Urteil des OLG Celle vom 13.11.2003

OLG Celle: fluggast, flugzeug, höchstbetrag, luftfahrzeug, ausnahme, tod, vollstreckung, abgrenzung, beweismittel, starten

Gericht:
OLG Celle, 14. Zivilsenat
Typ, AZ:
Urteil, 14 U 48/03
Datum:
13.11.2003
Sachgebiet:
Normen:
LuftVG § 44
Leitsatz:
Zur Abgrenzung „Fluggast“ / „fliegendes Personal“
Volltext:
Oberlandesgericht Celle
Im Namen des Volkes
Urteil
14 U 48/03
4 O 371/02 Landgericht Hildesheim Verkündet am
13. November 2003
#######,
Justizobersekretärin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
In dem Rechtsstreit
#######,
Beklagter und Berufungskläger,
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte #######,
gegen
1. #######,
2. #######,
3. #######,
Kläger und Berufungsbeklagte,
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte #######,
hat der 14. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die mündliche Verhandlung vom 30. September 2003 durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ####### und die Richter am Oberlandesgericht ####### und
####### für Recht erkannt:
Die Berufung des Beklagten gegen das am 6. Februar 2003 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts
Hildesheim wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Verpflichtung des Beklagten zur
Schadensersatzleistung aus Anlass des Flugunfalles des verstorbenen #######
####### vom 24. Juli 1999 nicht über die Zahlung eines Gesamtbetrages von 163.613,40 EUR (= 320.000 DM)
hinausgeht.
Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung der Kläger durch Sicherheitsleistung in
Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in
Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leisten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Wert der Beschwer für den Beklagten übersteigt 20.000 EUR.
Gründe (§ 540 Abs. 1 ZPO):
I.
Die Kläger begehren Schadensersatz wegen eines Flugunfalles, der sich am 24. Juli 1999 gegen 18:30 Uhr in
#######/####### ereignet hat. Bei diesem Flugunfall kamen der Ehemann der Klägerin zu 1 und Vater der Kläger zu
2 und 3, ####### #######, sowie ####### #######, dessen Nachlasspfleger der Beklagte ist, in einem zweisitzigen
Ultraleichtflugzeug ums Leben.
Wegen der näheren Sachdarstellung wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen. Die Kammer hat der Klage
überwiegend (mit Ausnahme ebenfalls geltend gemachter Schmerzensgeldansprüche) stattgegeben. Wegen der
Begründung wird auf die Ausführungen des landgerichtlichen Urteils verwiesen.
Dagegen richtet sich die Berufung des Beklagten. Entgegen der Auffassung der Kammer sei Herr ####### nicht als
Fluggast anzusehen, was das Landgericht zumindest nach Durchführung einer Beweisaufnahme hätte erkennen
müssen. Er sei - als erfahrener Drachenflieger - an einer Ausbildung betreffend das Fliegen solcher
Ultraleichtflugzeuge interessiert gewesen, der Abschluss eines Ausbildungsvertrages zwischen den beiden
Verstorbenen sei in Aussicht gestellt gewesen. Dem entspreche es auch, dass Herr ####### nicht etwa auf dem
Rücksitz, sondern auf dem (üblicherweise dem Piloten vorbehaltenen) Vordersitz Platz genommen habe. Er habe die
Möglichkeit gehabt und auch genutzt, das Flugzeug selber zu steuern, nachdem der Flugzeugführer es in die Luft
gebracht gehabt habe. Angesichts dessen sei zumindest von einem Haftungsausschluss auszugehen. Im Übrigen
seien etwaige Ansprüche verjährt, jedenfalls aber der Höhe nach begrenzt.
Der Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigen das erstinstanzliche Urteil.
II.
Die Berufung des Beklagten erweist sich als unbegründet. Lediglich zur Klarstellung hat der Senat bei der
Tenorierung herausgestellt, dass sich die Haftung des Beklagten als Nachlasspfleger des Flugzeugführers auf einen
Höchstbetrag von insgesamt 320.000 DM beschränkt.
Das Landgericht hat aus zutreffenden tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen, die auch gegenüber dem
Berufungsvorbringen durchgreifen und denen der Senat in vollem Umfang beitritt, eine grundsätzliche Haftung des
verstorbenen Flugzeugführers ####### für die durch den Tod des Mitfliegers ####### eingetretenen materiellen
Schäden nach § 44 LuftVG bejaht. Auf die sorgfältig begründeten Ausführungen der Kammer wird zur Vermeidung
von Wiederholungen verwiesen.
Im Hinblick auf die Berufungsangriffe ist - soweit nicht schon durch Beschluss des Senats vom 25. Juni 2003 (Bd. I,
Bl. 191 ff.), auf den ebenfalls verwiesen wird, geschehen - Folgendes anzumerken:
1. Nach wie vor ist davon auszugehen, dass Herr ####### Fluggast gewesen ist. Auf die vom Beklagten
problematisierte Frage der Beweislast, die nach Auffassung des Senats von der Kammer zutreffend beim Beklagten
gesehen worden ist, kommt es dabei gar nicht an. Es ist nicht entscheidend, ob Herr ####### während des Fluges
die Lenkung (eine Querstange, mit deren Hilfe Gewichtsverlagerungen an die Tragflächen weitergegeben werden)
betätigt hat oder nicht. Auch das nämlich würde ihn weder zum Flugzeugführer, noch zum Mitglied des „fliegenden
Personals“ (also einem Besatzungsmitglied) machen. Abgesehen davon, dass ein derartiges Ultraleichtfluggerät
außer dem Piloten selber keinerlei „Besatzung“ benötigt, entspricht es der vom Bundesgerichtshof bereits
vorgenommenen (BGH, Urteil vom 30. November 1983, VersR 1984, 155 f.) Definition eines Fluggastes in
Abgrenzung zum fliegenden Personal, dass Erstgenannter nicht das Luftfahrzeug verantwortlich zu führen oder den
verantwortlichen Luftfahrzeugführer dabei zu unterstützen bzw. sonstige Dienste im Flugzeug zu verrichten hat. So
lag der Fall hier. Verantwortlicher Flugzeugführer war Herr ####### auf keinen Fall, selbst wenn er das Flugzeug
gelenkt haben sollte. Auch in diesem Falle wäre der eigentliche Flugzeughalter und führer, der ja auch als einziger
über eine Berechtigung verfügte, ein solches Flugzeug zu führen, nämlich der ebenfalls verstorbene Herr #######,
verantwortlich geblieben. Herr ####### ist auch nicht einmal Mitglied des „fliegenden Personals“ gewesen. Selbst
wenn nämlich das zuträfe, was der Beklagte hinsichtlich der Übernahme der Flugzeugsteuerung durch Herrn
####### vorgetragen hat, wäre nicht anzunehmen, dass dieser den Flugzeugführer ####### bei der Steuerung des
Flugzeuges „unterstützen“ oder sonstige „Dienste verrichten“ sollte. Grund für eine etwaige zwischenzeitliche
Übernahme der Steuerung durch Herrn ####### wäre allenfalls gewesen, in die Funktion und grundlegende
Bedienung eines solchen Ultraleichtflugzeuges „hineinzuschnuppern“. Unstreitig fand der Flug (als einer von
mehreren) im Rahmen eines Tages der offenen Tür mit dem Zweck statt, den jeweiligen Mitfliegern, zu denen auch
Herr ####### gehört hat, ein Kennenlernen des Fliegens mit einem Ultraleichtflugzeug zu ermöglichen. Zum
fliegenden Personal gehört aber erst derjenige, der zu einer solchen Tätigkeit seitens des Flugbetreibers angestellt
worden ist, um - aus fliegerischer Notwendigkeit - bestimmte Funktionen zu übernehmen. In diesem Stadium befand
sich der verstorbene Herr ####### noch nicht. Er ist (ein Schulungsvertrag war noch nicht abgeschlossen, sondern
letztlich „Fernziel“ des „Schnupperflugs“) noch nicht einmal Flugschüler gewesen. Herr ####### ist nicht, im Sinne
der Definition des Bundesgerichtshofs, dazu bestimmt gewesen, den Luftfahrzeugführer ####### zu unterstützen,
also ihm in irgendeiner Form zu helfen. Ein die Lenkung eines Flugzeuges lediglich ausprobierender Fluggast bleibt
Fluggast im Sinne des § 44 LuftVG.
Darüber hinaus und unabhängig davon wäre der Beklagte nicht in der Lage, den ihm obliegenden Beweis dafür zu
führen, dass Herr ####### überhaupt während des Fluges die Lenkung übernommen hat. Die Tatsache, dass er auf
dem üblicherweise dem Piloten vorbehaltenen vorderen Sitz Platz genommen hat, ist insoweit nicht aussagekräftig.
Unstreitig ließ sich das verunglückte Ultraleichtflugzeug hinsichtlich aller für den Flug wesentlichen Funktionen
(offenbar mit Ausnahme des Rettungssystems, welches Herr ####### jedenfalls nicht betätigt hat) auch vom
hinteren Sitz aus bedienen. So war es dem Flugzeugführer ####### ja ohne weiteres möglich, das Fluggerät vom
hinteren Platz zu starten. Weitere geeignete Beweismittel dafür, dass Herr ####### während des Fluges die
Steuerung übernommen hat, liegen nicht vor. Ob die vorherigen Mitflieger und Vereinskameraden des verstorbenen
####### ebenfalls während des Fluges die Lenkung übernommen haben, lässt keinen zwingenden Rückschluss
darauf zu, dass dies bei dem Unglücksflug betreffend den Fluggast ####### zum Zeitpunkt des Absturzes ebenfalls
der Fall gewesen ist. Die Beweislast dafür, dass Herr ####### kein Fluggast gewesen ist, liegt jedenfalls auch nach
Auffassung des Senats beim Beklagten. Selbst wenn es, anders als in einem vom BGH am 16. Juni 1999
entschiedenen Fall (MDR 1999, 1196 f.), vorliegend nicht auf bestimmte Formulierungen der besonderen
Bedingungen für die UnfallZusatzversicherung ankommt, ist von einer entsprechenden Beweislastverteilung
gleichwohl auszugehen: Auch nach der vom Bundesgerichtshof bereits im Jahre 1983 (VersR 1984, a. a. O.)
vorgenommenen Definition eines Fluggastes ist (negativ formuliert) davon auszugehen, dass Fluggast (jeder) ist,
„der nicht dazu bestimmt ist, das Luftfahrzeug verantwortlich zu führen oder den Luftfahrzeugführer dabei zu
unterstützen“. Dem entspricht es, dass in aller Regel davon ausgegangen werden kann, dass jemand, der sich zu
einem Piloten in dessen Flugzeug begibt, regelmäßig bloßer Gast sein wird.
2. Dass angesichts der vorliegenden Interessenlage von einem (unentgeltlichen) Beförderungsvertrag auszugehen
ist, hat der Senat bereits mit Beschluss vom 25. Juni 2003 (Bl. 191 f.) ausgeführt. Auf die dort angestellten
Erwägungen wird verwiesen.
3. Schadensersatzansprüche der Erben des verstorbenen Herrn ####### sind auch noch nicht verjährt. Die Klage ist
genau 3 Jahre und 1 Tag nach dem Unfallereignis beim Landgericht eingegangen. Da, wie das Landgericht zutreffend
ausgeführt hat, die dreijährige Verjährungsfrist des § 852 BGB damaliger Fassung erst ab Kenntnis des
Geschädigten vom Schaden und insbesondere der Person des Ersatzpflichtigen zu laufen beginnt, kommt eine
Verjährung schlechthin nicht in Betracht. Da der eigentliche Schädiger durch den Unfall selber zu Tode gekommen
ist und der Beklagte als Nachlasspfleger überhaupt erst mit Beschluss vom 10. Juni 2002 eingesetzt worden ist,
konnten die Kläger frühestens ab diesem Zeitpunkt jemanden klagweise in Anspruch nehmen.
4. Klarstellend hat der Senat in die Tenorierung des Berufungsurteiles aufgenommen, dass die Haftung des
Beklagten für Schäden durch den Tod des verunglückten Herrn ####### auf einen Höchstbetrag von 320.000 DM
beschränkt ist (§ 46 LuftVG damaliger Fassung), auch wenn sich diese Beschränkung zumindest den
Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils dadurch entnehmen lässt,
dass sich die Ersatzansprüche allein auf § 44 LuftVG gründen (vgl. ebenfalls Beschluss des Senats vom 25. Juni
2003, Bl. 196 d. A.).
5. Die Kostenentscheidung folgt § 97 Abs. 1 ZPO. Die übrigen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 708 Nr. 10,
711, 108 Abs. 1 Satz 2 ZPO; 26 Nr. 8 EGZPO. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor, § 543 ZPO.
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