Urteil des LSG Sachsen vom 22.11.2001
LSG Fss: nebenberufliche tätigkeit, rücknahme der klage, verwaltungsakt, arbeitsamt, beweislast, mitteilungspflicht, handelsvertreter, merkblatt, auskunft, rechtswidrigkeit
Sächsisches Landessozialgericht
Urteil vom 22.11.2001 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Chemnitz S 6 AL 618/97
Sächsisches Landessozialgericht L 3 AL 34/00
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 25. November 1999 insoweit
abgeändert, als es die Beklagte verpflichtet hat, den Bescheid vom 11. Oktober 1993 für die Zeit ab 22. April 1993 bis
02. Mai 1993 zurückzunehmen. Die Klage wird auch insoweit abgewiesen. Im Übrigen wird die Berufung der Beklagten
zurückgewiesen. II. Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen. III. Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht
zu erstatten. IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Überprüfung der Aufhebung der Bewilligung und Rückforderung von Arbeitslosengeld
(Alg) im Zeitraum vom 01. April 1993 bis 07. August 1993.
Der am ... geborene, geschiedene Kläger war nach einer selbständigen Tätigkeit im Versicherungsgewerbe vom 01.
Oktober 1992 bis 31. Januar 1993 als Kundenberater der S ... K ... tätig.
Er beantragte am 01.02.93 bei der Beklagten die Zahlung von Alg und verneinte im Antragsformular die Ausübung
einer selbständigen Tätigkeit sowie einer Nebenbeschäftigung. Er unterschrieb dabei folgende Erklärung:
" ... Mir ist bekannt, dass ich dem Arbeitsamt sofort alle Veränderungen anzuzeigen habe, die gegenüber den in
diesem Antrag angegebenen Verhältnissen eintreten. Das Merkblatt für Arbeitslose, in dem auf die
Mitteilungspflichten hingewiesen ist, habe ich erhalten und von seinem Inhalt Kenntnis genommen."
Die Beklagte bewilligte ihm ab 01. Februar 1993 Alg, zuletzt i. H. v. 253,80 DM wöchentlich ausgehend von einem
Bemessungsentgelt i. H. v. 590,00 DM und der der Lohnsteuerklasse I entsprechenden Leistungsgruppe A
(Bewilligungsbescheid vom 21. Mai 1993, Dynamisierungsbescheid vom 05. Juli 1993, Bescheid vom 25. September
1993).
Der Kläger nahm zum 09.08.93 eine Tätigkeit bei einer Baufirma auf. Die Beklagte stellte die Zahlung von Alg ein.
Nach anonymem Hinweis stellte die Beklagte fest, der Kläger sei vom 01. April 1993 bis 08. Juli 1993 als
Handelsvertreter bei der Agentur B ... selbständig tätig gewesen und habe entsprechend einer Arbeitsbescheinigung
einen Provisionsvorschuss i. H. v. 2.000,00 DM erhalten.
Mit Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 11. Oktober 1993 hob die Beklagte die Entscheidung über die
Bewilligung von Alg ab 01. April 1993 gemäß § 48 SGB X auf. Für die von der Aufhebung betroffenen Zeiten (01.04.93
- 07.08.93) habe der Kläger Leistungen in Höhe von 4.320,90 DM ohne Rechtsgrund erhalten.
Außerdem habe er für den Zeitraum vom 01. April 1993 bis 07. August 1993 die an die zuständige Krankenkasse
entrichteten Beiträge i. H. v. 1.204,74 DM zu erstatten (Bescheid vom 18. November 1993).
Gegen den Erstattungsbescheid vom 18. November 1993 legte der Kläger am 01. Dezember 1993 Widerspruch ein. Er
habe erst zum 09. August 1993 eine Arbeit aufgenommen. Die Beklagte wies den Widerspruch mit
Widerspruchsbescheid vom 20. Juni 1994 zurück.
Dagegen hat der Kläger am 24. August 1994 Klage beim Sozialgericht Chemnitz erhoben. Ermittlungen der Beklagten
während des Klageverfahrens bei der Agentur B ... GmbH blieben ohne Erfolg. Betriebliche Unterlagen konnten nicht
beigezogen werden. Das Verfahren (S 6 Al 877/94) endete durch Rücknahme der Klage. In der mündlichen
Verhandlung am 07. August 1996 hat der Kläger vorgetragen, nach einer Einarbeitungszeit von vier Wochen,
beginnend ab 03. Mai 1993, in der er Schulungen besuchte und an Einweisungsgesprächen bei Firmenkunden
teilnahm, habe ihm Herr B ... die Aufnahme einer Tätigkeit angeboten. Einen schriftlichen Vertrag über diese Tätigkeit
habe er nicht erhalten. Zum 08. Juli 1993 habe Herr B ... eine "Kündigung" ausgesprochen.
Der Kläger beantragte am 07. August 1996 eine Überprüfung des Bescheides vom 11. Oktober 1993 über die
Aufhebung der Bewilligung des Alg und Erstattung ab 01. April 1993 gemäß § 44 SGB X.
Mit Bescheid vom 15. November 1996 lehnte die Beklagte die Rücknahme des Erstattungsbescheides vom 11.
Oktober 1993 ab. Der Kläger sei in dem maßgebenden Zeitraum wöchentlich mehr als kurzfristig beschäftigt und
somit nicht arbeitslos gewesen.
Dagegen legte der Kläger am 11. Dezember 1996 Widerspruch ein. Er habe ohne vertragliche Grundlage und
Vereinbarung eines Stundenlohnes Vorbereitungshandlungen zur Aufnahme einer Beschäftigung ausgeführt.
Mit Widerspruchsbescheid vom 20. Juni 1997 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Die
tatsächlichen Umstände seien zutreffend gewürdigt und zugrunde gelegt worden. Der Kläger habe in dem
streitgegenständlichem Zeitraum in einem mehr als kurzzeitigen Beschäftigungsverhältnis gestanden. Dabei sei es
ohne Bedeutung, ob die Anzahl der zu leistenden Stunden vorgegeben war, ob Arbeitsentgelt gezahlt wurde, etc ...
Gegen den am 23. Juni 1997 zugestellten Widerspruchsbescheid hat der Kläger am 15. Juli 1997 Klage beim
Sozialgericht Chemnitz erhoben. Die Tätigkeit für die Agentur B ... sei aufgrund der tatsächlichen Umstände und
persönlichen Notlage als nebenberufliche Tätigkeit zu werten.
Das Gericht hat eine schriftliche Auskunft von Frau S ... K ..., Leiterin der Niederlassung der Agentur B ... GmbH in C
..., eingeholt, die eine Vermittlungstätigkeit des Klägers vom 24. April 1993 bis 31. Mai 1993, schätzungsweise im
zeitlichen Umfang von 3-4 Stunden von montags bis donnerstags, bestätigt hat.
Der Kläger hat sich dieser Auskunft angeschlossen.
Das Sozialgericht hat die Beklagte am 25. November 1999 unter Abänderung des Bescheides vom 15. November
1996 und des Widerspruchsbescheides vom 20. Juni 1997 verurteilt, den Bescheid vom 11. Oktober 1993 für den
Zeitraum vom 01. April 1993 bis 02. Mai 1993 zurückzunehmen und im Übrigen die Klage abgewiesen. Eine mehr als
kurzzeitige Tätigkeit habe erst ab 03. Mai 1993 vorgelegen. Die Angaben des Arbeitgebers und von Frau K ... seien
bezüglich des Zeitpunktes der Arbeitsaufnahme widersprüchlich. Der Kläger sei nach eigenen Angaben erst ab 03.
Mai 1993 mindestens 31 Stunden wöchentlich (16 Stunden Schulung, 15 Stunden Einarbeitung) tätig gewesen.
Gegen das am 23. Januar 2000 zugestellte Urteil hat der Kläger am 18. Februar 2000 Berufung beim Sächsischen
Landessozialgericht eingelegt. Er habe eine nebenberufliche Tätigkeit aufnehmen wollen. Zeitweise habe er sich auch
deshalb im Büro des Arbeitgebers aufgehalten, weil seine Lebenspartnerin ihm den Zugang zur Wohnung verwehrt
habe. Die Angaben von Herrn B ... seien nicht glaubwürdig. Er habe einen "Betrug" gegenüber seinen Mitarbeitern
begangen und sei rechtskräftig verurteilt worden. Dagegen habe Frau K ... sowohl den Zeitraum als auch den
wöchentlichen Stundenumfang zutreffend wiedergegeben. Er habe den sogenannten "Provisionsvorschuss" als
Gegenleistung für 16 Arbeitsstunden wöchentlich sowie als Aufwandsentschädigung erhalten.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 25. November 1999 in vollem Umfang und den Bescheid der Beklagten
vom 15. November 1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20. Juni 1997 aufzuheben und die
Beklagte zu verpflichten, den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 11. Oktober 1993 zurückzunehmen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 25. November 1999 zu ändern und festzustellen, dass der Kläger von
Beginn der Beschäftigung bei der Agentur B ... am 01. April 1993 nicht arbeitslos war und keinen Anspruch auf
Arbeitslosengeld hat.
Die Beklagte hat am 11. Mai 2000 Anschlussberufung eingelegt und zur Begründung wie folgt vorgetragen: Kurzzeitig
im Sinne des § 101 Abs. 1 AFG sei im Jahr 1993 eine Beschäftigung gewesen, die auf weniger als 18 Stunden
wöchentlich der Natur der Sache nach beschränkt oder im Voraus durch einen Arbeitsvertrag beschränkt gewesen sei.
Eine Beschäftigung sei nicht kurzfristig, soweit die wöchentliche Arbeitszeit zusammen mit der für die Ausübung
erforderlichen Vor- und Nacharbeit die Arbeitskraft des Beschäftigten in der Regel mindestens 18 Stunden wöchentlich
in Anspruch nimmt, § 102 Abs. 2 Nr. 1 AFG. Der Kläger habe nach seiner Aussage vom 07. August 1996 ab 03. Mai
1993 wöchentlich mindestens 31 Stunden für die Agentur B ... GmbH gearbeitet. Dabei sei auch die Zeit für die
Schulungen mit zu berücksichtigen. Frau K ... habe in ihrer Stellungnahme äußerst nur schätzungsweise angegeben.
Diese Angaben seien als Beweismittel ungeeignet. Unabhängig von den widersprüchlichen Angaben des Klägers und
von Frau K ... ergebe sich aber aus der Arbeitsbescheinigung, die Urkundenwert besitze, dass der Kläger bereits ab
01. April 1993 mehr als kurzzeitig für die Agentur B ... beschäftigt gewesen sei. Er habe für den Zeitraum ab 01. April
1993 eine Provision erhalten, deren Zahlung ohne Gegenleistung realitätsfern erscheine.
Das Gericht hat in der mündlichen Verhandlung am 20.08.2001 die Zeugin G ... und am 22. November 2001 die
Zeugen K ... und Z ... zu dem Beweisthema "Einarbeitung und Tätigkeit des Klägers bei und für die Agentur B ...
GmbH im Frühjahr 1993" vernommen. Auf die Aussagen (Bl. 65-66, 110-112 LSG-Akte) wird Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachvortrages der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug
genommen.
Die Leistungsakte der Beklagten (Stamm-Nr.: 073A130190) und die Gerichtsakten (S 6 AL 877/94, S 6 AL 618/97, L 3
AL 34/00) haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung, Beratung und Entscheidung.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers ist zulässig, aber unbegründet. Die Anschlussberufung der Beklagten ist zulässig und
teilweise begründet.
Zu Unrecht hat das Sozialgericht die Beklagte verpflichtet, den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 11.
Oktober 1993 für den Zeitraum vom 01. April 1993 bis 02. Mai 1993 zurückzu- Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB
X) analog verpflichtet, diesen Bescheid für den Zeitraum vom 01. April 1993 bis 21. April 1993 zurückzunehmen. Die
Aufhebung der Bewilligung und Erstattung des Alg sind darüberhinaus nicht im Rahmen des Überprüfungsverfahrens
zurückzunehmen.
Die Voraussetzungen des § 44 Abs. 1 S. 1 SGB X analog liegen für den Zeitraum vom 01. April 1993 bis 21. April
1993 vor.
Nach § 44 Abs. 1 S. 1 SGB X ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, zurückzunehmen,
soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von
einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu
Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind. Hier wurden weder Sozialleistungen zu Unrecht
nicht erbracht noch Beiträge zu Unrecht erhoben. Die Beklagte hat vielmehr einen als rechtswidrig erkannten
Bewilligungsbescheid nach § 48 SGB X aufgehoben und zugleich die Erstattung von bereits gezahltem Alg gem. § 50
SGB X angeordnet. § 44 Abs. 1 SGB X ist in diesem Fall analog anzuwenden. Der Regelungszweck der Vorschrift
erfasst nicht nur Fälle, in denen dem Betroffenen ein rechtlicher Nachteil durch unrechtmäßiges Vorenthalten einer
Sozialleistung entstanden ist, sondern auch solche, in denen der Bürger zwar Sozialleistungen erhalten hat, die
Leistungsbewilligung nachträglich jedoch zurückgenommen worden ist. Der Zweck der Vorschrift besteht nämlich
darin, dem Grundsatz der Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns Geltung zu verschaffen und der
Verwaltungsbehörde zur Herstellung materieller Gerechtigkeit die Möglichkeit zu eröffnen, Fehler, die im
Zusammenhang mit dem Erlass des Verwaltungsaktes unterlaufen sind, zu berichtigen (vgl. BSG, Urteil v. 12.12.96,
Az.: 11 RAr 31/96, Steinwedel, Kasseler Kommentar, § 44 Rn. 39, Hauck/Haines, SGB X, § 44 Rn. 3).
Ein rechtswidriger Verwaltungsakt i. S. § 44 Abs. 1 S. 1 SGB X liegt dann vor, wenn das Recht unrichtig angewandt
oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist. Der Wortlaut erfasst sowohl
formelle als auch materielle Fehler. In Abgrenzung zum Widerspruchsverfahren ergibt sich aber folgende
Einschränkung: § 44 SGB X soll den Betroffenen nicht so stellen, als hätte er rechtzeitig Widerspruch gegen den
Verwaltungsakt eingelegt. Deshalb erfasst die Vorschrift nicht die Verletzung von Anhörungsfehlern (BSG, SozR 1200
§ 34 Nr. 18, SozR 3-1300, § 44 Nr. 21) oder reine Formverstöße.
Die Verletzung der Anhörungspflicht vor Erlass des Aufhebungs- und Erstattungsbescheides vom 11. Oktober 1993
ist daher nicht erheblich.
Die Beklagte hat hier das Recht teilweise unrichtig angewandt. Die in § 48 Abs. 1 SGB X normierten Voraussetzungen
für die Aufhebung der Bewilligung des Alg mit Wirkung für die Vergangenheit und Erstattung gem. § 50 Abs. 1 S. 1
SGB X haben im Zeitraum vom 01. April 1993 bis 21. April 1993 nicht vorgelegen. Für den sich anschließenden
Zeitraum vom 22. April 1993 bis 07. August 1993 konnte der Senat die Rechtswidrigkeit des zu überprüfenden
Verwaltungsaktes dagegen nicht feststellen.
Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den
tatsächlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung
eintritt. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung für die Vergangenheit aufgehoben werden, soweit der Betroffene einer
durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der
Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist (§ 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB X) oder der
Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erfor- dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum
Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist (§ 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB X). Liegen die in § 48 Abs.
1 S. 2 SGB X genannten Voraussetzungen für die Aufhebung eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vor, ist dieser
auch mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, § 152 Abs. 3 Arbeitsförderungsgesetz (AFG).
Die Beklagte hat mit der Bewilligung von Alg einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung erlassen.
Die Voraussetzungen für eine Aufhebung mit Wirkung für die Vergangenheit haben aber für den Zeitraum vom 01.
April 1993 bis 21. April 1993 nicht vorgelegen.
Der Kläger hat seine durch Rechtsvorschrift vorgeschriebene Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger
Änderungen der Verhältnisse verletzt.
Die Mitteilungspflicht des Klägers ergibt sich aus § 60 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I). Danach gilt: Wer
Sozialleistungen beantragt hat, hat Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung erheblich sind oder über die
im Zusammenhang mit der Leistung Erklärungen abgegeben worden sind, unverzüglich mitzuteilen. Die Aufnahme der
Tätigkeit als Handelsvertreter ist unabhängig vom zeitlichen Umfang der Tätigkeit eine erhebliche Änderung der
Verhältnisse. Damit war der Kläger zur Mitteilung verpflichtet.
Der Kläger hat diese Mitteilungspflicht auch grob fahrlässig verletzt.
Der Prüfung der groben Fahrlässigkeit ist ein subjektiver Sorgfaltsmaßstab zugrunde zu legen. Der Betroffene muss
unter Urteilsfähigkeit, die Sorgfaltspflichten in einem das gewöhnliche Maß übersteigendem Ausmaß verletzt haben
(BSGE 5, 267, 269). Die erforderliche Sorgfalt hat im besonders schwerem Maße verletzt, wer schon einfachste, ganz
naheliegende Überlegungen nicht angestellt und daher nicht beachtet hat, was im gegebenen Fall jedem einleuchten
muss (BSGE 42, 184, 187).
Der Kläger wurde bereits mit dem Antragsformular auf die Pflicht zur Mitteilung wesentlicher Änderungen in den
Verhältnissen hingewiesen.
Er erhielt außerdem das Merkblatt für Arbeitslose, in dem es unter dem Punkt "Mitwirkungspflichten" heißt:
"Wenn Sie eine Leistung beantragt haben, sind Sie auch verpflichtet, ihrem Arbeitsamt solche Änderungen
mitzuteilen, die für die Beurteilung ihres Leistungsanspruchs bedeutsam sein könnten ...Insbesondere in den
nachstehend aufgeführten Fällen ist es wichtig, dass sie sofort ihr Arbeitsamt benachrichtigen:
...Wenn Sie eine Arbeit übernehmen - auch als Selbständiger oder mithelfender Ehegatte."
Unter dem Punkt "Nebenverdienst" wird weiter ausgeführt:
"Wenn Sie während des Bezuges von Alg oder Alhi eine selbständige oder unselbständige Tätigkeit von weniger als
18 Stunden wöchentlich ausüben, bleibt das aus dieser Tätigkeit erzielte Einkommen grundsätzlich bis zur Höhe von
30,00 DM wöchentlich anrechnungsfrei. Der nach Abzug der Steuern, der Sozialversicherungsbeiträge und der
Werbungskosten darüber hinausgehende Betrag, wird zur Hälfte auf ihr Alg oder ihre Alhi angerechnet. Der
Nebenverdienst wird jedoch voll angerechnet, soweit er zusammen mit dem Alg oder der Alhi 80 % des für die
Bemessung der Leistung maßgeblichen Nettoarbeitsentgelts übersteigt."
Die Hinweise im Antragsformular und Merkblatt sind unmißverständlich. Zwischen Antragstellung und Aufnahme der
Tätigkeit lag außerdem nur eine kurze Zeit. Selbst bei laienhafter Betrachtung drängt es sich auf, dass die Aufnahme
einer Tätigkeit als Handelsvertreter bei gleichzeitigem Bezug von Alg dem Arbeitsamt zumindest mitzuteilen ist.
Die Verletzung der Mitteilungspflicht ist aber nur für die Überzahlung ab 22. April 1993 kausal. Nur "soweit dies der
Fall gewesen ist" kann die Bewilligung zurückgenommen werden (vgl. BSGE 47, 28).
Zur Überzeugung des Senats steht fest, dass der Kläger im Zeitraum vom 01. April 1993 bis 21. April 1993 nämlich
keine mehr als kurzzeitige Beschäftigung ausgeübt hat. Kurzzeitig ist eine Beschäftigung nach § 102 AFG, die auf
weniger als 18 Stunden wöchentlich der Natur der Sache nach beschränkt zu sein pflegt oder im voraus durch einen
Arbeitsvertrag beschränkt ist.
Der Senat stützt sich dabei auf die Aussage der Zeugin K ..., die in der mündlichen Verhandlung glaubhaft bestätigte,
sie habe die Angaben gegenüber dem Sozialgericht mit Hilfe eines Kalenders gemacht. In dem Kalender habe sie die
Kundenbesuche eingetragen und die Teilnahme des Klägers daran vermerkt. Sie habe deshalb den Beginn der
Einarbeitung des Klägers auf den 22. April 1993 festglegen können. Die Aussage ist nachvollziehbar und enthält
insoweit keine Widersprüche. An der Glaubwürdigkeit der Zeugin bestehen auch keine Zweifel. Insbesondere ist kein
Eigeninteresse am Ausgang des Rechtsstreits ersichtlich.
Die Arbeitsbescheinigung der Agentur B ... ändert nichts an der Überzeugung des Senats. Diese steht nicht nur im
Widerspruch zu der Aussage der Zeugin K ..., sondern auch zu den Angaben des Klägers. Auch das Verhalten des
Geschäftsführers B ... im Verwaltungsverfahren weckt erhebliche Zweifel an dessen Zuverlässigkeit. Er hat auch
entgegen seiner Versicherungen die Beklagte bei deren Ermittlungen nicht unterstützt.
Für den Zeitraum ab 22. April 1993 konnte sich der Senat jedoch nicht davon überzeugen, dass der Kläger eine
Beschäftigung von weniger als 18 Stunden wöchentlich ausgeübt hat. Dies ergibt sich weder aus den eigenen
Angaben des Klägers noch den Aussagen der Zeugen K ..., G ... und Z ...
Der Kläger hat in dem Klageverfahren (Az.: S 6 AL 877/94) selbst vorgetragen, die Einarbeitung habe Schulungen,
jeweils montags und freitags im Umfang von acht Stunden, Einweisungsgespräche in den Büros von Herrn B ... in P
... und C ... sowie Kundenbesuche mit Herrn B ... von dienstags bis donnerstags im Umfang von 5 bis 6 Stunden
täglich umfasst. Diese Angaben machte der Kläger am 07. August 1996 und damit noch relativ zeitnah. Später
änderte er diesen Vortrag. Er war aber nicht in der Lage, die wöchentliche Arbeitszeit zu konkretisieren, sondern
schloss sich der schriftlichen Auskunft der Zeugin K ... an, die das Sozialgericht im Verfahren S 6 AL 618/97
eingeholt hat. Die Zeugin K ... hat aber insoweit keine konkreten und vollständigen Angaben machen können. Sie hat
den Stundenumfang nur geschätzt soweit sich der Kläger im Büro aufgehalten oder mit ihr zusammen Kunden
besucht hat. Der Kläger konnte aber auch zu Hause arbeiten. Außerdem hat er nach eigenen Angaben mit Herrn B ...
Kunden besucht. Die Aussage ist deshalb nicht ergiebig. Das gilt auch für die Aussagen der Zeugen G ... und Z ...,
die zu der Tätigkeit des Klägers für die Agentur B ... GmbH und den wöchentlichen Stundenumfang überhaupt keine
Angaben machen konnten.
Der Kläger trägt hier die objektive Beweislast der Nichterweisbarkeit. Auch im Rahmen des Zugunstenverfahren des §
44 SGB X gelten die allgemeinen Verfahrens- und Beweislastregeln wie bei der Erstentscheidung (BSG, Urt. v.
01.03.89, Az.: 2 RU 42/88). Die Berurteilung der Rechtswidrigkeit durch die Behörde ist durch das Gericht voll
nachprüfbar. Nur für den Fall, dass eine anspruchsbegründende Tatsache trotz aller Aufklärungsbemühungen nicht
feststellbar ist, liegt die objektive Beweislast beim Anspruchssteller. Der Kläger trägt deshalb die Beweislast für die
den Anspruch auf Alg gem. § 100 AFG begründenden Voraussetzungen. Zu diesen Voraussetzungen gehört auch die
in § 101 AFG definierte Arbeitslosigkeit, die bei einer mehr als kurzzeitigen Beschäftigung ausgeschlossen ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nr. 1, 2 SGG).