Urteil des LSG Sachsen vom 17.01.2008
LSG Fss: berufliche ausbildung, berufsausbildung, gesundheit, eingliederung, arbeitsförderung, reisekosten, schule, berufsbildungsgesetz, fahrtkosten, arbeitslosigkeit
Sächsisches Landessozialgericht
Urteil vom 17.01.2008 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Chemnitz S 29 AS 2387/06
Sächsisches Landessozialgericht L 3 AS 26/07
I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Chemnitz vom 5. Februar 2007 wird
zurückgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. III. Die Revision
wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Erstattung von Kosten für die Fahrt zu einer Informationsveranstaltung des
Beruflichen Schulzentrums für Gesundheit und Sozialwesen D. streitig.
Die am 1990 geborene Klägerin stand seit 2005 im Leistungsbezug der Beklagten.
Mit Aufnahmebescheid des Beruflichen Schulzentrums für Gesundheit und Sozialwesen D. vom 18. Mai 2006 wurde
die Klägerin zum Bildungsgang "Pharmazeutisch-technische Assistentin" an der Berufsfachschule des Schulzentrums
zugelassen.
Am 20. Juni 2006 beantragte die Klägerin die Übernahme von Reisekosten zu einer Informationsveranstaltung des
Ausbildungsberufs Pharmazeutisch-technische Assistentin an diesem Schulzentrum, an der sie am 13. Juni 2006
teilgenommen hatte, nachdem sie erst am gleichen Tag durch die Schule von der Veranstaltung telefonisch in
Kenntnis gesetzt worden war. Seit dem 4. September 2006 befindet sich die Klägerin an der Berufsfachschule des
Schulzentrums in der Ausbildung zur Pharmazeutisch-technischen Assistentin.
Mit Bescheid vom 28. Juni 2006 lehnte die Beklagte die Erstattung von Reisekosten ab, da es sich bei der
Ausbildung zur Pharmazeutisch-technischen Assistentin um eine schulische Ausbildung handele, welche prinzipiell
nicht förderfähig sei.
Den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 5. September 2006 zurück, da die
Übernahme von Reisekosten als Leistung zur Eingliederung in Arbeit nur die Aufnahme einer versicherungspflichtigen
Beschäftigung unterstützen solle. Ausbildungen an schulischen Ausbildungsstätten seien daher nicht förderfähig.
Die am 5. Oktober 2006 gegen den Ablehnungsbescheid erhobene Klage hat das Sozialgericht am 5. Februar 2007
durch Gerichtsbescheid abgewiesen. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die beantragte Leistung nach § 16 Abs. 1
des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) i. V. m. § 45 Satz 2 Nr. 2 des
Dritten Buches Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung - (SGB III) lägen nicht vor. Voraussetzung für die Bewilligung sei,
dass die Klägerin arbeit- oder ausbildungsuchend sei. Ausbildungsuchende seien gemäß § 15 SGB III Personen, die
eine Berufsausbildung suchten. Unter Berufsausbildung im Sinne von § 15 SGB III sei nicht die schulische
Berufsausbildung zu verstehen, da diese kein Ausbildungsverhältnis mit einem Arbeitgeber als Teil des dualen
Systems begründe. Aus § 35 Abs. 1 Satz 2 SGB III folge jedoch, dass die Vermittlungstätigkeit im Rahmen der
Arbeitsförderung auf die Zusammenführung von Ausbildungssuchenden mit Arbeitgebern zur Begründung eines
Ausbildungsverhältnisses ausgerichtet sei. Eine solche Ausbildung finde an Ausbildungsstellen des dualen Systems,
nicht aber an den durch abstrakt-theoretische Wissensvermittlung gekennzeichneten Schulen statt. Das
Landessozialgericht Berlin habe in einer Entscheidung vom 15. August 2003 (Az.: L 4 AL 22/02) bestätigt, dass § 45
SGB III nur die Ausbildungsuchenden erfasse, die ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis anstrebten.
Dies folge aus der Nennung der Ausbildungsuchenden neben der Gruppe der Arbeitslosen und der von Arbeitslosigkeit
bedrohten Arbeitsuchenden sowie aus dem Äquivalenzprinzip der Arbeitslosenversicherung.
Die Klägerin hat am 5. März 2007 die vom Sozialgericht zugelassene Berufung eingelegt. Dem Wortlaut des § 15
SGB III sei nicht zu entnehmen, dass die eine schulische Ausbildung Suchenden nicht erfasst seien. Auch eine
schulische Ausbildung stelle eine Ausbildung dar. Nach dem Berufsbildungsgesetz (BBiG) zähle die Ausbildung an
einer Berufsfachschule zum dualen Bildungssystem. Die Entscheidung des Landessozialgerichts Berlin vom 15.
August 2003 betreffe einen anderen Sachverhalt. Im Übrigen sei die Klägerin auch als Arbeitslose im Sinne des § 45
SGB III anzusehen. Ein Anspruch nach § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB II auf darlehensweise Leistungsgewährung werde
nicht geltend gemacht.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Chemnitz vom 5. Februar 2007 sowie den Bescheid der Beklagten vom 28.
Juni 2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 5. September 2006 aufzuheben und die Beklagte zu
verurteilen, über den Antrag auf Leistungen zur Eingliederung in Arbeit (Reisekosten) unter Beachtung der
Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, die Ausbildung der Klägerin zur Pharmazeutisch-technischen Assistentin stelle keine
Berufsausbildung im Sinne des § 15 Satz 1 SGB III dar, sondern eine schulische Ausbildung an einer
Berufsfachschule. Kennzeichnend für eine Berufsausbildung sei das Lernen und Arbeiten in einem Ausbildungsbetrieb
über den gesamten Zeitraum der Ausbildung. Ein Auszubildender einer schulischen Ausbildung absolviere dagegen
nach seiner theoretischen Ausbildung lediglich ein Betriebspraktikum.
Das Gericht hat zur Sachaufklärung und Beweiserhebung berufskundliche Unterlagen zur Pharmazeutisch-
technischen Assistentin aus der Berufenet-Datenbank der Bundesagentur für Arbeit beigezogen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie die
beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die nach Zulassung durch das Sozialgericht gemäß § 144 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte sowie gemäß
§ 151 SGG form- und fristgereicht eingelegte Berufung ist zulässig, aber unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage
zu Recht abgewiesen. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die
Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Erstattung ihrer Fahrtkosten zur Informationsveranstaltung des
Ausbildungsberufs Pharmazeutisch-technische Assistentin am Beruflichen Schulzentrum für Gesundheit und
Sozialwesen D. am 13. Juni 2006.
Gemäß § 16 Abs. 1 Satz 1 SGB II in der hier maßgeblichen, bis zum 31. Juli 2006 geltenden Fassung kann die
Agentur für Arbeit, deren Aufgaben als Leistungsträger nach dem SGB II gemäß § 44b Abs. 3 Satz 1 SGB II von der
Arbeitsgemeinschaft wahrgenommen werden, für erwerbsfähige Hilfebedürftige als Leistungen zur Eingliederung in
Arbeit bestimmte im SGB III geregelte Leistungen erbringen. Dazu zählt auch die im Ersten Abschnitt des Vierten
Kapitels des SGB III in § 45 Satz 2 Nr. 2 vorgesehene Kostenübernahme für Fahrtkosten zur Berufsberatung,
Vermittlung, Eignungsfeststellung und zu Vorstellungsgesprächen (Reisekosten). Die Leistung wird gemäß § 45 Satz
1 SGB III Arbeitslosen, von Arbeitslosigkeit bedrohten Arbeitsuchenden sowie Ausbildungsuchenden gewährt, wenn
der Arbeitgeber eine gleichartige Leistung nicht oder voraussichtlich nicht erbringen wird. Sie steht im Ermessen des
Leistungsträgers.
Der Klägerin standen als Anspruchsberechtigter nach dem SGB II zwar grundsätzlich Leistungen zur Eingliederung in
Arbeit nach § 16 Abs. 1 Satz 1 SGB II zu. Die Voraussetzungen für die Übernahme der im Zusammenhang mit der
Fahrt zur Informationsveranstaltung am Beruflichen Schulzentrum für Gesundheit und Sozialwesen D. entstandenen
Kosten sind jedoch nicht erfüllt, da die Klägerin keiner der in § 45 Satz 1 SGB III genannten Personengruppen
unterfällt.
Sie ist insbesondere keine Ausbildungsuchende im Sinne des SGB III. Nach der Legaldefinition des § 15 Satz 1 SGB
III sind Ausbildungsuchende Personen, die eine Berufsausbildung suchen. Die von der Klägerin angestrebte
Ausbildung an einer Berufsfachschule stellt keine Berufsausbildung im Sinne von § 15 Satz 1 SGB III dar. Das SGB
III unterscheidet entsprechend seiner Zielsetzung, durch Leistungen der Arbeitsförderung Beschäftigungsstand und
Beschäftigungsstruktur auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt zu verbessern (§ 1), ausdrücklich zwischen der
beruflichen Ausbildung und der schulischen Bildung. Gemäß § 25 Abs. 1 SGB III, § 7 Abs. 2 Viertes Buch
Sozialgesetzbuch (SGB IV) gilt nur der Erwerb beruflicher Kenntnisse, Fertigkeiten oder Erfahrungen im Rahmen der
betrieblichen Berufsausbildung auch als (versicherungspflichtige) Beschäftigung. Demgegenüber stellt die
Wissensvermittlung an schulischen Ausbildungsstätten, auch wenn diese der beruflichen Bildung dient, kein
Beschäftigungsverhältnis im Sinne des SGB III dar, da keine Eingliederung in den Produktions- oder
Dienstleistungsprozess einer betrieblichen Organisation erfolgt. Eine berufliche Ausbildung ist demgemäß nach § 60
Abs. 1 SGB III nur dann durch eine Berufsausbildungsbeihilfe förderfähig, wenn sie betrieblich oder außerbetrieblich
aufgrund eines Berufsausbildungsvertrages durchgeführt wird. Entsprechend umfasst die Ausbildungsvermittlung als
eine der Leistungen der Arbeitsförderung (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 SGB III) nach § 35 Abs. 1 Satz 2 SGB III nur jene
Tätigkeiten, die darauf gerichtet sind, Ausbildungsuchende mit Arbeitgebern zur Begründung eines (betrieblichen)
Ausbildungsverhältnisses zusammenzuführen. Ebenso erstreckt sich nach § 30 Satz 2 SGB III die Berufsberatung
nur dann auch auf die Erteilung von Auskunft und Rat zu Fragen der schulischen Ausbildung, soweit sie für die
Berufswahl und die berufliche Ausbildung von Bedeutung sind. Daraus wird deutlich, dass unter Berufsausbildung im
Sinne des § 15 SGB III nicht auch die schulische Berufsausbildung verstanden werden kann (ebenso Fuchsloch, in:
Gagel, SGB III-Arbeitsförderung [Stand: 30. Erg.-Lfg., September 2007], § 15 Rdnr. 8; Brand, in: Niesel, SGB III [4.
Aufl., 2007], § 30 Rdnr. 5, § 35 Rdnr. 18; Becker in: Eicher/Schlegel, SGB III [Stand. Dezember 2007], § 15 Rdnr. 19;
Rademacher in: Gemeinschaftskommentar zum Arbeitsförderungsrecht [Stand; September 2007], § 15 SGB III Rdnr.
14, 15). Im Übrigen ist diese Auslegung auch § 45 SGB III selbst zu entnehmen, da die Vorschrift Leistungen lediglich
für den Fall vorsieht, dass der Arbeitgeber gleichartige Leistungen nicht erbringt oder erbringen wird. § 45 SGB III
setzt demnach ebenfalls voraus, dass die Ausbildungssuche auf die Kontaktaufnahme mit einem potenziellen
Arbeitgeber ausgerichtet ist.
Der Bildungsgang zur Pharmazeutisch-technischen Assistentin an der Berufsfachschule des Beruflichen
Schulzentrums für Gesundheit und Sozialwesen D. erfolgt nicht im Rahmen eines Ausbildungsverhältnisses mit
einem Arbeitgeber (Ausbilder), sondern stellt eine Ausbildung in einem öffentlich-rechtlichen Schulverhältnis dar. Er
findet an einer staatlichen Berufsfachschule statt. Das Ausbildungsverhältnis wird durch einen Aufnahmebescheid
begründet. Ein Berufsausbildungsvertrag nach § 10 BBiG wird nicht abgeschlossen. Die Ausbildung besteht
ausweislich der beigezogenen berufskundlichen Unterlagen aus theoretischem und praktischem Unterricht an der
Berufsfachschule einschließlich eines vierwöchigen Apothekenpraktikums. Erst danach ist ein sechsmonatiges
Anerkennungspraktikum zu absolvieren. Es handelt sich demzufolge bei diesem Bildungsgang nicht um eine duale
Ausbildung, die in einem Ausbildungsbetrieb und einer schulischen Ausbildungsstätte durchgeführt wird, sondern um
eine rein schulische Ausbildung, die aus dem betrieblichen Geschehen ausgegliedert ist. Unerheblich ist, ob der Beruf
der Pharmazeutisch-technischen Assistentin einen anerkannten Ausbildungsberuf nach dem Berufsbildungsgesetz
darstellt. Ebenso wenig von Belang ist, ob die Berufsfachschule des Beruflichen Schulzentrums für Gesundheit und
Sozialwesen D. Lernort im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 2 BBiG im Rahmen einer dualen Ausbildung sein kann.
Ausschlaggebend ist, dass die Ausbildung an dieser Schule nicht als versicherungspflichtige Beschäftigung im
Ausbildungsbetrieb eines Arbeitgebers anzusehen ist. Die Klägerin war somit bei ihrer Teilnahme an der
Informationsveranstaltung der Schule keine Ausbildungssuchende im Sinne des SGB III.
Eine Kostenerstattung steht der Klägerin auch nicht als Arbeitsloser zu. Arbeitslose im Sinne des § 45 SGB können
nach der insofern anwendbaren Legaldefinition des § 16 Abs. 1 Nr. 2 SGB III nur Personen sein, die nach einer
versicherungspflichtigen Beschäftigung suchen. Die Fahrt der Klägerin zur Informationsveranstaltung der
Berufsfachschule erfolgte jedoch nicht im Rahmen der Suche nach einer versicherungspflichtigen Beschäftigung,
sondern zur Aufnahme einer schulischen Ausbildung, wie bereits ausgeführt wurde.
Die Klägerin erfüllt damit bereits nicht die Tatbestandsvoraussetzungen für Leistungen nach § 45 SGB III.
Es kann daher offen bleiben, ob der Klägerin eine rechtzeitige Antragstellung nach § 37 Abs. 1 SGB II tatsächlich
unmöglich war, sodass der nachträgliche Antrag einer Leistungsgewährung trotz § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB II nicht
entgegenstünde.
Weitere Anspruchsgrundlagen für Leistungen der Beklagten sind nicht ersichtlich. Insbesondere hat die Klägerin einen
Sonderbedarf nach § 23 Abs. 1 SGB II ausdrücklich nicht geltend gemacht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).