Urteil des OLG Celle vom 16.09.2010

OLG Celle: wesentlicher grund, ehescheidungsverfahren, aussetzung, vergütung, abrechnung, vorverfahren, wahlrecht, vergleich, datum, wiederaufnahme

Gericht:
OLG Celle, 12. Zivilsenat
Typ, AZ:
Beschluss, 12 WF 102/10
Datum:
16.09.2010
Sachgebiet:
Normen:
FGGRG Art 111 Abs 4
Leitsatz:
Bei wiederaufgenommenen Versorgungsausgleichsverfahren, die zuvor abgetrennt und ausgesetzt
worden waren, handelt es sich gebührenrechtlich um eine neue Angelegenheit, auf die die zuvor
entstandenen Gebühren anzurechnen sind.
Volltext:
12 WF 102/10
4 F 107/10 Amtsgericht Winsen (Luhe)
Beschluss
In der Familiensache
B. L., …,
Antragstellerin,
Verfahrensbevollmächtigter:
Rechtsanwalt M. B., …,
Geschäftszeichen: …
Beschwerdeführer,
gegen
K. S., …,
Antragsgegner,
Verfahrensbevollmächtigte:
Rechtsanwälte V., …,
Geschäftszeichen: …
weiter beteiligt:
Die Bezirksrevisorin bei dem Landgericht Lüneburg, Am Markt 7, 21332 Lüneburg,
GeschäftsNr.: …
hat der 12. Zivilsenat - Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Celle durch den Vorsitzenden Richter am
Oberlandesgericht S., den Richter am Oberlandesgericht F. und den Richter am Oberlandesgericht W. am 16.
September 2010 beschlossen:
Auf die Beschwerde des beigeordneten Rechtsanwalts B. werden der Beschluss des Amtsgerichts Familiengericht
Winsen (Luhe) vom 10. Juni 2010 teilweise geändert und die dem beigeordneten Rechtsanwalt aus der Landeskasse
zu erstattenden Gebühren auf 567,52 € festgesetzt.
Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Entscheidung ergeht gerichtskostenfrei. außergerichtliche Auslagen werden nicht erstattet.
G r ü n d e
I.
Durch Urteil vom 8. Februar 2005 hat das Familiengericht (AG Winsen (Luhe) 4 F 500/03) auf den am 7. November
2003 zugestellten Antrag die Ehe der Parteien geschieden, die Folgesache Versorgungsausgleich abgetrennt und
das Verfahren über den Versorgungsausgleich gem. § 2 VAÜG ausgesetzt. Mit Beschluss vom 4. November 2003
war der Antragstellerin zuvor für das Ehescheidungsverfahren ratenfreie Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des
Beschwerdeführers bewilligt worden.
Dem Beschwerdeführer waren am 18. März 2005 gem. § 121 ff BRAGO Gebühren in Höhe von 842,16 € aus der
Landeskasse erstattet worden.
Mit Verfügung vom 4. Februar 2010 hat das Familiengericht das ausgesetzte Versorgungsausgleichsverfahren
wieder aufgenommen. Auf den Antrag der Antragstellerin, ihr für dieses Verfahren Verfahrenskostenhilfe zu
bewilligen, ist durch Beschluss vom 13. April 2010 festgestellt worden, dass die ursprünglich im Verfahren 4 F
500/03 bewilligte Prozesskostenhilfe für das Scheidungs und Versorgungsausgleichsverfahren auch für das
vorliegend abgetrennte Versorgungsausgleichsverfahren gilt. Ratenzahlungen werden nach wie vor nicht festgesetzt.
Das Familiengericht hat mit Beschluss vom 16. April 2010 aufgrund mündlicher Verhandlung den
Versorgungsausgleich nach neuem Recht geregelt, die Kosten des Verfahrens gegeneinander aufgehoben und den
Wert auf 2.552 € festgesetzt.
Der Beschwerdeführer hat sodann beantragt, ihm aus der Landeskasse eine Vergütung in Höhe von insgesamt
586,08 € zu erstatten. Der Rechnung liegen eine 1,3 Verfahrens und 1,2 Terminsgebühr nach einem Wert von 2.552
€ zuzüglich Auslagenpauschale und Umsatzsteuer zugrunde.
Mit Beschluss vom 7. Juni 2010 hat die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle den Vergütungsantrag
zurückgewiesen. Es seien keine - über die bereits in dem Verfahren 4 F 500/03 abgerechneten Gebühren neue
Gebühren in dem abgetrennten Versorgungsausgleichsverfahren entstanden. Das Scheidungsverfahren und die
Folgesache Versorgungsausgleich blieben trotz der Abtrennung und Aussetzung des Versorgungsausgleichs
gebührenrechtlich dieselbe Angelegenheit i. S. v. § 16 Nr. 4 RVG bzw. § 7 Abs. 3 BRAGO.
Die Erinnerung des beigeordneten Rechtsanwalts ist durch das Amtsgericht Familiengericht mit der angefochtenen
Entscheidung zurückgewiesen worden.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die sofortige Beschwerde des Antragstellers, mit der weiterhin die Erstattung
der Gebühren aus der Landeskasse erstrebt wird. Der Antragsteller ist der Auffassung, dass der ursprüngliche
Auftrag mit Abschluss des Ehescheidungsverfahrens beendet gewesen sei. Daher sei das aufgenommene Verfahren
als neue Angelegenheit anzusehen.
Der Berichterstatter hat das Verfahren wegen grundsätzlicher Bedeutung auf den Senat übertragen, § 56 i. V. m. §
33 Abs. 8 RVG.
II.
Die Beschwerde ist gem. § 56 Abs. 2 i. V. m. § 33 RVG zulässig. Sie ist insbesondere fristgerecht eingelegt und
begründet worden.
Das Rechtsmittel ist überwiegend begründet.
Dem beigeordneten Rechtsanwalt ist aus der Landeskasse eine weitere Vergütung in Höhe von 567,52 € zu zahlen.
Zutreffend ist das Familiengericht zunächst davon ausgegangen, dass die ursprünglich in dem
Ehescheidungsverfahren bewilligte Prozesskostenhilfe sich auch auf das jetzt wieder aufgenommene Verfahren zur
Durchführung des Versorgungsausgleichs erstreckt. Gem. § 624 Abs. 2 i. V. m. § 621 Nr. 6 ZPO umfasst die für das
Ehescheidungsverfahren bewilligte Prozesskostenhilfe auch die Folgesache. Nach § 2 Abs. 1 S. 2 VAÜG
(aufgehoben durch Art. 23 S. 2 Nr. 4 VAStrRefG) wurde das Verfahren über den Versorgungsausgleich entsprechend
§ 628 Abs. 1 ZPO (in der bis 31.08.2009 geltenden Fassung) ausgesetzt und abgetrennt. Bei einer Abtrennung nach
§ 628 ZPO blieb das Verfahren über den Versorgungsausgleich Folgesache (BGH FamRZ 1981, 23. OLG Dresden
FamRZ 2002, 1415. Zöller/Phillippi, ZPO, 27. Aufl. § 628 Rn 10). War einem Ehegatten für das
Ehescheidungsverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt worden, erstreckt sich diese auf die
Versorgungsausgleichsfolgesache (§ 624 Abs. 2 ZPO a. F.) und wirkt über deren Abtrennung hinaus fort (OLG
Dresden, a. a. O.. Zöller/Philippi, ZPO, 27. Aufl. § 628 Rn 18).
Durch die Neuregelung des Versorgungsausgleichs zum 1. September 2009 hat sich hieran nichts geändert. Nach §
137 Abs. 5 S. 1 FamFG bleiben Versorgungsausgleichssachen Folgesachen. Eine andere Bewertung ergibt sich
auch nicht aus Art. 111 Abs. 4 FGGRG. Zwar sind nach Satz 2 dieser Vorschrift abgetrennte
Versorgungsausgleichsverfahren als selbständige Familiensachen weiterzuführen. Mit dieser Regelung, die auch für
nach § 2 VAÜG ausgesetzte Verfahren gilt (Musielak/Borth, FamFG, Einleitung Rn 99), soll erreicht werden, dass
zwischen den abgetrennten Folgesachen kein Restverbund mehr besteht, sondern sie jeweils getrennt zu behandeln
sind (BTDrs. 16/11903 S. 62). Nur so kann erreicht werden, dass für die abgetrennten
Versorgungsausgleichsverfahren sowohl materiell als auch verfahrensrechtlich jeweils das ab dem 1. September
2009 geltende Recht zur Anwendung kommt, während für andere Folgesachen es bei dem früheren Recht bleibt.
Eine Auswirkung auf die bereits bewilligte Prozesskostenhilfe ist damit nicht verbunden (OLG Braunschweig,
Beschluss vom 16.03.2010 [3 WF 23/10]. OLG Brandenburg, Beschluss vom 12.05.2010 [15 WF 125/10]. OLG
Rostock, Beschluss vom 19.07.2010 [10 WF 106/10]. a. A. OLG Naumburg, Beschluss vom 01.02.2010 [8 WF
33/10] – alle bei juris). Weil es sich um eine Folgesache handelt, verbleibt es auch bei den aufgenommenen
Verfahren, die ursprünglich nach § 2 VAÜG ausgesetzt worden waren, bei dem Anwaltszwang (OLG Rostock,
Beschluss vom 14.07.2010 [10 UF 72/10] juris).
Für die Tätigkeit in dem abgetrennten und selbständigen Verfahren über den Versorgungsausgleich verdient der
Rechtsanwalt gesonderte Gebühren. Dies ergibt sich aus § 150 Abs. 5 S. 2 FamFG (Borth, FamRZ 2010, 1210,
1211). Diese Regelung entspricht der bisherigen Verfahrenstrennung nach § 623 Abs. 2 S. 2 ZPO a. F. (OLG
Karlsruhe JurBüro 1999, 383. OLG Düsseldorf, JurBüro 2001, 686. Gerold/Schmidt/MüllerRabe, RVG, 16. Aufl., 3100
VV, Rn 105. Zöller/Philippi, ZPO, 27. Aufl. § 623 Rn 32 k). Letztlich ist dies die Folge der Entscheidung des
Gesetzgebers in Art. 111 Abs. 4 FGGRG, die abgetrennten Versorgungsausgleichsverfahren als selbständige
Verfahren weiterzuführen.
Allerdings ist zu berücksichtigen, dass der Rechtsanwalt im Scheidungsverfahren bereits Gebühren aus dem Wert
des Versorgungsausgleichs verdient und abgerechnet hat. Diese Vergütung, soweit sie auf den
Versorgungsausgleich angefallen ist, muss sich der Rechtsanwalt anrechnen lassen, § 15 Abs. 2 S. 1 RVG. Nach §
21 Abs. 3 RVG handelt es sich bei der abgetrennten, nunmehr selbständigen Folgesache um eine Angelegenheit
(Borth, FamRZ 2010, 1210, 1211. Schneider, NJWSpezial 2008, 635).
Die Anrechnung unterbleibt nicht, auch wenn - wie hier - zwischen der Abtrennung und Aussetzung des Verfahrens
und der Wiederaufnahme ein Zeitraum von mehr als zwei Jahren liegt. Zwar werden gem. § 15 Abs. 5 S. 2 RVG
früher verdienter Gebühren nicht angerechnet, wenn der frühere Auftrag seit mehr als zwei Kalenderjahren erledigt
ist. Diese Vorschrift findet jedoch unmittelbar nur dann Anwendung, wenn einem Rechtsanwalt nach Erledigung
eines früheren Auftrags ein weiterer Auftrag erteilt worden ist (BGH NJW 2006, 1525). Dass hier der frühere Auftrag
des Rechtsanwalts erledigt worden ist, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Aufgrund der Aussetzung des
Verfahrens über den Versorgungsausgleich war zu erwarten, dass das Verfahren nach der Einkommensangleichung
i. S. v. § 1 VAÜG fortgesetzt werden würde. Eine Erledigung ist damit nicht eingetreten.
Zwar hat der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 11.08.2010 (XII ZB 60/08 juris) § 15 Abs. 5 S. 2 RVG analog
angewandt, soweit das ursprüngliche Verfahren durch einen gerichtlichen Vergleich abgeschlossen worden war und
später das Verfahren mit einem Streit über die Wirksamkeit des Vergleichs fortgesetzt worden ist. Hier liegen die
Voraussetzungen für eine solche analoge Anwendung jedoch nicht vor. Wesentlicher Grund für die analoge
Anwendung war, dass mit dem Abschluss des Vergleichs die Beteiligten davon ausgegangen waren, dass die
Angelegenheit ihren Abschluss gefunden habe. Der Anwalt brauchte nicht mehr damit zu rechnen, dass das
Verfahren fortgesetzt werden würde. Bei einer Aussetzung des Verfahrens nach § 2 VAÜG lag jedoch ein anderer
Sachverhalt vor. Es war damit zu rechnen, dass das Verfahren fortgesetzt wird, sei es, weil es zu einer
Einkommensangleichung kommt oder sei es, weil die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 Nr. 2 VAÜG vorlagen
(Rentenbezug).
Kommt es zu einer Abtrennung des Verfahrens, so steht dem Anwalt grundsätzlich ein Wahlrecht zu, ob er die
getrennte Abrechnung wählt oder die verbundene (OLG Düsseldorf FamRZ 2000, 1385. Schneider, NJWSpezial
2008, 635). Hier geht der Senat davon aus, dass der Beschwerdeführer die getrennte Abrechnung wählt, denn nur
dann errechnet sich ein weitergehender Gebührenanspruch (siehe unten).
Zutreffend hat der Rechtsanwalt mit Schriftsatz vom 13. April 2010 die für das abgetrennte Verfahren zur Regelung
des Versorgungsausgleichs entstandenen Gebühren (1,3 Verfahrensgebühr, 1,2 Terminsgebühr nach einem Wert
von 2.552 €, zzgl. Auslagenpauschale und 19 % Umsatzsteuer) mit insgesamt 586,08 € auf der Grundlage des RVG
berechnet.
Zwar wäre gem. § 61 RVG die BRAGO in der zum Zeitpunkt der Auftragserteilung bzw. Beiordnung geltenden
Fassung anzuwenden. Da hier der Anwalt mit Beschluss vom 4. November 2003 der Antragstellerin aufgrund der
PKHBewilligung beigeordnet worden ist, käme grundsätzlich die BRAGO zur Anwendung. Hier ist jedoch § 61 RVG
nicht anzuwenden. Nach Art. 111 Abs. 4 FGGRG soll auf das abgetrennte Verfahren das seit dem 1. September
2009 geltende Recht angewendet werden. Damit verdrängt Art. 111 FGGRG sämtliche in den Kostengesetzen
enthaltenen Dauerübergangsvorschriften (Keske, FPR 2010, 78, 79. Schneider AGS 2009, 517. Hartmann, KostenG,
2009, Vor § 1 FamGKG Rn 2).
Auf die Gebühren in Höhe von 568,08 € hat sich der Rechtsanwalt einen Betrag von 18,56 € aus dem ursprünglichen
Ehescheidungsverfahren anrechnen zu lassen. Hinsichtlich der Berechnung der Anrechnung der Gebühren aus dem
Vorverfahren schließt sich der Senat den Berechnungen von Schneider (AGS 2009, 517) an.
Im Ehescheidungsverfahren (AG Winsen (Luhe) 4 F 500/03) hatte der Anwalt seine Gebühren mit Schriftsatz vom
15. Februar 2005 (Bl. 93) wie folgt berechnet:
10/10 Prozessgebühr (Wert 8.131 €) 238,00 €
10/10 Verhandlungsgebühr (Wert 8.131 €) 238,00 €
10/10 Beweisgebühr (Wert 6.375 €) 230,00 €
Postpauschale, § 26 BRAGO 20,00 €
Zwischensumme 726,00 €
+ 16 % Umsatzsteuer 116,16 €
Summe 842,16 €
Das Familiengericht hatte in dem Scheidungsverfahren mit Beschluss vom 31. August 2008 den Streitwert für das
Verfahren auf 8.131 € festgesetzt. Davon entfielen auf die Ehescheidung 6.375 € und 1.756 € auf den
Versorgungsausgleich. Zur Ermittlung des Anrechnungsbetrages ist auszurechnen, welche Gebührenanteile auf die
Folgesache Versorgungsausgleich entfielen:
10/10 Prozessgebühr (Wert 8.131 €) 238,00 €
abzgl. 10/10 Prozessgebühr (Wert 6.375 €) 230,00 €
Differenz 8,00 € 8,00 €
10/10 Verhandlungsgebühr (Wert 8.131 €) 238,00 €
abzgl. 10/10 Verhandlungsgebühr (Wert 6.375 €) 230,00 €
Differenz 8,00 € 8,00 €
Zwischensumme 16,00 €
16 % Umsatzsteuer 2,56 €
Summe 18,56 €
Damit sind auf die im abgetrennten Versorgungsausgleichsverfahren verdienten Gebühren in Höhe von 586,08 €
18,56 € anzurechnen, sodass dem Rechtsanwalt nunmehr 567,52 € aus der Landeskasse zu erstatten sind. Soweit
der Rechtsanwalt mit der Beschwerde eine weitergehende Erstattung erstrebt, ist sein Rechtsmittel unbegründet.
Gem. § 56 Abs. 2 RVG werden Gerichtsgebühren für das Beschwerdeverfahren nicht erhoben.
Im Hinblick auf die Vielzahl von Fällen von abgetrennten Versorgungsausgleichsverfahren wäre eine grundsätzliche
Entscheidung des Bundesgerichtshofs wünschenswert. Gem. § 56 Abs. 2 S. 1 i. V. m. § 33 Abs. 4 S. 3 RVG ist
eine weitere Beschwerde bzw. Rechtsbeschwerde jedoch nicht zulässig (Gerold/Schmidt/ Mayer, RVG, 19. Aufl. §
33 Rn 19).
S. F. W.