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.
Gemäß § 3 ZPO war der Streitwert auf ein Viertel des Wertes
der
Hauptsache
festzusetzen
(ständige
Rechtsprechung
des
Senates, vgl. zuletzt Beschluss vom 28. November 2001, 1 AR
221/01). Als Hauptsachewert hat der Senat nach § 19 Abs. 1
Satz 3 GKG einen Betrag von 80.003,07 EUR zugrunde gelegt.
B
g
S
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V
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