Urteil des LSG Sachsen vom 19.09.2001

LSG Fss: anspruch auf bewilligung, erwerbsfähigkeit, neurotische fehlentwicklung, rente, arbeitsmarkt, berufsunfähigkeit, erwerbsunfähigkeit, gesundheitszustand, tarifvertrag, akkordarbeit

Sächsisches Landessozialgericht
Urteil vom 19.09.2001 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Chemnitz S 9 RJ 494/98
Sächsisches Landessozialgericht L 4 RA 255/99
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 31. August 1999 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht
zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.
Der am ... geborene Kläger erlernte bis 1965 den Beruf eines Malers, den er bis zu seiner Armeezeit ausübte. Nach
der Armeezeit war er zunächst als Lager- und Transportarbeiter, dann Kranfahrer, Farbspritzer und
Betriebshandwerker tätig. Von 14.08.1978 bis 14.09.1982 war er Rangierleiter bei der R ..., anschließend Hausmeister
und Gärtner, dann Produktionsarbeiter. Ab 24.05.1986 war er wieder als Rangierleiter bei der B ... tätig, ab April 1992
dann als Blockwärter.
Mit einer am 08.09.1978 bestandenen Prüfung erlangte der Kläger die Befähigung zum Rangierarbeiter und
Schrankenwärter im Bahnhof B ... Nach einem Lehrgang vom 27.02. bis 23.12.1980 bestand der Kläger die Prüfung
zum Rangierleiter. Am 03.06.1981 wurde ihm die Befähigung eines Zugführers für die Begleitung der Züge nach und
von allen Anschlußbahnen des Bahnhofs sowie zwischen B ... und L ... bzw. V ...- ... zuerkannt.
Im März 1994 beantragte der Kläger eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Der Antrag wurde mit Bescheid
vom 02.09.1994 abgelehnt. Den hiergegen eingelegten Einspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom
03.04.1995 zurück. Die zunächst erhobene Klage nahm der Kläger in der mündlichen Verhandlung des Sozialgerichts
Chemnitz vom 28.11.1996 zurück. Bereits während des Klageverfahrens war der Kläger mit Ablauf des 31.07.1995
aus dem Beschäftigungsverhältnis mit einer übertarifvertraglichen Abfindung ausgeschieden.
Am 14.04.1997 beantragte der Kläger erneut die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Die
Beklagte wertete ein Gutachten des Medizinischen Dienstes der R ... vom 21.01.1994, einen Bericht des
Krankenhauses D ... vom 25.08.1994, weitere Berichte des Medizinischen Dienstes der R ... vom 28.10.1994 und
24.01.1995 aus. Die Beurteilungen gingen aus von einem Zustand nach Perforation eines Sigmavertikels mit
Sigmaresektion und Ileumteilresektion, Zustand nach passagerer Coecostomie, Zustand nach Appendektomie,
chologene Diahrroe, Analekzem.
Im Auftrag der Beklagte erstellte am 19.08.1997 der Chefarzt Prof. Dr. P ... des Krankenhauses D ..., Medizinische
Klinik, ein Gutachten über den Kläger. Er führte aus, dass endoskopisch und histologisch kein Anhalt für einen
Morbus Crohn bestünde. Im Vordergrund der klinischen Beschwerden stünden starke krampfartige Bauchschmerzen
und durchfällige Stühle. Die auffälligen organischen Befunde seien vergleichsweise nur geringgradig ausgeprägt. Auch
unter der Berücksichtigung von zwei abdominalen Operationen werde die Erwerbsfähigkeit nicht gemindert. Am 25.06.
und 29.09. erstattete die Allgemeinmedizinerin Dr. K ... ein sozialmedizinisches Gutachten. Sie kam zu dem
Ergebnis, dass die Erwerbsfähigkeit um 30 % gemindert sei. Der Kläger könne leichte bis gelegentlich mittelschwere
Arbeiten vollschichtig verrichten. Seinen Beruf als Blockwärter und die Verweisungstätigkeit als Materialausgeber
könne der Kläger vollschichtig ausüben.
Mit Bescheid vom 05.12.1997 wies die Beklagte den Rentenantrag ab. Der Kläger sei weder berufs- noch
erwerbsunfähig im Sinne der §§ 43 und 44 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI). Er könne als
Blockwärter bzw. als Materialausgeber vollschichtig tätig sein.
Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein. Er ließ vortragen, dass er nicht mehr in der Lage sei, eine Arbeit auf dem
allgemeinen Arbeitsmarkt auszuüben. Ursächlich hierfür sei das bekannte Darmleiden. Der Widerspruchsführer leide
an ständigen Durchfällen und ständiger Schwäche. Er sei in seinem ganzen Wesen geschwächt und verlangsamt, so
dass er keiner regelmäßigen Arbeit nachgehen könne. Den Widerspruch wies die Beklagte nach Anhörung des B
...arztes mit Bescheid vom 25.06.1998 zurück. Der Kläger sei nicht berufsunfähig und auch nicht erwerbsunfähig. Der
Gesundheitszustand sei gründlich und umfassend geprüft worden. Nach dem Ergebnis der ärztlichen Untersuchungen
könnten leichte bis gelegentlich mittelschwere Arbeiten vollschichtig verrichtet werden. Damit könne der Beruf als
Blockwärter vollschichtig ausgeübt werden.
Hiergegen richtet sich die am 23.06.1998 beim Sozialgericht Chemnitz (SG) erhobene Klage, mit der das Ziel der
Rentengewährung weiterverfolgt wird. Das SG holte Befundberichte bei der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie
Dr. Sch ..., dem Praktischen Arzt DM Kr ..., der Internistin Dr. M ... sowie ein Arbeitsamtsgutachten vom 29.08.1995
ein. In einer Arbeitgeberauskunft vom 10.11.1998 teilte die D ... B ... mit, dass der Kläger von Mai 1986 bis Ende
März 1992 als Rangierleiter und danach bis 31.07.1994 als Blockwärter tätig gewesen sei. Zu seinen Aufgaben hätte
die Bedienung einer Schranke (elektrischer Antrieb), Beteiligung am Zugmeldeverfahren, Zugbeobachtung,
Fahrkartenverkauf und Gleisbildtischbedienung gehört. Die Arbeiten seien als leicht einzustufen. Die Tätigkeit sei
nach Gruppe 4 des Entgelttarifvertrages bewertet gewesen.
Das SG holte weiter ein Gutachten der Psychiaterin und Neurologin Dr. H ... ein, das am 29.04.1999 erstattet wurde.
Die Gutachterin kam zu folgenden Diagnosen: - psychovegetativ-psychosomatisches Syndrom, depressiv
ausgestaltet im Rahmen einer neurotischen Entwicklung, - degeneratives Halswirbelsäulensyndrom mit nachweisbarer
Schädigung des Nervus medianus und Nervus ulnaris beidseits, - Kombinationskopfschmerz, - Nikotinmissbrauch, -
Zustand nach operativer Behandlung von Perforationen und Sigmadivertikeln mit Sigmaresektion und Ileumresektion,
- chologene Diarrhoe, - Analekzem, - Oseophagitis I, - Nephrolithiasis (anamnestisch), - Hypertriglyceridämie, -
Verdacht auf Nahrungsmittelallergie. Bei dem Kläger zeige sich ein über Jahre sich hinziehendes Beschwerdebild. Die
Qualität der somatischen Beschwerden ergebe sich aus den erhobenen neurologischen und psychopathologischen
Befunden sowie den begleitenden technisch-diagnostischen Untersuchungsbefunden. Die körperlichen Defizite seien
von den Vorgutachtern als lediglich qualitativ einschränkend beschrieben worden. Bei dem vorliegenden
psychopathologischen Geschehen handele es sich um eine Störung, die vom sekundären Krankheitsgewinn
unterhalten werde. Ein echter Leidensdruck werde typischerweise nicht beschrieben. Anstelle des Leidensdrucks finde
sich aber Chronizität. Die in den früheren nervenärztlichen Untersuchungen festgestellte hypochondrische Neurose mit
depressiven Anteilen könne bestätigt werden. Es liege damit eine erhebliche somatoforme Störung vor. Eine Neurose
hätte aber nur Krankheitswert, wenn bewiesen werden könne, dass die krankheitbedingten Hemmnisse willentlich
nicht überwindbar seien. Aus dem Sozialbericht und der Vorgeschichte des Klägers gehe hervor, dass dieser in seiner
Freizeit und in seinem Alltag wesentlich nicht eingeschränkt sei. Es sei deshalb auf dem allgemeinen Leistungsmarkt
von einem Leistungsrest auszugehen, der durchaus qualitative Einschränkungen, aber wenig quantitative
Einschränkungen zulasse. Damit könne der Kläger leichte, gelegentlich mittelschwere körperliche Arbeiten
vollschichtig verrichten. Akkordarbeit und Nachtarbeit seien zu vermeiden, ebenfalls Zwangshaltungen für die
Wirbelsäule. Seit der letzten Untersuchung im Rentenverfahren habe sich der Gesundheitszustand keinesfalls
verschlechtert. Es sei eine gewisse Besserung eingetreten. Die Auffälligkeiten besäßen nur einen geringen
sozialmedizinischen Krankheitswert. Der Kläger könne als Blockwärter und als Pförtner vollschichtig tätig sein. Die
therapeutischen Möglichkeiten seien keinesfalls ausgeschöpft. Die Durchführung eines psychosomatischen
Heilverfahrens wäre von Vorteil. Voraussetzung sei allerdings, dass der Kläger motiviert mitarbeite. Er solle möglichst
rasch in den Arbeitsprozess wieder eingegliedert werden. Die zur Überwindung der Gesundheitsbeeinträchtigungen
notwendige Willensanspannung sei dem Kläger zumutbar. Er benötige hierzu jedoch ärztliche Hilfe. Die Wegefähigkeit
sei nicht beeinträchtigt. Das SG hat die Klage mit Urteil vom 31.08.1999 abgewiesen. Nach § 43 Abs. 2 SGB VI sei
ein Versicherter berufsunfähig, wenn seine Erwerbsfähigkeit infolge Krankheit oder anderer Gebrechen oder
Schwächen seine körperlichen und geistigen Kräfte auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich oder
seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten gesunken
sei. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit eines Versicherten zu beurteilen sei, umfasse alle
Tätigkeiten, die seinen Kräften und Fähigkeiten entsprächen und die ihm unter Berücksichtigung der Dauer und des
Umfangs seiner Ausbildung sowie seines bisherigen Berufes unter den besonderen Anforderungen seiner bisherigen
Berufstätigkeit zugemutet werden könnten. Für die Frage, welche Tätigkeiten einem Versicherten zuzumuten seien,
habe das Bundessozialgericht (BSG) ein Schema entwickelt, nach dem die Arbeiterberufe in mehrere nach ihrer
Qualität hierarchisch geordneten Gruppen aufzugliedern seien. Unterste Gruppe sei die der Ungelernten, dann folge
die Gruppe mit dem Leitberuf des Angelernten und dann die Gruppe des gelernten Facharbeiters. Darüber stehe die
Gruppe des Vorarbeiters mit Vorgesetztenfunktion (BSG in SozR 2200 § 1246 RVO Nrn. 132 und 137). Als
zumutbaren beruflichen Abstieg lasse das BSG einen Abstieg in die nächst niedrigere Gruppe zu.
Beruf des Klägers sei der Beruf eines Blockwärters. Diesen Beruf könne der Kläger nicht mehr verrichten. Nach dem
Gutachten der Sachverständigen Dr. H ... könne der Kläger leichte und mittelschwere körperliche Arbeiten in
wechselnder Körperhaltung im Freien und in geschlossenen Räumen verrichten. Wegen beginnender
Halswirbelsäulenveränderungen sollten Zwangshaltungen für die Wirbelsäule und Überkopfarbeiten vermieden werden.
Wegen der Schlafstörungen sei Nachtarbeit ungünstig und Akkordarbeit ebenfalls. Die Leistungseinschätzung der
Sachverständigen sei überzeugend und aufgrund der von ihr erhobenen und verwendeten Befunde auch
nachvollziehbar. Auch wenn nach den Ergebnissen im Vorverfahren der Kläger nicht mehr als Blockwärter tätig sein
könne, sei nach Überzeugung der Kammer eine solche Möglichkeit doch anzunehmen. Der Kläger sei außerdem in
der Lage, die Tätigkeit eines Pförtners vollschichtig zu verrichten. Diese Tätigkeit seien nach der berufskundlichen
Auskunft des Landesarbeitsarbeitsamtes S ... vom 13.08.1996 zuzumuten. Aufgabe sei das Überwachen des
Personenverkehrs in Eingangshallen oder aus Pförtnerlogen von Betrieben, Behörden oder Krankenhäusern, das
Überprüfen von Ausweisen, das Anmelden von Besuchern, das Ausfüllen von Besucherzetteln und das Weiterleiten
von Besuchern an die zu besuchenden Stellen oder Personen innerhalb des Betriebs, der Behörde oder des
Krankenhauses. Der als Pförtner tätige Mitarbeiter müsse geistig wendig sein, über eine gute Auffassungsgabe und -
fähigkeit verfügen und sich sprachlich ausdrücken können, um mit dem Publikum richtig umgehen zu können. Die
Tätigkeit sei leichte körperliche Arbeit im Wechsel zwischen Gehen, Stehen und Sitzen und werde überwiegend in
geschlossenen Räumen ausgeübt. Sie werde entlohnt zum Beispiel nach dem Lohn- und Gehaltstarif des Groß- und
Außenhandels 1998 in der Lohngruppe II. Nach dem Entgelttarifvertrag der D ... B ... werde die Tätigkeit des
Blockwärters in der Entgeltgruppe 4 und damit Berufsgruppe der angelernten Arbeitnehmer im oberen Bereich
zugeordnet. Damit sei die Tätigkeit eines Pförtners zumutbar, kein zu großer Abstieg. Die Aufgaben entsprächen auch
dem aus dem Gutachten ersichtlichen Leistungsvermögen des Klägers. Spezifische gesundheitliche
Leistungseinschränkungen lägen nicht vor, so dass dem Kläger der Arbeitsmarkt auch nicht verschlossen sei.
Berufsunfähigkeit läge nicht vor. Die Lage auf dem Arbeitsmarkt sei nach § 43 Abs. 2 SGB VI nicht zu beachten. Da
Berufsunfähigkeit nicht vorliege, seien auch die weit strengeren Voraussetzungen der Erwerbsunfähigkeit nach § 44
SGB VI nicht erfüllt.
Gegen das am 09.09.1999 zugestellte Urteil richtet sich die am 06.10.1999 zum Sächsischen Landessozialgericht
(LSG) eingelegte Berufung des Klägers. Das Restleistungsvermögen des Klägers sei nicht richtig eingeschätzt.
Klärungsbedürftig sei die Frage, ob bei dem Kläger eine chronisch-entzündliche Darmerkrankung (Morbus Crohn)
vorliege. Wegen der Durchfallsymptomatik sei der Kläger nicht in der Lage, einer auch nur leichten Tätigkeit
nachzugehen. Die ständigen Schmerzen hätten sich auch auf die Psyche des Klägers ausgewirkt. Die neurotische
Fehlentwicklung und erhebliche somatoforme Störung könne nicht aufgrund eigener Willensanstrengung überwunden
werden. Weiterhin sei die Tätigkeit eines Blockwärters der Berufsgruppe der Facharbeiter zuzuordnen. Die Vergütung
der Entgeltgruppe IV des Lohntarifvertrages vom 01.07.1991 entspreche der eines qualifizierten Facharbeiters. Dies
ergebe sich aus dem vorgelegten Tarifvertrag. Daraus lasse sich auch entnehmen, dass Rangierarbeiter mit
abgeschlossener Verwendungsfortbildung zum Rangierleiter dieser Gruppe zugehörten. Der Kläger habe neben der
Verwendungsfortbildung zum Rangierleiter auch die weiterführende Ausbildung zum Blockwärter absolviert.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des SG Chemnitz vom 31.08.1999 sowie den Bescheid der Beklagten vom 05.12.1997 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 15.06.1998 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger ab 14.04.1997 eine
Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, hilfsweise Berufsunfähigkeit zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Dem Kläger sei es wohl nicht mehr möglich, den Beruf eines Blockwärters auszuüben. Er könne jedoch auf
Tätigkeiten eines Pförtners oder eines Vervielfältigers verwiesen werden. Die Entlohnung dieser Arbeiten entspreche
der Entlohnung von Angelernten. Bei beiden Tätigkeiten bestünde grundsätzlich die Möglichkeit, mehrfach kleine
Pausen einzulegen. Der Kläger sei nicht als Facharbeiter einzuordnen. Er habe nur eine einjährige Ausbildung
absolviert. Die Ausbildung zum Rangierleiter sei als Teilfachausbildung anzusehen. Für die Tätigkeit eines
Vervielfältigers ist auf die vorgelegte Arbeitsplatzbeschreibung vom Januar 1995 verwiesen. Vorgelegt ist weiter ein
Auszug aus dem Entgelttarifvertrag, der zum 01.01.1994 in Kraft getreten ist, sowie die Arbeitsplatzbeschreibung
eines Blockwärters.
Der Senat hat einen Befundbericht der behandelnden Ärztin Dr. M ... und Entlassungsberichte des
Kreiskrankenhauses O ... beigezogen sowie auf Antrag des Klägers (§ 109 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) ein
nervenärztliches Gutachten eingeholt, das der Nervenarzt Dr. St ..., Chefarzt der Klinik C ... in Ch ... am 03.02.2001
erstattet hat. Der Gutachter kam unter Würdigung der früheren Befunde nach eigener Untersuchung und
testpsychologischer Diagnostik zu folgenden Diagnosen:
- neurasthenisches Syndrom (ICD 10: F 48.0) auf der Grundlage einer Somatisierungsstörung (ICD 10: F 45.0) bei
neuroti scher Fehlentwicklung und fixierter Krankheitshaltung, - degenerative Veränderungen der Halswirbelsäule mit
nachweisbarer Schädigung des Nervus medianus und Nervus ulnaris beid seits (mitgeteilt), -
Kombinationskopfschmerz (mitgeteilt), - Zustand nach chirurgischer Intervention nach Sigmaperforation mit coloilealer
Fistel (1991); Divertikulose (mitgeteilt).
Das Beschwerdebild des Klägers sei in den Rahmen einer neurotischen Störung einzuordnen. Die bestehenden
Darmbeschwerden seien zum Teil auf organische Ursachen zurückzuführen, würden jedoch durch psychische
Faktoren beeinflusst und in ihrerer Relevanz für den Betroffenen modifiziert. Auf psychischem Gebiet liege eine
Gesundheitsstörung vor, die den Einsatz des Versicherten in Erwerbstätigkeiten limitiere. Auswirkungen habe auch
die Arbeitsmarktlage. Die objektiv bestehenden Schwierigkeiten bei Vermittlung in eine Arbeitsstelle stabilisierten
nicht unwesentlich das chronische Krankheitsverhalten und höhlten das brüchige Selbstwertgefühl des Probanden
aus. Es sei weiterhin von einem erheblichen sekundären Krankheitsgewinn auszugehen. Psychisch bedingt sei die
Leistungsfähigkeit durch ein vermindertes Konzentrations- und Reaktionsvermögen eingeschränkt. Auf
psychiatrischem und psychotherapeutischem Fachgebiet habe sich der Zustand des Klägers nicht verändert. Wegen
der Einschränkungen im Konzentrations- und Reaktionsvermögen sei eine Tätigkeit als Blockwärter nicht mehr
realistisch. Insgesamt erschienen Tätigkeiten mit erhöhter Verantwortung für Menschen bzw. Sachwerte als
ungeeignet. Der Kläger könne leichte bis gelegentlich mittelschwere körperliche Arbeiten im Freien und in
geschlossenen Räumen ohne erhöhte Anforderungen an das psychophysische Leistungsvermögen vollschichtig
ausführen. Auszuschließen seien Überkopfarbeiten, schweres Heben und Tragen, Arbeiten im Akkord und an
bewegten Maschinen. Geeignet erscheine eine abwechslungsreiche Beschäftigung teils im Sitzen, Stehen und Gehen
ohne anhaltende statische Momente sowie mit der Möglichkeit zusätzlicher Pausen von ca. 10 min alle zwei Stunden.
Die Wegefähigkeit sei nicht eingeschränkt. Die Fragen nach bestehenden Einschränkungen könnten wie folgt
beantwortet werden: - Leistungsmotivation: keine, - Merk- und Konzentrationsfähigkeit: weniger gut ausgeprägt =
unterdurchschnittlich bis durchschnittlich, - Verantwortungsbewusstsein und Gewissenhaftigkeit: gut ausge
prägt/genau = durchschnittlich, - Selbständigkeit des Denkens und Handelns: verlangsamt/weniger gut ausgeprägt =
unterdurchschnittlich und durchschnittlich, - Unterscheidungs- und Beurteilungsvermögen: gut ausgeprägt =
durchschnittlich, - Reaktionsvermögen und Umstellfähigkeit: durchschnittlich, - praktische Anstelligkeit und Findigkeit:
gut ausgeprägt = durchschnittlich, - Ausdauer: ausreichend ausgeprägt = noch durchschnittlich, -
Anpassungsfähigkeit an den technischen Wandel: unterdurch schnittlich bis durchschnittlich, hier zur
Berücksichtigung: Einschränkungen im figuralen Bereich.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Akten aus beiden Rechtszügen sowie auf die beigezogene
Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte und zulässige Berufung, §§ 144, 151, 153 SGG erweist sich als unbegründet. Der Kläger ist durch die
bisherigen Entscheidungen nicht in seinen Rechten verletzt. Er hat keinen Anspruch auf Rente wegen
Berufsunfähigkeit (BU) oder Erwerbsunfähigkeit (EU).
Maßstab der Beurteilung sind die §§ 43, 44 SGB VI in der bis zum 31.12.2000 geltenden Fassung, da es um einen
Leistungsfall von 1997 geht.
BU liegt nach § 43 SGB VI vor, wenn die Erwerbsfähigkeit von Versicherten wegen Krankheit oder Behinderung auf
weniger als die Hälfte derjenigen von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung
und gleichwertigen Kenntnissen und Fertigkeiten gesunken ist. Die Beurteilung, wie weit die Erwerbsfähigkeit eines
Versicherten gesunken ist, wird danach getroffen, welchen Verdienst er aus einer Erwerbstätigkeit erzielen kann, auf
die er nach seinem Berufswerdegang und nach seinem Gesundheitszustand zumutbar verwiesen werden kann
(Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 28.02.1963 - 12 RJ 24/58 - SozR Nr. 24 zu § 1246 RVO).
Den Beruf eines Blockwärters kann der Kläger nicht mehr ausüben. Aufgrund seiner Konzentrationsstörungen kann
nicht gewährleistet werden, dass er während einer vollen Schicht die dauernde Konzentration aufbringt, um laufend
Fahrtwege von Zügen zu verfolgen, Weichen zu öffnen und zu schließen und Züge zu melden. Die Verantwortung für
das Leben und die Gesundheit der Zuginsassen und die wertvolle Technik kann ihm nicht mehr übertragen werden.
Dies bedeutet aber nicht, dass der Kläger berufsunfähig wäre. Vielmehr sind Verweisungstätigkeiten für ihn
vorhanden. Wesentlich für die Frage, auf welche Tätigkeiten der Kläger verwiesen werden kann, ist die Wertigkeit
seines bisherigen Berufs. Die Überprüfung der hierzu vorgelegten Unterlagen ergibt, dass für den Kläger nicht, wie
ursprünglich angenommen, das für Arbeiter entwickelte Schema gilt. Die Bediensteten der B ... sind in dem für den
Kläger betreffenden Bereich den Angestellten zuzurechnen. Es ist also das in Anlehnung an die Rechtsprechung im
Arbeiterbereich entwickelte Schema zu nutzen.
Zur Frage, welche Tätigkeiten einem Versicherten zugemutet werden können, hat das BSG ein Mehr-Stufen-Schema
entwickelt, nach welchem, in Anlehnung an das für die Arbeiterrentenversicherung, die Angestelltentätigkeiten in
ungelernte Angestelltentätigkeiten, Tätigkeit mit einer Ausbildung bis zu zwei Jahren und Tätigkeit mit einer längeren
Ausbildung (durchschnittlich drei Jahre) eingeteilt sind (vgl. BSGE 48, 203 ff., BSG SozR § 1246 RVO Nr. 103).
Jeder Angestellte kann, wenn es um zumutbare Verweisungstätigkeiten geht, jeweils auf Tätigkeiten verwiesen
werden, die eine Stufe tiefer einzuordnen sind, als es dem bisherigen Beruf entspricht. Ein Angestellter mit beruflicher
Ausbildung kann demnach auf Anlerntätigkeiten, ein angelernter Angestellter auf ungelernte Tätigkeiten verwiesen
werden usw.
Der Beruf eines Blockwärters ist der Stufe eines angelernten Angestellten im mittleren bis oberen Bereich
zuzuordnen. Der Kläger hat zwar eine Berufsausbildung. Diese hat mit der Tätigkeit bei der B ... jedoch nichts zu tun.
Eine Ausbildung zum Reichsbahnfacharbeiter oder im Verkehrsdienst hat er nicht absolviert. Er hat vielmehr nur an
Kursen teilgenommen, ist demgemäß für seine Aufgabe als Rangierleiter angelernt worden. Diese Kurse umfassten
nicht ganz ein Jahr. Die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Blockwärter setzt weiterhin nicht die Ausbildung zum
Rangierleiter voraus. Aus dem übergebenen Verzeichnis der Entgeltgruppen ist zu entnehmen, dass in die Stufe E 4
Blockwärter und Rangierer eingruppiert sind. Der Rangierleiter gehört somit zu einer höheren Gruppe, kann damit nicht
Voraussetzung für die Tätigkeit als Blockwärter sein. Die Tätigkeit als Blockwärter und die vorherige als Rangierleiter
können nicht in die Gruppe der Facharbeiter eingereiht werden. Der Kläger hat keine reguläre Ausbildung mit einer
Dauer von über 2 Jahren oder eine gleichgestellte Ausbildung als Reichsbahnarbeiter durchlaufen. Er hat vielmehr nur
Kurse absolviert, die dem Anlernen dienten, hat die Berechtigungen zur Ausübung der Tätigkeit auch nur für den
näheren Bereich des Bahnhofes B ...- ... erworben.
Die Ausführungen des Prozessbevollmächtigten des Klägers zur tariflichen Eingruppierung gehen fehl. Die von ihm
vorgelegten Unterlagen gehören zu dem Tarifvertrag, der ab 01.01.1991 gültig war. Er ist mit Inkrafttreten des
Entgelttarifvertrages zum 01.01.1994 außer Kraft getreten.
Eine Verweisung des Klägers ist auf die Tätigkeit als Vervielfältiger möglich. Nach der vorgelegten
Tätigkeitsbeschreibung ist Aufgabe die Herstellung von Lichtpausen, Fotokopien, einfarbigen Vervielfältigungen und
sonstigen Vervielfältigungserzeugnissen einschließlich der Weiterbearbeitung, Wartung und Pflege der Maschinen,
Verwaltung und Beschaffung der Vervielfältigungsmaterialien, Aufbewahren und Lagern der Arbeitsmaterialien und
Vervielfältigen mit Lichtpaustechniken. Es handelt sich hierbei um leichte körperliche Arbeiten in geschlossenen und
temperierten Räumen. Die Tätigkeit wird im Wechsel von Gehen, Stehen und Sitzen ausgeübt. Die zu bedienenden
Maschinen sind nicht gefahrgeneigt. Es ist nur eine durchschnittliche allgemeine Auffassungsgabe und Lernfähigkeit
sowie durchschnittliche Hand- und Fingergeschicklichkeit erforderlich. Gefordert wird eine gute
Wahrnehmungsgenauigkeit, die bei dem durchschnittlichen Verantwortungsbewusstsein, Beurteilungsvermögen und
der durchschnittlichen Anstelligkeit anzunehmen ist. Eine entsprechende Tätigkeit ist im Tarifvertrag der D ...- ... B ...
in Entgeltgruppe 3 aufgeführt. Im Manteltarifvertrag des Bundes sind Vervielfältiger in die dortige Lohngruppe II
eingruppiert. Im Manteltarifvertrag der Arbeiter der Länder erfolgt Eingruppierung in Lohngruppe IIa. Im BAT sind
Verfielfältiger in Vergütungsgruppe X genannt. Da die Tätigkeiten in den Tarifverträgen ausdrücklich genannt sind, ist
davon auszugehen, dass sie in genügender Menge auf dem Arbeitsmarkt vorhanden sind. Die Tätigkeit erlaubt es
dem Beschäftigten auch in gewissem Umfang, seine Arbeitszeit so einzuteilen, dass er immer wieder kurze Pausen
einlegen kann. Die geforderten zusätzlichen Pausen sind damit in der Regel möglich.
Da für den Kläger demgemäß ein Verweisungsberuf zur Verfügung steht, ist er nicht berufsunfähig im Sinne des § 43
Abs. 2 SGB VI a.F. Ihm steht daher kein Anspruch auf Bewilligung einer Berufsunfähigkeitsrente zu. Da der Kläger
nicht berufsunfähig ist, erfüllt er erst recht nicht die strengeren Voraussetzungen für den Erhalt einer Rente wegen
Erwerbsunfähigkeit nach § 44 SGB VI a.F.
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach § 43 SGB VI der nun
gültigen Fassung, da er vollschichtig tätig sein kann, er damit mehr als sechs Stunden täglich einer Erwerbstätigkeit
nachgehen kann. Aus all diesen Gründen war daher die Berufung zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG. Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor, § 160
Abs. 2 SGG.