Urteil des LSG Sachsen vom 08.02.2001
LSG Fss: erwerbsfähigkeit, rente, arbeitsmarkt, limitierung, lärm, psychiatrie, gefährdung, facharzt, neurologie, verwaltungsverfahren
Sächsisches Landessozialgericht
Beschluss vom 08.02.2001 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Chemnitz S 17 RJ 19/99
Sächsisches Landessozialgericht L 5 RJ 207/00
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 19. Juni 2000 wird zurückgewiesen. II.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.
Der am ... geborene Kläger verfügt über keine Lehr- oder Berufsaubildung und war von September 1962 bis 1980 als
Hilfs-, Transport- und Produktionsarbeiter sowie nachfolgend bis März 1990 als Hausmeister beschäftigt. Seit einer
Arbeitsbeschaffungsmaßnahme in der Zeit vom 14. Dezember 1992 bis zum 10. Januar 1993 ist der Kläger arbeitslos
und bezieht Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit bzw. Krankengeld.
Den am 19. März 1998 gestellten (zweiten) Antrag auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit begründete er mit
Angst, Depressionen, niedrigerem Blutdruck, Schwindelanfällen und starken Kopfschmerzen.
Im Verwaltungsverfahren lagen der Beklagten vor:
- ein Befundbericht des Dr ..., Facharzt für Allgemeinmedi zin, vom 24. März 1998 und - ein Gutachten der Frau Dipl.-
Med ..., Fachärztin für Neurologie/Psychiatrie, vom 07. Juli 1998, in welchem bei sozialer Phobie, Angstneurose,
Neurasthenie, insbesondere Cephalgien, Hypertonie, Zustand nach Schädel-Hirn-Trauma 1956 und paranoider
Persönlichkeit ein vier- bis sechsstündiges Leistungsvermögen für leichte bis mittelschwere körperliche Tätigkeiten,
allerdings bei Einzelarbeitsplatz, ohne Nacht schicht und häufiges Heben, Tragen oder Bewegen von Lasten, ohne
häufiges Bücken und ohne Absturzgefahr, nicht überwie gend im Freien sowie ohne Gefährdung durch Kälte, Zugluft,
inhalative Reizstoffe, Nässe und Lärm attestiert wurde.
Nach Stellungnahme der Frau Dr ... vom 27. Juli 1998, Sozialmedizinischer Dienst, lehnte die Beklagte den
Rentenantrag unter Verweis auf ein vollschichtiges Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mit
Bescheid vom 17. September 1998 ab. Den hiergegen erhobenen Widerspruch vom 12. Oktober 1998 wies die
Beklagte mit Bescheid vom 07. Dezember 1998 zurück. Mit den bestehenden gesundheitlichen Einschränkungen
könne der Kläger nach den sozialmedizinischen Feststellungen weiterhin vollschichtig als Hausmeister tätig sein und
sei darüber hinaus in der Lage, vollschichtig leichte bis mittelschwere Arbeiten ohne Nachtschicht, ohne besonderen
Zeitdruck (z. B. Fließband, Akkord), ohne häufiges Heben, Tragen oder Bewegen von Lasten, ohne häufiges Bücken,
ohne Absturzgefahr, nicht überwiegend im Freien, ohne Gefährdung durch Kälte, Zugluft, inhalative Reizstoffe, Nässe
und Lärm auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu verrichten.
Auf die am 08. Januar 1999 erhobene Klage hat das Sozialgericht Chemnitz das Gutachten des Arbeitsamtes ... vom
24. April 1996 (vollschichtiges Leistungsvermögen für mittelschwere Arbeiten unter Beachtung von
Funktionseinschränkungen) beigezogen und einen Befundbericht des Dr ... vom 08. November 1999 sowie des Dr ...,
Facharzt für Neurologie/Psychiatrie, vom 26. November 1999, eingeholt. Mit Urteil vom 19. Juni 2000 hat das
Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die bisherige Tätigkeit als Hausmeister, welche der Berufsgruppe der angelernten
Arbeiter im unteren Bereich zuzuordnen sei, könne der Kläger wegen der damit verbundenen überwiegenden Steh- und
Gehbelastung und den Arbeiten auf Leitern und Gerüsten nicht mehr verrichten. Der Leistungsbeurteilung des
arbeitsamtsärztlichen Gutachtens folgend hat das Gericht ein vollschichtiges Leistungsvermögen für leichte bis
mittelschwere Arbeiten unter Beachtung weiterer Funktionseinschränkungen, insbesondere ohne besonderen
Leistungsdruck und Publikumsverkehr, angenommen. Der Auffassung der Sachverständigen Dipl.-Med ... hinsichtlich
eines nur vier- bis sechsstündigen Leistungsvermögens hat sich das Gericht, unter Berücksichtigung des
Befundberichtes von Dr ..., nicht angeschlossen.
Die hiergegen am 25. Juli 2000 bei dem Sozialgericht Chemnitz eingelegte Berufung hat der Kläger trotz Aufforderung
vom 03. August 2000 nicht begründet.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 19. Juni 2000 abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung des
Bescheides vom 17. September 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07. Dezember 1998 zu
verurteilen, ihm eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verweist auf die ihrer Auffassung nach zutreffenden Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil.
Der Senat hat die Beteiligten mit Schreiben vom 20. Dezember 2000 darauf hingewiesen, dass eine Entscheidung des
Rechtsstreits nach § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Beschluss beabsichtigt ist und Gelegenheit zur
Stellungnahme gewährt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten aus beiden Rechtszügen und auf die
beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten, einschließlich Gutachtenheft, Bezug genommen und verwiesen.
II.
Der Senat kann gemäß § 153 Abs. 4 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) durch Beschluss ohne mündliche
Verhandlung (§ 124 Abs. 3 SGG) und ohne Zuziehung ehrenamtlicher Richter (§ 12 Abs. 1 Satz 2, § 33 Satz 2 SGG)
entscheiden, weil er einstimmig die Berufung für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich
hält. Die Beteiligten wurden vorher gehört (§ 153 Abs. 4 Satz 2 SGG) und hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.
Die Berufung ist unbegründet.
Zu Recht hat das Sozialgericht Chemnitz (SG) die Klage abgewiesen, weil dem Kläger ein Anspruch auf die
Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nicht zusteht.
Der Kläger ist weder berufsunfähig (§ 43 Abs. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VI -) noch erwerbsunfähig (§
44 Abs. 2 Satz 1 SGB VI).
Berufsunfähigkeit im Sinne des § 43 Abs. 2 SGB VI liegt nicht vor, da die Erwerbsfähigkeit des Klägers wegen
Krankheit oder Behinderung noch nicht auf weniger als die Hälfte desjenigen eines körperlich, geistig oder seelisch
gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten gesunken ist.
Die Beurteilung, wie weit die Erwerbsfähigkeit eines Versicherten gesunken ist, wird danach getroffen, welchen
Verdienst er in einer Tätigkeit erzielen kann, auf die er nach seinem Gesundheitszustand und nach seinem bisherigen
Beruf zumutbar verwiesen werden kann (vgl. BSG, Urteil vom 28. Februar 1963 - 12 RJ 24/58 - SozR Nr. 24 zu § 1246
RVO -). Für die Beurteilung, wie weit die Erwerbsfähigkeit eines Versicherten gesunken ist, kommt es auf den
bisherigen Beruf an (vgl. BSG in SozR 2200 § 1246 RVO Nr. 107 und 169). In der Regel ist dies die letzte
versicherungspflichtige Tätigkeit oder Beschäftigung, die vollwertig und nachhaltig verrichtet worden ist (vgl. BSG
SozR 2200 § 1246 Nrn. 130, 164).
Letzte Beschäftigung in diesem Sinne ist die Tätigkeit als Hausmeister. Diese hat der Kläger von 1980 bis März 1990
vollwertig bewusst und gewollt zur dauerhaften Einkommenserzielung ausgeübt.
Den Beruf als Hausmeister kann der Kläger nicht mehr vollwertig verrichten. Die mit dieser Tätigkeit verbundenen
überwiegenden Steh- und Gehbelastungen sind mit seinem Gesundheitszustand nicht mehr vereinbar.
Dennoch liegt Berufsunfähigkeit bei dem Kläger nicht vor. Er ist zumutbar auf andere Tätigkeiten verweisbar, bei
welchen er mehr als die Hälfte des Verdienstes einer gesunden Vergleichsperson erzielen kann.
Zur Bestimmung, auf welche Tätigkeiten ein leistungsgeminderter Versicherter zumutbar verwiesen werden kann, hat
das Bundessozialgericht ein Mehr-Stufen-Schema entwickelt und die Arbeiterberufe in Gruppen eingeteilt. Es gibt die
Gruppe der Facharbeiterberufe, der Anlerntätigkeiten und der ungelernten Tätigkeiten (vgl. BSG, Urteil vom 17. Juli
1972 - 5 RJ 105/72 - SozR Nr. 103 zu § 1246 RVO). Später hat das Bundessozialgericht zu diesen drei Gruppen noch
eine weitere Gruppe der "Facharbeiter mit Vorgesetztenfunktion" hinzugefügt (vgl. BSG, Urteil vom 30. März 1977 - 5
RJ 98/76 - BSGE 43, 243), zu welcher auch "besonders hoch qualifizierte Facharbeiter" gehören (vgl. BSG, Urteil vom
19. Januar 1978 - 4 RJ 81/77 - BSGE 45, 276). Nach diesem Schema kann jeder Versicherte auf Tätigkeiten
zumutbar verwiesen werden, die eine Stufe tiefer einzuordnen sind, als es dem bisherigen Beruf entspricht. Ein
Facharbeiter kann daher auf Anlerntätigkeiten, ein angelernter Arbeiter auf ungelernte Tätigkeiten verwiesen werden
und so weiter.
In Übereinstimmung mit der sozialgerichtlichen Entscheidung ist der Kläger der Gruppe mit dem Leitberuf des
angelernten Arbeiters im unteren Bereich zuzuordnen. Dies ergibt sich aus den eigenen Darstellungen des Klägers im
Verwaltungsverfahren, wonach er eine Lehr- oder Berufsausbildung nicht absolviert hat. Anhaltspunkte dafür, dass er
während seiner Tätigkeit als Hausmeister Arbeiten verrichtet hat, welche eine Ausbildung oder berufliche
Einarbeitungszeit von mehr als einem Jahr erfordern, sind nicht ersichtlich. Insofern ist der Kläger sozial zumutbar auf
sämtliche Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar, ohne dass diese konkret benannt werden müssten,
wofür ein vollschichtiges Leistungsvermögen besteht. Der Kläger ist noch in der Lage, auf dem allgemeinen
Arbeitsmarkt leichte bis mittelschwere körperliche Tätigkeiten im Wechsel zwischen Sitzen, Stehen und Gehen, ohne
Nachtschicht, ohne besonderen Zeitdruck (z. B. Fließband, Akkord), ohne häufiges Heben, Tragen oder Bewegen von
Lasten, ohne häufiges Bücken, ohne Absturzgefahr, nicht überwiegend im Freien, ohne Gefährdung durch Kälte,
Zugluft, inhalative Reizstoffe, Nässe und Lärm sowie wegen der psychiatrischen Erkrankung ohne besonderen
Leistungsdruck und ohne Publikumsverkehr zu verrichten. Diesen Feststellungen des SG tritt der Senat nach
Überprüfung vollumfänglich bei. Insbesondere ist die von Frau Dipl.-Med ... in ihrem Gutachten bekundete Limitierung
auf lediglich vier bis sechs Stunden nicht nachvollziehbar. Welche neurologisch-psychiatrischen Erkrankungen diese
Limitierung sozialmedizinisch bedingen sollen, hat die Sachverständige nicht mitgeteilt. Die lediglich mit ihrer
Meinung" begründete Limitierung ist, da objektivierte, einschränkende Befunde nicht erhoben bzw. bekundet worden
sind, nicht ausreichend. Sie hat auch darauf hingewiesen, dass ambulante Behandlungsversuche erfolgen könnten
und sollten. Zudem hat sich die Sachverständige nicht mit dem im ersten Rentenverfahren eingeholten neurologisch-
psychiatrischen Gutachten des Dr ... vom 27. Oktober 1996 auseinandergesetzt, welcher nachvollziehbar ein
vollschichtiges Leistungsvermögen für einfache, manuelle Tätigkeiten im 2-Schicht-Rhythmus attestiert hat. Gegen
die Leistungseinschätzung der Dipl.-Med. Schuster spricht auch der Befundbericht des Dr ... vom 08. November 1999,
in welchem eine Besserung angegeben worden ist. Da die letzte Konsultation bei dem behandelnden Facharzt für
Neurologie/Psychiatrie Dr ... am 17. Oktober 1995 erfolgt ist, kann, da auch der behandelnde Hausarzt Dr ... eine
neurologisch-psychiatrische Mitbehandlung nicht für erforderlich erachtet hat, nicht von einem erheblichen
Leidensdruck des Klägers ausgegangen werden. Im Übrigen wird auf die Ausführungen des erstinstanzlichen Urteils
vollumfänglich Bezug genommen und verwiesen (§ 153 Abs. 2 SGG).
Da der Kläger seine Berufung nicht begründet und von der mit gerichtlichen Schreiben vom 20. Dezember 2000 und
15. Januar 2001 gewährten Möglichkeit zur Stellungnahme und Stellung eines Antrages gemäß § 109 Abs. 1 SGG
keinen Gebrauch gemacht hat, vermochte der Senat weitere Ermittlungen von Amts wegen im Sinne des § 106 SGG
nicht zu erheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen für die Zulassung nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG
nicht vorliegen.