Urteil des OLG Celle vom 13.03.2009

OLG Celle: rechtliches gehör, rüge, bindungswirkung, vollzugsplanung, ausnahme, erlass, anstalten, ermessen, begriff, gefangener

Gericht:
OLG Celle, 01. Strafsenat
Typ, AZ:
Beschluss, 1 Ws 118/09
Datum:
13.03.2009
Sachgebiet:
Normen:
NJVollzG § 16 Abs 1, StVollzG § 109
Leitsatz:
Die Begutachtung zur Feststellung der Voraussetzungen von Lockerungen gemäß § 16 Abs. 1
NJVollzG entfaltet als reine vorbereitende Verfahrenshandlung keine unmittelbare Rechtswirkung für
den Gefangenen und ist deshalb keine isoliert anfechtbare Maßnahme im Sinne des § 109 StVollzG.
Volltext:
Oberlandesgericht Celle
1 Ws 118/09 (StrVollz)
17 a StVK 645/08 LG L.
B e s c h l u s s
In der Strafvollzugsache
des L.A. K. ,
geboren am 26. Mai 1968 in O.S.,
zurzeit Justizvollzugsanstalt C.,
Antragstellers und Beschwerdeführers -
gegen die Justizvollzugsanstalt C.,
vertreten durch den Anstaltsleiter,
Antragsgegnerin und Beschwerdegegnerin
wegen Begutachtung zur Feststellung der Voraussetzungen von
Lockerungen
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle nach Beteiligung des Zentralen juristischen Dienstes für den
niedersächsischen Justizvollzug auf die Rechtsbeschwerde des Antragsstellers gegen den Beschluss der 1. kleinen
Strafvollstreckungskammer des Landgerichts L. mit Sitz in C. vom 9. Februar 2009 durch die Richter am
Oberlandesgericht #######, ####### und ####### am 13. März 2009 beschlossen:
1. Der als Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu behandelnde Antrag auf Beiordnung eines Verteidigers
wird abgelehnt.
2. Die Rechtsbeschwerde wird als unbegründet verworfen.
3. Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsteller.
4. Der Streitwert wird für beide Instanzen auf 500 EUR festgesetzt.
G r ü n d e :
I.
Der Beschwerdeführer verbüßt eine lebenslange Freiheitsstrafe wegen Mordes, von der 15 Jahre am 15. September
2014 vollstreckt sein werden.
Im Mai 2008 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf baldige Begutachtung zur Feststellung der
Voraussetzungen von Lockerungen. Die Antragsgegnerin teilte ihm darauf mit, dass die Entscheidung darüber nur im
Rahmen der nächsten Fortschreibung der Vollzugsplanung erfolgen könne. Im Vollzugsplan vom 14. November
2008, der dem Beschwerdeführer am 21. November 2008 ausgehändigt wurde, verneinte die Antragsgegnerin die
Eignung des Beschwerdeführers für jegliche Lockerungen.
Mit seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 29. November 2008 wandte sich der Beschwerdeführer
dagegen, dass in dem Vollzugsplan vom 14. November 2008 keine Entscheidung über seinen Antrag auf
Begutachtung getroffen worden sei. Die Strafvollstreckungskammer hat den Antrag auf gerichtliche Entscheidung als
unbegründet zurückgewiesen mit der Begründung, dass die Entscheidung über die Ablehnung von Lockerungen
rechtsfehlerfrei getroffen worden sei und der Antragsteller keinen Anspruch auf Begutachtung habe.
Hiergegen hat der Beschwerdeführer Rechtsbeschwerde eingelegt. Er rügt die Verletzung seines Anspruchs auf
rechtliches Gehör und sachlichen Rechts. Aus der Regelung des § 16 NJVollzG folge ein Anspruch auf
Begutachtung, weil diese bei zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilten Gefangenen der Regelfall und die Sperrfrist
von acht Jahren für Ausgang und Freigang nach § 13 Abs. 4 NJVollzG bereits verstrichen sei.
Der zentrale juristische Dienst für den niedersächsischen Justizvollzug hat beantragt, die Rechtsbeschwerde als
unbegründet zu verwerfen mit der Maßgabe, dass der Antrag auf gerichtliche Entscheidung bereits unzulässig sei,
weil die beantragte Begutachtung lediglich vorbereitenden Charakter habe und damit mangels Regelungsgehalts
keine Maßnahme im Sinne von § 109 StVollzG darstelle.
II.
Das Rechtsmittel hat in der Sache keinen Erfolg.
1. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig, weil es geboten ist, die Nachprüfung der angefochtenen Entscheidung zur
Fortbildung des Rechts zu ermöglichen (§ 116 Abs. 1 StVollzG). Es gilt die rechtliche Beurteilung der vorliegenden
Fallgestaltung zu derjenigen in der Entscheidung des Senats vom 22. Oktober 2008 - 1 Ws 502/08 (StrVollz) -
abzugrenzen.
2. Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet.
a) Die erhobene Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs ist bereits unzulässig. Sie genügt nicht den
Anforderungen des § 118 Abs. 2 Satz 2 StVollzG. Danach ist eine Verfahrensrüge nur dann in zulässiger Form
erhoben, wenn die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben sind. Diese Angaben haben mit Bestimmtheit
und so genau und vollständig zu sein, dass das Rechtsbeschwerdegericht allein auf Grund der
Beschwerdebegründung ohne Rückgriff auf die Akten oder sonstige Unterlagen prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler
vorliegt, wenn die behaupteten Tatsachen zutreffen (st. Rspr.. vgl. Senatsbeschluss v. 26. Oktober 2007 - 1 Ws
375/07 [StrVollz]. OLG Rostock NStZ 1997, 429. Callies/MüllerDietz, StVollzG 11. Aufl. § 118 Rdn. 2. Schuler in
Schwind/Böhm/Jehle, StVollzG 4. Aufl. § 118 Rdnr. 6. jew. m. w. Nachw.). Dem wird die erhobene Rüge nicht
gerecht.
Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG ist verletzt, wenn dem Antragsteller nicht die
Möglichkeit eingeräumt worden ist, sich zu allen entscheidungserheblichen und ihm nachteiligen Tatsachen und
Beweisergebnissen zu äußern (vgl. Senat a. a. O.. OLG Hamm VRS 98, 117. OLG Düsseldorf VRS 95, 104. OLG
Köln VRS 92, 261). Dementsprechend gehört zur ordnungsgemäßen Erhebung der Gehörsrüge neben der genauen
Darstellung der Tatsache oder des Beweisergebnisses, zu der kein rechtliches Gehör gewährt worden sein soll, auch
die Darlegung, ob und inwieweit dieses entscheidungserheblich war. Das wiederum macht die Darlegung erforderlich,
was der Beschwerdeführer im Falle seiner Anhörung hierzu vorgetragen hätte (vgl. Senat a. a. O.. OLG Jena VRS
107, 289. OLG Düsseldorf NStZRR 1997, 210. OLG Hamm NStZRR 1999, 23). Daran fehlt es hier.
Abgesehen davon wäre die Rüge aber auch unbegründet. Denn die der Stellungnahme der Antragsgegnerin
beigefügten Anlagen, die dem Beschwerdeführer nicht mitübersandt worden waren, sind, soweit sie dem
Antragsteller nicht ohnehin bekannt waren wie etwa der Vollzugsplan, nicht entscheidungserheblich. Der Senat
schließt aus, dass die angefochtene Entscheidung hierauf beruht.
b) Die zulässig erhobene Sachrüge deckt keinen Rechtsfehler der angefochtenen Entscheidung zum Nachteil des
Antragstellers auf. Die Strafvollstreckungskammer hat den Antrag auf gerichtliche Entscheidung im Ergebnis zu
Recht abgelehnt. Allerdings war der Antrag bereits unzulässig.
Gegenstand eines Antrags auf gerichtliche Entscheidung kann nur eine Maßnahme im Sinne von § 109 StVollzG
sein.
Die Begutachtung zur Feststellung der Voraussetzungen von Lockerungen gemäß § 16 Abs. 1 NJVollzG ist keine
mit einem Antrag auf gerichtliche Entscheidung isoliert erzwingbare Maßnahme im Sinne dieser Vorschrift.
Zwar ist der Begriff der Maßnahme weit auszulegen und erfasst auch schlicht hoheitliches Handeln. Voraussetzung
ist jedoch, dass ein behördliches Handeln zur Regelung eines Einzelfalls vorliegt, welches unmittelbar
Rechtswirkung für den Einzelnen hat (vgl. nur Callies/MüllerDietz, a. a. O., § 109 Rn. 11 ff. m. w. Nachw.). Der
Regelungscharakter ist bei reinen vorbereitenden Verfahrenshandlungen, wie etwa vorbereitenden gerichtlichen
Gutachten, grundsätzlich zu verneinen. solche unselbständigen Handlungen sind nicht isoliert, sondern nur
zusammen mit der Sachentscheidung anfechtbar (vgl. BVerwGE 34, 248. OLG Stuttgart ZfStrVO 1997, 54). Die
Sachentscheidung ist im vorliegenden Fall jedoch die Ablehnung von Lockerungen im Vollzugsplan vom 14.
November 2008, welche die Antragsgegnerin gemäß § 13 NJVollzG auf der Basis der bislang vorhandenen
Erkenntnisse ohne eine Begutachtung nach § 16 Abs. 1 NJVollzG getroffen hat. Gegen diese Entscheidung richtete
sich der Antrag auf gerichtliche Entscheidung indes nicht, wie der Beschwerdeführer in der Rechtsbeschwerde auch
noch einmal ausdrücklich betont hat. Er erstrebt mit seinem Antrag allein die Begutachtung. das ist unzulässig.
Dem steht die Entscheidung des Senats vom 22. Oktober 2008 - 1 Ws 502/08 (StrVollz) - nicht entgegen. Dort hatte
der Senat entschieden, dass die Ablehnung der Begutachtung zur Feststellung der Indikation für eine Verlegung in
eine sozialtherapeutische Anstalt gemäß § 104 NJVollzG durch das Prognosezentrum Regelungscharakter hat und
damit eine Maßnahme im Sinne von § 109 StVollzG darstellt. Dies beruht auf der Erwägung, dass einer
vorbereitenden Maßnahme ausnahmsweise dann ein eigener Regelungscharakter zukommt, wenn dazu die
ausschließliche Wahrnehmung bestimmter Aufgaben und Geltendmachung besonderer Gesichtspunkte übertragen
wurde und die Entscheidung feststellenden Charakter mit Bindungswirkung hat (vgl. BVerwGE 46, 356.
Stelkens/Bonk/SachsStelkens, VwVfG, 7. Aufl., § 35 Rdn. 168 ff.), und dass eine solche Ausnahme im Falle der
Indikationsstellung vorliegt, weil insoweit durch den Erlass des Niedersächsischen Justizministeriums vom 24.
Januar 2008 (4510 I - 303. 168) dem Prognosezentrum im Niedersächsischen Justizvollzug, welches bei der
Justizvollzugsanstalt H. eingerichtet worden ist, gemäß § 175 Abs. 2 NJVollzG mit Wirkung vom 1. Februar 2008
anstaltsübergreifend die Aufgabe der Begutachtung ausgewählter Gefangener zur Indikationsstellung für die
Verlegung in eine sozialtherapeutische Abteilung nach § 104 NJVollzG übertragen worden ist. Während hiernach also
die Indikationsstellung durch das Prognosezentrum Bindungswirkung für die Anstalt und den Gefangenen hat, ist die
Aufgabe des Prognosezentrums ansonsten nur „die fundierte Vorbereitung vollzuglicher Entscheidungen bezüglich
der Vollzugsplanung und der Lockerungsgewährung“. Anders als im Falle der Verlegung in eine sozialtherapeutische
Abteilung, die bei Bejahung der Indikation gemäß § 104 Abs. 1 NJVollzG zwingend erfolgen muss, so dass danach
den entsendenden Anstalten die Entscheidung entzogen ist und in der alleinigen Zuständigkeit des
Prognosezentrums liegt, besteht bei der Frage der Bewilligung von Lockerungen gemäß § 13 Abs. 1 NJVollzG auch
im Falle einer positiven Prognose ein Ermessen der Anstalt, welches nicht durch das Prognosezentrum ausgeübt
werden darf. Hiernach wird mit der Begutachtung zur Feststellung der Voraussetzungen von Lockerungen gemäß §
16 Abs. 1 NJVollzG noch keine Entscheidung mit Bindungswirkung für die Anstalt und den Gefangenen getroffen.
III.
Der Antrag auf Beiordnung eines Verteidigers war gemäß § 120 Abs. 2 StVollzG als Antrag auf Bewilligung von
Prozesskostenhilfe zu behandeln und mangels Erfolgsaussicht abzulehnen (§ 114 ZPO).
IV.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 121 Abs. 2 Satz 1 StVollzG.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 1 Nr. 1 j, 63 Abs. 3, 65 GKG.
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