Urteil des LSG Sachsen vom 26.11.2009
LSG Fss: rücklage, eigentumswohnung, verwaltung, kostenverteilung, nebenkosten, anteil, vermögensbildung, verwalter, mehrheit, beitrag
Sächsisches Landessozialgericht
Urteil vom 26.11.2009 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Chemnitz S 20 AS 2704/07
Sächsisches Landessozialgericht L 7 AS 219/08
I. Die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Chemnitz vom 14. April 2008 wird
zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens und des
Beschwerdeverfahrens zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte und Berufungsklägerin (im Folgenden: Beklagte) dem Kläger und
Berufungsbeklagten (im Folgenden: Kläger) für Dezember 2007 höhere Leistungen nach dem Zweiten Buch des
Sozialgesetzbuches (SGB II) zu zahlen hat. Streitig ist insbesondere, ob die Instandhaltungsrücklage, die im
Hausgeld enthalten ist, das der Kläger für seine Eigentumswohnung an die Wohnungseigentümergemeinschaft, der er
angehört, zu zahlen hat, im Rahmen der "angemessenen Kosten der Unterkunft" von der Beklagten zu zahlen sind
oder nicht.
Der Kläger bewohnt als Alleineigentümer eine 72,29 m² große, in einer Wohnungseigentumsanlage gelegene
Wohnung. Das hierfür von ihm an den Verwalter zu entrichtende Wohngeld betrug im Zeitraum von Juni 2007 bis Mai
2008 monatlich 97,00 EUR zuzüglich des auf die Wohnung entfallenden Anteiles an der Instandhaltungsrücklage i. H.
v. 18,00 EUR monatlich.
Mit Bescheid vom 18.06.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.12.2007 bewilligte die Beklagte dem
Kläger unter Berücksichtigung von Zinseinnahmen Leistungen nach dem SGB II für Dezember 2007 i. H. v. 145,20
EUR. Die Kosten der Unterkunft wurden mit 98,20 EUR angesetzt.
Hiergegen hat der Kläger am 27.07.2007 Klage erhoben, in erster Linie, weil die Beklagte im Dezember 2007
voraussichtliche Zinseinkünfte berücksichtigt hatte.
Im Laufe des sozialgerichtlichen Verfahrens setzte die Beklagte die Leistungen für Dezember 2007 mit
Änderungsbescheid vom 15.01.2008 auf 227,95 EUR herauf; die angesetzten Kosten der Unterkunft blieben
unverändert.
Der Kläger hat bemängelt, dass nicht alle Kosten der Unterkunft übernommen worden seien, jedenfalls nicht Kosten
für Warmwasserbereitung i. H. v. monatlich 6,53 EUR und nicht die Instandhaltungsrücklage i. H. v. monatlich 18,00
EUR. Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, die Instandhaltungsrücklage stelle keine angemessene tatsächliche
Aufwendung im Sinne des § 22 SGB II dar, denn hieraus könnten auch wertsteigernde Erneuerungsmaßnahmen
finanziert werden, die nicht mehr Bedarfsdeckung, sondern – von der Beklagten nicht zu finanzierende –
Vermögensbildung darstellten. Es seien von ihr lediglich Leistungen für erforderliche Erhaltungsmaßnahmen zu
erbringen. Bei der Zahlung von abstrakten Kosten wie der Instandhaltungsrücklage handele es sich um keinen
konkreten Bedarf. Wenn man diese Rücklage als Bedarf von Wohnungseigentümern anerkenne, so führe dies zu einer
Ungleichbehandlung im Verhältnis zu Hauseigentümern, bei denen nur bei konkretem Bedarf die Kosten für
Erhaltungsaufwand zu übernehmen seien.
Das Sozialgericht hat die Beklagte mit Gerichtsbescheid vom 14.04.2008 verurteilt, dem Kläger für Dezember 2007
weitere 10,24 EUR zu zahlen und hat die Klage im Übrigen abgewiesen. Zur Begründung hat es – soweit es die noch
streitige Frage betrifft – ausgeführt, der Kläger könne sich der Zahlung der Instandhaltungsrücklage, die auf für ihn
bindenden Beschlüssen der Wohnungseigentumsgemeinschaft beruhe, nicht entziehen, so dass diese Rücklagen zu
den Kosten der Unterkunft zählten. Eine Ungleichbehandlung zwischen Hauseigentümern einerseits und
Wohnungseigentümern andererseits sei nicht gegeben. Würde die Rücklage im Fall des Klägers nicht berücksichtigt,
stehe er schlechter als ein Hauseigentümer, da die tatsächliche Durchführung von Instandhaltungsmaßnahmen
deswegen nicht zu einer entsprechenden Kostenübernahme durch die Beklagte führen würde, weil diese Kosten von
der Wohneigentumsgemeinschaft getragen werden würden. Die Berufung hat das Sozialgericht nicht zugelassen.
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten hat der Senat mit Beschluss vom 09.09.2008 die Berufung
zugelassen.
Zur Begründung der Berufung wiederholt die Beklagte im Wesentlichen ihr Vorbringen im erstinstanzlichen Verfahren.
Die Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Chemnitz vom 14.04.2008 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er trägt vor, im Gegensatz zu Hauseigentümern seien Wohnungseigentümer gesetzlich dazu verpflichtet, eine
angemessene Rücklage zu bilden. Ein einzelner Eigentümer habe unter keinen Umständen Zugriff auf diese gebildete
Rücklage. Eine private Vermögensbildung aus Steuermitteln sei also nicht möglich.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens wird auf den Inhalt der Gerichtsakten in
beiden Rechtszügen und die Leistungsakten der Beklagten (2 Bände) verwiesen. Sie sind Gegenstand der mündlichen
Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die vom Senat zugelassene Berufung der Beklagten (§§ 143, 144 Abs. 1 Satz 2, 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz –
SGG –) ist unbegründet.
Das Sozialgericht hat die Beklagte zu Recht verpflichtet, dem Kläger zusätzlich zu den bisher gewährten Kosten der
Unterkunft auch die von ihm an die Wohnungseigentümergemeinschaft zu zahlende Instandhaltungsrücklage zu
zahlen.
Der von einem Wohnungseigentümer laut Beschluss der Wohnungseigentümergemeinschaft regelmäßig zu zahlende
Anteil an der Instandhaltungsrücklage gehört dem Grunde nach zu den angemessenen tatsächlichen Aufwendungen
für die Kosten der Unterkunft i. S. d. § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II.
Gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen
Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Für Grundsicherungsempfänger, die in einer Mietwohnung
leben, gehören zu diesen tatsächlichen Aufwendungen auch diejenigen Nebenkosten, die mietvertraglich
unausweichlich sind und denen nicht das Element der Freiwilligkeit innewohnt (vgl. BSG, Urteil vom 19.02.2009 – B 4
AS 48/08 R – Rn. 18). Dazu gehören insbesondere Nebenkosten, die unter § 2 der Betriebskostenverordnung fallen
und daher vom Vermieter auf den Mieter umgelegt werden können, so dass eine mietvertragliche Verpflichtung zur
Zahlung besteht. Denn nur die Aufwendungen, die mit der Unterkunft rechtlich und tatsächlich verknüpft sind, sind
auch als Leistungen nach § 22 SGB II zu erbringen (vgl. BSG, a. a. O., Rn. 19 m. w. N.).
Eine entsprechende rechtliche und tatsächliche Verknüpfung mit der Unterkunft besteht auch bei der vom Kläger zu
zahlenden Instandhaltungsrücklage. Denn gemäß § 16 Abs. 2 des Gesetzes über das Wohnungseigentum und das
Dauerwohnrecht – Wohnungseigentumsgesetz – (WEG) ist jeder Wohnungseigentümer den anderen
Wohnungseigentümern gegenüber verpflichtet, die Lasten des gemeinschaftlichen Eigentums sowie die Kosten der
Instandhaltung, Instandsetzung, sonstigen Verwaltung und eines gemeinschaftlichen Gebrauchs des
gemeinschaftlichen Eigentums nach dem Verhältnis seines Anteils zu tragen. Eine davon abweichende Regelung
kann nur unter den Voraussetzungen des Absatzes 4 jener Vorschrift getroffen werden. Danach können die
Wohnungseigentümer nur im Einzelfall (u. a.) zur Instandhaltung oder Instandsetzung im Sinne des § 21 Abs. 5 Nr. 2
WEG durch Beschluss die Kostenverteilung anders regeln, wenn der abweichende Maßstab dem Gebrauch oder der
Möglichkeit des Gebrauchs durch die Wohnungseigentümer Rechnung trägt; der Beschluss zur Regelung einer
derartigen Kostenverteilung bedarf einer Mehrheit von drei Viertel aller stimmberechtigten Wohnungseigentümer und
mehr als der Hälfte aller Miteigentumsanteile. Zu einer ordnungsmäßigen, dem Interesse der Gesamtheit der
Wohnungseigentümer entsprechenden Verwaltung (durch einen Verwalter oder durch die Wohnungseigentümer selbst)
gehört zudem gemäß § 21 Abs. 5 WEG insbesondere die ordnungsmäßige Instandhaltung und Instandsetzung des
gemeinschaftlichen Eigentums (Nr. 2) und die Ansammlung einer angemessenen Instandhaltungsrückstellung (Nr. 4).
Aufgrund dieser gesetzlichen Regelungen besteht für den einzelnen Wohnungseigentümer keine Möglichkeit, den
Anfall oder auch nur seinen Beitrag zur Instandhaltungsrückstellung zu verhindern oder sonst zu vermeiden.
Im Unterschied zu Hauseigentümern hat ein Wohnungseigentümer – hier: monatlich – tatsächliche Aufwendungen in
der seinem Anteil am Gemeinschaftseigentum entsprechenden Höhe, ohne dass damit ein aktueller Instandhaltungs-
oder Instandsetzungsaufwand verbunden ist. Anders als bei einem Wohnungseigentümer einer
Wohnungseigentümergemeinschaft besteht für private Eigentümer eines Eigenheims keine rechtliche Verpflichtung
zur Rücklagenbildung. Hingegen können bei einem selbstgenutzten Hausgrundstück die während des
Leistungsbezuges tatsächlich getätigten Aufwendungen für eine Instandsetzung und Instandhaltung – soweit diese
nicht zu einer Verbesserung des Standards führen und angemessen sind – als Kosten der Unterkunft nach § 22 Abs.
1 Satz 1 SGB II geltend gemacht werden (vgl. BSG, Urteil vom 03.03.2009 – B 4 AS 38/08 R – Rn. 17, Juris).
Diese tatsächlichen und rechtlichen Unterschiede bei der Bewertung einer vom Wohnungseigentümer mit dem
Hausgeld zu entrichtenden Instandhaltungsrücklage einerseits und einer im Wesentlichen freiwilligen
Instandhaltungspauschale privater Eigenheimbesitzer andererseits können die Grundsicherungsträger bei der
Berücksichtigung der tatsächlichen Aufwendungen nach § 22 Abs. 1 SGB II nicht außer Acht lassen. Allerdings ist
jeweils im Einzelfall zu prüfen, ob die konkrete Instandhaltungsrücklage für die von einem Leistungsempfänger
bewohnte Eigentumswohnung auch der Höhe nach angemessen ist.
Vorliegend hat die Beklagte nicht geltend gemacht, dass die vom Kläger monatlich, also auch im Dezember 2007, zu
entrichtende Rücklage unangemessen hoch wäre. Dies ist auch für den Senat sonst nicht ersichtlich, so dass die
Berufung der Beklagten keinen Erfolg hat.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keine Zulassungsgründe i. S. d. § 160 Abs. 2 SGG vorliegen. Insbesondere
ergibt sich die Beantwortung der hier noch streitigen Rechtsfrage auch ohne explizite Entscheidung des
Bundessozialgerichts aus der bisher ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung.