Urteil des LSG Sachsen vom 15.11.2000

LSG Fss: diabetes mellitus, behinderung, fortbewegung, bluthochdruck, zuckerkrankheit, gleichstellung, akte, zustand, prothese, form

Sächsisches Landessozialgericht
Urteil vom 15.11.2000 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Chemnitz S 10 Vs 628/95
Sächsisches Landessozialgericht L 1 SB 1/97
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 27. November 1996 wird
zurückgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. III. Die Revision
wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" wegen einer außergewöhnlichen
Gehbehinderung.
Der am ... geborene Kläger beantragte erstmals am 08.02.1991 bei dem Beklagten, Feststellungen nach dem
Schwerbehindertengesetz zu treffen. Als Gesundheitsstörung gab er dabei die Amputation des rechten
Unterschenkels im Jahre 1958 mit Folgeschäden in Form einer schmerzhaften Überbelastung des linken Fußes und
Kniegelenkes, der Abnutzung der Hals- und Lendenwirbelsäule an sowie Bruch des linken Fußgelenkes im Jahre
1979, Diabetes mellitus und schmerzhafte Verletzung des linken Hüftgelenkes im Jahre 1981 mit
Abnutzungserscheinungen. Dem Beklagten lagen Krankenunterlagen des Rates des Kreises der Stadt G ... vor sowie
Krankenunterlagen des Bezirkskrankenhauses C ... Mit Bescheid vom 05.06.1991 stellte der Beklagte eine
Behinderung mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 80 und die gesundheitlichen Voraussetzungen für die
Vergabe des Merkzeichens "G" fest unter Berücksichtigung folgender Funktionsstörungen (dort wie auch im
Folgenden als "Behinderungen" bezeichnet): 1. Verlust des Beines im Unterschenkel rechts,
Bewegungseinschränkung der Hüftgelenke bds, 2. Funktionsbehinderung der Wirbelsäule mit Nerven- und
Muskelreizerscheinungen, 3. Zuckerkrankheit, 4. Bluthochdruck.
Hiergegen legte der Kläger am 12.07.1991 Widerspruch ein, mit dem er die Zuerkennung des Merkzeichens "aG"
begehrte. Mit Teilabhilfebescheid vom 21.08.1991 stellte der Beklagte unter Beibehaltung der ursprünglichen
Feststellungen ferner die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Vergabe des Merkzeichens "B" fest und wies mit
Widerspruchsbescheid vom 06.09.1991 den Widerspruch des Klägers hinsichtlich der Zuerkennung des Merkzeichens
"aG" zurück; der Kläger erfülle nicht die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Vergabe des Merkzeichens. Der
Bescheid wurde bestandskräftig.
Der Kläger beantragte am 15.10.1991 bei dem Beklagten die Zuerkennung der Merkzeichen "aG" und "RF" wegen
einer Gelenkverschlimmerung im Hüftbereich und der übrigen orthopädischen Erkrankungen. Nachdem der Beklagte
einen Befundbericht von Dr. J ... auf orthopädischem Fachgebiet beigezogen hatte, lehnte er mit ebenfalls
bestandskräftigem Bescheid vom 24.01.1992 den Antrag des Klägers ab.
Der Kläger beantragte am 25.01.1993 erneut die Zuerkennung des Merkzeichens "aG"; die Leiden im Bereich des
linken Beines sowie im Bereich der Wirbelsäule hätten sich verschlimmert. Der Beklagte zog einen Befundbericht von
Dr. J ... auf orthopädischem Fachgebiet bei und stellte mit Änderungsbescheid vom 02.11.1994 eine Behinderung mit
einem GdB von 80 sowie die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen "B" und "G" unter
Berücksichtigung folgender Funktionsstörungen fest: 1. Verlust des Beines rechts im Unterschenkel,
Bewegungseinschränkung des Hüftgelenkes bds., Bewegungseinschränkung des Schultergelenkes links, 2.
Funktionsbehinderung der Wirbelsäule mit Nerven- und Muskelreizerscheinungen, 3. Zuckerkrankheit, Bluthochdruck.
Die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" wurde abgelehnt.
Hiergegen hat der Kläger am 12.12.1994 wegen der Nichtzuerkennung des Merkzeichens "aG" Widerspruch eingelegt.
Der Beklagte zog nochmals einen Befundbericht von Dr. J ... auf orthopädischem Fachgebiet bei (Bl. 73 VA) und wies
mit Widerspruchsbescheid vom 19.06.1995 den Widerspruch des Klägers hinsichtlich der Zuerkennung des
Merkzeichens "aG" zurück.
Hiergegen hat der Kläger am 18. Juli 1995 Klage beim Sozialgericht Chemnitz (SG) erhoben, mit der er sein Begehren
weiterverfolgt hat.
Das SG hat zur Klärung des medizinischen Sachverhalts Befundberichte von Dr. J ... auf orthopädischem Fachgebiet
beigezogen und Beweis erhoben durch Einholung eines orthopädischen Gutachtens von Dr. Z ... Der Sachverständige
kommt auf der Grundlage der von ihm erhobenen Befunde zusammenfassend zu dem Ergebnis, dass das bei der
Untersuchung demonstrierte Gehvermögen des Klägers für die Beantwortung und Bewertung des Gehvermögens nicht
verwertbar sei. Der Kläger laufe hier schwerfällig, steifbeinig und vornübergeneigt. Aus dem freien Stand bewege er
sich nur zögernd fort. Bei der Funktionsuntersuchung sei keine grobe Funktionsstörung, insbesondere am geklagten
linken Hüftgelenk feststellbar. Das Gehvermögen läge erheblich über dem, was einem an beiden Oberschenkeln
Amputierten noch zugemutet werden könne. Der Kläger sei nicht mit dem durch das Merkzeichen "aG"
begünstigenden Personenkreis vergleichbar; auf das Gutachten im Übrigen (Bl. 72 ff. SG-Akte) wird Bezug
genommen.
Das SG hat auf mündliche Verhandlung mit Urteil vom 27.11.1996 die Klage abgewiesen. Der Kläger habe keinen
Anspruch darauf, dass der Beklagte bei ihm das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Erteilung
des Merkzeichens "aG" feststelle. Zur Begründung hat das SG sich im Wesentlichen auf das keine grobe
Funktionsstörung, insbesondere am beklagten linken Hüftgelenk feststellen können; der Unterschenkelstumpf rechts
sei grundsätzlich prothesenfähig. Nach den objektiven Untersuchungsbefunden sei eine Gehfähigkeit über 100 Meter
möglich. Der Kläger sei daher nicht dem Personenkreis gleichgestellt, der das Merkzeichen "aG" beanspruchen
könne.
Gegen das mit eingeschriebenem Brief vom 11.12.1996 zugestellte Urteil richtet sich die am 09.01.1997 eingelegte
Berufung, mit der der Kläger sein Begehren hinsichtlich der Zuerkennung des Merkzeichens "aG" weiterverfolgt.
Mit Änderungsbescheid vom 16.02.2000 hat der Beklagte eine Behinderung mit einem GdB von 100 unter
Berücksichtigung folgender Funktionsstörungen festgestellt: 1. Verlust des Beines im Unterschenkel rechts,
Bewegungseinschränkung des Hüftgelenkes beidseits, Bewegungseinschränkung des Schultergelenkes links, 2.
Funktionsbehinderung der Wirbelsäule mit Nerven- und Muskelreizerscheinungen, 3. Lungenfunktionsbeeinträchtigung,
4. Zuckerkrankheit, Bluthochdruck.
Der Kläger macht geltend, er benutze eine alte Prothese; neue Prothesen seien nie so hergerichtet worden, dass er
sie benutzen könne. Bei dem Kläger liege eine allgemeine Leistungsinsuffizienz vor. Auch seien bei der Vergabe des
Merkzeichens "aG" internistische Leiden zu berücksichtigen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 27.11.1996 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des
Bescheides vom 02.11.1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.06.1995 zu verurteilen, bei dem
Kläger die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Vergabe des Merkzeichens "aG" festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Insbesondere sei nicht nachvollziehbar, dass bei dem Kläger
kein moderner Prothesenstumpf angepasst werden könne.
Mit Beweisanordnung vom 03.11.1998 hat das Gericht Dr. G ... auf orthopädischem Fachgebiet zum
Sachverständigen ernannt. Der Sachverständige teilte sodann mit Schreiben vom Januar 1999 mit, dass der Kläger
aufgrund eines schlechten Allgemeinzustandes zur Untersuchung nicht habe kommen können, so dass sich die
Erstellung des Gutachtens verschiebe. Mit weiterem Schreiben vom April 1999 hat der Sachverständige die
Gutachtenunterlagen zurückgesandt, da der Kläger bei der Vorstellung aufgrund seines schlechten
Allgemeinzustandes beim Internisten habe vorgestellt werden müssen. Der Kläger sei sodann später nochmals
angerufen worden, wobei er mitteilte, er fühle sich nicht in der Lage, in den nächsten sechs bis acht Wochen zu einem
Gutachtentermin zu erscheinen. Dr. G ... teilte weiter mit, dass die massive Leistungsinsuffizienz des Klägers wohl
nicht durch internistische Erkrankungen erklärt werden könne und dass nach der Aktenlage die orthopädischen
Befunde für die Anerkennung des Merkzeichens "aG" schwerlich ausreichen würden, so dass er empfehle, das
Verfahren generell ruhen zu lassen.
Dem Gericht lagen ferner vom Kläger eingereichte Krankenunterlagen von Dr. T ... auf internistischem Fachgebiet vor.
Mit Beschluss vom 19.05.1999 wurde das Ruhen des Verfahrens angeordnet. Der Kläger hat am 14.12.1999 das
Verfahren unter Vorlage von Krankenunterlagen des Klinikums C ... wieder aufgerufen. Der sodann zuständige 1.
Senat des LSG hat Befundberichte von Dr. W ... auf internistischem Fachgebiet und von Dr. H ... ebenfalls auf
internistischem Fachgebiet beigezogen; auf die Befundberichte (Bl. 114 f.; 119 LSG-Akte) wird Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakten aus beiden Rechtszügen und
die Schwerbehindertenakte Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 151 SGG) ist zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet.
Mit Recht hat das SG die Klage abgewiesen. Der Bescheid vom 02.11.1994 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 19.06.1995 in der Fassung des Bescheides vom 16.02.2000, der gemäß §§ 153 Abs.
1, 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden ist, ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in
seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG). Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung der gesundheitlichen
Voraussetzungen für die Vergabe des Merkzeichens "aG".
Nach dem Schwerbehindertenrecht hat das Versorgungsamt die Voraussetzungen für diesen Nachteilsausgleich
festzustellen und das Merkzeichen "aG" in den Schwerbehindertenausweis einzutragen (§ 4 Abs. 4 des "Gesetzes zur
Sicherung der Eingliederung Schwerbehinderter in Arbeit, Beruf und Gesellschaft [Schwerbehindertengesetz -
SchwbG]" in der Fassung der Bekanntmachung vom 26.08.1986 [BGBl. I S. 1421, ber. S. 1550], § 3 Abs. 1 Nr. 1
Schwerbehindertenausweisverordnung - SchwbAwV -). Dieses Merkzeichen berechtigt den Behinderten, bei der
Teilnahme am Straßenverkehr bestimmte Vergünstigungen in Anspruch zu nehmen; diese Vergünstigungen sind in §
46 StVO und der dazu ergangenen Verwaltungsvorschrift (VV) vom 22.07.1976 in der Fassung vom 19.03.1992 (BAnz
1992, 2285) näher geregelt und konkretisiert. Der Ausweis mit dem Merkzeichen "aG" befreit den Behinderten von
Beschränkungen des Haltens und Parkens im Straßenverkehr und eröffnet ihm besonders gekennzeichnete
Parkmöglichkeiten.
Der unbestimmte Rechtsbegriff der außergewöhnlichen Gehbehinderung ergibt sich indes nicht aus dem
Schwerbehindertenrecht unmittelbar, sondern aus § 6 Abs. 1 Nr. 14 StVG, auf den § 3 Abs. 1 Nr. 1 SchwbvAwV
verweist, in Verbindung mit Nr. 11, II 1 der genannten VV zu § 46 StVO. Danach ist außergewöhnlich gehbehindert,
wer sich wegen der Schwere seines Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb
seines Kraftfahrzeuges bewegen kann.
Zu diesem begünstigten Personenkreis zählen zunächst Querschnittsgelähmte, Doppeloberschenkelamputierte,
Doppelunterschenkelamputierte, Hüftexartikulierte und einseitig Oberschenkelamputierte, die dauernd außerstande
sind, ein Kunstbein zu tragen, oder nur eine Beckenkorbprothese tragen können oder zugleich unterschenkel- oder
armamputiert sind. Bei diesem Personenkreis liegen vornehmlich Schädigungen der unteren Extremitäten in einem
erheblichen Ausmaß vor, die bewirken, dass Beine und Füße die ihnen zukommende Funktion der Fortbewegung nicht
oder nur unter besonderen Erschwernissen erfüllen.
Zu diesem im Einzelnen angesprochenen Personenkreis gehört der Kläger indes nicht.
Neben den vorstehend beispielhaft aufgeführten Behinderungen zählen zum berechtigten Personenkreis nach der
Verwaltungsvorschrift zu § 46 StVO aber auch diejenigen Behinderten, die nach versorgungsärztlicher Feststellung
aufgrund von Erkrankungen dem vorstehend angeführten Personenkreis gleichzustellen sind.
Für eine Gleichstellung mit dem in den allgemeinen Verwaltungsvorschriften im einzelnen genannten Personenkreis
kommt es dabei nicht entscheidend auf die vergleichbare allgemeine Schwere der Leiden an, sondern allein darauf,
dass die Auswirkungen funktionell gleich zu achten sind. Der Leidenszustand muss also ebenfalls wegen einer
außergewöhnlichen Behinderung beim Gehen die Fortbewegung auf das Schwerste einschränken (BSG SozR 3870 §
3 SchwbG Nr. 18, Nr. 28; Urteil des BSG vom 13.12.1994 - Az.: 9 RVs 3/94 -). Dabei ist zu beachten, dass der
Begriff der "außergewöhnlichen Gehbehinderung" rechtstechnisch einen unbestimmten Rechtsbegriff darstellt, der als
normatives Tatbestandsmerkmal durch eine entsprechende Wertung auszufüllen ist. Dabei beinhaltet die vorgenannte
Verwaltungsvorschrift zu § 46 StVO eine Auslegungshilfe dieses unbestimmten Rechtsbegriffs für die Verwaltung. Im
Streitfall obliegt es jedoch letztendlich den Gerichten, das normative Tatbestandsmerkmal der "außergewöhnlichen
Gehbehinderung" inhaltlich zu füllen. Die vorgenannte Verwaltungsvorschrift als wichtiges Hilfsmittel heranzuziehen,
da sie den unbestimmten Rechtsbegriff insoweit präzisiert und auch Eingang in die "Anhaltspunkte für die ärztliche
Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz", Ziff. 31, gefunden hat.
Um das normative Tatbestandsmerkmal der "außergewöhnlichen Gehbehinderung" inhaltlich ausfüllen zu können, hat
der Senat im Rahmen der vorzunehmenden Bewertung der Ermittlungen die medizinischen Sachverhalte zugrunde zu
legen. Auf der Grundlage der beigezogenen Krankenunterlagen und Befundberichte steht indes zur Überzeugung des
Senats fest, dass der Kläger dem in der Verwaltungsvorschrift zu § 46 StVO aufgeführten Personenkreis nicht
gleichgestellt werden kann und mithin die medizinischen Voraussetzungen für die Vergabe des Merkzeichens "aG"
nicht erfüllt.
Die bei dem Kläger unstreitig auf orthopädischem Fachgebiet vorliegende Behinderung führt nicht dazu, dass eine
Fortbewegung auf das Schwerste im vorgenannten Sinne eingeschränkt ist, was aber für eine Vergleichbarkeit mit der
genannten Personengruppe erforderlich wäre. Dies steht zur Überzeugung des Senats nach dem Ergebnis der vom
SG durchgeführten Beweisaufnahme fest:
Der Sachverständige führt auf der Grundlage der von ihm erhobenen Befunde aus, dass bei dem Kläger am
Bewegungssystem folgende Störungen vorlägen: Zustand nach alter Unterschenkelamputation rechts von 1958 mit
grundsätzlich prothesenfähigem mittellangem Stumpf; beginnender Hüftgelenksaufbrauch beidseits mit
Hüftkopfeinmauerung; beginnender Gelenkaufbrauch am rechten Ellenbogengelenk; Anzeichen der wenig
ausgeprägten Ischialgie links durch Degeneration im Lendenwirbelsäulenbereich ohne neurologische Ausfälle. Ferner
lägen auf internistischem Gebiet Zuckerkrankheit und früher Bluthochdruck vor. Der Sachverständige führt in
Beantwortung der Beweisfragen zur Wegstrecke weiter aus, dass das bei der Untersuchung demonstrierte
Gehvermögen für die Beantwortung und Bewertung des Gehvermögens nicht verwertbar sei. Der Kläger laufe hier
schwerfällig, steifbeinig und vornübergeneigt; aus dem freien Stand bewege er sich nur zögernd fort. Bei der
Funktionsuntersuchung sei keine grobe Funktionsstörung, insbesondere am beklagten linken Hüftgelenk, feststellbar
gewesen. Der Unterschenkelstumpf rechts sei grundsätzlich prothesenfähig. Die vorhandene Prothese sei alt und
ziemlich verbraucht. Nach den objektiven Untersuchungsbefunden sei eine Gehfähigkeit über 100 Meter möglich.
Fremde Hilfe sei dazu nicht erforderlich. Der körperliche Zustand sei insgesamt als befriedigend einzuschätzen, so
dass die Gehleistung auch keine übermäßige Anstrengung erfordere. Das Gehvermögen liege erheblich über dem,
was einem an beiden Oberschenkeln Amputierten noch zugemutet werden könne. Der Kläger sei nicht vergleichbar
gehbehindert wie die für das Merkzeichen "aG" genannten Geschädigten.
Der Senat schließt sich den Ausführungen des Sachverständigen an. Das Gutachten ist in der Erhebung der Befunde,
in der würdigenden Bewertung der Vorgeschichte und der bereits erhobenen Befunde sowie in der Beantwortung der
Beweisfragen sorgfältig und sachkundig erstellt und somit überzeugend. Danach hat der Kläger keinen Anspruch auf
Zuerkennung des Merkzeichens "aG" wegen der bei ihm vorliegenden orthopädischen Leiden.
Dem Schwerbehinderten mit außergewöhnlicher Gehbehinderung soll ermöglicht werden, mit einem Kraftfahrzeug
möglichst nahe an das jeweilige Ziel zu fahren; das Merkzeichen "aG" ermöglicht dem Schwerbehinderten, in
Fußgängerzonen zu parken, Parkzeiten zu überschreiten, oder ohne Gebühr zu parken. Um diesem Gesetzesauftrag
gerecht zu werden, müssen ortsnahe Parkplätze etwa in der Nähe von Behörden, Krankenhäuser oder anderen
öffentlichen Gebäuden, aber auch vor Wohnungen oder in der Nähe der Arbeitsstätten der Behinderten eingerichtet
werden, wenn in zumutbarer Entfernung eine Garage oder ein Abstellplatz außerhalb des öffentlichen Verkehrsraumes
nicht vorhanden ist. Denn nur so kann gewährleistet werden, dass dem Zweck des Nachteilsausgleichs, nämlich die
neben der Benutzung des Kfz unausweichlich anfallenden tatsächlichen Wegstrecken soweit wie möglich zu
verkürzen, genügt wird. Dies hat nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Folge, dass der berechtigte
Personenkreis für das Merkzeichen "aG" eng zu fassen ist. Denn öffentlicher Parkraum kann nicht beliebig vermehrt
werden, so dass mit einer Ausweitung des berechtigten Personenkreises letztlich dem gesamten Personenkreis
wieder deutlich längere Wegstrecken zugemutet werden müssten, weil insoweit öffentlicher Parkraum, der dem
Merkzeichen "aG" genügt, nicht beliebig geschaffen werden kann (vgl. BSG, Urteil vom 13.12.1994, Az.: 9 RVs 3/94;
Urteil vom 17.12.1997, Az.: 9 RVs 16/96).
Die von dem Sachverständigen mitgeteilten orthopädischen Befunde rechtfertigen eine entsprechende Gleichstellung
mit der oben genannten Zielsetzung mit dem Personenkreis, der für die Vergabe des Merkzeichens "aG" wegen des
bei ihm vorliegenden Krankheitsbildes und der damit einhergehenden funktionellen Auswirkungen auf die Gehfähigkeit
in Betracht kommt, nicht. Insbesondere teilt der Senat die Einschätzung des Sachverständigen, dass die mitgeteilten
Funktionswerte eine Vergleichbarkeit nicht zu begründen vermögen. Insoweit betragen die von dem Sachverständigen
gemessenen Werte nach der Neutral-Null-Methode im Hüftgelenksbereich bei der Extension/Flexion rechts 0/10/115-
Grad und links 0/10/100-Grad. Werte eines gesunden Hüftgelenkes betragen insoweit 10/0/130-Grad (vgl. Ziff. 8 der
Anhaltspunkte, S. 15). Bei diesen mitgeteilten Befunden ist auch unter Berücksichtigung, dass im rechten Hüftgelenk
bei der Rotation eine Streckung in Außendrehstellung vorliegt und eine Eindrehung nur bis Mittelstellung möglich ist,
für den erkennenden Senat die Schlussfolgerung des Sachverständigen nachvollziehbar, dass der Kläger mit dem aus
der Straßenverkehrsvorschrift zu § 46 StVO genannten Personenkreis hinsichtlich der funktionellen Schwere der
Fortbewegung nicht gleichgestellt werden kann.
Auch die sich aus den beigezogenen Unterlagen im Berufungsverfahren ergebende allgemeine Leistungsinsuffizienz
ist als solche nicht geeignet, die Vergabe des Merkzeichens "aG" zu rechtfertigen. Zwar kann nach Ziff. 31 Abs. 4 der
Anhaltspunkte auch eine Erkrankung der inneren Organe eine Gleichstellung rechtfertigen; hierzu zählen aber
Herzschäden mit schweren Dekompensationserscheinungen oder Ruheinsuffizienz sowie Krankheiten der
Atmungsorgane mit Einschränkung der Lungenfunktion schweren Grades. Nach dem vorliegenden Krankenbericht des
Klinikums Chemnitz wird dort die initial beklagte Leistungsinsuffizienz des Klägers am ehesten auf die deutlich
hyperglykämische Stoffwechsellage zurückgeführt. Diese Stoffwechselstörung entspricht indes nicht der in den
Anhaltspunkten maßgeblichen internistischen Erkrankung des Herzens oder der Lunge, welche einer Vergabe des
Merkzeichens "aG" zu rechtfertigen vermag.
Unabhängig davon liegt bei dem Kläger auch keine entsprechende Leistungseinschränkung des Herzens vor, welche
bei der Prüfung des Merkzeichens "aG" zu berücksichtigen wäre. Denn - wie ausgeführt - sind hierfür Herzschäden
mit schweren Dekompensationserscheinungen oder Ruheinsuffizienz erforderlich. Nach Ziff. 26.9 der Anhaltspunkte
(S. 88) zählen hierzu aber Leistungseinschränkungen des Herzens mit gelegentlich auftretenden vorübergehenden
schweren Dekompensationserscheinungen, die für sich ein Teil-GdB von 80 bedingen oder Herzschäden mit
Leistungsbeeinträchtigung bereits in Ruhe (Ruheinsuffizienz), welche für sich bereits einen Teil-GdB zwischen 90 bis
100 bedingen. Solche Herzschädigungen sind aus den vorliegenden Krankenunterlagen nicht ersichtlich. Insbesondere
wird im Krankenbericht des Klinikums C ... vom Mai 1999 (Bl. 90 LSG-Akte) mitgeteilt, dass bei einem EKG ein
normo frequenter SR vorliege. Aus dem Bericht insgesamt lässt sich nicht entnehmen, dass bei dem Kläger eine
Herzschädigung in dem vorgenannten, schweren Ausmaß vorliegt.
Schließlich kann - entgegen der Ansicht des Klägers - auch die bei ihm vorliegende Lungenfunktionseinschränkung
nicht die Vergabe des Merkzeichens "aG" rechtfertigen. Nach Ziff. 31 Abs. 4 der Anhaltspunkte (S. 168) ist hierfür
nämlich eine Einschränkung der Lungenfunktion schweren Grades i. S. d. Ziff. 26.8 der Anhaltspunkte (S. 83)
erforderlich. Eine solche dauernde Einschränkung der Lungenfunktion schweren Grades misst sich daran, dass
Atemnot bereits bei leichtester Belastung oder in Ruhe vorliegt bzw. die statischen und dynamischen Messwerte der
Lungenfunktionsprüfung um mehr als 2/3 niedriger als die Sollwerte liegen und damit ein Teil-GdB zwischen 80 bis
100 gerechtfertigt ist. Nach dem vom Senat beigezogenen Befundbericht von Dr. W ... und den dabei übersandten
Lungenfunktionswerten beträgt die forcierte Vitalkapazität (FVC) 48,9 % des Sollwertes und die Vitalkapazität (VC)
44,6 bzw. 47,2 % des Sollwertes. Diese Werte erreichen damit noch nicht das Maß der nach den Anhaltspunkten
maßgeblichen Erniedrigung des Sollwertes von mehr als 2/3 (d. h. weniger als 33 % des Sollwertes), so dass eine
dauernde Einschränkung der Lungenfunktion schweren Grades, welche die Vergabe des Merkzeichens "aG"
rechtfertigen könnte, nicht zu bejahen ist. Hieran ändert auch nichts die Einschätzung von Dr. H ... in ihrem
Befundbericht, wonach aufgrund von weiteren Erkrankungen eine Gleichstellung mit dem begünstigten Personenkreis
für das Merkzeichen "aG" gerechtfertigt ist; denn Dr. H ... begründet insoweit ihre Einschätzung mit der Luftnot und
der Belastungsinsuffizienz, die - wie ausgeführt - aber gerade nicht geeignet sind, auf der Grundlage der
Anhaltspunkte die Vergabe des begehrten Merkzeichens zu rechtfertigen.
Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.